Finanzielle Entsprechung des Rechtes auf Erziehung durch ein Erziehungseinkommen

01.12.1960

In den „Kernpunkten“ zeigt Rudolf Steiner auf, wie dem Recht des Kindes auf Erziehung entsprochen werden kann durch Auszahlung eines Erziehungseinkommens an die Eltern, wobei die Höhe des Erziehungseinkommens von der „wirtschaftlichen Organisation“ gemäß den allgemeinen Wirtschaftsverhältnissen bemessen, die Rechte des einzelnen am Erziehungseinkommen vom Rechtsstaat festgesetzt werden. Die Einrichtung wird in den Kernpunkten abgeleitet aus den Forderungen, die an die Finanzierung des freien Geisteslebens gestellt werden müssen, und zwar muß alles, was zum Unterhalt der geistigen Organisation nötig ist,

aus freiem Verständnis erfließen, von seiten der Einzelpersonen erfolgen, und die gesunde Grundlage des Geisteslebens, nämlich die in freier Konkurrenz sich geltend machende individuelle Initiative fördern.

Die Art des Erziehungseinkommens wird diesen genannten Bedingungen entsprechen müssen.

Der Unterhalt einer Schule wird auf freiem Verständnis beruhen können, wenn die Eltern die pädagogische Eigenverantwortung in einem vom Staat befreiten Geistesleben empfinden und ihre Kinder der Schule anvertrauen können, die eine Pädagogik vertritt, die ihrem Menschen- und Weltbild entspricht. Zugleich erfolgt dabei der Unterhalt der Schule durch Einzelpersonen und nicht durch Organisationen, Industriegesellschaften oder durch den Staat. Daraus ergibt

[Beiträge, Jahrgang 5, Heft 3-4, Seite 35]

 

sich, daß eine Schule, in der vorwiegend Kinder aus sozial schlecht gestellten Elternhäusern unterrichtet werden, allein von dem Erziehungseinkommen dieser Eltern getragen werden muß.

Es sollte einmal der Frage nachgegangen werden, aus welchen Geldern in einem dreigegliederten sozialen Organismus dieses Erziehungseinkommen erfließen kann und durch wen überhaupt diese beachtlichen Beträge aufgebracht werden können.

Würden in einem sozialen Organismus gemäß der obigen Darstellung alle Schulen nur aus freiem individuellen Schenkungsgeld finanziert werden (wozu auch der Betrag zu rechnen ist, den die Eltern aus ihrem Erziehungseinkommen aus freiem Verständnis geben), so würde der Betrag im Durchschnitt von DM 100.- monatlich für jedes Kind zur Unterstützung einer Schule nicht zu hoch sein.

Bei dem Recht eines jeden Kindes auf Erziehung bis zum 18. Lebensjahr würde z.B. gegenwärtig in der Bundesrepublik zum Unterhalt der Schulen aus individuellem Schenkungsgeld ein Betrag von jährlich 12 Milliarden aufgebracht werden müssen. Nicht wesentlich geringer würde also der Gesamtbetrag des an die Eltern auszuzahlenden Erziehungseinkommens sein. Woher sollen diese ca. 10-12 Milliarden DM genommen werden?

Es gibt Vorschläge, die besagen, daß das Erziehungseinkommen von der zu zahlenden Lohn- und Gehaltssteuer abgesetzt werden könnte. Doch würde das Erziehungseinkommen im einzelnen wie auch im Gesamtbetrag die jährliche Lohnsteuer übersteigen.

Als Vergleich zu der Höhe des Gesamterziehungseinkommens sei hervorgehoben, daß die die Industrie sehr belastende Körperschaftssteuer nur einen Betrag von DM 5 Milliarden erbringt.

Hier sollte ein Vorschlag als Anregung gebracht werden, der m.E. in vielen Punkten den Forderungen, die an die Aufbringung dieser Erziehungsbeihilfe gestellt werden müssen, sehr nahe kommt.

Es ist für den sozialen Organismus eine Notwendigkeit, die Grundrente - wie Rudolf Steiner sagt - unschädlich zu machen. Wie das durch ein neu zu schaffendes Bodenrecht praktikabel gemacht werden kann, soll hier nicht besprochen werden. Nur das Ergebnis sollte betrachtet werden, nämlich, daß die Grundrente als müheloses Einkommen dann nicht mehr dem einzelnen Nutznießer zukommt und z.B. in der Bundesrepublik einen Gesamtbetrag von über 12 Milliarden ergeben würde. Nun hängt die Höhe der Grundrente in einem Territorium von drei Fakten ab:

  1. Von der Bevölkerungsdichte
  2. Von dem Stand der Zivilisation
  3. Von der Bodennutzung.

Die Grundrente hängt somit von der Anzahl der Kinder ab, die in diesem Territorium geboren werden, und von dem Bildungsstand. Eine gleiche Bevölkerungsdichte in Indien wie z.B. in der Bundesrepublik würde nicht die gleich hohe Grundrente erbringen. Somit wäre es sinnvoll, wenn das Erziehungseinkommen der Eltern aus den Beträgen der Grundrente gedeckt würde, da mit dem allgemeinen Bildungsstand auch die Grundrente steigen würde. Es besteht eine Interdependenz zwischen Grundrente, Bevölkerungsdichte und Stand der Zivilisation.

Es kann der Einwand erhoben werden, daß die Eltern den Betrag des Erziehungseinkommens für andere Zwecke, z.B. zum Kauf von Fernsehapparaten verwenden, wenn er ihnen bar ausgezahlt wird. Dabei wird aber übersehen, daß die Kinder Recht auf Erziehung haben, d.h., daß die Eltern verpflichtet sind, dem Kinde eine ausreichende Bildung zukommen zu lassen. Bei gröblicher Verletzung wird der Staat das Recht des Kindes zu wahren haben. Und ohne Schulgeld wird kein Kind dann mehr in eine Schule aufgenommen werden. Wie Kindern das Recht auf Erziehung, so steht Altgewordenen, Invaliden, Witwen das Recht auf einen Lebensunterhalt zu. Es gibt Vorschläge, die diesen Lebensunterhalt aus den Beträgen der Grundrente bestreiten wollen. Doch die gegenwärtigen Sozialrenten, Unterstützungen und Pensionen machen den dreifachen Betrag der eventuell unschädlich zu machenden Grundrente und den dreifachen Betrag des auszuzahlenden Erziehungseinkommens aus. -

Daß bei der gegenwärtigen Sozialordnung ein Erziehungseinkommen zur finanziellen Gewährleistung des Rechtes auf Erziehung nicht durchgeführt werden kann, geht aus der Darstellung hervor. Trotzdem sind derartige Gedanken für den, der sich mit der Dreigliederung beschäftigt, nicht unwichtig. Für das hier Gesagte gilt

[Beiträge, Jahrgang 5, Heft 3-4, Seite 36]

 

auch das, was unmittelbar im Anschluß an die Ausführungen über das Erziehungseinkommen in den „Kernpunkten“ gesagt ist: „Wieder liegt es in der Art eines wirklichkeitsgemäßen Denkens, daß mit einer solchen Angabe nur wie durch ein Beispiel die Richtung bezeichnet wird, in welcher die Einrichtung bewirkt werden können. Es wäre möglich, daß für das einzelne ganz anders geartete Einrichtungen als richtig befunden würden.“

[Beiträge, Jahrgang 5, Heft 3-4, Seite 37]

 

Quelle

Beiträge zur sozialen Dreigliederung, Jahrgang 5, Heft 3-4, Dezember 1960, S. 35-37