Die Kamillekinder in Sekem - Ein alternativer Ansatz für effektive Hilfe gegen Kinderarbeit

01.07.2007

Sekems Kamillekinderprojekt weckt das Interesse internationaler Medien

Am 12. Juni, dem internationalen Tag gegen Kinderarbeit, richtete sich die Aufmerksamkeit der Welt auf eines der großen Probleme der Entwicklungszusammenarbeit: Millionen von Kindern müssen unter ärmlichen Bedingungen arbeiten, um zum Einkommen ihrer Familien beizutragen und ihr Überleben zu sichern. Die Medien berichteten intensiv über das Problem und seine Hintergründe, so auch die Tagesthemen der ARD in Deutschland und verschiedene Hörfunkprogramme. In ihnen wurde das Kamillekinderprojekt von Sekem als Alternative vorgestellt.

In Sekem sind die Verantwortlichen aus dem Ausbildungsbereich froh über das positive Echo auf das Kamillekinderprojekt. Gleichzeitig sind sie aber auch angespornt, neue Ideen zu entwickeln. Das Projekt wird nicht als Idealzustand für die Kinder betrachtet und kann allein und für sich genommen leider die zugrunde liegenden, komplexen Probleme nicht beheben, die Kinderarbeit in Ägypten zu so einem weit verbreiteten Problem machen. Wir sind aber überzeugt, dass der Sekem-Ansatz richtig ist, um den betroffenen Kindern heute und sofort eine Alternative in ihrer Notlage und eine Perspektive für ihre persönliche Zukunft zu bieten. Wir können damit auch solche Kinder erreichen, deren Eltern für andere Hilfestellungen nicht zu überzeugen sind. Bei den Kindern wird die Eigenverantwortlichkeit und Würde gestärkt.

Nicht nur an einem bestimmten Tag im Lichte der Öffentlichkeit, sondern jeden Tag seit vielen Jahren arbeitet Sekem an diesen Alternativen, um nachhaltig Abhilfe zu schaffen: Die „Kamillekinder“ arbeiten zwar auf der Sekem-Farm, doch zu gänzlich anderen Bedingungen: sie werden von eigens dafür geschulten Lehrern betreut, die auf ihre kindlichen Bedürfnisse eingehen können. Außerdem erhalten sie während der Hälfte des Tages Unterricht, um so ihren Schulabschluss nachzuholen. Nicht nur der Alltag wird für sie lebenswert – sie haben durch die Bildung eine echte Perspektive.

Zur Zeit sind etwa 80 Kinder ab 12 Jahren in das Projekt auf der Sekem-Farm, 60km nord-östlich von Kairo eingebunden. Die Sekem-Initiative reagiert damit auf das reale Problem der Kinderarbeit in Ägypten: trotz gesetzlichen Verbots arbeiten nach offiziellen Schätzungen 1,6 Mio Kinder im inoffiziellen Sektor, hauptsächlich in der Landwirtschaft, auf der Straße und in Haushalten. Sie haben die Schule nie oder nur kurz besucht, müssen sich als rechtlose Tagelöhner verdingen, ohne Perspektive auf eine spätere Berufsausbildung und den Einstieg in ein geregeltes Arbeitsleben.

Sekem bietet den Kindern eine feste Anstellung über das ganze Jahr hinweg – nicht nur tageweise oder für eine Saison. Sie führen in der Landwirtschaft ausschließlich leichte Tätigkeiten durch, wie z.B. das Pflücken von Kamilleblüten, Guavablättern oder Eukalyptus. Dabei werden Sie von einem eigens dafür ausgebildeten Lehrer oder Sozialarbeiter betreut, der auch auf ihre kindlichen Bedürfnisse eingehen kann und zum Beispiel bei der Arbeit mit ihnen singt, statt mit dem Stock zu drohen.

Etwa die Hälfte des Tages ist für den Unterricht reserviert. Die Kinder lernen neben Lesen, Schreiben und Rechnen auch Singen und weitere Künste, hören Geschichten und musizieren. So wird ihnen ermöglicht, ihren Grundschulabschluss nachzuholen – eine wichtige Voraussetzung, um eine Berufsausbildung zu beginnen. „Ganzheitliche Bildung ist unser Ziel“ erklärt Gamal El Sayid, Direktor der Sekem-Schule. „Wir betrachten und behandeln die Kinder als Menschen mit der ihnen eigenen Würde. Sie erhalten bei uns eine umfassende Bildung, die Körper, Seele und Geist Nahrung gibt.“

Apropos: Morgens erhalten alle Kamillekinder ein Glas demeter-Milch, bevor es zum gemeinsamen Zähneputzen geht, Mittags gibt es eine warme Mahlzeit. Und im Sekem-eigenen Hospital wird die medizinische Versorgung gewährleistet und Hygienebewusstsein geschult.

Die Kamillekinder erhalten etwa LE 150,- im Monat als Lohn. Viel Geld in einem Land, wo das Gehalt eines Grundschullehrers knapp das Doppelte ausmacht.

Der Erfolg des Projektes zeigt sich über die Jahre: „Wir erleben bei den Kindern eine ganz wunderbare Entwicklung“, so Gamal El Sayed. „Jedes entwickelt sich individuell, doch ganz allgemein haben wir eine sehr hohe Erfolgsquote beim Grundschulabschluss. Und ich freue mich ganz persönlich über jede „Karriere“, die in einer regulären Anstellung in Sekem endet – sei es in der Landwirtschaft, z.B. als Mitarbeiter im Kuhstall oder in den Betrieben, die unsere Produkte weiterverarbeiten. Auch außerhalb von Sekem haben die Kinder ganz neue Chancen, weil sie neben ihrem Schulabschluss lernen, selbständig zu arbeiten und ihr Leben in die Hand zu nehmen.“

Eine besondere Würdigung erfuhr das Kamillekinder-Projekt im Mai durch den Besuch der First Lady von Ägypten, Frau Suzanne Mubarak. Bei ihrem Besuch auf der Sekem-Farm am 12. Mai 2007 legte die speziell an Bildungsprojekten interessierte Ehefrau des Ägyptischen Präsidenten besonderen Wert darauf, die Kamillekinder bei der Arbeit und im Unterricht zu erleben und versprach ihre Unterstützung zur Ausweitung des Angebots auf weitere Farmen und Gegenden Ägyptens. Von Deutschland aus unterstützt der Verein zur Förderung kultureller Entwicklung in Ägypten e.V. die Kamillekinder im Rahmen eines großen Förderprojektes für die Entwicklung von 13 Dörfern in der Umgebung Sekems. Auch die Sekem-Betriebe tragen zur Finanzierung des Projektes bei, denn allein durch die Arbeit der Kinder sind die Nebenkosten für Mahlzeiten und Ausbildung nicht abgedeckt.

Bereits im Februar diesen Jahres war das Projekt an die Öffentlichkeit gedrungen, als die Firma Tautropfen, Hersteller von konsequent natürlicher Kosmetik und Handelspartner von Sekem, auf der Biofach eine Aktion vorstellte, um die Ausbildung der Kamillekinder zu unterstützen: Kunden, die Tautropfen-Produkte im Wert von mindestens 30 Euro erwerben, unterstützen die Aktion „Lass’ die Wüste blühen“: Drei Prozent des Kaufpreises fließen als Spende an die „Kamillekinder“. Die Kunden erhalten zudem einen Original „Baby Tree“ (Foto). Dieser Baum ist stabil in einer transparenten Kunststoffhülse verpackt und kann dank eines schmucken Lederbändchens wie eine Kette um den Hals getragen werden. Bei guter Pflege wird aus dem Baby Tree im Laufe der Zeit eine ausgewachsene Pflanze.