Gerhard Schröder und die europäische Verschmelzung

28.04.2001

Bundeskanzler Gerhard Schröder plädiert für einen radikalen Umbau der Europäischen Union. Im Entwurf eines Leitantrages für den SPD-Parteitag im Herbst, der unter Leitung von Parteichef Schröder entstanden sei, werde der Ausbau der EU-Kommission zu einer europäischen Regierung und die Umwandlung des Ministerrates in eine "Staatenkammer" ähnlich dem deutschen Bundesrat gefordert. Das Europaparlament solle "volle Budgethoheit" erhalten und wäre damit auch für den Agrarhaushalt zuständig, der gut 46 Prozent des gesamten EU-Etats ausmacht. Bestimmte Kompetenzen, wie etwa in der Strukturpolitik, sollten dagegen wieder auf die nationale Ebene zurückverlagert werden, um auf diese Weise den "Spielraum für eine eigenständige Regional- und Strukturpolitik der Mitgliedstaaten auszuweiten".

Wie bei Joschka Fischer fehlt Gerhard Schröder die Kraft, unsere Gesellschaft zu durchdenken und neue Impulse für den politischen Wandel, den ein integriertes Europa braucht, zu finden. Schröder schöpft nur aus seinem föderalen Horizont und denkt, damit eine tragbare politische Verschmelzung von Nationalstaaten schaffen zu können, über nationale Widerstände hinweg.

Politiker wie Schröder glauben der EU helfen zu müssen, eine effektivere und demokratischere Institution zu werden, aber verkennen dabei völlig, dass die europäische Zusammenarbeit in erster Linie eine ökonomische ist. Die Stärke und der Erfolg der EG liegen in der funktionalistischen, transnationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit, ohne nationalstaatliche Wirtschaftspolitik. Eine Demokratisierung des wirtschaftlichen Dienstleistungsunternehmens Brüssel führt zu Rückschritten durch eine Politisierung der Wirtschaft.

Wenn die europäische Integration weiter vorangetragen werden soll, braucht Europa Dreigliederung und nicht Föderalismus: Wenn die europäischen Staaten verständlicherweise meinen, ihre Innen- und Sicherheitspolitik gemeinsam bewältigen zu müssen, ist gegen eine politische Verschmelzung nichts einzuwenden, aber nur unter Verzicht auf die wirtschaftlichen und kulturellen Politikfelder.

Die wirtschaftliche Integration braucht, weiter als bisher, einen entpolitisierten funktionalistischen Raum, um sich entwickeln zu können.

Aber auch Kulturpolitik darf weder zentralisiert werden, noch in föderalistischem Sinne bei den Nationalstaaten belassen werden. Beides wird zu einer jugoslawischen Katastrophe führen. Es müssen unterschiedliche kulturelle Kooperationen für die jeweiligen Völker Europas geschaffen werden, die unabhängig sind von politischen Parlamenten.