Hans-Olaf Henkel und die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes

20.02.2001

Mit der am 14.02.2001 auf den Weg gebrachten Reform des Betriebsverfassungsgesetzes will Arbeitsminister Walter Riester (SPD) die Mitbestimmungsrechte in den Unternehmen stärken und die Zahl der Betriebsräte erhöhen. Er verweist darauf, dass die Zahl der Betriebsräte in Deutschland in den vergangenen Jahren abgenommen hat.

Nach Schätzungen des Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Instituts der DGB-nahen Hans-Böckler-Stiftung sank die Zahl der Betriebsräte, gerechnet in Einzelpersonen, zwischen 1994 und 1998 von einst 220.000 auf rund 200.000. Im selben Zeitraum schrumpften auch die Betriebsratsgremien nach Angaben der DGB-Mitgliedsgewerkschaften um fast elf Prozent.

Als Ursachen werden die Gründung neuer und meist kleiner Betriebe in Industrie, Handwerk und privatem Dienstleistungsbereich, aber auch die zunehmende Tendenz zur Aufspaltung ehemals großer Betriebe genannt. Nach Erhebungen des Forschungsinstituts der Bundesanstalt für Arbeit arbeiten bundesweit nur rund 48 Prozent der Beschäftigten in einem Betrieb mit Interessenvertretung. Laut einem Trend-Report der Böckler-Stiftung von 1998 passen die Interessenvertretungen meist nicht ins Milieu der Gründerfirmen, wo Risikobereitschaft und die Bereitschaft zu außergewöhnlichen Leistungen stärker als sozialer Schutz gefragt seien. Zudem sind die Arbeitsbedingungen der Kleinbetriebsräte wesentlich schlechter als in Großbetrieben.

Während die Mehrheit der Deutschen, laut einer Meinungsumfrage von "Dimap", für die Mitbestimmung in den Betrieben sind, kommt von Arbeitgeberseite und der Opposition Kritik gegen die geplante Betriebsverfassung. Friedrich Merz bezeichnete den Vorschlag als ein Überbleibsel des Klassenkampfes, und Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt kündete an, er wolle die umstrittene Reform des Betriebsverfassungsgesetzes im Bündnis für Arbeit zur Sprache bringen. Es gehe besonders darum, Änderungen bei den Schwellenwerten und der Erweiterung der Betriebsratsgremien zu erreichen. Dafür werde sich die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) auch in den parlamentarischen Anhörungsverfahren des Bündnisses für Arbeit weiter einsetzen. Arbeitsminister Walter Riester (SPD) will den Schwellenwert für die Unternehmensgröße, ab der mindestens ein Betriebsratsmitglied freigestellt werden muss, von derzeit 300 auf 200 senken. Das nächste Gespräch im Rahmen des Bündnisses für Arbeit von Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaftern ist für den 4. März geplant.

Vor dem Hintergrund des Betriebsverfassungsgesetzes reagierte der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie Hans-Olaf Henkel am 20.02.2001 mit einem radikalen, provokativen Vorschlag: "Die Überwachung einer Arbeitslosenbehörde kann schließlich auch ohne ein eigenes Ministerium erfolgen", sagte er in einem Interview der "Wirtschaftswoche".

Ministeriumssprecher Klaus Vater erklärte dazu, dies sei ein Vorschlag, "der wegen seiner Abstrusität preiswürdig wäre". Henkel bezeichnete es als politischen Konstruktionsfehler, dass der Sozialminister in Deutschland auch für den Arbeitsmarkt zuständig sei. Beschäftigungspolitik sei vielmehr Sache des Wirtschaftsministers.

Der Sprecher von Arbeitsminister Walter Riester hielt Henkel entgegen, er habe "ganz offenkundig den Blick für die soziale Realität verloren". Das Ministerium signalisiere vielen Millionen Menschen, dass sie nicht mehr Wirtschaftsbürger zweiter oder dritter Klasse seien, sondern mit ihren Vorstellungen zu Beschäftigung und Mitbestimmung ernst genommen würden.

Wenn Henkel einen Rückzug des Staates aus dem Wirtschaftsleben wünscht, kann er von Seiten der Dreigliederung volle Unterstützung erwarten. Dann muß er allerdings Organisations- und Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer in die Rechnung mitaufnehmen, denn ein emanzipiertes Wirtschaftsleben setzt gleichberechtigte Partner voraus. Gerade den sozialen Schutz der Arbeitnehmer wünscht Henkel einzudämmen, während ihm die staatliche Wirtschaftspolitik des Bundes mit Serviceleistungen und Subventionen für seine Schwerindustrie sehr willkommen ist, und er deshalb ein mit Beschäftigungspolitik aufgewertetes Wirtschaftsministerium sehen möchte.

Das neue Betriebsverfassungsgesetz ist aber trotz der Klagen der Opposition und der Arbeitsgeber für den Unternehmer, nüchtern gesehen, völlig harmlos und die betrieblichen Mehrkosten lächerlich. Darüber hinaus entspricht das Mitbestimmungsrecht einem gesunden staatlichen Schutz der Arbeitnehmer. Es wäre eigentlich vielmehr zu wünschen, dass das Betriebsratsgesetz noch größere Kompetenzen für die Betriebsräte gestattet. Die Sozialisierung im Wirtschaftsleben durch die Betriebsräte sollte weit über die Mitbestimmung bei den Arbeitsbedingungen hinausgehen. Betriebsräte sollten über die Festsetzung der Produktion und der Preise und Betriebsräte zur Mitbestimmung gelangen - darin liegt die wichtigste Forderung - sie sollten Bande knüpfen können mit Betriebsräten gleichartiger Betriebe und darüberhinaus mit allen übrigen Betrieben. Dann wird eine wirkliche Sozialisierung des Wirtschaftlebens allmählich eintreten und in der Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber wäre die Assoziation auf diesem Wege geboren.