Report Mainz und die Freien Waldorfschulen

14.12.2000

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat eine vom Landgericht erlassene einstweilige Verfügung gegen den Südwestrundfunk aufgehoben, die vom Bund der Freien Waldorfschulen erwirkt worden war. Wie das Gericht am Freitag mitteilte, war mit der Verfügung eine am 28. Februar in der Fernsehsendung "Report Mainz" verbreitete Darstellung untersagt worden, daß jüdische Eltern vermehrt ihre Kinder von der Waldorfschule nähmen. Als Grund wurden antisemitische Vorfälle angeführt. Hiergegen hatte der Bund der Freien Waldorfschulen zunächst versucht, diverse Gegendarstellungen zu erwirken; war damit aber sowohl beim Landgericht als auch beim Oberlandesgericht Stuttgart gescheitert. Zwei weitere Unterlassungsbegehren hatte das Landgericht Frankfurt bereits am 22. März zurückgewiesen.

Der Südwestrundfunk Baden-Baden erklärte am Freitag, der Redaktionsleiter von "Report Mainz" sehe nun die Berichterstattung in vollem Umfang bestätigt. Das Landgericht war im März zu der Auffassung gekommen, der SWR habe die Richtigkeit seiner Darstellung nicht glaubhaft machen können und könne sich auch nicht auf die Wahrnehmung berechtigter öffentlicher Interessen berufen. Das Oberlandesgericht hingegen hielt es jedoch für überwiegend wahrscheinlich, daß die inkriminierte Äußerung zutreffend sei.

Dem Oberlandgericht kann man zustimmen. Es ist überwiegend wahrscheinlich, daß jüdische Eltern inzwischen vermehrt ihre Kinder von der Waldorfschule nehmen. Falls es zutreffen sollte, ist dies aber vom Report Mainz weniger aufgedeckt als mitverursacht worden.

Diese Verunsicherung von Minderheiten gehört nämlich zu den Folgen einer einseitigen Auslegung der Aussagen Steiners zu verschiedenen Rassen, Völkern und Kulturen, wie sie seit Jahren verstärkt von Gegnern und zum Teil auch von Befürwortern der Anthroposophie getrieben wird. Kritische Aussagen wurden herausgepickt und andere verschwiegen, welche die positiven Seiten dieser Kulturen hervorkehren. Dies gilt nicht nur für Juden, sondern auch für Schwarzen oder Indianer. Es ist dann kein Wunder, wenn Minderheiten, die unter dem Nationalsozialismus gelitten haben, lieber auf Distanz zu den von Rudolf Steiner gegründeten Waldorfschulen gehen.

Das Vertrackte an der ganzen Situation ist, daß der Antisemitismus, so wie ganz allgemein jeder Nationalismus, nur dann zu überwinden ist, wenn das Schulwesen inhaltlich nicht mehr dem Staat untersteht. Dies gilt nicht nur bei antisemitischen Staaten, sondern grundsätzlich. Bei jedem staatlichen Schulwesen kommt die Individualität der Lehrer und Schüler zu kurz und damit gerade dasjenige, was allein dem Gruppenwahn Einhalt gebieten kann. Dies liegt daran, daß jeder Staat in seinem Entscheidungsbereich das Individuelle ausblenden muß, wenn er demokratisch sein will. Und da der Staat demokratisch bleiben muß, darf er sich in pädagogische Fragen gar nicht einmischen. Gutgemeinte Versuche von Politikern, den Neonazismus durch einen neuen Lehrplan zu bekämpfen, sind daher kontraproduktiv. Das Beste was sie tun können, ist den Lehrplan den Lehrern freizugeben.

Wer jetzt die Freien Waldorfschulen als antisemitisch der staatlichen Schulaufsicht verdächtig macht, erreicht daher das Gegenteil von dem, was er eigentlich möchte. Er fördert nämlich - ohne es zu wollen - die Ausbreitung des Antisemitismus, weil er gerade die Schulen bekämpft, die wir brauchen, um ihn überwinden zu können.

Der Redaktionsleiter von "Report Mainz" verdient aus diesem Grunde unser Mitleid. Man kann sich aber mit ihm freuen, daß er nicht mehr per Gerichtsurteil daran gehindert wird, seine Meinung über Waldorfschulen zu verbreiten. Wären die Waldorfschulen so frei wie er, dasjenige zu machen, was sie für richtig halten, so hätte seine Berichterstattung keine Chance mehr, zu einer sich selbst erfüllenden Prophetie zu werden. Mit ihrer Pädagogik des Individuellen hätten die Waldorfschulen Antisemitismus und Rassismus schon längst beseitigt.