Gedanken zur Zukunft der Arbeitsgemeinschaft

01.05.1973

Quelle
Zeitschrift „Beiträge zur Dreigliederung des sozialen Organismus“
15. Jahrgang, Heft 23, Mai 1973, S. 37–40
Bibliographische Notiz

Neben all dem Schönen und Erfreulichen, das uns unsere erste Ständige Konferenz gebracht hat, hörte man doch auch hie und da Fragen auftauchen wie: soll das, was sich hier abspielt, Inhalt der Ständigen Konferenz sein? Leidet nicht der Einsatz für das eigentliche Ziel unter all dem Formellen? Sind wir mit dieser Art Konferenzen eigentlich auf dem richtigen Weg?

Als wir im Oktober zum erstenmal zusammen waren, war es ja selbstverständlich, dass im Ringen um einen, wenn auch noch so lockeren, Zusammenschluss in einer Arbeitsgemeinschaft, einerseits das Formelle dominieren musste, andrerseits aber die Bewusstseinsbildung in Sachen Formgebung hinter dem Willensentschluss herhinkte. Jeder trug eben in die Prinzipien nur so viel hinein, wie er dem andern zumuten konnte; da wurde, sehr weise, viel zurückgehalten. Wo aber die Anforderungen, die man an eine Zusammenarbeit stellte, hingehören, wurde kaum erörtert, sodass unwillkürlich, nämlich nach altem Rezept, beinahe alles in die Ständige Konferenz hineingeheimnist wurde.

Nun bin ich der Überzeugung, dass die heutige Struktur nicht nur unpraktisch ist und auf die Dauer statt aufbauend retardierend wirken dürfte. Wichtiger noch kommt mir vor, dass eine Menschengruppe, die sich bis in die Öffentlichkeit hinein für die Dreigliederung einsetzen will, es sich einfach nicht erlauben kann auf eine Art organisiert zu sein, die den Gesetzmässigkeiten, auf denen die Dreigliederung des sozialen Organismus beruht, widerspricht.

Während der Beratungen wurde einige-male die Ständige Konferenz mit der Lehrerkonferenz verglichen. Der Vergleich stimmt, wenn man sie dazu machen will, das heisst, wenn man sie als das Organ des Geisteslebens innerhalb der Arbeitsgemeinschaft betrachtet. Hier sollte der Tisch sein, auf den jeder Teilnehmer seine Gaben legt: was er sich erarbeitet hat über die Dreigliederung, seine Schwierigkeiten, seine Erfahrungen. Nicht hier sollte man sich 'zusammenraufen', hier sollte man einander in aktiver Toleranz erleben und Kritik sollte hinter dem Ringen um Verständnis für an sich Fremdes zurückstehen. Daraus bilden sich Willensimpulse um die eigene Arbeit zu stärken und

[Beiträge, Mai 1973, S. 37]

zu vertiefen. Wenn das gelingt, dann werden sich aus der Ständigen Konferenz heraus Arbeitsgruppen bilden, die der naturgemässe Ort sind, um sich – über Spezialprobleme, über Methodisches, über Fragen des Vorgehens – zusammenzuraufen. Die Ständige Konferenz selber sollte also weder ein Forum sein, auf dem der bessere Redner den weniger guten kleinkriegt, noch ein Konzil, aus dem Dogmen hervorgehen. Sie soll ja jeden frei lassen, so wie die Pädagogische Versammlung einer Waldorfschule den individuellen Lehrer in seiner pädagogischen Aufgabe frei lässt. Das bedeutet aber auch, dass in dieses Organ eine Entschlussbildung, welcher Art auch immer, überhaupt nicht hineingehört.

Nun ist wohl deutlich, dass die Mehrzahl der im Februar ins Humboldthaus gekommenen Freunde nicht an erster Stelle diese Erwartungen mit sich trugen. Die meisten suchten die menschliche Begegnung mit bekannten und noch unbekannten Dreigliederern – etwas von dem, das der Sehnsucht der jüngeren Generation nach einem Happening zu Grunde liegt: dass aus der rein menschlichen Begegnung heraus etwas geschieht. Für dieses soziale Erlebnis muss regelmässig Raum geschaffen werden, auch das muss vorbereitet und begleitet werden. Die Auffassung, dass es ja zwischen den Sitzungen genügend Zeit für die Begegnung gäbe, wird diesem legitimen Verlangen nicht gerecht. Gewiss sollte aus dem geistigen Bereich und aus der Praxis der Ausführung Begeisterndes in die Gesamtzusammenkünfte hineingetragen werden, doch nicht als Leistungen an sich, sondern als einen Grundton für das Primäre der menschlichen Begegnungen.

'Vollversammlungen' (ich habe immer etwas Mühe mit solchen anspruchsvollen Ausdrücken) dieser Art sollten das Rechtsorgan der Arbeitsgemeinschaft sein. Und genau so, wie im sozialen Alltag nur selten das Rechtliche bis an seine Grenzen, das Gesetzliche, vorgeschoben wird, so sollte auch die 'Gesetzgebung' innerhalb des Rechtslebens und des Rechtsorganes der Arbeitsgemeinschaft eine ganz nebensächliche Angelegenheit sein. – Natürlich, eine Art 'Verfassung' soll es geben, eine Struktur, die uns eine Hilfe zum Selbstverständnis sein kann. Aber die kann ja nicht vorgeplant werden; die muss aus diesem Selbstverständnis erst erwachsen. Und was weiter nötig ist, betrachte man als Spielregeln unter Freunden, nicht als todernste juristische Aufgaben. Misstrauen ist ein ganz überflüssiger Rat-

[Beiträge, Mai 1973, S. 38]

geber bei dem Verfassen von Regeln, denn wenn es so weit ist, dass man sich darauf beziehen wollte, kann man besser die Zusammenarbeit aufgeben. Und gar bösem Willen sind die besten Satzungen nicht gewachsen. – Ich möchte nur ganz persönlich bemerken, dass mir diese Prinzipien- und Geschäftsordnungsgespräche ein Grauen waren: allseits das Bemühen noch einen Fall zu entdecken, der sich womöglich einmal vortun könnte und den der vorgeschlagene Text nicht deckt. Es ist mehr als eine eitle, es ist eine sich bis ins Bösartige auswirkende Tätigkeit, wenn man Statuten schmiedet 'für die Ewigkeit'. Eine Gesellschaft die lebt, muss ihre Spielregeln alle paar Jahre erneuern, weil die konkreten Umstände und Bedürfnisse sich ändern. Und deshalb bitte: nur das allernötigste (und das gut vorbereitet) in die Vollversammlung bringen und dann mit äusserster Selbstüberwindung, ohne kluge Beanstandungen, in fünf Minuten demokratisch abstimmen. Sollte es ein Fehlgriff sein, dann zeigt es sich bestimmt und es kommt zur nächsten Versammlung ein besserer Vorschlag. Das dürfte ja mit unseren heutigen, so mühevoll zustande gekommenen Regeln auch der Fall sein....

Mit diesen beiden Organen erschöpft sich aber die Arbeitsgemeinschaft nicht, wenn auch, wie so oft in anthroposophischen Kreisen, das dritte Gebiet etwas stiefmütterlich behandelt wird. Und doch ist es wichtiger als Gesamtaussagen, da es die organisatorisch-wirtschaftlichen Grundlagen für Initiativen hergeben muss: ein Ausführungsorgan, das man mit einem Wirtschaftsorgan vergleichen dürfte. – Gewiss, es wurde gesprochen über unsere Geschäftsstelle; über eine Kartei; über ein Mitteilungsblatt. Ganz bestimmt sollten wir sehr zufrieden sein mit dem, was Bochum bis heute schon leistete. Aber wir sollten auch Ideen haben zu dem, was aus einer Geschäftsstelle wachsen könnte. Hier sollte und könnte sich ein umfassendes Dienstleistungsorgan bilden, das jedes Mitglied der Arbeitsgemeinschaft beanspruchen darf; sozusagen ein Nerven-Sinnessystem, mit dem wahrgenommen wird, was in der Welt vorgeht, wo zusammengetragen wird, was die Mitglieder in der Welt sammeln; eine Dokumentation also einerseits, die jedes Mitglied für seinen Zweck informiert, schlagkräftiges Auftreten möglich macht; andrerseits auch die Stelle, die die äusseren Wege für so ein Auftreten ebnet, indem sie als eine Art Impressariat auftritt für jedes Mitglied, das gewillt ist, die mit seinen Wünschen verbundenen Kosten zu tragen. Obwohl selbstver-

[Beiträge, Mai 1973, S. 39]

ständlich, möchte ich für diejenigen, die fürchten kompromittiert zu werden, noch hinzufügen: die Verantwortung für eine Aktion wird damit nicht übernommen. Diese kann und soll vom 'Impressariat' weder verantwortet noch beurteilt werden – gerade so wenig wie das Krächzen der Prima Donna von der Konzertagentur.

Die Verführung ist gross, diese Strukturbeschreibung in ihren Möglichkeiten weiterzuführen, die dazu gehörigen Geldströme zu umreissen, usw. Aber es soll bei einer Anregung bleiben, die also zu Für- oder Widerspruch anregen möchte.

Nur noch ein letztes Wort an die weisen Statutenbastler in Bochum. Ich habe mich den praktischen Argumenten, die für einen e.V. sprechen, gebeugt. Aber bitte: nicht mehr als unbedingt nötig ist. Lasst das Haus offen! Das bedeutet auch und sehr im besonderen: wir wollten keinen Vorstand; ihr seid als Juristen ganz bestimmt im Stande um den gesetzlich vorgeschriebenen Vorstand durch die Hintertüre wieder ebenso gesetzlich verschwinden zu lassen. "Ich betrachte das Vorhandensein von Statuten, von Statutarischem als ein notwendiges Übel gegenüber der Aussenwelt, aber als den Fluch jeden gesellschaftlichen Wirkens, das auf lebendigem Zusammenwirken basieren muss" – so R. Steiner in 1917, zitiert bei Karl Heyer, Menschheitsfragen der Gegenwart (1927), S. 119.

[Beiträge, Mai 1973, S. 40]