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Eine sozialpädagogische Arbeit in Holland
Quelle
Zeitschrift „Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland“
12. Jahrgang, Johanni 1958, Nr. 44, S. 81–82
Bibliographische Notiz
Auf Bitte der Schriftleitung möchte ich in aller Kürze berichten, welche Arbeit in Holland durch eine Gruppe von Anthroposophen in der Industrie und im Gewerbeunterricht geleistet wird.
Persönlich war ich von 1931 bis 1950 ausschließlich beschäftigt mit der Leitung eines heilpädagogischen Instituts und der Praxis eines Psychiaters. Um 1950 herum kamen von befreundeter Seite aus der Industrie immer mehr Ansuchen um Beratung und Hilfe in den Schwierigkeiten, die entstanden waren zwischen den jüngeren Arbeitern und den Vorkriegs-Meistern. Es entstand ein immer tieferer Einblick in die Seelennöte der jungen Arbeiter und in die Schwierigkeiten in den menschlichen Verhältnissen überhaupt.
Damit eine pädagogisch-therapeutische Arbeit systematisch ausgebaut werden konnte, wurde von der Industrie im Jahre 1954 erstens das N.P.I. gegründet (Niederländisches Pädagogisches Institut für das Betriebsleben), zweitens in der ökonomisch-sozialen Fakultät in Rotterdam ein Lehrstuhl für Sozial-Pädagogik eingerichtet. In der N.P.I. konnte außer mir eine Gruppe von zehn jüngeren anthroposophischen Sozialwissenschaftern (Soziologen, Ökonomen, Psychologen und ein Diplomingenieur) arbeiten.
Aufgabe dieser Gruppe war, aus den eigenen Hintergründen, dort zu helfen, wo Hilfe gebraucht wurde.
Wo hat das Institut bis jetzt gearbeitet?
Sechs Mitarbeiter haben sich ganz der Erneuerung der Berufserziehung gewidmet. Einmal handelt es sich um eine Erneuerung der Gewerbeschulen, die in Holland zweijährig einen Vollunterricht geben, bevor der Lehrling in Betriebe kommt; eine Riesenaufgabe, denn etwa 120 Schulen mit 2400 Lehrern mußten persönlich erreicht werden. Dazu kommen jeden Montag 2 Gruppen von 12 Lehrern für eine Woche ins Institut und arbeiten die Woche durch mit den Mitarbeitern des Instituts in freien Gesprächen über die Aufgaben des Unterrichtes.
Direktoren der Schulen und Leiter der Gesprächsgruppen in den Schulen kommen noch einmal zurück für eine Woche. Dann gehen unsere Mitarbeiter in die Schulen, um durch Lehrergespräche an Ort und Stelle zu helfen und mit ihnen die Unterrichtsprobleme zu erarbeiten. Daneben wurde dann bei den Lehrlingsausbildungen in den Betrieben geholfen und an Ort und Stelle beraten.
Eine gesonderte Arbeit ist der Teilunterricht für junge ungelernte Arbeiter, die nicht in einer Berufsschule waren. Das Entwerfen von Lehrplänen, das Einarbeiten von Lehrern, die regelmäßige Betreuung dieser Schulen für allgemeinbildenden Teilunterricht (ein halber Tag in der Woche für Jungen von 15—17 Jahren) verlangt viel Phantasie und Hingabe. Die Einführung einer künstlerischen Handarbeit ist besonders schwierig, da man nicht genügend Lehrer hat, die eine verantwortlich freie Formgebung verstehen.
Um innerhalb der Lehrerschaft selber eine Schicht von tiefer ausgebildeten Lehrern zu erzielen, wurde in Zusammenarbeit mit dem pädagogischen Seminar der Universität Amsterdam eine höhere pädagogische Ausbildung für technische Lehrer eingerichtet. Besonders unser Freund Dr. Klaus Fintelmann von den Hibernia-Werken im Ruhrgebiet hilft uns mit seinen Erfahrungen, die Waldorfpädagogik als Grundlage für eine vollmenschliche Berufsausbildung zu verwerten.
Diese wenigen Zeilen mögen eine Ahnung hervorrufen von einer Arbeit, die sowohl quantitativ als auch inhaltlich auf diesem Gebiete neu ist.
Eine zweite Gruppe von Mitarbeitern hat sich direkt den Betrieben zugewandt. Als Berater für die Sozialpolitik des Holländischen Unternehmerverbandes ist es mir möglich, die soziale Entwicklung in der Nähe mitzumachen und mit Ideen zu befruchten. Ich schreibe dieses nur zögernd hin, denn ich möchte hier keine falschen Vorstellungen hervor-
[Mitteilungen, Nr. 44, Johanni 1958, S. 81]
rufen. Eine Dreigliederung kann man nicht „einführen“ wie manche lieben Freunde glauben möchten, aber mit der Dreigliederung im Herzen kann man dort manches mindestens in vernünftige Richtung lenken. Daneben arbeitet diese Gruppe mit an demjenigen, was man „Management-Erziehung“ nennt: an der Ausbildung von den Chefs und Direktoren auf allen Stufen. Rudolf Steiner hat in der „Philosophie der Freiheit“ hingewiesen auf die dazu notwendigen Kräfte: Moralische Intuition, moralische Phantasie und moralische Technik. Von der letzteren hört man in unseren Kreisen nur wenig reden. Sie ist für uns aber der Angriffspunkt für diese Arbeit. In viertägigen bis zweiwöchentlichen Seminaren arbeiten wir das Jahr hindurch mit verantwortlichen Führern aus der Industrie. Neben der Vermittlung von Inhalten ist Übung und Bewußtwerdung des eigenen Menschseins in der technischen und betrieblichen Welt Inhalt dieser Zusammenarbeit.
Dabei steht folgendes im Hintergrund: Die „wissenschaftliche Betriebsführung“ konnte am Anfang dieses Jahrhunderts einen ungeheuren Aufschwung der Wirtschaft erreichen, indem man die menschliche Arbeit „drei“teilte in Planung, Ausführung und Kontrolle. Aus der (ausführenden) Arbeit wurde alles, was Planung (geistig schöpferische Vorbereitung) und Kontrolle (Bewußtwerdung und Verantwortung der eigenen Leistung) aus der Arbeit entfernt und die Arbeit damit degradiert zu simplen, repetierenden Handgriffen. Jede Gruppe war damit in der Arbeit isoliert; eine Planung ohne Ausführung, eine Kontrolle ohne Arbeitsrealität höhlt genau so aus, wie eine Handarbeit ohne Wissen, was man tut. Menschliche Verhältnisse wird man erst dann ausbilden können, wenn die Arbeit selber organisatorisch neu gedacht und „gegliedert“ statt „geleitet“ wird.
Dies alles sind nur Andeutungen. Jede Woche bringt neue Menschen, neue Betriebe, neue Probleme. Mit dem einen ist es eine einmalige Begegnung, die nicht ohne Eindruck bleibt; bei dem anderen wird sie etwas Tieferes, was Folgen hat für die Arbeit von vielen Menschen. Eine Grenze ist gesetzt durch die Arbeitskraft von einer kleinen Gruppe, die aber in dieser Form dennoch viel erreicht.
Dabei ist zu bedenken, daß es so wenige Anthroposophen gibt, die z. B. künstlerische Kurse geben können für Menschen, die guten Willens sind, die aber erwarten, daß man sie in einer für sie begreiflichen Sprache anspricht.
Man kann nur dann hoffen, daß man in der „Außenwelt“ helfen darf, wenn man sich wenigstens die Mühe genommen hat, die Welt, in der unsere in der Wirtschaft lebenden Mitmenschen arbeiten müssen, kennen zu lernen. Erst dann kann die Geisteswissenschaft fruchtbar wirken, wenn man sie aus den Phänomen[en] der Wirklichkeit neu erstehen läßt und sich fragt: Wo will der andere Mensch, daß ihm geholfen werde, und wie kann ich ihm helfen, seine Situation besser zu durchschauen? Die ahrimanischen Dämonen sind nur dann zu überwinden, wenn man erkennt, wo sie wirken. Dann stärkt dieser Kampf das Bewußtsein.
Ich bin überzeugt, mit diesem Bericht mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet zu haben. Vielleicht ist es später möglich, auf prinzipielle Probleme einzugehen. Über die oben genannte Arbeit muß nicht viel geredet, sie muß getan werden von solchen, denen es das Schicksal erlaubt, daß sie sie tun dürfen.
[Mitteilungen, Nr. 44, Johanni 1958, S. 82]