Zum Problem der Kreislaufschemata

Ein Beitrag zur sozialwissenschaftlichen Begriffsbildung

01.06.1976

In der liberalistischen Wirtschaftstheorie spielt das folgende Kreislaufschema eine grundlegende Rolle:

Die wirtschaftliche Betätigung wird in der Polarität Produktion und Konsumtion dargestellt. Diese beiden „Pole“ werden durch je zwei Ströme in einen Zusammenhang gebracht, und zwar durch einen Leistungs- bzw. Warenstrom und einen gegenläufigen Geldstrom. Auf der linken Seite (mitunter ist die Darstellung auch seitenvertauscht, was jedoch keine Rolle spielt) geht der Leistungsstrom vom Konsumbereich zum Produktionsbereich. Das bedeutet das Zur-Verfügungstellen von Boden, Arbeit und Kapital, die als Produktionsfaktoren erforderlich sind, um Güter oder Dienstleistungen (rechts, innerer Kreis) hervorzubringen. Das Entgelt für die Leistungen der Produktionsfaktoren, d.h. das Einkommen der Besitzer von Boden (Renten), der Arbeiter (Lohn und Gehalt) und der Kapitalbesitzer (Zinsen, Dividenden bzw. Gewinne) geht als Einkommensstrom auf der linken Seite im gegenläufigen Sinne vom Produktionsbereich zum Konsumbereich, während es auf der rechten äußeren Seite wieder zur Bezahlung der Konsumgüter und Dienstleistungen verwendet wird.

Nun sagt die liberale Theorie, daß diese Ströme quantifizierbar sind und im Gleichgewicht sein müssen, d.h. die Menge der Einkommen muß dem Wert (= Menge + Preis) der produzierten Güter und Dienstleistungen entsprechen, kurz, der Geldstrom muß gleich dem Warenstrom sein. Wenn das der Fall ist, gibt es weder Inflation noch Deflation, ja, einige, seit Keynes allerdings seltener gewordene Theoretiker behaupten sogar, daß dann auch Vollbeschäftigung herrscht.

Im Grunde beruht die gesamte Wirtschaftspolitik der „kapitalistischen“ Länder auf dieser Prämisse bzw. Anschauung und das sog. Instrumentarium der Regierungen zur „Steuerung“ der Wirtschaft geht davon aus. (Verknappung oder Ausweitung der Geld- bzw. Kreditmenge durch die Notenbankpolitik bzw. Beeinflussung der „Nachfrage“ (= Geldstrom vom Konsumbereich zum Produktionsbereich) durch die Wirtschaftspolitik).

Als quantifizierbarer Kreislauf läßt er sich natürlich auch in einer Formel darstellen, nämlich rechts: Waren- (und Dienstleistungs-)volumen (innerer Kreis) mal Preise (bezahltes Entgelt dafür = äußerer Kreis) = Einkommen der Produktionsfaktoren (linke Seite)[1]   W * P = E (Boden, Arbeit, Kapital)

[Beiträge, Jahrgang 18, Heft 28, Seite 41]

 

oder, wenn man von der Geldmenge ausgeht und berücksichtigt, daß jeder Geldschein im Laufe der Zeit (z.B. eines Jahres) mehrmals Einkommen wird, was man als Umlaufgeschwindigkeit des Geldes bezeichnet, dann lautet die Formel :
W * P = G * U (Geldmenge mal Umlaufgeschwindigkeit). Diese Gleichung wird die Fisher'sche Verkehrsgleichung genannt.

Die Logik des bisher dargestellten Tatbestandes ist so zwingend, daß man sich ihr eigentlich kaum entziehen kann. Stutzig könnte allein die Tatsache machen, daß eine Wirtschaftspolitik, die auf Grund dieser Logik zu handeln versucht, offensichtlich versagt. Das könnte natürlich daran liegen, daß die „Instrumente“ noch nicht differenziert genug sind bzw. nicht im rechten Zeitpunkt eingesetzt werden. Vielleicht aber auch entspricht die Wirklichkeit nicht dieser Logik?

Untersuchen wir das Schema genauer, indem wir in die Phänomene hineingehen. Da finden wir zunächst die Unterteilung des wirtschaftlichen Geschehens in einen polaren Gegensatz: Konsumbereich — Produktionsbereich. Ist diese Unterscheidung evident? Sicherlich überall dort, wo ein Familienmitglied tagsüber in irgendeiner Produktionsstätte arbeiten geht und dafür Einkommen bezieht. Das, was produziert wird, „fließt“ zum Konsumbereich, z.B. als eine Ware, und wird mit dem erworbenen Einkommen bezahlt. Schwierig wird die Unterteilung z.B. bei einem Bauernhof, der einen großen Teil des Eigenverbrauchs selber erzeugt. Hier kann man zwar auch zwischen konsumtiver und produktiver Tätigkeit unterscheiden, aber es findet keine Vermittlung durch eine Einkommensbildung statt.

Problematisch wird die Unterteilung dann, wenn der Konsumbereich mit den „privaten Haushalten“ gleichgesetzt wird. Dadurch fallen z.B. die „öffentlichen Haushalte“ heraus. Oft werden sie gesondert aufgeführt, dann müssen sie aber gleichzeitig auch als „Produktionsstätten für öffentliche Dienstleistungen“ unter dem Produktionspol erscheinen (mit Ausnahme der durchlaufenden Posten wie Sozialversicherungszuschüsse, Subventionen etc.). Man bedenke: Auf der einen Seite sind die Ausgaben für die Bundeswehr Konsumausgaben, auf der anderen Seite produziert der Staat „öffentliche Sicherheit“.

Problematisch wird die Unterscheidung auch bei den meisten Dienstleistungen. Produziert ein Lehrer etwas? Wissen? Lehrstoff? — und konsumieren die Schüler dieses Etwas? Ist ein lebendiger Unterrichtsprozeß nicht ein gegenseitiges Nehmen und Geben? Wohl in den seltensten Fällen ist ein geistiger Prozeß aufteilbar in einseitige Produktions- und Konsumtionsprozesse. Das gilt auch für den Arzt- oder Priesterberuf und für die Kriminalpolizei. Sind die Verbrecher die „Konsumenten“ der Verbrechensaufklärung? Und wenn, bezahlen sie dafür? Da alle diese Menschen jedoch für ihre Dienstleistungen ein Einkommen beziehen, das sie für konsumtive Zwecke ausgeben, liegt es natürlich nahe, ihre Gegenleistung dafür als „Produktion“ zu bezeichnen. Das ist aber offensichtlich problematisch und wohl nur aus einem dialektischen Denk- bzw. Ordnungsbedürfnis zu erklären. Wir kommen darauf noch einmal zurück.

Wenn es somit problematisch — oder gar unmöglich — ist, z.B. bei großen Teilen des „Dienstleistungsbereichs“ (schon dieser Ausdruck ist irreführend, denn ein Arbeiter, der eine Maschine bedient, leistet ja auch einen Dienst!) von Produktion zu sprechen, so ist dieser Ausdruck doch evident überall dort, wo es sich um Waren- bzw. Güterproduktion handelt. Auch wenn eine Fabrik Rohstoffe und Vorprodukte verbraucht,

[Beiträge, Jahrgang 18, Heft 28, Seite 42]

 

also „konsumiert“, so handelt es sich wertmäßig keineswegs um Verbrauch, sondern um eine Umwandlung. Der Wert der Kohle, die in einem Kraftwerk verbraucht wird, geht über in den Wert des elektrischen Stromes.

Nur die Herstellung von Gütern führt zu „Produkten“, die dann in der Zirkulation zu „Waren“ werden, und die man gegen Geld (Einkommen) kaufen kann. Dagegen sind Leistungen von Staatsbeamten oder Lehrern, Ärzten etc. keine „Produkte“, die zu Waren werden können, denn sie sind nicht Ioslösbar vom Menschen. Es geht hier nicht um Worterklärungen, sondern um differenzierte Tatbestände. Man könnte auch von Produktion und Leistung sprechen, wobei sicherlich jeder Produktion eine (menschliche) Leistung zugrunde liegt, aber nicht jede Leistung eine Produktion ist.

Da dieses Problem von prinzipieller Wichtigkeit ist, sei es von noch einer anderen Seite betrachtet. Wie bereits erwähnt, werden die Ströme im Schaubild quantifiziert, damit man sie in der praktischen Anwendung statistisch erfassen kann. Dabei tritt folgendes Dilemma auf. Der Wert der erzeugten Waren ergibt sich durch deren Preise, statistisch erfaßbar durch den Umsatz. Wie aber ergibt sich der Wert der Dienstleistungen (soweit sie nicht in die Warenpreise eingehen), also der Leistungen des Polizisten, Arztes, Lehrers, Straßenkehrers? Da ihre „Produkte“ nicht von ihnen ablösbar sind, d.h. also gar nicht in eine wirtschaftliche Zirkulation gehen können, wo sie dann Preise bilden, bleibt nichts anderes übrig, als ihren Wert mit dem Einkommen zu identifizieren. Das heißt, die Leistung des Beamten ist so viel wert, wie er als Einkommen erhält. Das ist nichts anderes als eine reale Tautologie, die in der sozialen Wirklichkeit natürlich auch ihre mitunter verheerenden Folgen zeigt. (Man denke nur an die Gesundheitspolitik, deren „Wert“ umso größer ist, je teurer sie ist; d.h. je mehr man dafür ausgibt, umso „wertvoller“ wird sie!)

Würde man die realen Produkte genau so bewerten, dann müßten die Einkommen der Arbeiter, Angestellten und Unternehmer als der Wert der Produktion erfaßt werden, was aber — wie gesagt — nicht geschieht, sondern hier wird der Preis der realen Produkte erfaßt, der über dem Einkommen oder darunter liegen kann, was sich als Gewinn oder Verlust in der Unternehmensbilanz äußert. Da heute diese Gewinne oder Verluste jedoch ebenfalls automatisch Einkommen (bzw. Einkommensminderungen) sind, sind beide Kreislaufseiten immer gleich groß. Und da die „Leistungen der Produktionsfaktoren“ automatisch deren Erträge sind (also der Zins die Leistung des Kapitals usw.), ergibt sich auch hier wieder eine Tautologie. So entpuppen sich große Teile des Kreislaufschemas und damit auch der beiden Formeln als Tautologie, als Worterklärungen, die per definitionem identisch sein müssen.
Das Schema wird somit einerseits nur möglich, indem unter dem Produktionspol Unvergleichbares, nämlich Warenproduktion und geistige Leistungen zusammengeworfen werden. Das einzig Gemeinsame ist, daß beide bezahlt werden. Damit wird derjenige, der eine geistige Leistung bezahlt, zum Konsumenten derselben. Wird die Leistung vom Staat bezahlt wie z.B. bei den Lehrern an Staatsschulen, dann sind die Konsumenten nicht etwa die Kinder, sondern der Staat — zumindest statistisch.

Aus dieser Denkungsart heraus könnte man übrigens auch die Arbeitslosenunterstützung als Entgelt für die Leistung der Arbeitslosigkeit definieren und sie ebenfalls zu den Strömen addieren. Vielleicht erleben wir das noch.

Da beide Seiten in ihren Größen identisch sein müssen, wird andererseits auch nicht etwa die gesamte Produktion erfaßt, sondern nur diejenige, die aus Einkommen bezahlt wird.

[Beiträge, Jahrgang 18, Heft 28, Seite 43]

 

Das ist z.B. nicht der Fall bei allen Ersatzbeschaffungen, wenn also eine neue Maschine für eine alte angeschafft wird. Denn sie wird aus den Abschreibungen bezahlt. (Im „Bruttosozialprodukt“ wird das freilich berücksichtigt.) Wenn dagegen die gleiche Maschine zusätzlich gekauft wird, wird sie erfaßt, denn sie muß ja aus dem Gewinn oder mit Krediten bezahlt werden. Da der nicht ausgeschüttete Gewinn einer Kapitalgesellschaft bei ihr verbleibt, bleibt nichts anderes übrig, als die Kapitalgesellschaft in ihrer „juristischen Person“ zu den „privaten Haushalten“, also auf der Konsumseite zu zählen! Dasselbe geschieht auch mit dem „Produktionsfaktor Boden“. Er befindet sich am Konsumpol! Das ist zwar Unsinn, aber konsequent. Es gehört schon ein hoher Abstraktionsgrad dazu, ein solches Schema überhaupt aufzustellen, und es ist sicherlich kein Zufall, daß die Menschheit dazu erst in diesem Jahrhundert fähig wurde.

Aber aus noch einem anderen Grund ist das Schema problematisch. Es stellt einen zeitlichen Vorgang räumlich, ja nicht einmal das, sondern zweidimensional dar. Dagegen ist nichts zu sagen, wenn diese Tatsache im Bewußtsein bleibt. Genau das aber ist nicht der Fall. Man lese nur einmal ein beliebiges liberales Lehrbuch. Nicht einmal L. Vogel („Die Verwirklichung des Menschen im sozialen Organismus“) [2] berücksichtigt das. Dadurch relativieren sich aber alle quantitativen Verhältnisse, denn man muß, um zu Zahlen zu kommen, die Zeit in willkürliche Abschnitte einteilen (in der Regel ein Jahr). Dadurch werden die reinen Tautologien zwar nicht berührt, aber zwischen der Einkommensbildung in der Warenproduktion und dem Verkauf der Waren klaffen oft Zeitunterschiede. Um diese zu eliminieren, argumentiert man umgekehrt: Die verkauften Waren werden nicht aus den Einkommen bezahlt, sondern die Einkommen bilden sich aus den verkauften Waren. (Was der eine ausgibt, muß ja im gleichen Moment ein anderer einnehmen.) So umgeht man auch das Problem, Kredite als Einkommen bezeichnen zu müssen. So opfert man die Wirklichkeitslogik einer reinen Begriffslogik.

Eine weitere Kritik, die öfters an dem Schema geübt wird, bezieht sich auf seinen pragmatischen Charakter: Zinsen und Rente als „Leistungen“ der Produktionsfaktoren Kapital und Boden zu bezeichnen, ginge doch nicht an, denn das wären doch arbeitslose Einkommen der Kapital- und Bodenbesitzer. Diese Kritik kommt aus ethischen Erwägungen und soll uns im Zusammenhang mit der Methodenfrage nicht näher beschäftigen. Dieses Problem ist allerdings auch ein ökonomisches und führt zu wirtschaftlichen Störungen. Jedoch würde das ebenfalls den Rahmen dieser Untersuchung sprengen.

Zusammenfassend wollen wir festhalten:

  1. Produktion und Konsumtion werden als Pole dargestellt und erscheinen dadurch als Zustände, das Zur-Verfügung-Stellen der Produktionsfaktoren, die Einkommen, die Waren und Dienstleistungen und deren Bezahlung dagegen als Prozesse.
     
  2. Das Schema subsummiert Ungleiches, denn Dienstleistungen können nicht in einen wirtschaftlichen Kreislauf eingehen, weil sie vom Menschen nicht ablösbar sind, wohl aber die Waren.
     
  3. Auf die Dienstleistungen läßt sich der Begriff Produktion und Konsumtion nicht oder nur in seltenen Fällen anwenden. Nur weil die geistig Leistenden auch ein Einkommen erhalten, ergibt sich die Analogie, bzw. erscheint es so, von der Wirtschaft aus gesehen.

[Beiträge, Jahrgang 18, Heft 28, Seite 44]

 

  1. Da der Wert der Dienstleistung notgedrungen nur nach dem Einkommen bemessen werden kann, sind die Ströme z.T. nichts anderes als reale Tautologien.
     
  2. Es wird nicht die gesamte Produktion erfaßt, sondern nur diejenige, die mit Einkommen bezahlt wird (wegen der Forderung nach numerischer Identität der Ströme), also z.B. nicht die Ersatzinvestitionen, aber auch nicht die Hausfrauenleistungen. Andererseits werden nicht alle Einkommen erfaßt, sondern nur die, die für eine erfaßbare „Produktion“ bezahlt werden. (In Wirklichkeit nur die Einkommen, für die Lohn- oder Einkommenssteuer bezahlt wird, weil die Lohn- und Einkommensteuererklärungen die Grundlage für die Statistik sind.)
     
  3. Damit die Ströme identisch werden, müssen Unternehmen als „juristische Personen“ zum Konsumpol gezählt werden und müssen so kuriose „Leistungen“ wie das Zur-Verfügung-Stellen von Kapital und Boden mit Arbeitsleistungen gleichgestellt werden.
     
  4. Die Prozesse finden in einem zeitlichen Ablauf statt. Das Schema erweckt den Eindruck eines räumlichen Geschehens. Das Nacheinander wird zu einem Nebeneinander. Das ist nur möglich auf Kosten der Wirklichkeitslogik.
     
  5. Alle Prozesse werden quantifiziert, statistisch erfaßbar gemacht, und dienen dem Staat zur Steuerung der Wirtschaft.
     

II

 

Von Wilhelm Schmundt wurde nun der Versuch unternommen, dieses Kreislaufbild mit „wesensgemäßen Begriffen“ zu beschreiben.[3]

Die beiden Pole bleiben und werden von Schmundt wie im „liberalen“ Schema bezeichnet. Am Konsumpol befinden sich also die (privaten) Haushalte, am Produktionspol die „Unternehmungen“, worunter nicht nur die Wirtschaftsbetriebe, sondern ebenso Schulen, Universitäten, Behörden usw. verstanden werden (wie im 1. Schema auch). Nur die Ströme erhalten andere Bezeichnungen und damit auch in gewissem Sinne andere Inhalte. Wenn es statt „Leistungen der Produktionsfaktoren“ „Strom der Fähigkeitswerte“ heißt, so ist damit etwas Menschliches, eine Qualität und keine Quantität gemeint. Wenn es statt „Geldstrom“ oder „Entgelt für produktive Dienste“ (der Produktionsfaktoren) „Geld als Berechtigung“ heißt, so ist damit etwas wesenhaft anderes ausgedrückt. Geld in der Hand von Verbrauchern wird damit zu einer Berechtigung, also zu einer wesenhaften Qualität. Auf der anderen Seite wird dadurch nämlich Geld in der Hand der Produzenten zu einer Verpflichtung. So erhalten die „Ströme“ Qualitäten und werden mit Leben erfüllt.

[Beiträge, Jahrgang 18, Heft 28, Seite 45]

 

Das ganze Schema erscheint in einer neuen Dimension. Es erscheinen darin geistige (Fähigkeitswerte), rechtliche und wirtschaftliche Prozesse. Es dient nicht mehr statistischen und damit politischen Zwecken, sondern der Erkenntnis. Es ist sicherlich von großer Bedeutung, sich den wesentlichen Unterschied dieser beiden — äußerlich so ähnlichen — Kreislaufbilder vor Augen zu führen. Alles, was sich an Problematik durch die Quantifizierung der Ströme ergibt, wird dadurch hinfällig. Aber eine Reihe von Problemen bleibt doch.

Wilhelm Schmundt erhebt dieses Schema ausdrücklich in den Rang eines sozialen Urbildes. Da muß man fragen

  1. ist die Polarität Produktion - Konsumtion wirklich ein soziales Urphänomen? Ihm liegt ja die allgemeinere Polarität Entstehen und Vergehen zugrunde. Das ist sicherlich ein Urphänomen alles Organischen. Gilt das aber auch für die zwischenmenschlichen Beziehungen? Gilt das für das Rechtsleben? Für das Geistesleben? Die Frage muß erlaubt sein, da die Ströme bei Schmundt ja nicht rein wirtschaftlicher Natur sind, sondern auch geistlicher und rechtlicher. Im Wirtschaftsleben gibt es sicherlich ein Entstehen und Vergehen, doch was entsteht und vergeht bei Schmundt? Rechte? „Fähigkeitswerte“? oder nur wirtschaftliche Werte? Wir kommen beim 3. Schaubild darauf zurück.
     
  2. Sind die Polaritäten Produktion und Konsumtion eigentlich die Pole des wirtschaftlich-sozialen Geschehens oder die eigentlichen Prozesse, die als die Ströme darzustellen sind? Schmundt stellte dieses Kreislaufbild in einem Vortrag einmal neben das Goethesche Urbild der Pflanze. Dort sind die Polaritäten, nämlich Ausdehnung und Zusammenziehung Prozesse und nicht Zustände, wie in dem Schmundtschen- und dem heute üblichen Schema. Wir werden noch sehen, daß hier der zentrale Gegensatz zu dem Steinerschen Kreislaufbild liegt.
     
  3. Mit welcher Begründung wird auch bei Schmundt der Unterschied zwischen Warenproduktion und geistigen oder rechtlichen Leistungen für unwesentlich erklärt?

    Schmundt sagt, in jedem Fall werden menschliche Fähigkeiten eingesetzt, es ist einerlei, ob für Fließbandarbeit oder für eine Unterrichtsstunde. Das ist natürlich anthropologisch gesehen völlig richtig, aber es handelt sich bei der Erkenntnis sozialer Prozesse ja nicht um anthropologische, d.h. hier innermenschliche Vorgänge, sondern um Wirkungen im Zwischen- und Außermenschlichen. Es ist im sozialen Zusammenhang ein wesensgemäßer Unterschied, ob ich ein vom Besteller verlangtes Produkt herstelle und dadurch in einen sachlichen Zusammenhang mit der ganzen Welt komme durch die wirtschaftliche Verflechtung (Interdependenz), denn jede Bestellung löst unweigerlich unzählige andere Bestellungen (an Rohstoffen, Hilfsstoffen, Investitionsgütern, Transportleistungen etc.) aus, oder ob ich in einem Klassenzimmer mit Schülern einen geistigen Prozeß durchmache. Freilich, beide, Warenhersteller und Lehrer, erhalten Einkommen zur Konsumtion, aber auf der Produktionsseite setzt die Bestellung der Ware unzählige weitere Waren- und Geldprozesse in Bewegung, und das Einkommen des Herstellers ergibt sich als ein Glied in der unendlichen Kette durch den Verkauf dieser Ware. Die Unterrichtsstunde dagegen bewirkt unmittelbar garnichts in der äußeren Welt, und das Einkommen des Lehrers kann nur daher kommen, daß andere ihm von ihrem Einkommen etwas abgeben (schenken), auch dann, wenn der Staat es den anderen wegnimmt, um es dem Lehrer zu geben. Es ist denkbar, daß die Vorstellung, auch Leistungen der Lehrer, Ärzte, Staatsbeamten seien „Waren“ im wirtschaftlichen Sinne, durch einen Satz in den „Kernpunkten der sozialen Frage“ von R. Steiner gestützt wird. Dieser Satz lautet : „Was ein Lehrer an seinen Schülern leistet, ist für den Wirtschaftskreislauf Ware“ (S. 90 in der Ausgabe von 1920).

[Beiträge, Jahrgang 18, Heft 28, Seite 46]

 

An anderer Stelle dieses Heftes wird dieser Satz in seinem Zusammenhang zitiert, wodurch sich ein völlig anderer Sinn ergibt. Diesem Satz folgt nämlich: „Für den Wirtschaftskreislauf sind die geistige Organisation bezüglich dessen, was sie beansprucht als wirtschaftliches Erträgnis, und auch der Staat einzelne Warenproduzenten.“ (Fettgedrucktes von mir). Und weiter: „Nur ist, was sie produzieren, innerhalb ihres eigenen Gebietes nicht Ware, sondern es wird erst Ware, wenn es von dem Wirtschaftskreislauf aufgenommen wird. Sie wirtschaften nicht in ihren eigenen Gebieten; mit dem von ihnen Geleisteten wirtschaftet die Verwaltung des Wirtschaftsorganismus.“

Dem Ganzen geht voraus, daß Geld nichts anderes sein kann als eine Anweisung auf Waren. (Auch dieser Satz gilt nicht absolut, sondern nur in einem bestimmten Zusammenhang). Nimmt man das alles zusammen, dann ergibt sich, daß vom Wirtschaftsleben aus gesehen, das Geistesleben und das Rechtsleben als zwei Gesamtgebiete erscheinen. Diese Gebiete beanspruchen wirtschaftliche Güter („Erträgnis“), weil die in ihnen Tätigen ja auch leben müssen. Das können sie nur, wenn sie Geld („Einkommen“) bekommen. Da aber, wie vorher ausgeführt, wirtschaftlich gesehen Geld eine Anweisung auf Waren ist, erscheint für das Wirtschaftsleben das, was das Geistesleben und der Staat leisten, als Ware. Der Lehrer selber bzw. der Staatsbeamte produzieren keine Waren, sondern erst, wenn das, was ein Lehrer leistet, in den Wirtschaftskreislauf übergeht, wird es zur Ware. Der Lehrer weckt z.B. Fähigkeiten im Schüler, die letzterer dann später im Wirtschaftsleben einsetzt, d.h. aber in der Warenproduktion. (Im „Nationalökonomischen Kurs“ schildert R. Steiner dann genauer, daß die geistigen Leistungen wirtschaftlich nur negativ bewertet werden können, nämlich wieviel sie wirtschaftlich Arbeit ersparen).

Durch den Begriff „Fähigkeitswerte“ wird dieser Unterschied verwischt. Für Schmundt ist es gleichgültig, ob menschliche Fähigkeiten sich mit materiellen Gütern verbinden (Waren) oder in einem geistigen Prozeß unmittelbar von Mensch zu Mensch gehen (reine Dienstleistungen). Bekanntlich liegen hier für Steiner polare Gegensätze vor (siehe Nationalökonomischer Kurs 13. Vortrag). Offensichtlich hat der Begriff Wirtschaft für Schmundt einen anderen, viel weiteren Inhalt als für Steiner, der das Wirtschaftsleben sehr eng faßt: „Wenn die Arbeitskraft und das Kapital herausgeholt werden aus dem Wirtschaftsprozeß, wo dann das Kapital der Allgemeinheit zufließt und die Arbeitskraft zurückgegeben wird dem Recht des freien Menschen, dann steht im Wirtschaftsprozeß nur Warenkonsum, Warenzirkulation, Warenproduktion darin. Dann hat man im Wirtschaftsprozeß nur mit Werten von Waren zu tun.“ (Gedankenfreiheit und soziale Kräfte; GA 333 S. 24, Vortrag Ulm 26.5.1919)

  1. Die Ströme bei Schmundt sind wirtschaftliche (Waren und „Dienstleistungen“), rechtliche (Geld als Berechtigung) und geistige („Fähigkeitswerte“). Damit stellt das Kreislaufbild offensichtlich gar keinen wirtschaftlichen, sondern einen allgemein sozialen Prozeß dar. Wenn das aber so wäre, müßte man fragen, wieso das Recht an das Geld gebunden ist? Wo bleiben die Grundrechte, wo überhaupt die ganzen demokratischen Rechtsprozesse? Also offensichtlich handelt es sich doch nicht um ein allgemeines soziales Bild. Dann vielleicht um ein Bild des sozialen Organismus vom wirtschaftlichen Aspekt aus? Ein „Urbild“, das sich nur unter einem so speziellen Aspekt ergibt? Andererseits bezeichnet Schmundt dieses Schema ausdrücklich als „Wirtschaftskreislauf“. Ein Wirtschaftskreislauf, in dem „Berechtigungen“ und „Verpflichtungen“ kreisen?

[Beiträge, Jahrgang 18, Heft 28, Seite 47]

 

III

Stellen wir noch ein drittes Schema neben die zwei anderen; wir erhalten damit vielleicht noch einige neue Aspekte auch zur Beurteilung der beiden vorhergehenden.

Im „Nationalökonomischen Kurs“ bringt Rudolf Steiner im 5. und folgenden Vorträgen dieses Bild (Die Bezeichnungen wurden aus dem Text ergänzt):
Geist

Die drei Produktionsfaktoren bewirken einen Kreislauf, der seinen Anfang nimmt bei der Natur und wiederum bei der Natur endet. Wichtig zu beachten ist, daß die Faktoren außerhalb des Kreises stehen, daß sie selber also nicht mit in den Prozeß hineingenommen sind, sondern ihn nur bewirken. Welchen Prozeß? Den Prozeß der wirtschaftlichen Wertebildung. Durch Arbeit an der Natur entstehen in der modernen arbeitsteiligen Wirtschaft Werte (Naw = Natur, die durch Bearbeitung zum wirtschaftlichen Wert geworden ist). Durch Anwendung des menschlichen Geistes auf die Arbeit, auf den Produktionsprozeß, entstehen ebenfalls Werte, indem die Arbeitswerte modifiziert werden. Erst dadurch entsteht Kapital. (Agw = Arbeit, die durch „Geist“ (Rationalisierung, Innovation) verändert wurde, wodurch mehr Werte entstehen) Jede Maschine, jede Fabrikanlage, aber auch das Geld ist Wirkung und Ausdrucksform dieses „Geistwertes“.

Dem Wertaufbau, der Wertentstehung muß in jedem gesunden Organismus ein Wertabbau folgen, das heißt eine Entwertung, ein Zurückkehren zur Natur, denn die Natur war ja auch Ausgangspunkt dieses Prozesses. Anderenfalls wird der Organismus krank, weil sich etwas in ihm staut. Produktion (zwischen Natur und Kapital) und Konsumtion (zwischen Kapital und Natur) erscheinen hier also als Prozeß, nicht als Zustand, wie in den vorangehenden Schemata. (Die „Produktion“ geht natürlich bis zum Endverbrauchermarkt, denn bis dahin wird Arbeit an den Produkten geleistet, findet also eine Werterhöhung statt.) Die „Leistungen der Produktionsfaktoren“ sind hier dagegen nicht der Prozeß, sondern bewirken ihn. Von „Fähigkeitswerten“ kann man hier nicht sprechen, jedoch von Fähigkeiten, die differenziert in bloß manuelle, sich ständig wiederholende Arbeit und in Form von neuen Ideen den wirtschaftlichen Prozeß in Gang bringen. Die Natur als solche ist in diesem Prozeß passiv, aus ihr werden nur die Substanzen genommen, die dann durch „Arbeit“ und „Geist“ zu wirtschaftlichen Werten werden. Die Natur erscheint in zweifacher Weise, als Ausgangspunkt und Endpunkt des wirtschaftlichen Prozesses, in einem erweiterten Kreislaufschema (7. Vortrag des Nationalökonomischen Kurses) auch das Kapital. Einmal ist es Ergebnis, Folge des Prozesses (des Agw), andererseits dient es auch wiederum der weiteren Werterzeugung.

[Beiträge, Jahrgang 18, Heft 28, Seite 48]

 

Vergleichen wir dieses Schema mit den ersteren.

  1. Die Polarität Produktion und Konsumtion ist hier der eigentliche Prozeß, der wiederum nicht durch eine Polarität bewirkt wird, sondern durch eine „Trinität“.
     
  2. Im Prozeß kreisen nicht Waren und Dienstleistungen, Geld und „Leistungen der Produktionsfaktoren“, aber auch nicht "Fähigkeitswerte" und Rechte, sondern wirtschaftliche Werte. Man kann auch sagen Waren, wenn man dabei nicht ihre Substanz (Holz, Kohle, Kartoffeln etc.), sondern ihren wirtschaftlichen Wert im Auge hat, also etwas, was auf dem Markt dann seinen Ausdruck im Preis erhält.
     
  3. Da reine Dienstleistungen, d.s. Dienstleistungen, deren Wert nicht in Warenwerte eingeht (z.B. Steuerberatungskosten für einen Privatmann im Gegensatz zu solchen für einen Wirtschaftsbetrieb, der die Kosten in die Warenpreise einkalkuliert), nicht einem Prozeß des Entstehens und Vergehens unterliegen, losgelöst vom Menschen, sind sie nicht in diesem Schema enthalten. Sie gehören nicht zum Bereich der modernen, arbeitsteiligen, interdependenten Wirtschaft, sondern spielen sich lediglich im — wirtschaftlich gesehen — Konsumbereich als Umschichtungen von Konsumeinkommen oder als Schenkungen von Kapital ab. Das gilt für die gesamten Leistungen des Kulturlebens und des Staates.
     
  4. Damit entfallen alle Tautologien. Es treten dafür vielleicht Abgrenzungsschwierigkeiten auf, die es aber bei den vorhergehenden Schemata auch gibt.
     
  5. In diesem Kreislaufbild gibt es keine Gegenläufigkeit z.B. von Waren und Geldstrom. Diese Gegenläufigkeit ist zweifellos sehr problematisch zwischen Leistung und Einkommen (auf der rechten Seite der ersteren Schemata), also auch bei Schmundt. Das Recht auf wirtschaftliche Güter ergibt sich nicht — und selbst heute nur bedingt — aus der eigenen Leistung, sondern aus der Tatsache der physischen Existenz. Es ist ein Existenzrecht und kein Leistungsrecht. Der Antrieb zur Leistung sollte, wenn er menschenwürdig sein will, aus anderen, sozialen Motiven kommen. Auf dem Warenmarkt dagegen ist eine solche Gegenläufigkeit sicher vorhanden, jedoch nicht wertmäßig. Wie Schmundt sehr richtig bemerkt, ist Geld, mit dem Waren gekauft wurden, als Kaufgeld wertlos. Insofern gibt es in einem reinen wirtschaftlichen Wertkreislauf keine Gegenläufigkeit.
     
  6. Die Produktionsfaktoren stehen im Steinerschen Kreislaufbild außerhalb, im ersteren Schema sind sie ein Teil des Kreislaufes, bei Schmundt befindet sich offensichtlich der Produktionsfaktor Arbeit und Geist im Fähigkeitenstrom, dagegen Natur und Kapital im Produktionspol.

    Danach sind die Produktionsfaktoren nach Steiner selbst keine wirtschaftlichen Werte, d.h. sie können auch keinen Preis haben, sind nicht zu kaufen und zu verkaufen. Wenn es heute — in der kapitalistischen Wirtschaft — anders ist, so bedeutet das einen Krankheitsprozeß im wirtschaftlichen Organismus. In welchem Verhältnis stehen dann die Produktionsfaktoren zum wirtschaftlichen Werteprozeß? Boden und Kapital müssen in die Verfügung der Fähigen kommen. Diese Übertragung ist ein Rechtsvorgang. Auch unter welchen Bedingungen zu arbeiten ist, ist rechtlich — und nicht ökonomisch — zu regeln.

    Nicht der Mensch oder menschliche Fähigkeiten kreisen im sozialen Organismus. Wenn das der Fall wäre, wäre der Mensch eine Zelle oder ein Rädchen in einem Ganzen. Das widerspricht dem Wesen des Menschen als einem Freiheitswesen. An dieser Stelle wird ein wesentlicher Unterschied zwischen dem sozialen und dem biologischen Organismus deutlich.
     
  7. Das Schema von Steiner stellt einen rein zeitlichen Prozeß dar, der räumlich überhaupt nicht vorstellbar ist. Das ist nun wohl auch ein Grund, warum dieser Kreislauf bis heute so schwer verstanden wird.

[Beiträge, Jahrgang 18, Heft 28, Seite 49]

 

So lange man ihn nur „von außen“ „betrachtet“, bleibt er tot. Steiner macht, bevor er diesen Kreislauf bringt, eine methodische Bemerkung: Das Wirtschaftsleben könne man nicht verstehen, solange man es nur, gleichsam wie ein Chemiker die Prozesse in der Retorte, von außen betrachtet. Man muß in die Retorte sozusagen hineinschlüpfen und selber die Verwandlungen des Stickstoffs, Sauerstoffs etc. mitmachen.

Wir haben es im Wirtschaftsleben nicht mit einem naturwissenschaftlichen Phänomen zu tun, sondern mit einem sozialen, das durch Menschen bewirkt wird. Wenn wir es von außen betrachten, wird es zum Objekt, losgelöst vom Betrachter. Der Betrachter steht gleichsam über dem Geschehen. Dadurch kann er es beherrschen. Nur aus diesem Grunde tritt auch die Tendenz zur Quantifizierung auf. Quantifizierbare Prozesse lassen sich von außen steuern. So führt notgedrungen die naturwissenschaftliche Betrachtungsweise zur „Beherrschung“ des Wirtschaftslebens durch eine außerhalb stehende Instanz, in diesem Falle den Staat. Jede „Steuerung“ sozialer Prozesse von außen macht aber die beteiligten Menschen zu Objekten der Steuerung und damit unfrei. So erweist sich die naturwissenschaftliche Methode in der Sozialwissenschaft als im tiefsten Sinne inhuman, unmenschlich.

Um soziale Prozesse zu durchschauen, muß man in ihnen drinnenstehen, und jede Steuerung darf nur von den Beteiligten erfolgen, nicht durch einen Marktmechanismus oder irgendwelche „Instanzen“.

Zum Schluß noch einige Gedanken zum Problem des Urbildes. Was sind Urbilder und mit welcher Denkmethode findet man sie? Ein Urbild ist nicht nur ein Prinzip, das verschiedenen Erscheinungsformen zugrunde liegt, sondern es ist zugleich eine wirkende Kraft, die die verschiedenen Erscheinungsformen hervorbringt. Die „Urpflanze“, die Goethe „entdeckt“ hat, ist sowohl das Bildungsprinzip aller Pflanzen, nicht nur der bestehenden, sondern auch möglicher neuer Pflanzen, und es ist die bewirkende Formkraft in jeder Pflanze. Die Urpflanze ist zwar beschreibbar (sie ist „Blatt“, das sich in Ausdehnung und Zusammenziehung zur Erscheinung bringt, also in einem rhythmischen, sich steigernden Prozeß), aber sie ist nicht vorstellbar. Da sie als „Urbild“ alle möglichen Pflanzenformen in sich enthält oder genauer: alle möglichen Pflanzenformen ist, kann sie selber keine bestimmte Form haben. Sie ist lebendig, „Gestaltung, Umgestaltung, des ewigen Sinnes ewige Unterhaltung“, wie sie Goethe im Faust beschreibt. Das gilt natürlich auch für soziale Urbilder. Und da das Wesen alles Sozialen der Mensch ist, müssen soziale Urbilder in irgendeiner Form das Wesen des Menschen wieder-spiegeln.

Nun ist unmittelbar einleuchtend, daß sich in der „Trinität“ von Natur, Arbeit und Geist (Kapital) die leibliche, seelische und geistige Wesenheit des Menschen widerspiegelt und in den sie verbindenden Prozessen auch wirksam ist. Schmundt's Schema erinnert auf den ersten Blick mehr an die „Dreigliederung“ des physischen Leibes, wobei der Konsumpol dem Kopfsystem (Nerven-Sinnes-Prozesse) und der Produktionspol dem Stoffwechselsystem entspricht. Leider geht aus den die Pole verbindenden Strömen gar nicht hervor, wie weit sie rhythmischer Natur sind. Zur Darstellung rhythmischer Prozesse diente schon immer das Bild der Lemniskate. Vielleicht würde die sich damit ergebende Darstellung manche Mißverständnisse ausräumen:

[Beiträge, Jahrgang 18, Heft 28, Seite 50]

 

Damit würde auch deutlich, daß Schmundt keinen reinen Wirtschaftsprozeß, sondern die ganze Dreigliederung meint. Das zeigen ja auch die rechts stehenden Bezeichnungen, die von Schmundt stammen. Die Verwirrungen entstehen immer wieder da, wo diese Unterscheidungen nicht deutlich sind. Die wirtschaftlichen Bezeichnungen der Pole tragen ebenfalls zu der Verwirrung bei. Vielleicht sollte man das ganze Bild auf drei Ebenen sehen, einer wirtschaftlichen, dann stellen die Ströme Waren- und Geldprozesse dar, einer rechtlichen, dann handelt es sich um Berechtigungs- und Verpflichtungsprozesse und einer geistigen, wo die Ströme Fähigkeiten und Tätigkeiten darstellen. Damit würde sich auch die so störende Identifizierung des Geldstromes mit Rechtsbegriffen auflösen.

[Beiträge, Jahrgang 18, Heft 28, Seite 51]

 

Anmerkungen

[1] Die Modifizierungen dieses Grundtatbestandes z.B. durch Keynes, der die Ausgaben in Konsumausgaben und Sparen unterteilt und die Produktion in eine solche von Konsumgütern und Investitionsgüter, ist für diese methodische Betrachtung nicht wesentlich.

[2] z.B. S. 53ff; siehe Besprechung in Heft 26 dieser „Beiträge“

[3] siehe z.B. Wilhelm Schmundt: Revolution und Evolution S. 37ff. (sowie die Abbildungen im Beiheft; edition dritter weg, Achberg 1973). Die folgenden Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf dieses Kreislaufschema und beinhalten kein Urteil über andere Darstellungen von Wilhelm Schmundt.

Quelle

Beiträge zur sozialen Dreigliederung, Jahrgang 18, Heft 28, Juni 1976, S. 41-51