Die Taliban und das Hindu-Kennzeichen

24.05.2001

In Afghanistan müssen die etwa 1000 Hindus demnächst ein gelbes Zeichen bei sich tragen. Dies wurde von einem islamischen Rat der Taliban beschlossen. Eine entsprechende Verordnung soll folgen. Ausländer müssen sich nicht kennzeichnen. Laut Abdul Hannan Himmat vom Informationsministerium soll das Zeichen nicht die Hindus diskriminieren, sondern sich gegen rebellische Moslems richten. Die Mitglieder der Religions- und Sittenpolizei, die nach Männern ohne Bart und Turban suchen, um sie zu verprügeln, können dann Hindus und Moslems unterscheiden.

Mit ihrer Entscheidung knüpfen die Taliban an das einzigartige millet-System, eine alte Tradition des ehemaligen osmanischen Reichs an. Eroberte Völker durften ihre ursprüngliche Religion behalten. Diese religiöse Autonomie war nicht an einen bestimmten Ort, sondern an eine bestimmte Gruppe gebunden. Um die entsprechenden Gruppen wiedererkennen zu können, mußten sie sich daher äußerlich kennzeichnen. In Europa herrschte damals stattdessen fast überall das territoriale Prinzip. Wer nicht derselben Religion war wie sein Herrscher, tat besser auszuwandern. Juden hatten es daher oft besser im osmanischen Reich als in Europa, trotz oder gerade dank ihrem gelben Stern. Vergleiche zwischen der Taliban und dem Dritten Reich zeugen daher meist eher von mangelnder historischer Kenntnis.

In Dschalalabad wollten die Taliban schon 1996 die Hindu-Männer zwingen, eine Kopfbedeckung zu tragen, in roter Farbe, damit sie erkennbar sind. Die Hindus wiesen das damals zurück. Sie akzeptierten lediglich, daß sich auch Hindu-Frauen verschleiern müssen und hatten seitdem wenig Probleme mit den Taliban. Amar Das, ein Hindupriester in Dschalalabad und andere Mitglieder der Gemeinde widersprachen der Darstellung der Taliban, die behauptet hatten, das Zeichen werde nun auf Wunsch der Hindu-Minderheit eingeführt. "Wir werden das Zeichen nicht akzeptieren. Wenn es uns aufgezwungen wird, werden wir versuchen, das Land zu verlassen." In der Stadt lebt die größte Hindugemeinde Afghanistans. "Ein Kennzeichen würde unsere Würde verletzen und auch unserem Geschäft schaden. Wir sind Geschäftsleute, und als markierte Menschen würden wir Kunden verlieren."

Die Taliban wollen einfach nicht wahrhaben, daß sich die Menschen seit dem Mittelalter weiterentwickelt haben. Heute hilft auch das nichtterritoriale millet-System nicht weiter. Religiöse Minderheiten werden trotzdem versuchen auszuwandern, weil sie nicht nur als Gruppe, sondern als einzelne Individuen geachtet werden wollen.

Wie viele tyrannische Regierungen dieses Jahrhunderts wurden die Taliban zunächst als Befreiung empfunden. Ihnen war die sowjetische Besatzung und ein Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen Mudschahedin-Gruppen vorausgegangen. Geduldet werden sie heute eigentlich nur noch deswegen, weil kaum einer Vertrauen in ihre Gegner haben kann. Die Taliban können daher ohne Bedenken immer härter zuschlagen und es fragt sich, wer am meisten zu bemitleiden ist: Wer ein gelbes Zeichen tragen muß oder wer keins tragen darf.

Und auch wie lange. Die Taliban sehnen sich nämlich nach der alten Zeit zurück, wir sind aber nicht mehr im Mittelalter. Wer heute noch in Gruppen denkt, negiert dasjenige, was inzwischen eingetreten ist, nämlich das Individuum. Von da aus ist es nur noch ein kleiner Schritt, es vernichten zu wollen. Hier liegt die eigentliche Parallele zwischen der Taliban und dem Dritten Reich.