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Blick zurück (ohne Zorn)
Quelle
Zeitschrift „Bausteine für eine soziale Zukunft“
Jahrgang 5, 3/1981, Juni 1981, S. 3–32
Bibliographische Notiz
Vor Jahren war der Titel eines Theaterstückes ein Modewort; in diesem Stück («Blick zurück im Zorn»., das aus England kam, wurde mit der zurückliegenden Generation «im Zorn» abgerechnet. Mehr als Zorn ist allerdings nicht herausgekommen, weder für die Gegenwart noch für die Zukunft. Die Bewegung, die entstanden war, verebbte, old England stagniert weiter und mit ihm die europäische Wohlfahrtsgesellschaft. – Der Vorgang hat den Anstoß um die Variante in der Überschrift gegeben zu der folgenden Rückschau auf das, was in der Dreigliederungsbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute bereits Dreigliederungsgeschichte geworden ist.
Was sich unter der Decke der bürgerlichen Gesellschaft tut, kann man ahnen. Die «Neugestaltung des sozialen Organismus», wie dies von Rudolf Steiner in dem einzigartigen Durchbruchversuch mit der Dreigliederung nach dem Ersten Weltkrieg intendiert worden war, liegt schon wie in einem Nebel, den der «Blick zurück» auf das, was damals einmalig, ein historisches Ereignis war, heute schon nicht mehr wirklich durchdringt. Was hat sich da alles angesiedelt und was ist aus dem Dreigliederungsimpuls bis heute geworden? Das ist die Frage in dieser Rückschau. Die «Alten», die jene Zeit in jugendlicher Unbedarftheit mitgemacht hatten, sind bis auf einen Rest tot. Die Nachkriegsjugend versuchte nach dem Zweiten Weltkrieg einen Neueinstieg in einem ihr und ihrer Zeit angemessenem Format; jene Alten konnten ihr dabei nicht helfen. Sie waren, wie das so zu sein pflegt, auch nicht erwünscht. Rudolf Steiner hatte – um größeren Schaden zu verhüten, wie er sagte – damals die Dreigliederungspropaganda einstellen lassen. Was nun?
Es waren die Jahre des inneren Zerwürfnisses in der anthroposophischen Gesellschaft nach Rudolf Steiners Tod gekommen und es folgte die Zerstörung der anthroposophischen Arbeit im «dritten Reich». Hätte dieses seine Ziele erreicht, dann wäre die Anthroposophie wie einstmals die Gnosis in wenigen Jahrzehnten mit Stumpf und Stiel ausgerottet worden.
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Es kam nicht so. Das «dritte Reich» ging unter und die anthroposophische Bewegung erhob sich neu aus den Ruinen. Brennenden Herzens hatten die «Alten» darauf gewartet. Blickt man auf das Aufblühen der Waldorfschulbewegung als ins Auge fallende Erscheinung in der anthroposophischen Bewegung heute, dann kann man das gewiß als ein Symptom für das zähe fortdauernde Eindringen der Anthroposophie in die Zivilisation werten. Selbstverständlich ist so die punktförmig in demokratischen Ländern sich ausbreitende Waldorfschule etwas Hoffnung-Erweckendes und Förderungswürdiges. Und doch hätte die Entwicklung für die Waldorfpädagogik im Zusammenhang mit der Dreigliederung noch anders verlaufen sollen und können. Wenn man die anthroposophische Sozialwissenschaft zu verantworten hat, wie ich es in dieser Arbeit versuche, dann kann es nicht ausbleiben, daß man dieses erfreuliche Anzeichen auch mit besorgten Gefühlen betrachten muß. Selbst nur in ideeller Form könnte die Dreigliederungsidee schon so etwas wie ein Schutzschild sein bei der immer labiler werdenden wirtschaftlichen und politischen Weltsituation (womit an die finanzielle Grundlage gedacht wird). Denn von dort her ist von einer «Neugeburt des sozialen Organismus» keine Spur zu sehen, sondern das Gegenteil: Abbauprozesse, Zerfall im Inneren und Äußeren der zivilisierten Menschheit – Bleigewichte für den, der um die Rettung durch die Verwirklichung der Dreigliederung weiß, Aber lebt die Dreigliederung wenigstens ideell in der Anthroposophischen Gesellschaft?
Gewissermaßen auf der Gegenseite, der Schattenseite steht die Dreigliederung, bei der man von einer wirklichen «Bewegung» nicht mehr sprechen kann und seit dem Zweiten Weltkrieg zu keiner Zeit hat sprechen können. Zwar ist die Waldorfschulbewegung als Tochter 1919 aus der Dreigliederungsbewegung hervorgegangen – aber es ist eine Frage, was es entwicklungsgeschichtlich bedeutet, daß der Urquell selbst, die Dreigliederung gleichsam ins Ungeborensein zurückgestoßen wurde.
Wenn wir vom Dreigliederungsimpuls sprechen, dann können wir gleichsam in einem Atem damit vom Christusimpuls sprechen, denn sie verhal-
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ten sich zueinander wie der (soziale) Leib zu dem Geist, der zu ihm gehört. Er könnte ihn durch die soziale Dreigliederung verchristlichen, um sich in ferner Zukunft menschheitlich ganz mit ihm zu vereinigen. So ist Dreigliederung geisteswissenschaftlich gemeint und das gibt den Bemühungen um sie den ernsten Hintergrund; den Hintergrund auch für diesen Rückblick auf die Probleme der Dreigliederungsaktivitäten nach dem Zweiten Weltkrieg und den heutigen Stand.
Man muß im Leben von Zeit zu Zeit zurückblicken, um den Standort neu auszuloten – in diesem Falle den Standort der sozialen Dreigliederung in einer seit einem halben Jahrhundert völlig veränderten Welt. Und man wird sich dabei nicht scheuen dürfen, radikale Fragen zu stçllen. Wie beurteilen wir das, was auf anthroposophischem Boden nach dem Zweiten Weltkrieg in die Einseitigkeit hineingeführt hat, in der die sozialwissenschaftliche Seite der anthroposophischen Bewegung mitsamt der Dreigliederungsidee zunehmend an Intensität und Gewicht verliert und sich selbst aufzugeben im Begriffe ist?
Das Ende des Zweiten Weltkrieges liegt 36 Jahre zurück, Die im Krieg und gleich nach dem Krieg Geborenen sind in das Berufsleben eingetreten oder sie stehen davor; sie müssen ihre Sturm- und Drangjahre durchmachen wie jede Generation, auch wir einmal, Die Verhältnisse haben sich viel tiefgreifender in einem halben Jahrhundert geändert – äußerlich und bis in die allgemeine psychische Konstitution des Menschen – als jemals in einem so kurzen Zeitraum. Wir sehen, wie dadurch auch das Verständnis und die Verständigung zwischen den Generationen noch viel schwieriger geworden ist; auch da, wo es um anthroposophisch-weltanschauliche Fragen und Urteilsbildung geht. Es ist auch etwas anderes, wenn man «die soziale Fraget' – wie ich selbst – bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg hinein selber erlebt hat, als wenn der Nachkriegsgeneration dieses Wort und der Begriff in den «Kernpunkten der sozialen Frage» Rudolf Steiners und seinen Vorträgen zur Dreigliederung unter heutigen Verhältnissen begegnet; denn auch die «soziale Frage» hat ihr Gesicht seither entscheidend verändert. Aus anderen sozialen und politischen Verhältnissen als den heu-
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tigen ist auch die anthroposophische Bewegung hervorgegangen und der Bau in Dornach entstanden; andere Gedanken und Gestaltungen des anthroposophischen Lebens sind daher heute notwendig.
Ganz allgemein trat nach dem Zweiten Weltkrieg der Drang nach Restitution auf – Wiederherstellung der bürgerlichen Welt so, wie sie vor dem Einbruch des Nationalsozialismus und vor dem Ersten Weltkrieg war. Verhängnisvoll ist darin das mitenthalten, was durch den «kalten Krieg» in die militante ungeistige Ost-West-Psychose hineingeführt hat. Der Erfolg des Wiederaufbaues und der Aufstieg der westdeutschen Bundesrepublik in den Rang einer führenden Wirtschaftsnation ist nolens volens allen in den Kopf gestiegen. Die Restitution hat auch das anthroposophische Leben und die Dreigliederungsbewegung mitbestimmt. Wie anders war es doch noch, als Ernst Slanina, durch seine Erfahrungen in der Nazizeit gereift, nach dem Weltkrieg mit jugendlichem Elan in den Betrieben sprechend, Hoffnungen erweckte, es könne sich auf dem wirtschaftlichen Gebiet etwas sozial Zukunfttragendes aus der Katastrophe entwickeln. Wer weiß noch etwas davon? Das schlief alles auf dem Gebiet des Sozialen in dem Tempo ein, wie sich andererseits die Institute und die schulischen Einrichtungen auf anthroposophischer Grundlage in hoffnungerweckender Weise vermehrten und entfalteten.
Man kann verstehen, daß die alten Anthroposophen, welche die Katastrophe überstanden hatten – die Lehrer zum Beispiel, die nach dem zehnjährigen Verbot der Waldorfschulen noch zur Verfügung standen und mit wenigen Ausnahmen vor der Nazizeit schon in anthroposophischen Zusammenhängen tätig waren – in diesem Wiederaufbau ihre Berufung fanden und daß andere darin eine neue Lebensgrundlage sahen, auch in der Christengemeinschaft. Überall war es so, daß wir alle nach zwölfjähriger Unterdrückung nur den brennenden Wunsch hatten, jetzt etwas Besonderes für die anthroposophische Sache zu tun, um damit neues anthroposophisches Leben entstehen zu lassen. (Davon, wie einem nach dem geistigen Terror des Nationalsozialismus zumute sein konnte, weiß ich aus eigener Erfahrung. Stürzte ich mich doch auch gleichsam Hals über Kopf damals in zahlreiche
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anthroposophische Unternehmungen, von denen die Rendsburger Waldorfschul-Gründung ja nur eine war.)
Nun muß man sich gegenüber dem, was äußerlich relativ erfolgreich verlief, die Situation dessen ansehen, der durch Schicksal und Interesse sich besonders den sozialen Fragen und Lösungen verpflichtet fühlte. Für ihn gab es keine «Restitution», keinen Ansatz an vorgängige anthroposophische Institutionen auf sozialwissenschaftlichem Boden in der «Dreigliederung». Die sozialwissenschaftliche Sektion in Dornach hatte unter Roman Boos bis zum «dritten Reich» hin noch einige Unentwegte zusammengehalten. Aber es gab gerade später, nach dem Zweiten Weltkrieg, dort in Dornach nicht einmal dafür einen Neuanfang, nicht einmal eine Sammlung der «Alten». Es hätte manches anders kommen können, wenn dort eine tatkräftige Sektionsleitung das ganz neu aufgegriffen hätte, wonach im Grunde viele Anthroposophen und Sympathisanten für die Dreigliederung Ausschau hielten – eine sachkundige wissenschaftliche Arbeit auf dem Felde der Dreigliederung.
Nun, auch am Goetheanum hatte man mit den existentiellen Problemen des Wiederaufbaues vollauf zu tun. So geschah auf dem wichtigen anthroposophischen Gebiet der Sozialwissenschaft von dort aus nichts Neues. Es war für denjenigen, der die Bedeutung der anthroposophischen Sozialwissenschaft eingesehen hatte, eine verzweifelte Situation; man kann nicht daran vorbei sehen, daß da bis zu einem gewissen Grade schon der Ursprung der Zersplitterung und Zersetzung auf dem Gebiete der Dreigliederung zu suchen ist, die bis heute fortbesteht. Wie anders hätten die Dinge verlaufen können, wenn ein wirklicher Mittelpunkt für die sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis vorhanden gewesen wäre! – Wie aber hätte man sich so eine sozialwissenschaftliche Arbeit oder eine neue Dreigliederungsbewegung zunächst innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft und der anthroposophischen Bewegung vorstellen können, da doch durch die politische Restitution unter den Besatzungsmächten eine politische Verwirklichung der Dreigliederung außerhalb jeder Möglichkeit und Überlegung lag?
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Was man brauchte, war zunächst nur eine Stelle, die überhaupt eine Zusammenführung und Koordinierung der auf diesem Felde interessierten anthroposophischen Kräfte hätte vornehmen können und wollen, und zwar nicht erst in den sechziger Jahren, sondern bald nach dem Krieg. Das hätte, nachdem ja durch die Nazizeit ein langes Vakuum auf anthroposophischem Feld geschaffen worden war, für die Dreigliederungssache nur in Dornach sein und von dort ausgehen können. Eine andere Lösung der Probleme auf diesem Sektor war nicht und wäre auch heute, so glaube ich, nicht denkbar. Aber die Probleme der Anthroposophischen Gesellschaft selbst verhinderten, daß das Vakuum auf sozialem Forschungsgebiet – so scheint es jedenfalls – dort nicht bemerkt wurde.
Die anderen anthroposophischen Institutionen hatten es, mit der Sozialwissenschaft verglichen, leicht: Die Schulen fanden sich im Bund der Waldorfschulen zusammen; innerhalb der Ärzteschaft entwickelte sich aus den täglichen Bedürfnissen heraus Gemeinsamkeit; mühsam hatte es die biologisch-dynamische Praxis, insbesondere durch den Wegfall der Erzeuger im Osten Deutschlands; für die Christengemeinschaft war die gemeinsame Bewußtseinsbildung von der Konstitution aus gegeben. Gerade das Bewußtsein der Gemeinsamkeit aber fehlte gänzlich und heute erst recht durch die inzwischen geschaffenen Tatsachen auf sozialwissenschaftlichem Gebiet mit Ausnahme eines dumpfen Gefühls des Verbundenseins in der Verantwortung für einen wichtigen anthroposophischen Auftrag, der sich soziale Dreigliederung nennt; es gibt auf diesem Felde wohl zahlreiche «Zerstreuungspunkte», aber keinen Sammelpunkt.
Nirgends ist die Gefahr eigenwilliger Denk- und Willensrichtungen größer als auf diesem Gebiete, wo selbst in der offiziellen Wissenschaft die Schwarmgeisterei und die Utopien seit Jahrhunderten ihren Tummelplatz haben. Das zeigte sich in der Bildung von Einzelgruppen, in «Richtungen» und «Schulen», wie dies in einem Referat von Wilfried Heidt in Stuttgart ausgeführt wurde. Dieses Referat wirkte auf mich wie ein Schock: Es konnte nicht mehr verborgen bleiben, wie tief die Spaltung als Tendenz schon eingedrungen war und wohin es führen müsse, wenn dieser Zerfall in
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«Richtungen» als ein «normaler» Vorgang betrachtet würde. Jeder Sozialwissenschaftler weiß, was «Richtungskämpfe» da bedeuten, wo die gesellschaftliche Ideologie glaubensmäßig verkauft wird – im sozialen Weltkonflikt. Richtungskämpfe? – bei uns!
Gerade erhalte ich einen Brief, in welchem in beschwörender Weise gesagt wird: Der lange Haufen «Bausteine» (die von mir schon bearbeitet wurden) habe noch nicht den mutigen Baumeister gefunden. Es scheine ein tragisches Verhängnis zu walten wie 1919-1923, «daß zwei Persönlichkeiten wie Steiner und Gesell sich nicht persönlich oder auch nur brieflich begegneten». Und an mich gewandt: «Heute suchen Sie die Verstreuten, die die Welt besser zu ordnen vermöchten, zu sammeln. In Eckwälden die ordnende Gruppe um ‹Fragen der Freiheit› – Antworten sind dort vielfältig vorbereitet: Rechtsleben, Wirtschaft, Kultur. In Achberg scheint sich eine aktive Mannschaft zu sammeln, die einer klärenden Filterung der sie beschäftigenden Ideen bedarf. Es scheint mir mitunter so, die Schweißstellen sind vorbereitet, das Schweißpulver ist eingefüllt, aber der geschickte Mann mit der Zündspille ist noch nicht da – er sucht wohl noch den Grammstock, um die Schlacken abstreifen zu können.» Ja, die «Schlacken»... Wenn es nur um die Schlacken «ginge», wo etwas neu «zusammengeschweißt» werden soll; die Frage ist in Wirklichkeit die nach der Substanz, die sich nicht mehr zusammenschweißen läßt.
Um die «Schlacken», die sich bei den «Richtungen», «Schulen», Meinungen, Aktivitäten mehr und mehr angesetzt haben, geht es eben nicht allein. Ich suchte hier als erstes nach einer Antwort, wie es dazu kommen konnte, daß diese «Schlacken» die Substanz so überwuchern konnten. Wenn man einige Erfahrung hat, dann weiß man, daß diese «Schlacken» schon mit in die Sammlung der Dreigliederungskrieger nach dem Zweiten Weltkrieg eingebracht wurden: daß sie mit den Ansatzpunkt bildeten, der immer mehr zur Trennung, Spaltung und Isolation in die Gruppen und Richtungen führen mußte, da keine Gegenkraft, kein Gegengewicht, keine genügende Substanz – auch kein Wille zur Gemeinsamkeit da war. Bald war es soweit, daß man keinen anderen Weg mehr sehen konnte als nur den eigenen, weil man sich nicht
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mehr an dem Ursprung des Weges, an den von Rudolf Steiner vermittelten Erkenntnissen orientieren konnte oder wollte. So muß man heute sagen: Man will die Gemeinsamkeit gar nicht.
Wer sich über den Stand der Dinge informieren will, braucht sich nur die Sammlung von Aufsätzen «Sozial handeln – aus der Erkenntnis des sozial Ganzen, Soziale Dreigliederung heute» (Verlag Reinhard Giese, 2341 Rabel) darauf anzusehen. Da steht klar und einfach als Einführung auf den ersten drei Seiten eine gedrängte Darstellung der Dreigliederung von Rudolf Steiner (entnommen dem Buch von Stefan Leber «Selbstverwirklichung – Mündigkeit – Sozialität», Stuttgart 1978). Es steht da klipp und klar, wie sich der soziale Organismus – von selbst – gestalten würde, wenn sich der heutige Allstaat auf das reine Rechtsgebiet beschränken würde – so wie es Rudolf Steiner unzählige Male ausgeführt hat, «Was darüber ist», möchte man sagen, «ist vom Übel». – Ist dann das Verwirrende nicht wirklich, was anschließend in den etwa 250 Seiten folgt? Der letzte Beitrag scheint das zu bestätigen, wenn man dort von Peter Schilinski liest (abgedruckt aus der Zeitschrift «Erde und Kosmos»):
«Ich war lange Zeit hindurch der Überzeugung, daß es genügen würde, in der Öffentlichkeit für die Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus einzutreten, ohne in dem gleichen Zusammenhang auch die Anthroposophie zu erwähnen. Auch Rudolf Steiner hat das ja während seiner Dreigliederungszeit selten getan und in seinem Hauptbuch «Die Kernpunkte der sozialen Frage» ist von Anthroposophie offensichtlich ganz bewußt überhaupt keine Rede. In dem internen Kreis der Menschen, die sich mit mir gemeinsam darauf vorbereiten wollten, die Dreigliederung in einer möglichst wirksamen Weise in der Öffentlichkeit zu vertreten, gehörte es zum Selbstverständlichen der täglichen Arbeit, z, B. auch in den Grundwerken von Steiner einzeln und gemeinsam zu arbeiten. Durch die Erfahrungen während meiner unmittelbaren Tätigkeit im Internationalen Kulturzentrum Achberg (INKA) ist mir dann endgültig bewußt geworden, daß es notwendig ist, sogar in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Aufklärungstätigkeit für die Dreigliederung im kleineren oder größeren Kreis die An-
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throposophie in den Mittelpunkt der Aussage zu stellen. Diese Erfahrung, die für meine heutige Tätigkeit gültig ist, entstand aus dem schmerzhaften Erlebnis, daß eine ausschließlich sich auf die Dreigliederung richtende Aufklärungstätigkeit nur allzu schnell auf den Weg einer üblichen Agitation für eine politische Idee geraten muß, die dann mit Recht, auch wenn es sich um die Dreigliederung handelt, als Ideologie bezeichnet werden kann. Immer wieder machte ich die Erfahrung, daß sich die Vertreter der Dreigliederungsidee, wenn sie öffentlich dafür eintraten, in ihrem Verhalten überhaupt nicht von Vertretern anderer politischer Anschauungen unterschieden. Es wurde diskutiert und gegendiskutiert, es wurden die Blößen des politischen Gegners mit der gleichen Rücksichtslosigkeit ausgenutzt, die man auch sonst in politischem Raum als die vorherrschende Kraft erleben kann. Aus solchen Erfahrungen heraus ist es für mich heute nicht nur eine Erkenntnis, sondern immer wieder versuchte Praxis, gerade die Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus, weil sie ja den politisch-gesellschaftlichen Raum betrifft, mit allen mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auf der Grundlage der esoterischen Schulung der Anthroposophie zu vertreten. Zu dieser Schulung gehört neben den Übungen der Konzentration und Meditation selbstverständlich das kontinuierliche Sicheinarbeiten in das vorliegende Gesamtwerk der Geisteswissenschaft.»
Was Wunder! Peter Schilinski ist bekannt dafür, daß er es gerade war, der im Zusammenhang mit seinen Freunden im INKA die Dreigliederungsarbeit auf dem Weg «einer üblichen Agitation für eine politische Idee» praktiziert hat. Der Leser dieser «Schlußworte» nach fast 90 Beiträgen zum Thema Informationen über Institutionen, Richtungen, Lehren, Gemeinschaften, Foren, Seminare und Zeitschriften muß versuchen, sich also selbst ein Urteil zu bilden, ob die Resignation in der Vertretung und Verantwortung gegenüber dem Dreigliederungsimpuls die Art von Allgemeingültigkeit hat, die ihr Schilinski aufgrund seiner Erfahrungen gibt. Was heißt es, «die Idee der Dreigliederung... auf der Grundlage der esoterischen Schulung der Anthroposophie zu vertreten».
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Ist das die Zukunft der weltbewegenden Idee der Dreigliederung, von deren Wissen und Verständnis im wahren Sinne des Wortes die Zukunft der Menschheit abhängt? Ist so das Ende des «Achberger Impulses» für die Dreigliederung? Als ob es nicht eine «esoterische», streng wissenschaftliche Dreigliederung des sozialen Organismus gebe? Wo hat Rudolf Steiner in seinen öffentlichen Vorträgen für die soziale Dreigliederung, «weil sie ja den politisch-gesellschaftlichen Raum betrifft», die esoterische Schulung der Anthroposophen «mit Übungen der Konzentration und Meditation» gefordert oder empfohlen, da doch in seinen «Kernpunkten» das Wort Anthroposophie überhaupt nicht vorkommt? Sollte das der Weisheit letzter Schluß sein, dann wäre Rudolf Steiners Einsatz für die Dreigliederung 1919 in der Öffentlichkeit jedenfalls unterblieben.
Wird nicht damit die anthroposophische Sozialwissenschaft zu einer mysteriösen Angelegenheit gemacht, wie in gewissem Sinne die Geldlehre von Silvio Gesell oder die Elementarlehre von Wilhelm Schmundt da und dort schon zum Glaubensinhalt des Anthroposophen erhoben wird, so daß dann die Dreigliederung nur noch als eine Art Heiligenschein darüber zu schweben braucht? Da ist die Realität der Dreigliederung (der soziale Organismus ist heute dreigegliedert) abgeblaßt zu einem entfremdeten Glaubensartikel mit anthroposophisch-esoterischem Hintergrund, dieweil der Menschheit das soziale Lebensbrot fehlt?
Das Institut für soziale Gegenwartsfragen besteht seit mehr als 18 Jahren. Daß es in Berlin gegründet wurde, geschah aufgrund von Erfahrungen, die gemacht werden konnten, wenn man sein Ringen um eine vertiefte Einsicht in die Notwendigkeit einer Neugestaltung des sozialen Organismus verbunden hat mit dem, was man an Dreigliederungsbemühungen und -aktionen innerhalb der anthroposophischen Bewegung und in der Öffentlichkeit nach dem Abgang des «Dritten Reiches» erlebte.
Man hat mit höherem Alter von sich selbst mehr Abstand gewonnen; man sieht sich rückschauend nüchterner auf seinem Weg, in dem Kampf für die Dreigliederung, mit allzu großen Hoffnungen und falschen Erwartungen be-
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lastet, und mit seinen eigenen Illusionen und utopischen Träumen. Dabei wird in der Rückschau erst erkennbar, was an solchen Erwartungen nicht objektiv, sondern letztlich doch selbstisch war. Und es wird auch erkennbar, wie schwer es ist, hindurchzusteuern zwischen Wunschbildern, die ihr eigenes Leben haben, und dem naheliegenden Herumpauken auf dem eigenen Standpunkt, von dem man glaubt, ihn im Interesse der Sache verteidigen zu müssen. Mit der Zeit lernt man sich an den Bemühungen der anderen besser kennen, um das Richtige zu vertreten und Toleranz nicht zu verwechseln mit Wahrheitsliebe und Sachlichkeit.
Wenn man seine inneren und äußeren Erfahrungen verarbeitet und sie den Chancen gegenüberstellt, die 1919 für die Dreigliederung da waren, und wie sich diese für eine wirklichkeitsgemäße Beurteilung bis heute entwickelt haben, dann wird man die Forderung der Stunde an den «Dreigliederer in sich selbst» in anderem Licht sehen, als es in deren Reihen seit Kriegsende bis heute hin geschah. Man wird als erstes den brennenden Wunsch haben, sich mit den Mitkombattanten erst über die Kräftestruktur in der Welt für die geistige Auseinandersetzung, um die es geht, zu beraten. Aber gerade darin hatten wir in Berlin die Gelegenheit, negative Erfahrungen mit der jüngeren Generation zu machen, mit ihrer Neigung zur Fehleinschätzung der Situation und der eigenen Fähigkeiten; man konnte daran die eigenen Fehleinschätzungen korrigieren. – Als die «Berliner Studentengruppe 1958» nach dem Bau der Mauer «ausgelaufen» war, trat der in der Stille schon länger bei mir bebrütete Gedanke eines offenen sozialen Institutes für die Erarbeitung des geistigen Rüstzeuges für die Auseinandersetzung im «kalten Krieg» in den Vordergrund. Ich sah in dem «Heidenheimer Kreis» von Unternehmern eine Art Vorstufe für ein sozialwissenschaftliches Forschungsinstitut, von dem ich träumte, daß es einmal daraus hervorgehen müsse. Auch das war eine Fehlkalkulation. Es dauerte eine lange Zeit, bis ich begriff, daß der «Heidenheimer Kreis» von Unternehmern zu sehr auf seine betrieblichen Probleme hinorientiert war, um an ein solches Institut ernsthaft denken
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zu können. Doch die Anregungen, die ich von da durch den Austausch von Erfahrungen und Erkenntnissen fortlaufend bekam, erfuhren mittelbar ihre Fortsetzung in der Gründung des Institutes und ermöglichten mir den Einstieg in eine für mich relativ neue Fachwissenschaft. So bin ich sicher, daß der «Heidenheimer Kreis» im Institut weiterlebt, und ich weiß, was eine solche geistige Sukzession und Kontinuität für diese Arbeit bedeutet. Wo ist im Gegensatz zu anderen Zweigen des anthroposophischen Lebens – in der anthroposophischen Sozialwissenschaft und in der Dreigliederung so etwas wie Sukzession, Koordinierung, Solidarität?
In Berlin erinnerte ich mich, daß nach dem Krieg von H. F. Hillringhaus der Versuch gemacht worden war (es muß bald nach der Währungsreform 1948 gewesen sein), für Professor Folkert Wilken eine auf seine fachwissenschaftliche Zuständigkeit sich gründende freie Forschungsmöglichkeit zu schaffen. Professor Wilken stand damals noch in seinem Lehramt an der Freiburger Universität; die Absicht war, ihm finanziell die Veröffentlichung bestimmter Forschungsarbeiten aus der anthroposophischen Sozialwissenschaft zu ermöglichen. Seine «Selbstgestaltung der Wirtschaft» war 1949 im früheren Novalis-Verlag erschienen. Ein laufender Beitrag war durch die Zusagen zusammengebracht worden; aber die Sache versandete, ehe sie anlief.
Daran anknüpfend erhielt ich von Hillringhaus die Liste der Persönlichkeiten – etwa 700 Namen – die sich mit Beiträgen hatten beteiligen wollen. Mit dieser Liste in der Hand gründeten wir (mit 29 anwesenden «Gründern») Ende Januar 1963 das Institut für soziale Gegenwartsfragen e. V. in Berlin – in der Täuschung begriffen, die Offenheit für «soziale Gegenwartsfragen», die im «kalten Krieg» eine Zeitlang in Berlin bestand, würde auch nach dem Bau der Mauer fortbestehen. Das war eine doppelte Täuschung, zum einen, weil sich längst herausgestellt hatte, daß diese Offenheit mit jedem Kilometer näher an Bonn heran dahinschwand und sich dort in Zugeknöpftheit verwandelte; und zum anderen, weil die Westberliner nach dem Mauerbau und dem Abklingen der politischen Aufregun-
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gen sehr schnell auf die Berliner Schnurzigkeit umschalteten, die erst einmal die persönlichen Interessen in den Vordergrund stellte. Alles was die akute Berlinkrise an sozialwissenschaftlichem Interesse und an Gruppierungen für eine Berlin-Lösung hervorgebracht hatte, war wenige Jahre danach verschwunden wie der Schnee in der Frühlingssonne.
Das Institut war nun einmal gegründet und es mußte durchgehalten werden. Da hat uns Alfred Rexroth mit seinem Verständnis für die Sache erst einmal am Leben erhalten, indem er uns an seinem dortigen Büro mitsamt seiner Sekretärin, der damaligen Frau Knobel, beteiligte. Außerdem stand uns Graf Armin mit Schreibhilfe aus seiner Firma bei. So wurde zunächst versucht, die Interessenten des Institutes durch Arbeiten zu aktuellen Fragen mittels Rundschreiben bei der Sache zu halten; das machte ich bis 1963/64 neben meiner Berufstätigkeit; aber die Reaktion auf unsere Rundschreiben blieb (auch finanziell) schließlich fast ganz aus. Als ich Mitte 1965 in den Ruhestand trat, war von den meisten Interessenten und den Mitgründern des Institutes auf weiter Flur kaum mehr etwas zu sehen. Immerhin ergab sich, als ich dann die Reihe «Das soziale Rätsel» zu schreiben begann, ein kleiner Kern von Abonnenten, der uns zwar finanziell nicht trug, aber über lange «Hungerjahre» hinweghalf; wäre das nicht der Fall gewesen, dann hätte ich die Arbeit schließlich doch aufgeben müssen. (Man arbeitete eben weiter, ohne zu wissen, für wen und wie lange noch.)
Mit der Gründung der «Republikanischen Clubs» während der sogenannten Studentenrevolte belebte sich die Szene wieder vor allem in Berlin. Die «Berliner Gruppe 1958» vegetierte dahin, von dem Einsatz eines halben Dutzends älterer Mitgründer am Leben erhalten. Mit diesem Rest ergab sich für kurze Zeit ein engerer Kontakt zu einigen führenden Köpfen in der Berliner Studentenschaft und zu den turbulenten Vorgängen an der Freien Universität (wobei einer unserer älteren Mitglieder das «Glück» hatte, im vollen Strahl eines Wasserwerfers stehend das Titelbild eines der ersten Paperdrucke über die Studentenrevolte zu liefern). Daß ich in
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unmittelbarer Nähe vom Auditorium maximum der Freien Universität wohnte, kam mir für die Wahrnehmungen bei den stürmischen und chaotischen Versammlungen dort gelegen. Zwei Jahre lang war immer etwas los. Aber negative Beobachtungen und eigene Erfahrungen zwangen uns bald zum Rückzug in die sozialwissenschaftliche schriftstellerische Arbeit im Rahmen des Institutes. Ich hatte mich auch für die sogenannte «Kritische Universität», eine studentische Gründung, gemeldet und eine sozialwissenschaftliche Arbeit in Angriff genommen. Das war von Anfang an eine Sisyphusarbeit und schließlich ein totaler Mißerfolg: Die jungen Leute kamen und gingen, wann sie wollten; ihr Interesse konzentrierte sich in Wirklichkeit auf ihre eigenen Aktivitäten und das, was sie von mir für ihre «Strategien» glaubten holen zu können. Das Erkenntnissuchen gegenüber den sozialen Problemen war eigentlich fast Null. Es war für mich eine Erfahrung, daß man sich mit den Polizisten unten am Eingang zum germanistischen Seminar lieber anlegte, als zu dem verabredeten Zeitpunkt in den Seminarraum nach oben zu kommen. So wurde schließlich eine ernsthafte sozialwissenschaftliche Arbeit unmöglich, weil man keine Bereitschaft und Grundlage fand, ein bestimmtes Thema wirklich anzupacken und durchzuführen. Das machte mir schon damals die Grenzen des Möglichen deutlich. Zehn Jahre später, als die Studentenrevolte in so rätselhafter Weise schon erloschen war, machten wir in Freiburg noch einmal den Versuch, für das Institut eine Arbeitsgruppe über Anschläge in der Universität zu sammeln mit einem geradezu kläglichen Ergebnis.
Ich hatte nun schon einiges geschrieben und sah eine Last an wissenschaftlichem Studium und laufender literarischer Arbeit auf mich zukommen, denn ich mußte mich in ein wissenschaftliches Fach einarbeiten, das ich aus der beruflichen Arbeit nur am Rande kannte. Die Erfahrungen in der studentischen Arbeit legten diesen Rückzug auch dann nahe, als im «Republikanischen Club» in Berlin auch bürgerliche Kreise in die studentische Bewegung hineingezogen wurden. – Peter Schilinski hat diese Entwicklung in Berlin sehr wahrgenommen. Man konnte seine agi-
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tatorischen Fähigkeiten, seine Schlagfertigkeit und Geistesgegenwart, seine Geschicklichkeit in der Diskussion im «Republikanischen Club» kennenlernen. Ich erinnere mich aber nur eines einzigen Besuches in unserem Hause, obwohl wir uns von Rendsburg aus seit vielen Jahren und aus häufigen Begegnungen kannten. Infolge meiner Zurückhaltung hatte er mich vermutlich damals schon «abgeschrieben».
Nun war es wohl so gewesen, daß die Achberg-Bewegung aus dem Auslaufen der Studentenbewegung hervorging, aus dem «Republikanischen Club» in Lörrach, wo ich auch einmal sprechen konnte. Die Möglichkeit, das Anwesen in Achberg zu erwerben, um dort ein großangelegtes anthroposophisches Zentrum zu schaffen, hatte danach in der anthroposophischen Bewegung eine große Resonanz. Es war, wie wenn etwas Aufgestautes, Unerlöstes frei und aktiv geworden sei – das Herzensbedürfnis jedes Anthroposophen, die soziale Dreigliederung. Dadurch konnte es die Achberger Mannschaft fertigbringen, in kurzer Zeit in anthroposophischen Kreisen die Viertelmillion Mark zu sammeln, um das Anwesen Achberg zu erwerben.
Die Wellen der Begeisterung für ein Zentrum für die Dreigliederung in Achberg rollten schon im Anlaufen auch nach Berlin. Da habe ich dann in einer etwas turbulenten Versammlung im Berliner Arbeitszentrum erstmalig die mir inzwischen durch meine wissenschaftliche Schreiberei zugekommene Rolle erfahren, als mich mein alter Dreigliederungskumpan Schilinski einen «alten Dogmatiker» nannte; daran konnte ich sehen, wie ihm Achberg das Urteil trübte, denn ich hatte meine Erfahrungen als Praktiker schon gesammelt, bevor die junge Garde mit ihrem beachtenswerten Elan und ihrer Jugendbegeisterung in die Arena trat.
Wegen dieses Gegensatzes, der von der Sache her keiner ist, schildere ich den Hergang so, wie er sich mir darstellt, nicht um einen der Mitstreiter zu verunglimpfen, sondern im Sinne eines Lernprozesses. – Nun, der «alte Dogmatiker» war auch bereit, in Achberg mitzumachen, aufgefordert von Wilfried Heidt; er meinte, meine Erfahrungen im «Internationalen Kulturzentrum Achberg» auf keinen Fall missen zu wollen.
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Wer nach Gründen sucht, warum die Dinge in Achberg für die Gründer einen so wenig erfreulichen Verlauf genommen haben, kann manches in und zwischen den Zeilen der Beiträge von Peter Schilinski und Wilfried Heidt in dem Buch von Reinhard Giese herauslesen, wenn auch nicht alles und nicht immer das Entscheidende, sondern eben gerade das Problem bei allen diesen heutigen aktivistischen Versuchen, soziales Leben zu verwirklichen; es ist letztlich das Persönliche des Bewußtseinsseelenzeitalters darin enthalten. Die Achberger Aktionsgruppe hat leidvolle Erfahrungen durchmachen müssen; das teilt sie mit anderen solchen Versuchen. Aber Peter Schilinski entlädt seinen Unmut unnützerweise pauschal auf die anderen ab, die sich auch ihre Gedanken gemacht haben und andere Wege suchen. Um die anderen haben sich die Achberger damals nur insoweit bemüht, als sie es für die eigenen Intentionen für opportun fanden, so zeitweilig auch um das Verhältnis zum Goetheanum und zur sozialwissenschaftlichen Sektion.
Die ersten Sommertagungen in Achberg waren für viele Anthroposophen und Mitläufer eine in dieser Art atemberaubende Sensation. In der weitverbreiteten Begeisterung kam aber vor allem das zurückgestaute Bedürfnis nach solchen Aktionen für die Dreigliederung zum Ausdruck – eine mitreißende Überraschung, die von den instinktiven Gefühlen allgemeiner Versäumnisse lebte. Niemand wird dem Einsatz seine Anerkennung versagen wollen, auch wenn man die Frage nicht los wurde, wie lange das wohl anhalten und was dann kommen würde. Der innere Zerfall ist eine Achberger Angelegenheit. Peter Schilinski möchte kompensieren, was letzten Endes auf ein Überladen mit eigenen Zielsetzungen zurückzuführen ist:
«Die Menschen, die sich in den vergangenen dreißig Jahren bis zum heutigen Tag für die soziale Dreigliederung eingesetzt haben, sind dabei unwillkürlich in die Bahnen der üblichen politischen Agitation geraten. Man konnte erleben, daß die Dreigliederung genauso vorgetragen wurde wie andere politische Programme. Sie wurde deshalb auch folgerichtig auf den großen Stapel von Theorien und Ideologien gepackt, der den politisch interessierten Menschen angeboten wird. Auch innerhalb der
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Kreise, die sich für die Dreigliederung eingesetzt haben und noch einsetzen, wurde die gleiche Methode praktiziert. In einem ganz üblichen Stil kämpfen verschiedene Auffassungen von Dreigliederung, vertreten von einzelnen und Gruppen, miteinander. Es wurde und ist auch heute noch nicht erkennbar, daß die Idee von der Dreigliederung des sozialen Organismus aus der Geisteswissenschaft (Anthroposophie) Rudolf Steiners hervorgegangen ist. Durch diese anthroposophische Geisteswissenschaft und das Bemühen um ihre Realisierung könnten ganz neue Elemente auch in die Dreigliederungsbewegung hineingetragen werden, welche sie überhaupt erst zu einer ihr entsprechenden Bewegung machen würden.»
Der dies schreibt, ist für einen Stil, mit dem er selbst (wie er im Schlußwort zugibt) «bahnbrechend» durch die Straßen der Städte zog, bekannt. Man kann ihm seine Enttäuschung zugute halten, wenn er nicht einmal Professor Folkert Wilken aus dieser Pauschalierung herausläßt. Aber unverständlich ist, wenn da gesagt ist, es sei heute noch nicht erkennbar, daß die Idee der Dreigliederung von Rudolf Steiner stammt. – Wer sollte damit wohl vor allem getroffen werden? So fraglich ist auch das folgende:
«Jene geistige Freiheit, die von der Idee der sozialen Dreigliederung im großen, gesellschaftlichen Zusammenhang so vertreten wird, daß weder der Staat noch eine andere Institution, vor allem auch nicht die Wirtschaft, diese geistige Freiheit einschränken darf, müßte überhaupt erst einmal innerhalb der Dreigliederer selbst verwirklicht werden. So, wie der Staat und die Wirtschaft im großen der Gesellschaft die Informationsmittel, aus denen der Bürger seine Kenntnis über die Lage schöpfen soll, an sich gerissen haben, so sind auch die Publikationen innerhalb der Dreigliederungskreise zentralisiert. In den Zeitschriften, die über soziale Dreigliederung informieren, erscheinen oft seit langen, langen Jahren immer wieder die gleichen Namen. Andere, die andere Ansichten veröffentlichen wollen, werden nicht publiziert. Genau das, was die Dreigliederer und die Dreigliederung von der großen Gesellschaft verlangen, verwirklichen sie in ihrem eigenen Kreise nicht.
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Welches sind die Ursachen dafür? Sie liegen ganz einfach in der menschlichen Rückständigkeit der für die Herausgabe solcher Zeitschriften Verantwortlichen. Diese Menschen können genausowenig wie andere, die mit der Anthroposophie nicht das geringste zu tun haben, ertragen, daß sich zum Beispiel in ihrer Zeitschrift eine Fülle verschiedener Ansichten zur Frage der Dreigliederung zu Worte bringt. Sie zensieren sehr einfach und auch radikal, indem sie die Leute, die ihnen selbst nicht genehm sind oder die von noch höherer Stelle nicht anerkannt werden, schlichtweg nicht veröffentlichen. Die Kraft der Dreigliederungsbewegung ist auf diese Weise gelähmt worden. Es hat seine innere und schließlich auch äußere Wirkung, wenn Dreigliederer selbst nicht verwirklichen, was sie von anderen verlangen.»
Weder hat Peter Schilinski jemals einen Beitrag für die Zeitschrift «Die Kommenden» zur Veröffentlichung eingereicht (wie mir auf Rückfrage mitgeteilt wurde), noch hat er von mir (dessen «Stimme» in der Tat «seit langen Jahren» immer wieder in den «Kommenden» erscheint) jemals einen Beitrag für seinen «Jedermann» haben wollen, sonst hätte er den Wunsch nur auszusprechen brauchen, Die Frage, die in diesen Zusammenhang hineingehört und die nicht nur ihn betrifft: Man hatte für andere Auffassungen, für andersartige Arbeitsformen in diesem stürmischen Aufbruch weder Zeit noch ein vitales Interesse; man war absolut von sich erfüllt. Wenn die tieferen Fragestellungen jetzt nach offenbaren Enttäuschungen in den Vordergrund treten, könnte von uns allen gelernt werden. Sonst sind solche Sätze über einen gewissen «man» weder zutreffend noch nützlich:
«Man hat in Kreisen der Dreigliederung und der Dreigliederer die spirituellen Quellen der Anthroposophie nicht in Anspruch genommen und nicht realisiert. Es ist eine geistige Verpflichtung für denjenigen, der im anthroposophischen Sinne die Dreigliederung vertritt, daß er sich darum bemüht, auch mit denen in Kontakt und in produktiver Auseinandersetzung zu sein, die andere Auffassungen als er selbst vertreten.»
Ich war stets in Achberg mit von der Partie, wenn ich dazu aufgefordert wurde und als wir – im Sommer 1977 war es wohl – in dem Achberger Eta-
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blissement eine Arbeitswoche hatten, machten wir bei Peter Schilinski in Wasserburg vom Institut aus sozusagen offiziell mit unserer Gruppe einen Besuch. Der Gegenbesuch steht noch aus! Das gilt nicht nur für ihn. Sind die Konsequenzen, die Peter Schilinski zieht, der Sache selbst nützlich? Was für den einzelnen Dreigliederer eine Art Zuflucht sein mag – ist das für die soziale Dreigliederung nicht eine Sackgasse?
«Das esoterische Geistesgut der Anthroposophie gehört unmittelbar an jede Stelle, an der sich die Dreigliederung verwirklichen kann, beziehungsweise an der man für sie tätig ist ... Es geht darum, unsere menschlichen Fähigkeiten in einem sehr mühsamen und notwendigerweise langsamen Weg sozial zu verbessern ... Der anthroposophische Übungsweg ist für den Dreigliederer kein Luxus zum Ziele seiner persönlichen Vervollkommnung, er ist eine Notwendigkeit ... Es gibt heute viele, welche von der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit im Sinne der Dreigliederung nichts mehr wissen wollen, weil sie zu oft erlebt haben, daß überall dort, wo Dreigliederer miteinander arbeiten, die Freiheit des Andersdenkenden unterdrückt wird, seine Gleichberechtigung nicht beachtet wird und von Brüderlichkeit überhaupt keine Rede sein kann.»
Der Achberger Überschwang hat sich in zwei Richtungen gespalten: Hier «Verinnerlichung», die jedermanns persönliche Sache ist, wenn er sich der Anthroposophie zuwendet, jedoch mit der Dreigliederung als esoterischem Auftrag unmittelbar nichts zu tun zu haben braucht. Die andere Richtung ist diejenige, die von dem heute alleinigen Repräsentanten von Achberg, Wilfried Heidt, ausgeht, «mit der Einsicht in die politische Bedeutung der Dreigliederung über die Grüne Bewegung als Partei in die Öffentlichkeit einzuwirken». Dieser schließt seinen Beitrag mit einem Appell, wie 1919 einen Bund für Dreigliederung zu gründen: «Drei Arbeitsfelder ... sollten in einem solchen Bund miteinander verwoben werden: 1. Als wissenschaftliche Aufgabe die Dreigliederungsforschung, 2. als Aufgabe der Verwirklichung, die heute schon tätigen Institutionen der anthroposophischen Bewegung soweit irgend möglich dreigliederungsgemäß
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zur Erscheinung zu bringen und zu assoziieren und 3. die volkspädagogische Aufklärung durch Veröffentlichung der Erkenntnisse und Erfahrungen im Umgang mit der Dreigliederungsidee in Wort, Schrift und Bild zu intensivieren», wozu auch «das Hineinwirken und Mitwirken in politischen Parteien gehört, wo auch immer in diesen Organisationen uneingeschränkt Dreigliederungserkenntnisse und -forderungen vertreten werden können.»
Zwischen diesen Extremen in der Achberger Spaltung klafft nun ein Abgrund, denn sowenig wie heute ein Abklatsch des ehemaligen Bundes für Dreigliederung und nach Möglichkeit dessen Anschluß an das Parteiensystem einen Fortschritt in der Dreigliederung selbst erzielen kann, ebensowenig kann die Wasserburger Esoterik den Bruch leimen, der menschlich zwischen den Initiatoren der Achberger Unternehmung besteht. Denn nach den Aussagen beider Seiten gibt es keinen unmittelbar aus der Idee der Dreigliederung selbst gewonnenen Gedankenweg, der für beide Seiten aufgrund neuer Einsichten in die Sachlage einen neuen Impuls bringen könnte. Reichen die negativen Erfahrungen nicht aus, um gemeinsam nach einem solchen Impuls zu fragen?
Man muß diese Tragik eines großen Aufbruchs sehen, die in eine solche Verwirrung nach zwei Seiten geführt hat, Peter Schilinski beschreibt, was mit dem INKA herausgekommen ist:
«Gemeinsam mit anderen Vertretern der Dreigliederungsidee konnte ich einen entscheidenden Beitrag dafür leisten, daß das INKA als eine weltoffene Stätte der Arbeit und Begegnung von Freunden der Dreigliederung aus ganz Europa und als Stätte der Begegnung und des Austausches mit Andersdenkenden begründet werden konnte, Das Verhältnis zwischen den wenigen, die die Idee dieses Zentrums faßten und die Grundlage für ihre materielle Verwirklichung ermöglichten und den zahlreichen Freunden und Freundinnen, die halfen und mitmachten, war so, daß die einen für die anderen absolut unentbehrlich waren. Die Begründung stand auf der Grundlage eines Enthusiasmus und einer Einsatzbereitschaft für die Dreigliederung, wie sie seit 1919 nicht mehr aufgetreten war.
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Endlich sollte auch die Idee der Dreigliederung, das Stiefkind, der verdorrte Ast am Baum der Anthroposophie, eine internationale Stätte haben. Hier sollten sich diejenigen treffen können, die für die Dreigliederung arbeiten und kämpfen wollten. Die Menschen, die als Einzelkämpfer nach innen und außen, zum Teil jahrzehntelang von allen Seiten angegriffen, auf mehr oder weniger verlorenem Posten standen.
Die Idee des Zentrums war faszinierend, der Versuch, sie zu verwirklichen, scheiterte am menschlichen Versagen ihrer Begründer. Alles, was mit Recht an üblichen Organisationen zu kritisieren war und was der Kreis der Verantwortlichen glaubte, aus dem Enthusiasmus für die Dreigliederung vermeiden zu können, wurde im Laufe weniger Jahre bestimmender Bestandteil der Arbeit in diesem Zentrum. An die Stelle des kollegialen Austausches über die gemeinsamen Belange trat eine rigorose Alleinherrschaft zum Beispiel über alle wirtschaftlichen Fragen. Abhängigkeiten schlimmsten Ausmaßes beherrschten die Szene. Einzelne und kleine Fraktionen bestimmten praktisch, was das INKA sei und welchen Weg es zu gehen habe. Wer andere Wege wollte, wurde kurzerhand als nicht zum Ganzen gehörig definiert. Offene Aussprachen über Auffassungsverschiedenheiten gab es grundsätzlich nicht. Wenn es unvermutet doch dazu kam, prallten die Gegensätze explosionsartig aufeinander. Danach suchte man nicht langfristig Verständigung, sondern zog sich grollend voneinander zurück. Die, die die Macht an sich gebracht hatten, verfügten über das Ganze, ohne die anderen zu fragen. Der von der Satzung her zu kollegialer Arbeit verpflichtete Vorstand degenerierte zur Farce, weil praktisch einer allein bestimmte und jede Kritik als Mißtrauen gegen sich mit aller Schärfe zurückwies usw. usw.
Die Idee dieses Zentrums ging mich so an, daß ihr schrittweises Scheitern für mich so etwas wie ein geistiges Sterbeerlebnis war. Ich konnte einfach nicht begreifen, vom Gedanken nicht und vom Herzen noch weniger, daß geistige Freiheit, menschliche Gleichberechtigung und Brüderlichkeit gerade dort in so furchtbarer Weise zu Grabe getragen wurden, wo tief von der Gültigkeit der Dreigliederung überzeugte Menschen lebten
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und arbeiteten. Welches Maß von Einsatzbereitschaft wurde hingegeben! Die Enttäuschung, das menschliche Versagen bürdet den Verantwortlichen, zu denen ich auch gehöre, eine kaum wieder gut zu machende Schuld auf.»
Wirkliche «Bausteine für eine soziale Zukunft» – das ist das Ziel dieser Hefte. Sie sind eine Frucht der langen sozialwissenschaftlichen Arbeit im Institut und der Zusammenarbeit mit den «Kommenden». Ohne die fortlaufende wirkliche Institutsarbeit könnte ich diese «Bausteine» nicht ohne zeitliche Begrenzung herausbringen. In den «Kommenden» sind, seit meine Mitarbeit 1961 begonnen hat, also in 20 Jahren, an die 400 Aufsätze und Beiträge von mir erschienen, die sich sowohl mit aktuellen sozialen Problemen als auch mit Arbeitsergebnissen in bezug auf die Darstellung der Dreigliederung und mit Themen der Kernpunkte der sozialen Frage befaßen. Mit Professor Folkert Wilken besteht seit der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg ein persönliches Arbeits- und Freundschaftsverhältnis, begründet in der Übereinstimmung in der Sache und in der gegenseitigen Förderung. Aber die Konzentration auf die wissenschaftliche Durchdringung des Stoffes (bei gleichzeitiger aktiver Teilnahme an anderen Initiativen, die mir zugänglich wurden) begründete auch die Isolation, die von mir weder gewünscht noch gefördert wurde. Nicht an mir lag es, wenn dieser Arbeit von mancher Seite weniger Sympathie entgegengebracht wurde, zum Beispiel gerade von jungen Dreigliederern. (Ich war einmal zu einer Zusammenkunft des Arbeitskreises für Sozialgestaltung neben Wilhelm Schmundt und anderen nach Achberg eingeladen, erfuhr aber – glücklicherweise – durch ein Telephongespräch noch, während ich schon mit dem Koffer in der Hand zur Bahn gehen wollte, daß beschlossen worden sei, ich dürfe dort nicht sprechen; ich erwähne dies nur als Beispiel für die sogenannten Toleranzübungen, mit denen man sich in Achberg so viel herumgequält hat.)
Mißverständnisse über den Sinn dieser Rückschau kann man nicht ausschließen. Der Anlaß ist nicht Achberg oder Peter Schilinski, sondern letztlich das Institut und seine Aufgabenstellung; dieses hat seine Geschich-
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te, in der die beschriebenen Vorgänge Stationen waren, die zum Selbstverständnis wahrgenommen werden mußten; und die zu der schwerwiegenden Frage gehören: Wie vertritt man heute die soziale Dreigliederung in der Welt?
Die Institutsgründung war ein aufgrund von Erfahrungen notwendig gewordener Schritt gewesen. Das Institut hat sich nicht den Namen eines Forschungsinstitutes geben wollen, aber es wollte beitragen zur Erarbeitung eines geistigen Instrumentariums für die Vertretung und Verteidigung der Dreigliederung und den Ausbau der anthroposophischen Sozialwissenschaft. Es ist nur deshalb vereinzelt geblieben, weil man bis vor kurzem für diese Aufgabe wenig oder nur ein abstraktes Verständnis hatte.
Auch das INKA hat sich später Forschungs-Titel zugelegt («Institut für Sozialforschung und Entwicklungslehre» als eigene «sozialwissenschaftliche Sektion»). Aus dieser Forschungstätigkeit hervorgegangene Arbeiten oder Veröffentlichungen sind weder angegeben noch mir bekannt. Dagegen hat dies Institut für Sozialforschung die «Aktion Dritter Weg» und die «Elementarlehre» von Wilhelm Schmundt in den Mittelpunkt gestellt. Die Dreigliederung ist dabei immer noch «gemeint», auch da, wo man sie in der ganzen Diktion nicht vorfindet.
In dem Beitrag von Michael Wortmann über die «Aktion Dritter Weg» handelt es sich bis in die Wortlaute, Begriffe und Einrichtungen hinein ausschließlich um das, was Wilhelm Schmundt als eigenen Weg über Rudolf Steiner hinaus in seinen Schriften dargestellt hat, seine «Elementarlehre», ohne daß merkwürdigerweise auf den Autor hingewiesen wird. Auf die soziale Dreigliederung Rudolf Steiners ist weder Bezug genommen noch wird sie erwähnt, obgleich Begriffe wie «Assoziationen» in der Wirtschaft aus den Kernpunkten von Rudolf Steiner entnommen, aber nicht begriffsgemäß verwendet werden. Das hat wenig mit dem Wesen einer wirklichen Wissenschaftlichkeit und Forschung gemein.
Auch Joseph Beuys benutzt in der Darstellung seiner «Honigpumpe» eine Allegorie, die nach seiner Erläuterung nichts anderes verbildlichen soll
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als eben diese «Elementarlehre» von Wilhelm Schmundt; auch darin ist weder eine Erwähnung der Dreigliederung noch Rudolf Steiner zu finden. Die «Free International University» wird da die «Brutstätte für neue Ideen», die «Initiationsstätte» genannt, ohne daß der «Initiator» namentlich in Erscheinung tritt: «Wer die ‹Honigpumpe› am Arbeitsplatz auf der Documenta 6 in Kassel» sehen wollte, stieß auf die «Free International University». Über diese Neuschöpfungen findet ein in die Sache und die Geschichte dieser Dreigliederungsbewegung nicht Eingeweihter nur mühsam den Weg zurück über Wortmann, Beuys, Heidt, Schilinski nach Achberg – um dort tatsächlich doch wieder auf den Namen Rudolf Steiner zu stoßen, denn die Genannten sind vermutlich entweder Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft oder Sympathisanten der Dreigliederung. Müßte man da nicht von einer «imaginären» Dreigliederungsbewegung sprechen?
Forschung auf sozialem Felde, das war ein von Achberg aufgenommenes Motto. In dem Giese-Kompendium wird auch das Institut für soziale Gegenwartsfragen und mein Name genannt. Weil das Institut, seine Ziele und Arbeitsmethoden meines Erachtens nicht da hineinpassen, hatte ich mich gesträubt, einen Beitrag zu leisten; da ich aber durch Abseitsstehen nicht den Eindruck erwecken wollte, das Institut falle nicht unter den Titel «Soziale Dreigliederung heute», mit dem der Anspruch einer umfassenden Dokumentation erhoben wird, mußte ich nachgeben. Wie wenig das wirklich zusammenpaßt, das hat Heinz Kloss am Schluß seiner Analyse der Richtungs- und Meinungsunterschiede innerhalb der Dreigliederungsbewegung mit folgenden Worten gesagt:
«Im Jahre 1953 glaubte Dieter Vogel, die damaligen gesellschaftspolitischen Strömungen wie folgt nach ihrer Nähe zur Dreigliederungsidee angeordnet (mit der nächstverwandten Strömung beginnend) aufführen zu dürfen: I. Freiwirtschaftler, II. Freiburger Schule (Ordo-Liberale), III. Christliche und Freie Demokraten, IV. Theoretiker der Mitte, V. Sozialdemokraten.
Ein Vierteljahrhundert später (1978) warb Wilfried Heidt für ein politisches
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Zusammengehen der folgenden sieben ‹Gesamtalternativen› (A. = Alternative):
1. Die monetaristisch-marktwirtschaftliche A., 2. die demokratisch-sozialistische A. , 3. die Dreigliederungs-A., 4. die A. des Dritten Weges, 5. die A. des humanistischen (nachkapitalistischen) Liberalismus, 6. die A. der christlichen Solidaritätsbewegung, 7, die föderalistische A. (ob diese Anordnung die größere oder geringere Nähe zur Dreigliederungsidee andeuten sollte, ist nicht deutlich).
Es ist an der Zeit, die Richtungsunterschiede innerhalb der Dreigliederungsbestrebungen nicht mehr zu umschweigen. Kürzlich hat – wenn auch in ganz anderem Zusammenhang – H. G. Schweppenhäuser erinnert an die Sätze, die R. Steiner am 14.4.1919 ausgesprochen hat über das ‹Cliquen-und Sektenwesen, das sich sehr breit entwickelt hat in den verflossenen 17, 18 Jahren der anthroposophischen Bewegung. Und was in dieser anthroposophischen Bewegung vorgeht, das projiziert sich sehr vielfach auf die Anthroposophie, weil ja auch von sehr vielen Mitgliedern gesündigt wird gegen dasjenige, was heute bedeutsamer Zeitimpuls ist, den Individualismus auf geistigem Gebiete. Wie häufig hört(e) man: Wir Anthroposophen, wir Theosophen, wollen dies oder jenes›. Es ist schon so, daß es in den Dreigliederungsfragen zur Zeit nicht immer ohne weiteres möglich ist zu sagen, was ‹wir Anthroposophen› wollen.»
In diesen Tagen las ich einen Ausspruch von Goethe über die Deutschen, der von Eckermann überliefert ist: «Franzosen und Engländer halten weit mehr zusammen und richten sich nach einander. In Kleidung und Betragen haben sie etwas Übereinstimmendes. Sie fürchten, voneinander abzuweichen, um sich nicht auffallend oder lächerlich zu machen. Die Deutschen aber gehen jeder seinem Kopf nach, jeder sucht sich selber genug zu tun; er fragt nicht nach dem anderen, denn in jedem lebt die Idee zur persönlichen Freiheit.» Der berühmte Soziologe Werner Sombart fügt dem hinzu: «Ein Gedanke, den Bismarck einmal in humoristischer Form wie folgt ausgedrückt hat: ‹In Frankreich und England läuft die Herde hinter dem
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Leithammel her, in Deutschland ist jeder sein eigener Schafskopf für sich›.» – Ein bißchen bismarckisch-volkstümlich ausgedrückt – aber was spricht sich darin an Realität dennoch aus?
Wie kam es zu der Übersiedlung des Institutes von Berlin nach Freiburg? Das Institut ist, so wie das geschildert wurde, ein Ergebnis von Erfahrungen, die wesentlich ihren Ursprung in den Verhältnissen Westberlins in der Nachkriegszeit hatten. Anfang der siebziger Jahre ist es uns deutlich geworden, daß die Institutsarbeit zwar weiterging, aber keine ausbaufähige Basis in Westberlin habe; sie war äußerlich beschränkt auf meine Wohnung und die Wohnung unserer Mitarbeiterin, Frau Wendler. Es wurden erdenkliche Anstrengungen gemacht, eine für die Öffentlichkeit akzeptable äußere Gestalt eines wissenschaftlichen Institutes zu finden, trotzdem die nötigen Geldmittel dafür im Grunde nicht reichten; man glaubte eben, es würden die finanziellen Mittel dann auch besser fließen. Aber es war seltsam: Endlich glaubten wir – mehrmals – das Richtige gefunden zu haben, da wurden wir wieder abgelehnt oder es ergaben sich eigene Bedenken. Genauso war es schon der «Berliner Gruppe 1958» ergangen: Baupläne für ein studentisches Forum waren entworfen, Verhandlungen geführt, Zusagen vom Senat gegeben, ein Grundstück notariell vereinbart – da wurden die Zusagen zurückgezogen oder die Baugenehmigung wegen einer Straßenplanung aussichtslos. Wir mußten uns sagen: Es hat nicht sollen sein.
Die Situation in Berlin wurde für unsere Arbeit immer mehr zu einem geistigen Ghetto. Wenn für Wochenenden noch westdeutsche Teilnehmer zu dem kleinen Westberliner Kreis von Teilnehmern hinzukommen sollten, bildete die Anfahrt und die Unterbringung – wie wir meinten – das eigentliche Hindernis gegen eine wirksame Ausdehnung der Arbeit. Als das Schwerwiegendste erschien mir, daß das Interesse an der sozialwissenschaftlichen Arbeit im Sinne der Dreigliederung nicht nur nicht zunahm, sondern dahinschwand. Gegen dieses Absterben des Interesses schien innerhalb der anthroposophischen Bewegung kein Kraut gewachsen. Schließlich hatte es doch, als ich nach Berlin kam, dort außer uns – so-
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weit ich mich erinnere – noch fünf Arbeitsgruppen für die Dreigliederung gegeben, geführt von älteren Persönlichkeiten, die ihr Engagement durch die Verbotszeit durchgetragen hatten; diese Arbeitsgruppen waren nach und nach eingegangen. Die Erfahrung zeigte auch, daß die Arbeit an den «Kernpunkten» selten längere Zeit durchgehalten wird.
Wir hatten unseren Arbeitsraum bis in die siebziger Jahre in der Argentinischen Allee in der «Gesellschaft für musische Erziehung», zusammen mit dem Heilpädagogischen Therapeutikum; eine intensive Arbeit war dort auch nicht möglich gewesen, weil die jüngeren Teilnehmer nach Belieben kamen oder wegblieben. (So ist es bis heute geblieben.) Diese Erfahrungen ließen – nachdem wir unseren Raum in der Argentinischen Allee aus internen Gründen nicht mehr benutzen konnten – mehr oder weniger instinktiv die Frage nach einer Übersiedlung in den westdeutschen Raum aufkommen, – Wie kann man der anthroposophischen Sozialwissenschaft weiterhelfen? Das mußte zur Frage werden, wenn man sah, wie die Dreigliederungsbewegung immer mehr in Cliquenbildung und Sektiererei hineinläuft.
In Achberg war die «Arbeitsgemeinschaft für Dreigliederung» mit Euphorie ins Leben gerufen worden, die zum Sammelbecken für die verschiedensten Strömungen werden sollte. Sie übernahm die von H. F. Hillringhaus herausgegebenen und dann von Hartwig Wilken redigierten «Beiträge zur Dreigliederung»; beschlußgemäß sollte zusätzlich mit Hilfe einer «ständigen Korrespondenz» ein stärkerer Zusammenhalt geschaffen werden. Es wurde aber daraus kein neues Leben. Die routinemäßige «Korrespondenz» brachte nichts anderes hervor, als daß sie die diversen Richtungen und Auffassungen in kontroverser Weise sichtbar machte, ohne daß etwas Durchgreifendes geschah oder geschehen konnte, um die Gegensätze zu überwinden. Einer kurzen Begeisterung war eine Stagnation gefolgt, die an der Substanzlosigkeit der «Korrespondenz» und der Richtungslosigkeit der «Beiträge» schließlich zur Auflösung des Büros und zur Auflösung des Vereins führte.
[Bausteine, 3/1981, Seite 29]
Wie sollte oder könnte es in diesen divergierenden Aktivitäten zu einer wirklichen Zusammenarbeit kommen, wo das Selbstbewußtsein in den einzelnen Gruppen eine solche zentrifugale Macht ausübt, daß es bisher gar nicht zu solchen Fragestellungen kommen konnte, durch welche ein neues Band hätte geschaffen werden können, Ein Gemeinschaftswille, der sich an der Erkenntnis des Möglichen und des Notwendigen und an der objektiven Verantwortung für die Trägerschaft der Idee der Dreigliederung orientiert, ist nach 1945 nicht da gewesen.
In den von Dr. Kloss aufgezählten, inzwischen verfestigten Gruppierungen sind drei sozialwissenschaftliche Ideologien zum konstituierenden Faktor geworden: die Elementarlehre von Wilhelm Schmundt, die Schwundgeldlehre von Silvio Gesell und der Ordoliberalismus der Freiburger Schule (Eucken, Röpke, Erhard). Ich will nur diese drei ideologischen Eigenheiten ins Auge fassen, die zu festen Bestandteilen der Gruppen-Theorien geworden sind, indem diese ihre Richtung als eine «Fortentwicklung» der Erkenntnisse der Kernpunkte (Schmundt, «Elementarlehre») oder als eine «zeitgemäße Umsetzung der Dreigliederungsidee» (Heidt, «Aktion Dritter Weg») oder als eine Lösung des bei Rudolf Steiner im «Nationalökonomischen Kurs» angeblich ungelösten Problems der Geldordnung (Seminar für freiheitliche Ordnung, Silvio Gesell und Neoliberalismus) betrachten.
Es ist ein besonderes Phänomen, daß diese Gruppierungen im Hintergrund die anthroposophische Weltanschauung haben; das ist bei den Initiatoren der Fall; bei ihnen steht ursprünglich die Dreigliederung als solche im Mittelpunkt der Initiative. Dann aber wird der Dreigliederungsimpuls durch die Ideologen mehr und mehr verwässert oder verfremdet. Es kommen neue Interessenten hinzu, für welche nun die der Ur-Idee oktroyierten Lehren und Theorien oftmals die eigentliche Attraktion darstellen. Das hat dahin geführt, daß es für die Gruppierungen selbst kein Zurück mehr gibt. Sie haben sich durch die «neuen» Bestandteile und den Zulauf selbständig gemacht gegenüber der eigentlichen
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Dreigliederungsgrundlage, während sie andererseits gewisse Aspekte und Begriffe aus der Dreigliederung opportunistisch für ihre Richtungen mit verwenden.
Diese Entwicklung hat die Dreigliederungsbewegung und das Interesse für die Sache auch innerhalb der anthroposophischen Gesellschaft ausgehöhlt, oder, anders ausgedrückt, es wird im anthroposophischen Gemüt zwei- oder dreigleisig gefahren mit Steiner und Schmundt, mit Silvio Gesell und Rudolf Steiner, mit Steiner und Eucken. Die Dinge sind somit, wie man zu sagen pflegt, für die wirkliche Dreigliederung «gelaufen». Das ist aber das oftmals Peinliche, daß dann Rudolf Steiner oder die Dreigliederung oder eine gemeinsame anthroposophische Mitgliedschaft oder Anhängerschaft als «geistiges Band» oder geistig-seelischer Führer oder fernes soziales Idol für eine fremde Theorie oder Praxis dienen muß. Man kann unter der Fahne des Neoliberalismus oder Silvio Gesells oder der Elementarlehre von Wilhelm Schmundt oder einer der heute so viel praktizierten «Organisationsentwicklungsmodelle» oder «Dritten Wege» beliebig viele Anhänger sammeln, das ist das gute Freiheitsrecht eines jeden, aber es bleibt – wie ein Blinder sehen kann – nicht ohne geistige und karmische Wirkung auf die anthroposophische Bewegung, wenn der geistige Zustrom für die Dreigliederung durch das Eindringen von Gegenideen – denn das sind sie! – abgeschnitten wird. Liegt es aus geisteswissenschaftlicher Sicht nicht nahe, sich in dieser Richtung seine Gedanken zu machen?
Daran, daß die Dinge so liegen, wird auch die Neugründung der «Sozialwissenschaftlichen Forschungsgesellschaft e. V.», Sitz in Stuttgart, zusammen mit dem Leiter der sozialwissenschaftlichen Sektion in Dornach nichts ändern. Die Gründer haben offenbar auf dem Gebiet der sozialwissenschaftlichen Forschung in Übereinstimmung mit der sozialwissenschaftlichen Sektion ein bedenkliches Vakuum erkannt, worauf der Name der neuen Institution hindeutet. Sie sind dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß dieses Vakuum «von der Sektion in Dornach nicht ausgefüllt» werden kann – so die Verlautbarung in der Einladung.
[Bausteine, 3/1981, Seite 31]
Wir haben die Verlegung des Institutes nach Freiburg im Zusammenhang mit der Neubesetzung der Sektionsleitung gerade im Blick und in der Hoffnung vorgenommen, daß in Dornach geschieht, was jetzt dort als unmöglich erklärt wird – die so notwendige Forschung. Man wird im Kreise unserer Leser verstehen, daß das für uns eine heikle Wendung ist.
Wir haben versucht, die Lage durch einen Rückblick (ohne Zorn) zu analysieren und einige für unsere Bewegung beunruhigende Tatsachen darzustellen, die uns für eine sach- und fachgemäße anthroposophische Sozialforschung wichtig erscheinen und die die Zukunft der Dreigliederungsbewegung bestimmen werden. Dieses Thema war ursprünglich nicht für die «Bausteine» vorgesehen, Aufgrund der geschilderten Vorgänge ist diese Dokumentation spontan niedergeschrieben worden. Das geschah in den Grenzen meiner Erfahrungen und Einblicke. Ich breche hier ab und lasse das für mich Beunruhigende und Unerklärliche, das in diesem Gang der Dinge zum Ausdruck kommt, auf sich beruhen. Über das, was sich abzeichnet, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.
[Bausteine, 3/1981, Seite 32]