Johannes Rau und die Berliner Rede über die Globalisierung

13.05.2002

Mit seiner kritischen Würdigung der bisherigen Auswirkungen der Globalisierung hat sich Bundespräsident Johannes Rau Sympathien bei der Organisation der Globalisierungskritiker Attac und bei den Kirchen errungen.

Hauptanliegen von Rau war zu zeigen, daß die Globalisierung nicht als Schicksal, sondern als Chance verstanden werden sollte. Und die negativen Auswirkungen der Globalisierung rühren seiner Meinung nach daher, daß die Globalisierung der Märkte einfach hingenommen wird, ohne politisch gestaltet zu werden. Daher der Titel seiner Rede: Chance, nicht Schicksal - die Globalisierung politisch gestalten.

Dahinter steckt ein klassisches Dogma der heutigen Politikwissenschaft. Gestalten läßt sich nur von der Politik aus. Nur hier kann der Mensch überhaupt aktiv werden. Die Wirtschaft, und damit ist die Marktwirtschaft gemeint, bleibt dagegen Schicksal. Ihr ist der Mensch genauso ausgeliefert, wie dem Wetter. Dieses Dogma hat Generationen von Politikern geprägt. Mit einem solchen Dualismus läßt sich aber die moderne Welt nicht erfassen. Und der Verdienst der Berliner Rede von Johannes Rau zur Globalisierung ist, daß er auch ausführlich über die Zivilgesellschaft spricht, obwohl sie in dieses Schema nicht reinpaßt.

Die Rede wirkt wie ein Kleid, das einfach zu eng geschnitten ist. Der Zuhörer, der es merkt, muß immer wieder lächeln und nicht nur wenn Rau, um die Stimmung zu lockern, daran erinnert, daß die Globalisierung der Grund dafür ist, daß es das ganze Jahr über Erdbeeren gibt.

"Die Globalisierung gestalten kann nur, wer klare Wertvorstellungen jenseits des Wirtschaftlichen hat", meint Johannes Rau. Er hat Recht. Der Inhalt seiner Rede zeigt allerdings, daß er zwar solche Werte hat, ihm aber noch klare Vorstellungen fehlen, wie sie umgesetzt werden können. Richtig gestalten kann er damit die Globalisierung nicht. Zu dem Jenseits des Wirtschaftlichen gehört nämlich - neben der Politik - eine auch gegenüber der Politik selbständige Zivilgesellschaft. Attac, die Hauptorganisation der Globalisierungskritiker, hat es deutlich gemacht, als sie es ablehnte, ihren Hauptsitz nach Berlin zu verlagern.

Johannes Rau setzt Wirtschaft mit Freiheit und der Staat mit Gerechtigkeit gleich. Sein Ziel ist eine Balance der beiden. Soweit die Theorie. In seiner Praxis ist er aber schon ein Stück weiter, wenn er fordert: "Jeder von uns kann etwas tun. Jeder kann zu einem fairen Welthandel beitragen. Das scheint naiv, aber es gibt gute Beispiele dafür. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher kaufen fair gehandelten Kaffee, Orangensaft und Kakao. Waren mit Transfair-Siegeln hatten im vergangenen Jahr in Deutschland einen Umsatz von dreiundfünfzig Millionen Euro. Beim Kaffee liegt ihr Marktanteil nur bei einem Prozent, bei Tee nur bei 2,5 Prozent. Da ist wahrlich noch viel Spielraum nach oben." Damit zeigt Johannes Rau, daß es neben Freiheit und Gerechtigkeit auch noch das Prinzip der Solidarität gibt. Und diese Art der Solidarität ist die einzige gesunde Basis für eine Weltwirtschaft.

Die wirtschaftliche Freiheit, für die sich Johannes Rau stark macht, läßt sich nur auf die Unternehmensfreiheit beziehen, da diese nicht zum eigentlichen Wirtschaftsleben, sondern zum dritten Element, zum Geistesleben gehört. Der freie Geist macht die Wirtschaft leistungsfähig. Hier gilt das Wort von Johannes Rau, das eigentlich nur auf die Politik gemünzt war: "Auch der Markt lebt von Voraussetzungen, die er nicht selber schaffen kann." Zu diesen Voraussetzungen gehört die Unternehmensfreiheit. Diese Freiheit darf aber nicht auf das Geld, auf das Kernelement der Wirtschaft übertragen werden. Dies führt sonst zu der von Johannes Rau bemängelten Abkoppelung des Geldes von der realen Wirtschaft: "Heute haben neunzig Prozent der Gelder, die täglich um die Welt zirkulieren, nichts mehr mit dem Austausch von Gütern und Dienstleistungen zu tun. Über zwei Millionen Euro, über zweitausend Milliarden, wechseln täglich aus spekulativen Gründen immer wieder den Ort. Das kann ganze Länder sozial und politisch destabilisieren, ja das kann sie in den wirtschaftlichen Ruin treiben."

Diese Verselbständigung läßt sich nur vermeiden, wenn dem Geld nicht einfach freien Lauf gelassen wird, sondern wenn es - wie die anderen Waren - in eine solidarische Weltwirtschaft eingebunden wird. Das Geld muß, wie es schon von Rudolf Steiner gefordert wurde, an die brauchbaren Produktionsmittel gekoppelt werden. Ob die von Attac favorisierte Tobin-Steuer dazu beitragen kann, ist zweifelhaft. Die Bedenken von Johannes Rau sind hier wohl berechtigt. Es fragt sich nur, ob er Besseres anzubieten hat. Die Idee einer Spekulationssteuer wird nämlich immer populärer werden, solange es keine ehrliche und überzeugende Alternative dazu gibt.

Bei der Einschätzung der bisherigen Liberalisierungsbemühungen ist Johannes Rau schonungslos: "Die Mitglieder der Welthandelsorganisation verhandeln seit vielen Jahren über weitere Liberalisierung. Da treffen unterschiedliche Interessen aufeinander. Häufig gilt für alle der Grundsatz: Wir sind für freien Welthandel, wenn er uns nutzt. Das kennen die Vereinigten Staaten von Amerika von uns und wir kennen es von ihnen. Wir müssen unsere Märkte schrittweise für alle Produkte der Enwicklungsländer öffnen." Hier berührt Johannes Rau einen weiteren Wundepunkt der Globalisierung, neben der Ökonomisierung der Welt: Sie gibt den stärkeren Volkswirtschaften die Oberhand. Man probiere mal aber, keine Regierungs- sondern wirkliche Wirtschaftsvertreter in die Welthandelsorganisation zu schicken. Da würden sich die Vereinigten Staaten von Amerika und Europa wundern, auf welche Gegenmacht sie da stossen würden. Da würde sich schnell zeigen, daß fairer Welthandel nicht mit freiem Welthandel gleichzusetzen ist.

Zu solchen Vorschlägen kommt Johannes Rau nicht. Vielleicht ist es auch besser so, solange die Zivilgesellschaft noch nicht so weit ist, daß sie einer voll entstaatlichten Wirtschaft die Stirn bieten könnte. Nicht umsonst fordern Globalisierungskritiker - wie Johannes Rau - oft eine politische Gestaltung der Globalisierung. Will sie aber eines Tages auf der Höhe sein, muß die Zivilgesellschaft mehr für die eigene Entstaatlichung und Entkommerzialisierung tun. Johannes Rau weiß von dieser Aufgabe: "Wir alle wissen, wie schwierig es schon ist, die wirtschaftliche Globalisierung Schritt für Schritt politisch zu gestalten. Noch ungleich schwieriger aber ist es zu verhindern, daß Globalisierung auch zum Verlust kultureller Vielfalt und kulturellen Identität führt." Dies kann der Staat nicht verhindern. Er kann aber die Voraussetzungen schaffen, damit die Zivilgesellschaft es kann. Und sie muß es selber wollen. Dann wird der Nachfolger von Johannes Rau eines Tages kommen und eine Rede halten mit dem Titel: "Die Globalisierung und die Zivilgesellschaft politisch gestalten."