Wenn Kinder alles ohne Schule lernen

01.04.2006
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Sind Zwangsmaßnahmen gegen ihre Eltern in Deutschland gerecht?

Was um Himmels Willen finden Schulbehörden im Märkischen Kreis daran angemessen, wenn sie insgesamt fast 20.000 Euro Zwangsgeld von drei kinderreichen Familien einpfänden, die einen privaten, in Deutschland bislang nicht vorgesehenen Bildungsweg eingeschlagen haben? Auf seiner Pressekonferenz hielt Prof. Dr. Vernor Muñoz Villalobos, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung, fest: "Diese besondere Selektivität, die wir im deutschen System wahrgenommen haben, scheint auch einige alternative Bildungsmöglichkeiten zu verschließen, wie z.B. im Fall des Homeschooling und des Fernunterrichts. …". Nach UN-Recht sind "Eltern vorrangig berechtigt, die Art der Bildung ihrer Kinder zu bestimmen". Dieses Menschenrecht muss im Falle der Familieninitiative in Lüdenscheid und Umgebung nicht einmal in Anspruch genommen werden. Es liegen nämlich verschiedene, besondere pädagogische Gründe vor, die eine Regelbeschulung der betroffenen Kinder ihnen zum Nachteil gereichen lassen. Welchem öffentlichen Interesse schaden also diese Familien mehr, als hier die Bürokratie dem Wohl der Familien schadet? Zwanggelder, selbst für Bildungsverweigerer, um die es hier ja keinesfalls geht, liegen rechtlich einzig und allein im "pädagogischen" Ermessen der Schulleitungen. Niemand ist rechtlich gezwungen, solche Maßnahmen zu ergreifen, schon gar nicht gegen sein eigenes Gewissen bei solchen Unsinnigkeiten.

Wenn es in unserem Land zur Zeit keine erweiterten Interpretationen der Schulpflicht gibt, die zumindest im Einzelfall auch subsidiäre Lernorganisationen oder Kooperationen ermöglichen, darf das doch nicht dazu führen, dass Familien wegen der dortigen Freiheit in x-beliebige Nachbarländer flüchten und andere, die sich das z.B. nicht leisten können, mit einem Schlag zum Sozialfall werden. Was empfänden Sie, wenn ihnen von 2100 Euro monatlichem Familieneinkommen für 5 Kinder nun erst einmal 1000 Euro abgebucht werden. Fern- oder Privatschulen, geschweige denn individuelle Förderung oder Spezialschulen kann auch ohne Schikanen weder Familie noch Staat bezahlen.

Auf die handfesten, pädagogische Gründe für die Selbstorganisation des Lernens und des Unterrichts will staatlicherseits bislang niemand eingehen. Stattdessen wird monoton auf "Bestimmungen" verwiesen. Ob Dyskalkulie, Hochbegabung, Mehrsprachigkeit, körperliche Auffälligkeit, Behinderung oder Hyperaktivität vorliegt, alle diese Kinder mit ihren individuellen Lernvoraussetzungen werden ignoriert. Um sie gemeinsam mit den ganz "normalen" Geschwistern in den Familien leben und weitgehend selbstbestimmt lernen zu lassen, finanzieren und organisieren ihre Eltern in Gemeinschaft private Lehr- und Lernangebote, um den staatlichen Lehrplan interessant und begabungsgerecht umzusetzen. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass alle Kinder überdurchschnittliche Entfaltung und Entwicklung zeigen, wenn man sie mit Anderen vergliche und dabei ihre persönlichen Bedingungen berücksichtigte. Die zur Durchsetzung der Zwangsgelder verdonnerte Schulleiterin hat die pflichtschuldigen Kinder indes nie persönlich gesehen.

In keinem Land der Welt würden diese Familien angegriffen, überall ist der Bildungsweg, den die Eltern ihren Kindern ermöglichen, akzeptiert. Hierzulande müssen sie sich gegen die kuriosesten Mutmaßungen und Vorurteile rechtfertigen, die wohl auch in der speziellen, nationalen, manchmal auch provinziellen deutschen Seele begründet liegen. Durch die Erfahrungen und viele Studien im Ausland wurden alle Befürchtungen längst widerlegt.

Ist es richtig, dass die wenigen glücklichen Familien mit vielen Kindern, die wie Millionen Kinder weltweit ohne Schule leben und gemeinsam lernen, durch ausgestellte Zwangsgelder und anstehende Zwangshaft in Deutschland quasi wie Verbrecher behandelt werden? Nirgendwo im Ausland gibt es heute noch solche Vorgänge. Lassen Sie uns als Exportweltmeister nicht auch Kinderfreundlichkeit an das Ausland verlieren! Familienkompetenz und -verantwortung wird rar und wird durch immer weitreichendere "professionelle" Betreuung - bei all ihrer Notwendigkeit - auch nicht gerade gefördert. Damit nicht noch mehr bildungsnahe Familien auswandern, ist des Lesers Solidarität und Zivilcourage gefragt.