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Die oberschlesische Aktion 1920/21 für die Dreigliederung des sozialen Organismus
Quelle
Zeitschrift „Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland“
16. Jahrgang, Ostern 1962, Nr. 59, S. 33–38
Bibliographische Notiz
Im Spätjahr 1920 – es muß im November gewesen sein – ging bei der Geschäftsstelle des Bundes für Dreigliederung des sozialen Organismus in Stuttgart, bei der ich damals als Mitarbeiter tätig war, ein Schreiben der Ortsgruppe Breslau des Bundes ein,
[Mitteilungen, Nr. 59, Ostern 1962, Seite 33]
in welchem ein wichtiger Vorschlag gemacht wurde. Es wurde etwa folgendes ausgeführt:
Die damals bevorstehende (auf den 20. März 1921 festgesetzte) Abstimmung der Bevölkerung von Oberschlesien über die Frage, ob dieses namentlich industriell wichtige, der Nationalität der Einwohner nach teils von Deutschen, teils von Polen bewohnte Gebiet bei (dem Einheitsstaat) Deutschland verbleiben oder dem neu gegründeten Einheitsstaat Polen zugeteilt werden solle, könne nicht zu einer wirklichen Lösung der oberschlesischen Frage führen. Eine solche Lösung sei nur im Sinne der sozialen Dreigliederung zu erreichen, d. h. durch selbständige Gestaltung der geistig-nationalen, der rechtlichen und der wirtschaftlichen Lebensbeziehungen und Zusammenhänge. Es sei unsere Sache, diese Lösung in Oberschlesien zur Verhütung weiteren Unheils in der Öffentlichkeit zu vertreten. Die schlesischen Freunde der Dreigliederung seien bereit und geneigt, eine großangelegte Aktion, die dieses zum Inhalt haben solle, durchzuführen. Sie baten die Leitung des Bundes für Dreigliederung des sozialen Organismus um Stellungnahme zu dieser ihrer Anregung und Initiative und gegebenenfalls um Mitwirkung und Hilfe. Das Schreiben war meiner Erinnerung nach unterzeichnet von Rektor Moritz Bartsch, dem höchst aktiven langjährigen Mitarbeiter der anthroposophischen Bewegung in Breslau und weiter Umgebung, der auch einer der tätigsten Vorkämpfer der sozialen Dreigliederung in Schlesien geworden war.
Als dieses Schreiben bei der Zentrale des Dreigliederungsbundes eintraf, befand sich Rudolf Steiner gerade in Stuttgart, und er besuchte dort u. a. auch den Bund zu Rücksprachen über dessen Arbeit in der Geschäftsstelle im Hause Champignystr. 17. Da der Leiter des Bundes in dessen Dienst damals gerade verreist war, oblag es in seiner Vertretung mir, im Beisein einiger weniger Mitarbeiter des Bundes Dr. Steiner das Schreiben der Breslauer Ortsgruppe vorzulegen.
Dr. Steiner stellte sich sofort durchaus positiv zu der Initiative der Breslauer Dreigliederer. Er bejahte sie stark. Ich erinnere mich, wie er – auch später noch – dem Sinne nach erklärte, es sei unsere Aufgabe, die soziale Dreigliederung besonders da hinzustellen, wo Entscheidungen zur Lösung der Gegenwartsfragen zu treffen seien, die sie bringen könne. Wenn wir die Dreigliederung an solche Stellen, auf welche die Augen der Welt gerichtet seien, hinstellen, dann würde die Welt dort die Dreigliederung sehen. Nun, die Augen der Welt waren eben damals durch die bevorstehende Abstimmung im höchsten Maße auf Oberschlesien gerichtet. Dr. Steiner wies zur Verdeutlichung auch darauf hin (es bleibe dahingestellt, ob sogleich bei diesem ersten Gespräch oder bald danach), daß ein solcher Fall etwa in Elsaß-Lothringen (trotz mancher an sich gegebenen Ähnlichkeiten der dortigen Problematik) nicht vorliege, und zwar deshalb nicht, weil dort anders als eben in Oberschlesien eine Entscheidung gar nicht zur Diskussion stehe, da die Zugehörigkeit Elsaß-Lothringens zu Frankreich entschieden und die Bevölkerung mit ihr einverstanden sei.
Dr. Steiner beauftragte im Laufe dieses Gesprächs den dabei anwesenden Dr. Guenther Wachsmuth und mich, einen Aufruf für eine solche oberschlesische Dreigliederungsaktion zu entwerfen. Er stellte auch klar, daß diese Aktion in Oberschlesien selbst nur von Schlesiern durchgeführt werden dürfe, damit sie nicht fälschlich als etwas erscheine, was von Landfremden von außen her nach Oberschlesien hineingetragen werde.
Dr. Wachsmuth und ich machten uns also am Nachmittag (das Gespräch hatte an einem Vormittag stattgefunden) an die Arbeit und setzten, so wie wir es konnten und verstanden, einen Aufruf auf. Diesen legten wir am nächsten Vormittag, als Dr. Steiner wieder in den „Bund“ kam, ihm vor. Ich kann mich nun nicht mehr daran erinnern, wie sich Dr. Steiner zu unserem Entwurf äußerte. Jedenfalls aber war dieser mindestens in der vorliegenden Form nicht das, was in seinem Sinne zu brauchen gewesen wäre. Rudolf Steiner verfaßte nun selbst den Aufruf. Wieder kann ich mich jetzt nach über
[Mitteilungen, Nr. 59, Ostern 1962, Seite 34]
41 Jahren leider nicht mehr daran erinnern, in welcher Weise dies geschah, ob er ihn sofort diktierte und wem? Aber an das eine weiß ich mich noch deutlich zu erinnern, weil es mir damals einen tiefen Eindruck gemacht hat: wie nämlich Dr. Steiner den genauen Gedankengang (oder war es schon die Formulierung des Textes?) des Aufrufs gleichsam sofort „da“ hatte, mit der größten Dezidiertheit vorbrachte, und zwar so, wie wenn er über das Ganze und die Einzelheiten gar nicht nachzudenken brauchte. Hatte er den Aufruf in der Nacht gleichsam heruntergeholt? Strömte es gegenwärtig in ihn ein? Alles stand auf einmal da, wie aus einem Schöpfungsprozeß, in einem Guß. [Auch Guenther Wachsmuth erinnert sich, „mit welcher verblüffenden Sofortigkeit Rudolf Steiner dann den endgültigen Text (des Aufrufs) gab“.]
Mit diesem „Aufruf zur Rettung Oberschlesiens“ des Bundes für Dreigliederung des sozialen Organismus, Ortsgruppe Breslau, wurde dann gearbeitet. [1]
Der Aufruf betonte, daß die oberschlesische Frage eine europäische Frage sei, und daß sie nur durch die soziale Dreigliederung gelöst werden könne. Oberschlesien erschien geradezu als ein Schulbeispiel für die Notwendigkeit der sozialen Dreigliederung. Der Aufruf lief darauf hinaus, die Einwohner Oberschlesiens aufzufordern, ihr eigenes Land provisorisch im Sinne der Dreigliederung einzurichten bzw. dies als Forderungen bei der damals dort regierenden Entente-Kommission durchzusetzen, die Angliederung Oberschlesiens an einen angrenzenden Staat (also Deutschland oder Polen), auf welche eben die Abstimmung abzielte, aber abzulehnen, bis dort selbst ein Verständnis für die Dreigliederung erweckt sei.
Dr. Steiner erklärte sich bereit, den schlesischen (Breslauer) Mitarbeitern, die als Redner in den in Oberschlesien abzuhaltenden großen öffentlichen Versammlungen tätig sein wollten, einen Kursus von Vorträgen zur Erörterung der dabei wichtigen Gesichtspunkte zu geben. Zu diesem Zweck kamen sie nach Stuttgart. Es waren die Freunde Franz Alwes, Erhard Bartsch jun., Moritz Bartsch sen., Ernst Behschnitt, Richard Dürich, Walter Mayen und Wilhelm Scheer. Für sie und einige andere Mitarbeiter fand am 1. und 2. Januar 1921 in Stuttgart der sogenannte oberschlesische Kursus statt. [2]
Dabei spielte insofern noch ein Mißverständnis eine Rolle, als Rudolf Steiner geglaubt hatte, die Schlesier würden etwas länger in Stuttgart sein können. Als sie kamen, stellte sich aber heraus, daß sie nur einige ganz wenige Tage bleiben konnten. Hieraus erklärt sich die sonst kaum zu begreifende Kürze des oberschlesischen Kursus, der nur aus 2 Vorträgen mit einer Fragenbeantwortung bestand. Die ganze Angelegenheit stand unter äußerstem Zeitdruck im Hinblick auf das feststehende Datum (20. März 1921, s. oben) der Abstimmung, zu der es ja nicht hätte kommen dürfen, wenn die Aktion zu ihrem Ziele führen sollte.
So reisten die schlesischen Dreigliederer wieder in ihre Heimat zurück, um alsbald ihre Aufklärungs- und Werbetätigkeit zu beginnen.
Sie führten mit großem Enthusiasmus und vieler Hingabe die Aktion durch, aber die Hoffnungen, mit denen sie hinausgezogen waren und mit denen wir „Stuttgarter“ sie begleiteten, [3] sollten sich nicht erfüllen. Zwar hatten sie volle Säle in Oberschlesien, in denen sie sprachen (je einer unserer Freunde wirkte als Versammlungsleiter, der andere als Redner), aber sie kamen mit der Aktion in eine Situation hinein, die man wohl nicht mit Unrecht als einen wahren Hexenkessel bezeichnen könnte. Derart waren bereits von beiden Seiten, deutscher und polnischer, die nationalen und sonstigen
[Mitteilungen, Nr. 59, Ostern 1962, Seite 35]
Leidenschaften aufgepeitscht worden, daß die Stimme der Vernunft und der Wahrheit nur von verhältnismäßig Wenigen gehört und aufgenommen wurde.
„Warum seid ihr nicht früher gekommen?“, wurden die Träger der Aktion z. B. von Einsichtigen beider Parteien gefragt, „es ist ja alles so verhetzt, daß man sich nicht mehr an einen Tisch setzen kann“. Andere meinten, man hätte sich mit dem Dreigliederungsvorschlag zunächst an die Arbeiterführer wenden müssen.
„Besonders in Grenznähe“, lesen wir weiter in dem Bericht (von Franz Alwes), „bestanden schon verworrene Zustände. Es konnte z. B. zu einem solchen Verlauf einer Versammlung kommen: Der Saal war, wie bei allen Vorträgen, voll. Hinten standen noch viele Menschen gedrängt. Die drei ersten Stuhlreihen waren unbesetzt, was seinen Grund hatte. Im Saal befindet sich nämlich ein Störungstrupp. Er besteht aus einem nüchternen Anführer und einem Dutzend alkoholisierter Burschen.“
Saalschlachten entwickelten sich dann des öfteren.
In einem anderen Bericht (von Richard Dürich) heißt es für die Art, wie es in den Versammlungen zuweilen auch zugehen konnte, wieder anders charakteristisch: „Als wir (in Ratibor) in den gut besetzten Saal (ca. 300 Menschen) hineinkamen, standen links vom Eingang an der Wand, nahe dem Rednerpult, 1 Dutzend handfester Gestalten. Uns wurde gesagt, daß dies die Aufräumer wären, die zumeist gleich nach Beginn mit Gewalt alles wegräumen würden. Sie wurden als Kommunisten bezeichnet. Es waren die ersten, die sich in die Arbeitsgruppe für Dreigliederung eintrugen, nachdem sie still der Rede und der Aussprache gelauscht hatten.“
Dr. Guenther Wachsmuth, der (eine Ausnahme von der oben erwähnten Regel!) als Nicht-Schlesier ebenfalls in Oberschlesien zu sprechen hatte, erinnert sich als eines charakteristischen Zuges, daß ihm bei der Ankunft von den Veranstaltern, also wohl Rektor Bartsch und seinen Mitarbeitern, dringlich gesagt wurde, daß das Erste und Wichtigste bei dem Betreten des Vortragssaales in Oberschlesien sei, sich als Redner vor allem darüber zu orientieren, wo die nächste Tür beim Rednerpult sei, als Fluchtmöglichkeit, weil Kampffreudige aus beiden nationalen Lagern meist nach kurzer Zeit mit Stühlen auf den Redner losgingen ...
Unsere erbittertsten Gegner, heißt es wieder in einer anderen Schilderung, waren die sogenannten „Heimattreuen“ (Oberschlesier), also die Vertreter des nationalistischen Prinzips.
Alles in allem gelang es nicht, eine Volksbewegung für die Dreigliederungslösung in Gang zu bringen, die notwendig gewesen wäre, um der Aktion wirkliches Gewicht zu verschaffen.
Nicht in Oberschlesien selbst, aber im „Reich“ (in Göttingen) wurde von „alldeutsch“ denkenden Leuten gegen die oberschlesische Dreigliederungsaktion der sinnlose Vorwurf des „Landesverrates“ erhoben, ein Vorwurf, den ausgerechnet die „Frankfurter Zeitung“ (!) aufnahm, um ihn freilich sehr bald ausdrücklich fallen zu lassen. Aber da hatte er schon gewirkt. [4] So hatte man es damals schon mit den geistigen Ahnen oder Vorgängern des Nationalsozialismus zu tun, ein Vorgang, der einer tiefen inneren „Logik“ nicht entbehrt.
Die Tragik der Menschengruppe unter unseren Freunden, welche mit warmherzigem Enthusiasmus die Aktion in Oberschlesien trugen, die bittere Enttäuschung, die sie erlitten, wird in einem Brief über jene Zeit als ein menschlich ergreifendes Phänomen hervorgehoben ...
Im Grunde war freilich das äußere Scheitern des hochgemut Unternommenen gewiß nichts weniger als erstaunlich. Nach menschlichem Ermessen hätte schon fast ein Wunder
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geschehen müssen, wenn die Aktion ihr angestrebtes äußeres Ziel in Oberschlesien hätte erreichen sollen, angesichts der ungeheuren Widerstände auf der einen Seite und unserer eigenen schwachen Kräfte auf der anderen. Bei letzterem wie bei der ganzen Dreigliederungsbewegung von 1919 an überhaupt spielte eine große Rolle natürlich auch die unzulängliche Vorbereitung unserer eigenen Mitarbeiter, die sich in der Lage befanden, für etwas öffentlich eintreten zu müssen, von dem sie selbst nur ein anfängliches Verständnis haben konnten: die soziale Dreigliederungsidee.
Aber „Die Dreigliederung kann nicht warten, anders als Anthroposophie, die warten kann“; so hatte uns Rudolf Steiner immer wieder eingeschärft. Und so mußte denn das Notwendige, d. h. das geschehen, was durch die unmittelbar gegenwärtige Zeitlage objektiv gefordert war, von der es mindestens Rudolf Steiner selbst klar war, daß sie nur kurze Zeit andauern werde, eine Zeit, die man eben nicht ungenutzt verstreichen lassen durfte. In dem Maße, wie sich die Verhältnisse wieder relativ konsolidierten, war die Möglichkeit eines Wirkens im größeren öffentlichen Stil nicht mehr gegeben. An jener Diskrepanz zwischen unseren Aufgaben und unseren eigenen Möglichkeiten aber haben viele von uns schwer gelitten.
Aber mit dem, was 1919–1921 für die soziale Dreigliederung geschehen ist, d. h. aktiv erstrebt wurde – und dazu gehört eben auch die Aktion in Oberschlesien von Anfang 1921 –, ist eben doch trotz allem tragischen Scheitern ein Keim in das Erdreich der geschichtlich-sozialen Entwicklung gelegt worden, und dieser lebt weiter und muß gepflegt werden.
Die Realität dieses Keimlegens war es wohl auch im tieferen Sinne, was neben allen Hoffnungen auf äußere baldige Verwirklichung uns „Dreigliederer“ damals beseelte und den großen Enthusiasmus hervorrief. Ich erinnere mich, wie noch viele Jahre später, nach dem Scheitern, unser Freund Anton Deutzmann, der langjährige Leiter des anthroposophischen Zweiges Barmen, mit innerer Wärme einmal zu mir sagte, die Dreigliederungszeit sei doch die schönste Zeit seines Lebens gewesen, denn damals habe man sich doch mit Enthusiasmus großen Weltaufgaben widmen können! Etwas von diesem Enthusiasmus klang in ergreifender Weise noch nach in seinen Worten. Und so haben es viele erlebt und empfunden. Und wenn viele von uns später das bittere Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit und des eigenen Versagens vor den freilich gewaltigen Aufgaben niederdrücken wollte, so durfte man sich doch wohl des alten Wortes erinnern, das da besagt: „In magnis voluisse sat est“: in großen Dingen genügt es, gewollt zu haben ...
Wann wird der Keim, der damals gelegt wurde, aufgehen? Wann wird eine frühlinghafte Weltenzeit dies ermöglichen?
Vielleicht darf ich hier, da ich um persönliche Erinnerungen gebeten worden bin, von einem Bilde berichten, das sich mir schon sehr bald nach dem Scheitern der Dreigliederung immer wieder vor die Seele stellte und von dem ich inzwischen öfter zu Freunden sprechen konnte: Wenn ein Eisbrecher sehr starkes Eis zu brechen hat, dann ist es oft so, daß er nicht gleich beim ersten Anrennen gegen das Eis durchkommt; er ruft wohl Risse und Spalten im Eise hervor, aber dieses „hält“ doch noch und hindert die Weiterfahrt. Dann muß der Eisbrecher wieder ein Stück zurückfahren und ein zweites, ja vielleicht ein drittes Mal oder noch öfter gegen das Eis vorstoßen, bis es so weit geborsten ist, daß eine Fahrrinne frei wird.
Wäre es vernünftig, zu sagen, das erste Anrennen gegen das Eis sei vergeblich gewesen? Es hat in Wahrheit die Voraussetzung dafür geschaffen, daß das zweite oder dritte zum Ziele führen kann. Mit anderen Worten die verschiedenen Vorstöße müssen als ein einheitlicher Prozeß betrachtet werden, der sich in Etappen vollzieht.
Das einheitsstaatliche Eis hat seit 1919 viele und tiefe Risse erhalten. Es ist weitgehend geborsten, und es erweist sich seit langem als immer weniger „tragfähig“.
[Mitteilungen, Nr. 59, Ostern 1962, Seite 37]
Dreimal auch muß es bekanntlich im Goetheschen „Märchen“, das ja tief zu tun hat mit den in der Menschheit des 5. nachatlantischen Zeitalters werden wollenden sozialen Zuständen heißen: „Es ist an der Zeit“, ehe das Entscheidende geschehen kann.
Man kann das ganz konkret-historisch nehmen:
Das erste Mal ertönte der Ruf am Ende des 18. Jahrhunderts aus den Ereignissen der großen Französischen Revolution, als das Ideal von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zwar erklang, aber mißverstanden und ins Gegenteil verkehrt wurde. [5]
Das zweite Mal tönte der Ruf „Es ist an der Zeit“ gewaltig durch das gesamte welthistorische Wirken Rudolf Steiners, für das hier Gemeinte besonders 1917/19. Er wurde im größeren Stile nicht gehört. Die unmittelbare „Quittung“ dafür waren Hitler, der Nationalsozialismus und das „Dritte Reich“ und die weitere zunehmende Chaotisierung und Bedrohung der am West-Ost-Gegensatz kranken Welt.
Für das dritte Mal, da der Ruf durch die Zeitereignisse erklingen wird, vorbereitend zu wirken, ist jetzt unsere offenkundige Aufgabe. Sie besteht darin, daß jeder in der Situation, in der er sich befindet, das ihm allein und im Zusammenwirken mit anderen jeweils Mögliche wirklich tue. Davon wird weitgehend abhängen, was geschieht, wenn zum dritten Mal der Ruf ertönt.
Wann wird das sein? Am Ende des 20. Jahrhunderts?
Anmerkungen
[1] Er ist neuerdings abgedruckt worden in Rudolf Steiner, „Aufsätze über die Dreigliederung des sozialen Organismus und zur Zeltlage, 1915–1921“, Domach 1961, Seite 461_ 467.
[2] Vgl. Hans Schmidt „Das Vortragswerk Rudolf Steiners“, Dörnach 1950, Nr. 4332, 4336.
[3] Vgl. z. B. meinen im Januar 1921 geschriebenen Aufsatz „Der Weg zur Lösung der oberschlesischen Frage“ In der Wochenschrift „Dreigliederung des sozialen Organismus“, 2. Jahrgang, Nr. 31
[4] Vgl. hierzu viele Beiträge In den Nummern der Stuttgarter Wochenschrift „Dreigliederung des sozialen Organismus“ aus jenen Monaten von 1921 sowie auch mein Büchlein „Wie man gegen Rudolf Steiner kämpft“, Stuttgart 1932, Seite 83/84.
[5] Vgl. mein Buch „Die Französische Revolution und Napoleon“, Manuskriptdruck Kreßbronn (Bodensee) 1953.
[Mitteilungen, Nr. 59, Ostern 1962, Seite 38]