Todesstrafe in Tibet als Erinnerung aus Zeit wo Lüge zum Ersticken führte

Quelle: GA 254, S. 224-226, 4. Ausgabe 1986, 01.11.1915, Dornach

Sie können sich ja auch denken, daß die Menschen der lemurischen, der atlantischen Zeit noch nicht so ausgesehen haben wie die heutigen Menschen, denn dasjenige, was sich dazumal innerlich seelisch entwickelt hat, formte auch die äußere Gestalt. Die ganze äußere Gestalt war anders, war weich, biegsam. Nun war zwar diese Gestalt der Menschen der lemurischen und der atlantischen Zeit nicht etwa affenhaft; die Vorfahren der Menschen, die wirklichen Vorfahren der Menschen, haben nicht eine affenhafte Gestalt gehabt. Ich habe das öfter betont. Es müßte denn sein, es wäre von der Weltenentwickelung gerade eine Ausnahme gemacht worden bei denjenigen Menschen, die selbst von sich geschrieben haben, daß sie sich erinnern können, daß sie vom Affen abstammen! Allein, das brauchen wir jetzt nicht zu untersuchen. Also affenhaft haben die Menschen nicht ausgesehen, doch wenn Sie sich unsere Kinder vorstellen, noch viel mehr ins Kindliche gezogen, viel, viel mehr ins Kindliche gezogen, und ein natürliches, elementarisches Element über den ganzen Leib ausgegossen, so werden Sie vielleicht eine Vorstellung bekommen können, wie der Menschenleib damals beschaffen war. Aber dadurch - lesen Sie nach die Aufsätze «Aus der Akasha-Chronik» -, daß sich in diesen weicheren Leibern solche Wesen, wie ich sie geschildert habe, verkörperten, die vom Mond her zurückgeblieben sind, dadurch wurden die weichen Leiber eher tierähnlich als menschenähnlich. Es entstanden verzerrte Gestalten, sogar eigentümliche Verrenkungen der Glieder: Und da haben Sie den Ursprung der Göttergestalten, die bei den einzelnen Völkern zu finden sind. Diese sonderbaren Gestalten, die unmenschliche Gesichter haben und ungeheure Gliedmaßen, die rühren davon her, daß man dieses Zusammenwirken der sich verkörpernden Mondwesen mit dem Menschenleibe ins Auge fassen mußte.

Wenn es in der atlantischen Zeit Maler und Bildhauer gegeben hätte, würden sie diese Gestalten, die da im Menschenleibe gelebt haben als verkörperte Mondwesen, haben nachbilden oder nachmalen können. Aber in Tibet gab es das nicht mehr. Deshalb mußte man sich nach dem Kanon richten, sonst hätten die Künstler alles beliebig gemacht. Wenn sich nun einer nicht nach dem Kanon richten, sondern nach seiner Phantasie schaffen wollte, da war er des Todes schuldig. Selbstverständlich kann man fragen: Hat es denn nur einen Sinn, daß jemand, der nur ein klein wenig an der Gestalt eines Gottes etwas ändert - wie ich das gestern angedeutet habe -, gleich mit dem Tode bestraft wird? Hat das denn einen Sinn? - Ja, in Tibet hatte es keinen Sinn mehr. Aber einmal hatte es seinen Sinn, denn einmal waren, wie Sie gehört haben, diese Gestalten da, und wenn man sie nicht so nachbildete, wie sie da waren, so wich man ab von dem, was da war, so gestaltete man eine Lüge. Eine Lüge aber war in jenen alten Zeiten etwas, was eine viel größere Macht hatte als in der Gegenwart. Wenn in der Gegenwart jeder an einer Lüge ersticken würde, der sie ausspricht, dann - nein, ich will mich darüber lieber nicht aussprechen, denn ich glaube, daß die Furcht vor dem Ersticken zu groß wäre, um die Leute lügen zu lassen! Ich nehme nicht an, daß jetzt die Leute an der Lüge ersticken werden, dazumal aber wären sie wirklich erstickt: Denn der Gedanke, der in Worte gefaßt wurde, hatte eine Kraft, um die Luft im Kehlkopf zu gestalten, und erstickte dann den Menschen. Und wer ein solches Wesen, das auf dem Monde sich nicht voll entwickelt hatte, auf der Erde unrichtig abgebildet hätte, der wäre erstickt daran: das heißt, er ging durch ein Naturereignis in den Tod.