Michaelische Festesstimmung als Kraftquelle neuer sozialer Gestaltung

01.10.1994

Der folgende Entwurf möchte sich mit zwei Gegenständen beschäftigen, die als anthroposophische Kulturtaten beide zu den Zukunftsaufgaben gehören, und die beide - was einen zunächst sehr erstaunen mag - in einem tiefen inneren Zusammenhang stehen: das Begründen eines neuen Michael-Festes und die Dreigliederung des sozialen Organismus. Es muß deshalb bei einer Skizze bleiben, weil es nur darum gehen kann, sich die geistigen Zusammenhänge klar zu machen; getan werden kann das Gemeinte natürlich nicht auf dem Papier. Aber es kann versucht werden, die Quellen zu finden, aus denen das Tun fließen wird. In einer Art dreistufigen Prozesses soll dieses Vorhaben durchgeführt werden. Im Ausgangspunkt wird die Frage stehen: Was sind die geistigen Inhalte des Michaelischen? In dem michaelischen Erwecken des Geistigen ist der eigentliche Quellpunkt zu finden, aus dem die Dreigliederung des sozialen Organismus auf eine im höheren Sinne natürliche Weise hervorgehen kann. Man gewinnt hierdurch eine andere Stellung zu der sich polarisierenden Frage: Muß Dreigliederung einfach geplant und"eingeführt" werden - oder sind wir noch nicht reif für sie und müssen deshalb warten, bis es "an der Zeit" ist? - Dies wird auf einer weiteren Stufe vertieft, indem angeschaut wird, wie die Seele selber sich verändert, wenn sie michaelisch-festlich impulsiert wird, wie sie Fundamentalkräfte entwickelt, in der menschlichen Gemeinschaft tätig zu sein. Denn es geht darum, im Menschen selber die Quellkräfte sozialen Tuns zu finden, nicht, von außen ihm "Richtlinien" zu geben, auch nicht in Form von Idealen, denen er folgen muß. - Drittens wird anzuschauen sein, wie die sozusagen leibliche Wirklichkeit sozialer Gestaltungsformen im 20. Jahrhundert aussieht. Es zeigt sich, daß wir vor Vereinseitigungen und Irrwegen stehen, die sich in Ost und West, aber ebenso in der Mitte entwickelt haben, die aus dem isolierten und deplazierten Verwirklichen jeweils des einen der drei "Ideale" Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu verstehen sind. Daraus ergibt sich erst eine tiefere Erkenntnis der Aufgabe, was es bedeutet, eine soziale Dreigliederung zu entwickeln, die allen drei Idealen ihren menschengemäßen Bezug im Sozialen zuweist. - Schließlich kann man aus all diesen Betrachtungen eine Empfindung dafür bekommen, wie die hier behandelten Aufgaben in einer doppelten Weise gerade mit dem weiter gefaßten Mitteleuropa zu tun haben: Es sind nicht nur Aufgaben der Anthroposophie an sich, es sind insbesondere mitteleuropäische, die hier berührt werden. -

Außerdem möchte ich den Leser vorweg darauf hinweisen, daß dieser Essay nicht versucht, sich an den Aussagen Rudolf Steiners entlangzuhangeln, um so zu einem "Beweis" für die These des inneren Zusammenhangs zwischen Michaelsfest und sozialer Dreigliederung zu gelangen - obwohl dieser Gedanke einem aus mancher Äußerung Rudolf Steiners einem geradezu entgegenspringt. Sondern es wurde versucht, mit einer Übung des Gedankenmutes ernst zu machen und sich auf ein Leben in Ideen einzulassen und sie sich selber in der Seele entfalten zu lassen. (1)

Das Miterleben des Jahreskreislaufs

Der erste Impuls, zu den Michael-Kräften vorzudringen, muß sich auf ein erneuertes Miterleben der Jahreszeiten und des Wechselspiels zwischen Sinnlichem und Übersinnlichen in ihnen richten. Dies ist eine der inneren Aufgaben, zu denen man sich aufgerufen fühlen kann, wenn man in den mittleren Breiten lebt. Hier soll der Blick auf die Herbsteszeit und ihre Stellung im gesamten Jahreskreislauf gerichtet werden. - Eigentlich gibt es drei Möglichkeiten, den Herbst zu durchleben. Als sensiblerer Mensch: zu empfinden, wie alles abstirbt, verwelkt und verfault, sodaß man innerlich schließlich, je weiter es in den Winter hineingeht, mit herabgezogen wird in ein Reich der Dunkelheit und Dumpfheit, das in der Seele Depression erzeugt; man lebt so intensiv mit, daß man die eigene Sterblichkeit als etwas Bedrückendes, weil Unausweichliches, empfindet. - Für einen weniger sensibilisierten Menschen (einen Großstädter, der ganz im Getriebe seines Lebens aufgeht) besteht auch die zweite Möglichkeit, überhaupt kaum etwas zu empfinden, sondern lediglich einige auffällige Änderungen zu konstatieren, wie das Entlauben der Bäume (was in der Stadt manchmal schon viel früher einsetzt) oder das Auftreten von stürmischen und regnerischen Witterungen, tiefer wird man nicht von den äußeren Ereignissen tangiert, man bleibt gleichgültig und in gewisser Weise lieblos. Zwischen beiden Einseitigkeiten - man kann zeigen, daß sie als eine Art einseitig sommerlichen oder winterlichen Erlebens anzusehen sind - wird erst dann eine dritte Möglichkeit eröffnet, wenn der Mensch lernt, subtiler in die Welt beobachtend hineinzuschauen und zugleich kräftiger in sich selbst zu erleben. Dann kann man die neue Empfindung erlangen, daß zwar in der Natur äußerlich vieles stirbt, welkt, herabfällt und dann vergeht, zugleich aber löst sich etwas los, das wie befreit aufsteigt; in den vielleicht nur für wenige Tage intensiven Färbung der Blätter mit ihren Rot-, Orange- und Gelbtönen, die uns innerlich aktivieren und frisch machen, spricht jenes Aufsteigende zu uns - und zugleich weckt es in uns das auf, was mit ihm verwandt ist: das NichtSinnliche, das Geistige. Es ist dabei ein willenshaftes Aufwecken, es ist das Geistige, das in den Willen eingreifen kann. Vertieft man sich in dieses Erlebnis und pflegt es über längere Zeit, so wird es Quelle einer neuen Art von Freude. Im Frühling empfinden wir intensive Freude, weil die Natur "aufersteht" aus ihrem moderigen Grab des Winters, weil sich das Übersinnliche in die Stofflichkeit des Winters hineinbegibt und sie "aufhebt", indem es sie zum Sprießen, Wachsen, schließlich Blühen treibt. Überall liegen dazu ja die verborgenen Anlagen in den im vergangenen Herbst ausgestreuten Samen, den bereits im Sommer unbemerkt angelegten Knospen der Bäume. Das Geistige wird ganz zur Erscheinung im Stofflichen; wo wir in die Sinneswelt schauen, sehen wir zugleich die Offenbarung des Geistigen in den Wach stumsimpulsen, in den Formen, die sich entwickeln. Wir selber werden, indem wir das miterleben, als seelisch-geistiges Wesen ganz in dieser sinnlichen Welt aufgenommen, gehen ganz hinaus aus uns in diesem Erleben des zum Sommer hin aufsteigenden Jahres. Geist und Stoff werden sozusagen innigst vermischt, amalgamiert; im Hochsommer schließlich scheint alles wie in der einheitlichen Wärme zu verschwimmen. Mit dem Ich, das wärmeverwandt ist, verschmelzen wir mit der sommerlichen Wärmewelt. - Wollte man aus so einer Stimmung des Frühlings und Sommers heraus eine Weltanschauung prägen, so müßte es eine einheitlich Materie und Geist umfassende sein-, eine panthei stische oder monistische. - Sprechen wir in einer solchen Weise zum Beispiel vom "allgemeinen Geist in der Natur", so sind wir inspiriert von dieser Frühlings- oder Osterstimmung. (2)

Aber in der Sommerstimmung auf ihrem Höhepunkt, dem Ausgegossensein im Naturbewußtsein, ist fast kein Selbstbe wußtsein mehr möglich (wer in den feuchtheißen Tropen war, wird sicherlich bestätigen, daß in diesem "dauernden Sommer" das Selbstbewußtsein wie aufgelöst wird). Es muß dazu eine Gegenbewegung der Einkehr in sich einsetzen, der Loslösung vom rein sinnlichen Erleben, in das man vom Frühling an gleich sam als naives Naturgeschöpf hinausgezogen wird. Der Herbst selber hilft uns, dieses Selbstbewußtsein wiederzugewinnen und zu kräftigen, wenn wir nun miterleben, wie das Geistige draußen wieder sich aus dem Stofflichen befreit, und wenn wir das in uns selber vollziehen: sich erheben über das Physische, mit dem man wie in Verschmelzung im Sommer gelebt hat. Damit kom men wir aber zu einem Erlebnis, das in gewisser Weise polar dem österlichen Erleben gegenübersteht und jenes notwendig ergänzt wie das Einatmen das Ausatmen: zu Ostern blicken wir auf den Wintertod in der Natur und werden erlöst durch die Auferstehung des Christus; auch die Natur darf auferstehen. Im Herbst auferstehen wir selber innerlich, und dann können wir gelassen auf das Sterbende und Tote hinblicken, das an uns selber und um uns herum ist; wir haben es innerlich besiegt, wir können ohne Furcht selber sterben, da wir bereits auferstanden sind. Wir müssen nicht als übersinnliches Wesen mit dem Sterben des Sinnlichen mitgehen. (3)

Würde man den Herbst in einer solchen Weise erleben, könnte er die neue Quelle werden, aus der geistige Kraft und geistiges Sich-selbst-Bewußtwerden entspringen. Dahinter aber stünde das Wirken der Mächte, die man als MICHAEL bezeichnet hat: sie machen diesen Atmungsvorgang - denn als solcher ist er anzuse hen - im Jahreslauf mit: Hinausgehen im Sommer in das Kosmi sche, Hineinziehen in das Irdische im Winter; im Herbst aber liegt gewissermaßen der Umkehrpunkt, wo Michael sich, mit neuen Kräften gerüstet, wieder in das Irdische hineinbegibt, um dort jene Mächte zu überwinden, die den Tod bringen. (4)

Das Erleben des Geistigen muß sich so intensivieren, daß wir es im Gedanken haben können; dies wäre im Sinne Michaels, der uns ja zu nichts zwingt oder beeinflussend drängt, sondern auf die Menschen wartet, die ihm entgegenkommen wollen. Das ist für uns nur im Gedanken möglich, der frei ist von aller zwingenden (geistigen) Wirklichkeit, der zunächst nur ein Totes ist. Doch gerade in diesem Toten liegt die ungeheure Möglichkeit für den modernen Menschen. In diesem Nur-Spiegelbild-Sein des Gedankens ist es begründet, daß der Mensch auf dem Gedan kenwege ein freies und aktives Verhältnis zum Geistigen gewin nen kann. Nicht ein nebuloses, vereinheitlichendes "Geist-Füh len" entsteht daraus, sondern eben ein aus der Natur des Gedankens geborenes Fühlen, das immer zur Differenziertheit vordringen will, und das schließlich bis in den Willen wirkt. (Konkret und differenziert wird z.B. die Betrachtung der Natur wesen, in deren Nebeneinander man Polaritäten und Vermittlun gen oder Steigerungen entdeckt, die sich einem anschauenden Denken dann in dreigliedrigen oder anderen Ordnungen zeigen.)

Die höchste Stufe hierin erreichen wir, wenn wir des Geistigen innerlich so gewiß sind, daß wir es im reinen Gedanken erleben, der uns befeuert; nicht wenn wir zweifeln und zweifelnd auf ein Gewißheit verschaffendes "Hellsehen" warten, damit wir das Geistige "mit Händen greifen" können, oder nach Hellsehern rufen, die uns unsere Fragen nach dem Geistigen lösen sollen, sondern diese aus eigener Denkkraft mutig angehen. (5)

Kommt im Menschen, inspiriert durch das Miterleben des Jahreslaufes ein solches Gemütserlebnis der Denktätigkeit zustande, so dürfen wir sagen, daß wir Michael folgen:

"Dieses Sich-Aufschwingen dazu, daß man von den Gedanken über das Geistige so erfaßt werden kann wie durch irgend etwas Physisches in der Welt: das ist Michael- Kraft! (..) er löst die Begeisterung aus dem Gemüte los, so daß der Mensch in seelischer Hingabe leben kann an alles, was sich im Gedankenlicht erfahren läßt." (6)

Das aus seinem Toten aufsteigende, auferstehende Denken führt zu diesem Gemütserlebnis, wie das Gelb und Rot der sterbenden Blätter sinnlich-sittlich vom sich befreienden Geistigen in der Natur spricht. Michael ist dabei zugleich die Kraft, die zum Gewahrwerden des Geistigen in der Natur befähigt, wenn wir uns ihr in Liebe - also in Aufmerksamkeit - zuwenden. Als Weltanschauung ergibt sich hieraus aber eine solche, die nicht pantheistisch alles in ein allgemeines Göttliches getaucht erlebt, sondern konkret und bis in das scheinbar unbedeutende Detail hinein differenzierend das Geistige zu erkennen strebt. Es wird eine Geisteswissenschaft entstehen, "die so stark ist, daß sie zu gleicher Zeit Naturwissenschaft sein kann." (7) Man vergegenwärtige sich, daß es der modernen Seele angemessen ist, in Konkretheit und Detailliertheit über das Materielle zu sprechen; es kann einen das tief befriedigen, wenn man in der besonnenen Haltung des methodischen Experlmentierens und ordnenden Begriffefassens lebt. Aber man verdorrt innerlich, wenn sich diese Tätigkeit auf das rein sinnlich - auch mit Unterstützung von Instrumenten - Erfaßbare beschränkt. Wie kann einen aber eine solche Wissenschaft begeistern, die nichts von ihrer Exaktheit und Detailliertheit aufgibt, aber im gleichen Maße das Erkennen und differenzierte Beschreiben eines Geistigen anstrebt, das erst die Ordnung in der Natur entstehen läßt! - Aus dem Herbsterlebnis kann eine michaelisch impulsierte Natur-Geisteswissenschaft entstehen. -

Solche Betrachtungen kann man an den Anfang stellen, wenn man sich fragen will, wie die Festesstimmung zu finden ist, aus der ein neues Michael-Fest zu begehen wäre, und welche die das Fest erfüllenden Gedanken sein müßten.

Wie sehr es Rudolf Steiner auf das wirkliche Miterleben der Veränderungen in der Natur im Laufe des Jahres ankommt, um daraus ein neues Fest der Michael-Zeit zu begründen, geht aus allen seinen Ausführungen hervor, zum Beispiel aus folgender:

" .. den Pulsschlag des äußeren Daseins wie das Innere zu empfinden, den Jahreslauf wieder so mitzuerleben, wie man das Leben innerhalb seiner eigenen Haut erlebt, das ist das, was zum Michael-Fest vorbereiten muß." (8)

Ein wesentlicher Gedanke von dem, was Mlchaels-Wirksamkeit überhaupt ist, wird sich an das Erleben anschließen. Hier steigen wir auf vom denkenden Miterleben der Jahreszeiten, das wir uns willentlich vorgenommen haben, zum Erkennen von Gesetzen, es ergänzt sich dies mit dem oben genannten Weg, der umgekehrt mit dem spirituellen Gedanken in Gefühl und schließlich Wille eindringt. -

Blickt man auf den Jahreslauf und die Stellung des Herbstäquinoktiums darin, so steht das Bild eines Übergangs zwischen zwei extremen Polen vor uns: im Sommer ist alles natur-geistig miteinander verschmolzen, die miterlebende Seele ganz "draußen". Die Sternenwelt ist in der Pflanzenwelt wie zu unseren Füßen ausgebreitet. Im Winter dagegen stehen wir auf einer scheinbar toten Erde, der Kosmos ist ihr am feinsten, die Seele soll ganz bei sich sein, sie blickt in langen Winternächten in die unendliche Tiefe und Ruhe des Sternenhimmels. Dazwischen aber steht - eben wieder polar zur Osterzeit - der Übergang in die Michaelizeit, der sich außerdem Jahr für Jahr, im Gegenpendeln durch den Osterübergang, rhythmisch wiederholt. Auch zwischen Sternenwelt und Erde geschieht etwas wie eine Vermittlung: es fallen die Sternschnuppen herab: michaelisches Eisen. Damit aber kommen wir zum Bild eines Rhythmus, der aus einer Polarität eine Steigerung (auf zweifache Weise) entstehen läßt: dem Erleben der Stoffeswelt unseres Leiblichen im Sommer steht gegenüber das Erleben des Geistigen, dessen wir uns selbst bewußt werden im Winter - das als Göttliches in diese Welt herabkam im Weihnachtsereignis. Dazwischen steht aber das Seelische, in dem sich Leibliches und Geistiges durchdringen, in dem wir uns selber als Menschen fühlen. Das Seelische steht als das Vermittelnde - und zugleich als das sich selbst gehörende Menschliche - zwischen Leiblichkeit und Geistigkeit; darum wird es auch zweimal im Jahreslauf, von zwei Seiten her, angesprochen.

So kann man aus der Betrachtung des Jahreslaufes eine Art spirituellen Fundamentalgedankens ablesen, der zum Zentralen der Michael-Mission in unserer Zeit gehört: das Erkennen des Trinitarischen. Hier ist es die Trinität des Leiblichen - Seelischen - Geistigen. Das Trinitarische - man kann auch sagen: das Dreigegliederte - muß sich aber hüten vor der Erstarrung in einer "Erkenntnisfloskel", die man über etwas hinüberstülpt - geht aus dem lebendigen Rhythmischen hervor. Es begegnet uns zum Beispiel auch in jeder Art von Polarität und Steigerung in der Welt des Lebendigen, wie schon angedeutet wurde. Interessant ist dabei, daß die Steigerung selber wieder in sich Polares enthält, nicht ein bloßes Vereinigen und Zur-Ruhe- Bringen von Gegensätzen ist, sondern einem Rhythmus angehört. Michael selber wirkt in Erden- und Geschichtszusammenhängen rhythmisch;(9) er geht mit dem Aus- und Einatmen des Erdenorganismus mit, das geistig-seelisch-physisch dem Jahreslauf zu Grunde liegt. Wie sehr Michael mit dem Trinitarischen verbunden ist, geht auch aus seiner Tätigkeit als Mittewahrender zwischen Freiheitsstreben, das Luzifers einziges Ziel ist, und Weltgesetzmäßigkeit, in die Ahriman alles einspannen will, hervor.(10) Er findet hierin immerfort die Balance, die ein Zeit-Geschehen ist, kein statischer Zustand, er repräsentiert für uns die Trinität Luzifer- ChristusAhriman; er ist darin das Antlitz der Kraft in der Mitte: des Christus, und er umfaßt souverän die beiden flankierenden, auseinanderstrebenden Kräfte. Er hat aber im Laufe der Erdenentwicklung auch eine Dreiheit von Kämpfen mit widersacherischen Mächten auszutragen. Darauf soll hier nur hingewiesen werden, weil sich hieraus - ebenso wie aus dem lebendigen Denken der Polarität Luzifer-Ahriman, das nach der Steigerung verlangt - der Gedanke ergibt, daß es eigentlich eine Trinität von Widersachermächten gibt.(11)

Wird das Trinitarische zum inneren Erkenntnisbedürfnis, weil es einem erst die Geheimnisse des Lebens aufschließt, wird es zum lebendigen Pulsschlag des Erkennens, das sich von dem Gerüst toter Begriffssysteme löst, so ist auch vorbereitet, daß der Mensch in sich selber diese Dreiheit erfaßt: Leib - Seele - Geist; oder Nerven-Sinnes-Organisation, rhythmische Organisation, Stoffwechsel- Gliedmaßenorganisation usw. Dieses Unterscheidenkönnen wäre die Voraussetzung, um aus innerem Vermögen dann auch in der Welt sozialer Betätigungen und Formbildungen zu unterscheiden und zu trennen, was Ausdruck dieser Dreiheit sein soll. Man bekommt dann das Bedürfnis, den klärenden Geist des Michaelischen auch in das Soziale hineinzubringen, statt das alles - wie es heute nun einmal ist, resultierend aus einer komplizierten Verflechtung heterogener geschichtlicher "Erbschaften" (12) - in chaotischer Form ineinandergeschoben wird.

Damit ist schon angedeutet, wie aus dem wirklichen SichDurchdringen mit dem Michael-Impuls, dessen wir im Miterleben der Jahreszeiten in den gemäßigten Breiten gewahr werden, bestimmte Quellgedanken entspringen, aus denen dann auch soziale Gestaltungen bis in äußere Konkretheit neu ausgeführt werden könnten. Es wird erahnbar, daß die Dreigliederung nicht "eingeführt" werden kann, weil sie dann nicht vom Individuellen der Menschen ausgefüllt wäre. Sie kann nur aus ihm entspringen. Dazu aber bedarf es impulsierender Gedanken und Gemütserlebnisse, die sich in einem Jahreszeitenfest sozusagen bündeln und entzünden können. - Aber noch andere Erlebnisse und Erfahrungen müssen hier hinzukommen.

Ein Fest ist ja bereits ein soziales Ereignis. Man kann zwar die vorbereitenden Gedanken in sich alleine fassen und auch erleben, wie sie einen durch ihre Kraft erheben; man muß das sogar zunächst alleine, da es in der Natur des Michaelischen liegt, auf sich gestellt, sich mit den spirituellen Gedanken durchdringen zu müssen. Aber man fühlt sich dann auch gedrängt, so etwas in eine Gemeinschaft zu tragen, um die Gedanken auszusprechen und das Erlebte mit anderen zu teilen. Denn spirituelles Denken im Sinne des Michaelischen hat die Eigenart, daß es einen so weit erhebt über das Nur- Persönliche, daß man fühlt: man erlangt damit etwas Allgemein-Menschliches, etwas Verbindendes. Man könnte sagen: dies ist bereits der Ursprung einer Festesgesinnung. Im Fest selber, dem gemeinsamen gedanklichen und erlebenden Tun (für das selbstverständlich kein Rezept gegeben werden kann), liegen aber weitere Möglichkeiten, die einem allein noch verschlossen bleiben.

Wenn die Quelle des Bedürfnisses nach festlicher Gemeinschaft das Erlebnis ist, daß spirituelle Gedanken uns über das bloß Persönliche erheben und zum Bewußtwerden eines Allgemein-Menschlichen führen, so ist dies bereits verwandt mit jenem Erlebnis. das zugleich die seltene glückliche Errungenschaft solcher Gemeinschaft sein kann, und auf das eigentlich alles ankommt: es ist möglich, daß man sich durch spirituelle Gedankenarbeit in Gemeinsamkeit mit anderen Menschen in einem Höheren wiederfindet, nachdem man zuerst vielleicht nur das Trennende der verschiedenen Standpunkte, Erfahrungen und Bestrebungen erleben mußte. Man findet überhaupt den Menschen in den wahren spirituellen Gedanken, aber nicht als Abstraktum, sondern als etwas, das wirklich ist, das lebendig ist, weil es in jedem Menschen - und sei er noch so verschieden von mir - leben kann. Anders ausgedrückt: es ist ein zartes Erlebnis von Gleichheit der Menschen, ein Gewahrwerden der wahren Menschennatur - zart zunächst, weil es sich vielleicht nur für Momente zum Beispiel in einer Gesprächsrunde einstellt und man es gleich wieder vergißt, wenn wieder das Trennende der unterschiedlichen Gesichtspunkte sich ins Bewußtsein drängt; aber es hat doch Stärke, weil es weiterträgt. Man geht aus einem solchen Gespräch als ein Anderer hinaus, man bekommt andere soziale Instinkte. Man spürt vielleicht, wie unangemessen das eigene gewöhnliche Verhalten anderen Menschen gegenüber sonst ist. Die Unangemessenheit empfindet man, weil man durch das gemeinsame Leben in den spirituellen Gedanken ahnungsweise das Geistige im anderen Menschen erfahren hat, und sich damit das Gefühl einstellt: in diesem objektiven Geistigen , zu dem wir doch alle auf individuellen Wegen gelangen, sind wir alle gleich - und trotzdem frei. Wir finden als Freie dorthin, deshalb kann es uns gar nicht "gleich machen" in einer die Individualität auslöschenden Weise. Dies kann ein erhebendes, ein wirklich festliches Erlebnis sein. Und zugleich kann es das Fundament abgeben, auf dem die Individualitäten in ein gemeinsam gestaltetes Soziales eintreten möchten. Und man muß hinzufügen: es ist das einzige Fundament, auf dem aufgebaut werden kann. Ein Grundsatz der "Gleichheit aller Menschen", von außen angewendet, wäre nicht tragfähig, bliebe ein graues Abstraktum, noch schlimmer wäre er, wenn er z.B. in die Bereiche der verschiedenen Bedürfnisse oder der geistigen Betätigungen herein regelnd eingeführt würde. Ebenso würde der Freiheitsgrundsatz, zum alleinigen Primat erhoben, zwar das individuelle Streben der Seelen nach Freiheit ermöglichen, aber es käme nicht zur sozialen Gestaltung, es müßte alles durch die sich vereinzelnden Bestrebungen auseinanderfallen. Ein in den Vordergrund gestelltes Brüderlichkeitsstreben dagegen würde dem Individuellen und der Notwendigkeit seines Egoismus keinen Raum geben; auch dies wäre als Gesinnung nicht tragfähig für soziale Gestaltungen, weil man dauernd im Physischen strebt, den anderen in seinen Bedürfnissen zu befriedigen, sich selbst aber in seinen Interessen überwinden, ja auslöschen muß. Damit würde die innere Entwicklung des Menschen nicht zu ihrem Recht kommen. Nur in dem freien Streben nach dem höheren Menschlichen, in dem die Menschen Gleichheit erfahren - und als Zukünftiges, als eine Menschenidee fassen, die wirksames Ideal werden kann -, nur darin kann die Quelle liegen, um im Physischen mit anderen Menschen sein Zusammenleben zu gestalten. In der Gleichheitserfahrung liegt die Initialzündung für soziales Wollen. - Daß dieser Erfahrung eine mühsame innere Befreiung vorausgehen muß, um sich zum Geist erheben zu können, versteht sich ja aus dem Charakter des Michaelischen ganz von selbst. Es braucht nicht daran erinnert zu werden, daß Rudolf Steiner selber, lange bevor er über soziale Dreigliederung und über die Mission Michaels sprechen konnte, eine Philosophie ausarbeitete, die den Menschen sich als freies Wesen verstehen läßt und ihn selber zu dieser Erfahrung führt, in der er freie moralische Impulse faßt. Hier liegt eben die Vorbereitung, und sie wurde ja oben als das Erkraften im Erleben der geistigen Realität des Denkens beschrieben.

Wie wir zu dieser Erfahrung - und zugleich zum Ideal - der Gleichheit kommen, das drückt Rudolf Steiner so aus:

"Er (der Geist) wird angestrebt dadurch, daß im fünften Zeitraum, der der Bewußtseinsseele, diese nach dem Geistselbst strebt. Und mit Bezug auf diesen Geist, nach dem da gestrebt wird, sind die Menschen gleich, geradeso wie, eigentlich zusammenhängend mit dieser Gleichheit des Geistes, das Volkssprichwort sagt: im Tode sind alle Menschen gleich." (13)

Hiermit rundet sich zugleich der Ring dieser ersten Betrachtung: in das Erleben des Todes - aber als ein Naturereignis - werden wir gerade in der Herbstzeit hinausgeführt; aus ihm ringt sich das spirituelle Erleben unserer wahren Gleichheit los. Sie steigt auf als das Ideal des Strebens nach höherem Menschsein, einem Streben, das die Seele im Laufe der Zeit umschmilzt zum Geistselbst.

Die Dreigliederung im Sozialen - aus der Quelle der individuellen Seele...

Nun gilt es zu untersuchen, was in der Seele selbst geschieht, die sich zu einem solchen Gleichheitserlebnis im Geiste aufschwingen kann; was sich daraus ergibt, daß sie mit befeuernder Spiritualität durchdrungen wird. Es wird sich wiederum ein Wirkprinzip Michaels vor das innere Auge stellen, wenn man versteht, seelische Vorgänge in Bildern zu verdichten: es ist das so alte, und doch zu erneuernde Bild des Michael, der den Drachen unter die Füße zwingt - ein Sieg des Höheren über das Niedrigere. (14) Um dies nicht im Nebulos-Unverbindlichen zu lassen, soll durchaus konkret über seelische Vorgänge und Veränderungen gesprochen werden, und auch mit dem Mut, die Mächte beim Namen zu nennen, mit denen es der Mensch auf dem Schauplatz seiner Seele zu tun hat, eben die Widersachermächte.

Es ergibt sich bei dieser Betrachtung erst wie die Fundamentalkräfte für soziale Gestaltung aus der Seele hervorgehen, nämlich aus der Umwandlung von Kräften, die in sozusagen unerlöster Form schon bereitliegen, ohne die Erlösung aber nur in äußerst chaotisierender Art in die Welt wirken können. Es gilt, diesen Drachen des Chaos zu bändigen; aber auch, Kräfte heraufzuheben und zu veredeln, die noch drachenhaft verschlungen sind. Es wäre ein weitgestecktes Ziel erreicht, wenn damit gezeigt werden könnte, daß die Dreigliederung kein weiteres Programm zur Sozialgestaltung Ist neben vielen anderen (was Rudolf Steiner sehr betonte), sondern aus den natürlichen Impulsen der modernen Seele hervorgeht, wenn sie sich nur selbst versteht. Die wie aus der Tiefe auftauchenden Ideale Freiheit-Gleichheit- Brüderlichkeit, in der Französischen Revolution zum ersten Mal formuliert, aber noch chaotisch in die Wirklichkeit umgesetzt, können auf diese Weise ihre angestammte "Heimat" in den Gliedern des Sozialen finden; der Geist michaelischer Klarheit leitet an, nicht alles in verschwommener Weise durcheinanderzumischen.

(Fortsetzung im nächsten Heft).

Anmerkungen

(1) Den Hintergrund dieser Betrachtung bilden folgende Vorträge und Schriften Rudolf Steiners:

Die Sendung Michaels (GA 194).
Der Jahreskreislauf als Atmungsvorgang der Erde und die vier großen Festeszeiten (GA 233), vor allem die Vorträge 1-3 und ganz besonders auch: Die Anthroposophie und das menschliche Gemüt: 27., 28., 30.09. und 1.10.23 (in demselben Band).
Vortrag vom 23.5.23: Die Schaffung eines Michael-Festes aus dem Geiste heraus. Die Rätsel des inneren Menschen. In: Die menschliche Seele in ihrem Zusammenhang mit göttlich-geistigen Individualitäten. Die Verinnerlichung der Jahresfeste (GA 224).
Anthroposophische Leitsätze (GA 26).
Innere Entwicklungsimpulse der Menschheit. Goethe und die Krisis des 19. Jahrhunderts (GA 171). 9. Vortrag
Mitteleuropa zwischen Ost und West (GA 174a). 8. Vortrag Geschichtliche Symptomatologie (GA 185). 2. Vortrag

(2) GA 223. 3. Vortrag
(3) GA 223. 2. Vortrag
(4) GA 223. 1. Vortrag
(5) GA 223. Vortrag vom 28.09.23
(6) GA 26. Seite 62
(7) GA 194. 9. Vortrag
(8) GA 223. Vortrag vom 28.09.23
(9) GA 26. Seite 157 ff..
(10) GA 26. Seite 167-176. Ebenso weitere "Briefe an die Mitglieder" und "Leitsätze".
(11) Die Trinität dieser Widersacher stellt Rudolf Steiner in Zyklus "Die Sendung Michaels" (GA 194) vor uns hin, in aller Deutlichkeit im letzten Vortrag (15.12.19). Dabei zeigt er auch den Bezug der drei Widersachergruppen - es sind die luziferischen, die ahrimanischen und die asurischen Geister - zu den drei Gliedern des sozialen Organismus. - In einem Vortrag aus dem Jahre 1909 werden die drei Gruppen in ihrer Selbständigkeit behandelt, sowie sie in Beziehung stehen zu den drei Gliedern der menschlichen Seele (16. Vortrag in: Geisteswissenschaftliche Menschenkunde (GA 107). - Die Apokalypse des Johannes (12. Kapitel) behandelt den dritten der MichaelKämpfe.
(12) GA 194. Letzter Vortrag.
(13) GA 185. 2. Vortrag.
(14) GA 223. Vortrag vom 27.09.23.


Quelle: Beiträge zur Dreigliederung, Anthroposophie und Kunst, Heft 42, 1994. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers.