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Der Einzelne und sein Eigentum
Teil 2 Ethischer Individualismus und Anarchismus – Gegen die Verstaatlichung des Geistes
Zusammenfassung
In zweiten Teil seiner „Anmerkungen zur Geschichte der Freiheitsidee“ setzt sich Henning Köhler mit der Entwicklung des Menschenbildes in der Aufklärung, der Klassik und vor allem den Denkern des 19. Jahrhunderts auseinander: Kant, Schiller, Marx und Engels, Bakunin, Proudhon und (vor allem) Max Stirner. – Die Stärkung des Persönlichkeitsbewusstseins in der Neuzeit hat ein Misstrauen gegenüber seiner Gemeinschaftsfähigkeit zur Folge. Wenn die Entdeckung der Persönlichkeit einhergeht mit der Überzeugung, der Mensch sei im Kern asozial und es herrsche ständig ein „Krieg aller gegen alle“ (Hobbes), dann kann die Folge nur die Forderung sein, der Staat müsse die Menschen erziehen. Dies wurde insbesondere im Nationalsozialismus und im Sozialismus sowjetischer Prägung auch praktiziert; heutige Neigungen dazu „liegen in der Luft“. Dem setzt Steiner mit dem ethischen Individualismus die These entgegen, der Mensch sei in seinem Kern ein freies und schöpferisches Wesen, dass in seinen edelsten Impulsen nicht von staatlicher Macht reglementiert werden dürfe. Diesen Gedanken konnten auch die frühen Anarchisten (Bakunin, Proudhon) noch nicht klar erfassen; erst der Anarchist Max Stirner fordert „Werdet jeder von euch ein allmächtiges Ich!“ und verwehrt sich gegen jegliche staatliche Bevormundung. Steiner bekennt sich ebenfalls zu dieser Forderung; er entwickelt die Anthroposophie aus dem Gedanken des freien Ich und sieht die Dreigliederung als Voraussetzung für das Wirken des schöpferischen Ich in der Gesellschaft.
Inhalt
- Die pädagogische Doktrin.
- Die Umkehrung: der mündige Mensch.
- Aufrichtung der Freiheit als Beliebigkeit.
- Unentschlossenheit des Denkens.
- Im Nichts das ideen-schöpferische Ich.
- Das Ich in letzter Instanz.
Zitate
Rudolf Steiner läßt im Zusammenhang mit seinen Erläuterungen der Dreigliederungsidee keinen Zweifel daran, daß die Vorstellung, Menschen nach Maßgabe eines so oder so zurechtgedachten gesellschaftlichen oder sittlichen Modells erziehen zu müssen, gegenüber den Realitäten der neueren Geistesgeschichte zum Scheitern verurteilt ist. Daraus gerade wird ersichtlich, daß der anthroposophische Freiheits- und Sozialimpuls zwar beim deutschen Idealismus anknüpft, diesen aber nicht einfach leicht verändert abschreibt, sondern transzendiert. In Schillers «Neigung zur Pflicht» ist die protestantische Ethik noch anwesend. Bei Steiner nicht mehr.
Wir sind aber nicht dazu bestellt, einander zu erziehen, sondern einander die Freiheit zu schenken. Dem sittlichen Fortschritt dienen soziale Verhältnisse, die den Einzelnen an seinen Selbsterziehungs-, Selbstverwirklichungsauftrag heranführen, den er sich selbst, gleichsam als biographisches Leitmotiv, erteilt hat und nur dann erinnernd wachrufen kann, wenn er keine anderen Weisung als derjenigen seines moralischen Gutdünkens zu folgen hat.
Mit dem Bewußtseinsseelen-Impuls kommt die Einsicht herauf, daß dieser «innere Tod» sich auf diejenigen Bezirke der Menschenwesenheiten bezieht, durch die die Erkenntnis Produkt und Spiegel ihrer Umgebungswelt ist; daß aber aus einer anderen, innersten Seelenregion, wenn die Hüllen der Selbstentfremdung abgeschält sind, sich das freie Menschentum erhebt: Wo Ich ganz bei mir bin, ist der «Himmel».
Solange der Mensch im Bewußtsein des Menschen als «unbeschriebenes Blatt» mit erblicher Maserung, vom Wind des Zufalls auf den Erdenplan geweht, herumirrt, bleiben Freiheit und Individualität fromme Wunschträume. Der Anarchist, der sich spirituellen Fragestellungen verschließt, gleicht dem Sänger, dem immer im entscheidenden Augenblick die Stimme versagt. Wenn es so wäre, daß das Ausdrucks- und Willenswesen Mensch sich zwar in der Illusion von Autonomie wöge, aber im Prinzip doch immer nur von sich gäbe, was Genese und Milieu ihm diktieren, wäre es berechtigt, die soziale Frage als eine Frage ausgeklügelter Techniken der Massenkonditionierung (vornehmer gesagt: Erziehung) zu behandeln. Wer aber sagt, dies sei nicht berechtigt, muß auch erklären, warum.