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Johannes Mosmann „Wirtschaft und soziale Dreigliederung im Lehrplan der Waldorfschule“
Eine Rezension von Christiane Linde-Bonsignore
Quelle
Zeitschrift „AGORA“
Heft 1, 2023, S. 44-46
Buchempfehlung zur Neuauflage:
Rudolf Steiner, Wirtschaftskunde und soziale Dreigliederung im Lehrplan der Waldorfschule
Herausgegeben von Johannes Mosmann
Berlin 2022, 97 Seiten, 14 Euro
ISBN: 978-3-945523-10-0
Zu beziehen über: dreigliederung.de/shop
Jetzt liegt uns in 2. Auflage ein Büchlein vor, das zuerst 2013 innerhalb der «Schriftenreihe Paradoxien» des Berliner Instituts für soziale Dreigliederung erschien und lange Zeit vergriffen war.
Es ist eine wundervolle und äußerst wertvolle Sammlung von Aussagen Rudolf Steiners zum Lehrplan der damaligen neuen Waldorfschule hinsichtlich der Wirtschaftskunde und sozialen Dreigliederung, eine fächerübergreifende Übersicht seiner praxisbezogenen Anregungen für alle folgenden Waldorflehrer.
Diese Zusammenstellung bezieht sich auf die gesamte Zeit vom ersten Gründungsimpuls der Waldorfschule 1919 an bis kurz vor Lebensende R. Steiners 1924. Sie stammt aus den verschiedensten Zusammenhängen der Dreigliederungsthematik im Sozialen als auch im Menschen allgemein in Bezug auf den neuen pädagogischen Lehrimpuls für die Waldorfschulen.
Es sei an dieser Stelle ein ganz großer Dank ausgesprochen an den Herausgeber Johannes Mosmann sowie Sylvain Coiplet vom Institut für Soziale Dreigliederung in Berlin für die Erarbeitung und Veröffentlichung dieses großartigen Zitatenschatzes.
Das Ganze ist mit präzisen Quellenangaben versehen, die den Lehrern als hilfreiche Grundlagen für die weiteren individuellen Ausarbeitungen ihrer Vorbereitungen der jeweiligen Unterrichtsgebiete zur Verfügung stehen. Wie konnte es sein, dass in all den Jahrzehnten der Existenz der Waldorfschulen dieser Zitatenschatz mehr oder weniger im Verborgene ruhte?
Wurden diese für alles Soziale existenziellen Hinweise möglicherweise nur im Stillen durch einzelne wenige nachfolgende und unerschrockene Lehrerpersönlichkeiten in ihrem Unterricht zum Leben erweckt?
Die Waldorfschule ist aus der Dreigliederungsbewegung heraus entstanden. Dreigliederung des sozialen Organismus und Waldorfschule gehören daher zusammen. Die Waldorfschule ist auch nur denkbar innerhalb der Dreigliederung des sozialen Organismus. (Vgl. S. 84f)
Das hieße, nur innerhalb eines freien Geisteslebens ist die Waldorfschule lebensfähig, wo kein Staat, geschweige denn die Politik oder irgendwelche Wirtschaftsinteressen reinzureden haben. Herbert Hahn, ein Waldorf-Gründerlehrer der ersten Stunde bezeugt dies sehr deutlich in seinem Bericht «Die Geburt der Waldorfschule aus den Impulsen der Dreigliederung des sozialen Organismus». Nachzulesen in: Wir erlebten Rudolf Steiner, Stuttgart 1967. (Als Kurzfassung in der Neuerscheinung von S. 86 bis 91 hinzugefügt.)
Ihr allererster Gründungsimpuls ist allerdings auf die Arbeiter der Waldort-Astoria-Fabrik zurückzuführen, die die für sie angebotenen Vorträge und Bildungskurse in ihrer Fabrik als eigentlich zu spät in ihrem Leben ansahen und lieber ihren Kindern in einer Schule so etwas angedeihen lassen wollten, was ihnen selbst in der Jugend versagt geblieben ist. «Es ist geschichtlich von Wichtigkeit, festzuhalten, dass eine der geistigen Komponenten der späteren Schulgründung diese in den Herzen und Köpfen der Waldort-Arbeiter in der Dreigliederungszeit aufsteigenden Gedanken gewesen sind.» O.a. S. 82
Es ist daher nur als ein zusammenhängendes Ganzes anzusehen, dass sich in dem Lehrplan der Waldorfschule organisch eingeflochten die Themen des Sozialen Organismus wiederfinden.
Denn das Vorwärtskommen der Waldorfschule ist unmittelbar verbunden mit dem Vorwärtskommen des Dreigliederungsimpulses:
«Es muss eine Zeit kommen, wo das in den Schulen den Menschen schon klar wird, was sie durch den sozialen Organismus sind und was sie daher verpflichtet sind, dem sozialen Organismus wiederum zurückzugeben. Worauf ich zähle, das ist: soziales Verständnis, welches kommen muss, wie heute von den Schulen das Einmaleins kommt.» S. 74
Dazu gehört selbstverständlich auch ein ganz neues Verständnis von Arbeit im dreigliedrigen sozialen Organismus. Sollen weiterhin die Schüler auf ihr späteres Dasein von Lohnarbeitern, konkurrierend um einen gut dotierten Stand auf dem Arbeitsmarkt einseitig hinorientiert werden, oder kann ihnen als spätere Mitgestalter eines dreigliedrigen sozialen Organismus echte Freude und Liebe zur Arbeit im Verständnis für alle und alle für einen vermittelt werden? Vgl. S. 77. «Daher hängt die Zukunft der Menschheit davon ab, ob der Mensch bereits im Schutzraum der Schule die praktischen Mittel kennenlernen darf, die menschliche Arbeit aus den Zwangsverhältnissen der Gegenwart wieder herauszuführen.» Einleitung, S. 13.
Unzählige Hinweise R. Steiners regen an, wie in jeden Unterricht altersbezogen unter Berücksichtigung des Entwicklungstands der Schüler anschauliche Aspekte und Elemente der Wirtschaftsprozesse hineingestaltet werden können. - Heute eine riesige Herausforderung an den Willen und überhaupt an die Begeisterungsfähigkeit aller Waldorflehrer, die nicht nur den Waldorfimpuls in sich tragen, sondern auch die Notwendigkeit in sich verspüren, elementare lebendige Wirtschaftsprozesse an die Schüler herantragen zu müssen. Auf Grundlage des Dreigliederungsimpulses im Sinne von: Geist muss einziehen in das Wirtschaftsleben. Vgl. R. Steiner, 29. Juli 1922, GA 340.
« ... das Wichtige ist nämlich dieses, dass wir vor der Tatsache stehen, dass ja das freie Geistesleben mit einer gewissen Notwendigkeit heraus entsteht aus dem Eintritt des Geistes überhaupt in das Wirtschaftsleben. » R. Steiner, 29. Juli 1922, GA 340, S. 93.
Das heißt für den Lehrer, die Wirtschaft als ein tragendes autonomes Element im Zusammenspiel des gesamten sozialen Organismus zunächst zu erkennen. Und lernen, diese vielfältigsten organischen Prozesse des gesamten sozialen Organismus nach Gesundheit und Krankheit zu untersuchen, so wie ein im goetheanistischen Sinn eben ins Soziale umgestülpter menschlicher Organismus nach Gesundheit und Krankheit zu untersuchen wäre.
Heute werden Kinder und Jugendliche in eine digitalisierte Parallelwelt hineingepresst, in eine virtuelle Zwischenwelt abgezogen, die den direkten Weg in den Transhumanismus ebnet. Eine ebenso große Herausforderung an alle Erziehende, diesen Mechanismus in sich selbst zu erkennen und in eine bewusste und ökonomische Handhabung zu transformieren.
Es wirkt sonst als das krasse Gegenbild eines goetheanistisch-seelenvoll ausgerichteten Erziehungsimpulses, der der individuellen Entwicklung und Entfaltungsmöglichkeit jedes einzelnen Kindes dienen soll.
Um so größer und bedeutender würde sich das mutvolle Ergreifen der aktuell vorliegenden Anregungen durch die Lehrer, zugunsten eines Heranreifens der Schüler zu späteren Erwachsenen erweisen, die den Herausforderungen eines immer kränker werdenden sozialen Organismus als eigenständig denkende Wesen gewachsen sind.
Auch wenn die wertvollen Hinweise Rudolf Steiners in diesem Büchlein zunächst nur in einzelnen Lehrer-Seelen als ein innerlich gelebter Impuls aufgehen können, so wirken sie dennoch dadurch als ein starker, in die Zukunft gerichteter Impuls.
Tröstlich sind in diesem Zusammenhang die Worte Rudolf Steiners, die er an Herbert Hahn richtete, der sich als junger Waldorflehrer den gewaltigen Aufgaben zunächst nicht wirklich gewachsen sah. «Er (Rudolf Steiner, C.L.-B.) sah mich gütig an und sagte mit vollem, warmen Nachdruck: Ja, aber Sie dürfen auch gewiss sein, dass die geistige Welt Begeisterung stellvertretend für Reife hinnimmt. » (H. Hahn in: Wir erlebten R. St., S. 95.)