Arbeitszeit, Sozialzeit, Freizeit – Ein Beitrag zur Überwindung der Arbeitslosigkeit

01.12.1994

Produktivitätsfortschritt - Steigerung der verfügbaren Zeit

Arbeitslosigkeit ist aus einer zeitweiligen, konjunkturellen Erscheinung zum strukturell bedingten Dauererphänomen geworden. Dies hängt vor allem mit dem gewaltigen Fortschritt der Produktivität zusammen. In Deutschland z.B. stieg das Bruttosozialprodukt zwischen 1950 und 1986 um 400%, während die Arbeitsstunden pro Kopf um ein Drittel sanken. In einem kürzlich erschienenen Buch von Lothar Späth und Henzler (einem McKinseyUnternehmensberater) findet man "folgende vielsagende Angabe: Wenn der höchste Stand der heute verfügbaren Technik überall dort angewendet würde, wo er anwendbar ist, würden von den 33 Millionen noch bestehenden Arbeitsplätzen in Deutschland gleich 9 Millionen wegfallen. Die Arbeitslosigkeit würde auf 38% ansteigen.2 Wer etwas weiterdenkt, kommt um die Erkenntnis nicht herum, daß das Problem der Arbeitslosigkeit nicht mehr mittels "Vollbeschäftigung" durch Wachstum zu lösen ist.

Die steigende Produktivität der Arbeit bedeutet eine Steigerung der individuell oder gesellschaftlich frei verfügbaren Zeit. Wo immer weniger Zeit für den Erwerb des Lebensnotwendigsten eingesetzt werden muß, entstehen Freiräume, deren Ausgestaltung eine gewaltige Chance darstellt.

Während früher nur ein Teil dieser Zeit als "Freizeit" realisiert wurde, weil Arbeitskraft auf neue Felder materieller Produktion und marktfähiger Dienstleistungen gerichtet wurde, stellt sich heute die Frage anders. Gefordert ist ein radikales Umdenken in der Art und Weise, "wie Arbeit und Freizeit organisiert sind " 3 Wenn wir bei der Anwendung traditioneller Methoden verharren, wird das Gegenteil von Freiheit entstehen, nämlich eine Welt, "in der einige überarbeitet und andere unterbeschäftigt oder arbeitslos sind " 4

Ein solcher Zustand ist sozialschädlich, gerade weil Arbeit nicht nur eine "Messer-und-Gabel"Frage, sondern vor allem eine Frage von Menschenwürde und Entwicklungsmöglichkeiten ist. Nicht der wachsende Freiraum ist das Problem, vielmehr unsere Unfähigkeit, mit den Freiräumen der Produktivität sinnvoll umzugehen. 5

Der Kampf um die Arbeitszeit

In der Auseinandersetzung um die 5-Tage-Woche war die Senkung der Arbeitszeit hauptsächlich ein sozialpolitisches Anliegen (Gewerkschaftsparole: "Samstags gehört Papi mir!). Wo der Industriegesellschaft die (bezahlbare) Arbeit ausgeht, entwickelt sich die Auseinandersetzung um die Arbeitszeit immer mehr zu einer Frage der "Beschäftigungspolitik" (wobei die Beschäftigungseffekte von Arbeitszeitverkürzungen in der Debatte durchaus umstritten sind). Deutlich ist jedenfalls, daß punktuelle Betrachtungen an Grenzen kommen: Die "Umbuchung" von Arbeitslosen ins Rentensystem ist eine bloße Kostenverlagerung.

Um eine größere Urteilssicherheit in bezug auf das Thema "Arbeitszeitverkürzung" zu gewinnen, mag zunächst ein kurzer historischer Rückblick hilfreich sein:

In den alten Menschheitskulturen hätte niemand mit dem Satz "Zeit ist Geld" etwas anfangen können. Arbeitszeiten, Festeszeiten usw. wurden aus ganz anderen als ökonomischen Gesichtspunkten heraus geordnet. Das Leben war in Anbindung an kosmische Ordnungen durchrhythmisiert.

In der Moderne ist Arbeitszeit immer mehr zu einer rein ökonomischen Kategorie geworden. Zwei Methoden gibt es, die ökonomische Wertbildung zu steigern; beide haben etwas mit dem Zeiteinsatz zu tun. Die erste besteht in der Anwendung eines größeres Quantums körperlicher Arbeit auf die Natur, die zweite in der "Anwendung von Geist auf Arbeit" (R. Steiner): Arbeit wird erspart durch technische Entwicklung, Arbeitsteilung und organisation; so kann mehr in kürzerer Zeit produziert werden.

Solange sich die Bedürfnisse innerhalb traditioneller Grenzen bewegten, der Drang nach immer mehr Gütern noch eher als Versündigung galt, war die Tendenz sehr stark, solche Produktivitätsfortschritte schlicht in Form von mehr freier Zeit zu realisieren: Mehrverdienst war weniger verlockend als Minderarbeit. Druck und Verlockung müssen zusammenwirken, um diese Mentalität zu verändern.

Besonders in der Frühzeit des Industrialismus versuchten die Kapitaleigner, den Profit durch die Steigerung der Dauer und der Intensität der Arbeit der abhängig Beschäftigten zu erhöhen. Die industrielle Reservearmee der Arbeitslosen wurde nicht etwa durch Verteilung vorhandener Arbeit abgebaut; sie wurde vielmehr als Druckmittel der Arbeitszeitverlängerung eingesetzt.

Die Ausbeutung der Arbeitskraft durch permanente Erweiterung des Arbeitstages rief bekanntlich die Gegenwehr der Arbeiter hervor: Die Verkürzung des Arbeitstags wurde zur essentiellen Forderung im Kampf um Menschenwürde und Überleben. In klassischer Weise beschrieb Karl Marx diese Situation. "Zum Schutz gegen die Schlange ihrer Qualen müssen die Arbeiter ihre Häupter zusammenrotten und als Klasse ein Staatsgesetz erzwingen, daß sie selbst verhindert, durch freiwilligen Kontrakt mit dem Kapital sich und ihr Geschlecht in Tod und Sklaverei zu verkaufen. 6

Die durch diesen Kampf hervorgerufene Begrenzung der Möglichkeiten, durch Arbeitszeitverlängerung Profite zu steigern, war wiederum ein mächtiger Stimulus für die Entwicklung der Produktivität.

Arbeitszeitverkürzung 7

Jahr Wochenarbeitszeit
1825 82 Stunden
1875 72 Stunden
1900 60 Stunden (in 6 Tagen)
1913 57 Stunden
1918 8-Stunden-Tag
1932 42 Stunden
1941 50 Stunden
1950 48 Stunden
1956 Übergang zur 5-Tage-Woche
1965 40 Stunden
1984 38,5 Stunden
1995 35 Stunden (Druck-, Metall- und Elektroindustrie)

Arbeitszeit als Rechtsfrage

Das Ringen um die Verkürzung des Arbeitstages stellt sich von Beginn an als ein Kampf um die Begrenzung der Ökonomie durch das Recht dar. Jener unwürdige Zustand, daß menschliche Arbeitskraft wie eine Ware gehandelt und behandelt wird, ist nur zu überwinden, wenn die Arbeitsverhältnisse aus dem Rechtsbewußtsein heraus gestaltet werden. Dann darf aber auch die Arbeitszeit nicht nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage reguliert werden. "Die Art, wie, und das Maß (Hervorhebung CS), in dem ein Mensch für den Bestand des sozialen Organismus zu arbeiten hat, müssen aus seiner Fähigkeit heraus und aus den Bedingungen eines menschenwürdigen Daseins geregelt werden. Das kann nur geschehen, wenn diese Regelung von dem politischen Staate aus in Unabhängigkeit von den Verwaltungen des Wirtschaftslebens geschieht." "Durch eine solche Regelung wird der Ware eine Wertunterlage geschaffen, die sich vergleichen läßt mit der andern, die in den Naturbedingungen besteht. Wie der Wert einer Ware gegenüber einer anderen dadurch wächst, daß die Gewinnung der Rohprodukte für dieselbe schwieriger ist als für die andere, so muß der Warenwert davon abhängig werden, welches Maß von Arbeit zum Hervorbringen der Ware nach der Rechtsordnung aufgebracht werden dürfen." 8 Das Maß der Arbeit schlägt so auf die Preise durch, d.h. die Wirtschaftspartner müssen diese rechtlichen Voraussetzungen von vornherein bei Kalkulation und Preisabsprache einbeziehen." Es ist leicht einzusehen, daß durch eine solche Führung des sozialen Organismus der wirtschaftliche Wohlstand sinken oder steigen wird je nach dem Maße von Arbeit, das aus dem Rechtsbewußtsein heraus aufgewendet wird." 9

Die Antwort auf die Frage nach der Arbeitszeit ist nur vermeintlich eine Folge ökonomischer Sachzwänge. Denn Recht ist unter modernen Bedingungen dasjenige, was mündige Menschen untereinander vereinbaren. Sicherlich hat jede demokratische Entscheidung ihre ökonomischen Konsequenzen, die bedacht und bei der Entscheidungsfindung mit einbezogen werden müssen. Aber letztlich entscheidend für die Vereinbarung ist, was gewollt wird, und welche Konsequenzen man dafür in Kauf zu nehmen bereit ist. Das gilt für die Frage der Sonntagsarbeit ebenso wie für die Regelung des Ladenschlusses. Wenn gegenwärtig die öffentliche Debatte über solche Fragen fast ausschließlich durch ökonomische Argumente bestimmt wird, so ist das eine bedenkliche Tendenz zur Aufhebung aller rechtlichen Gesichtspunkte in bezug auf das Maß der Arbeit.

Die rechtliche Regelung der Arbeitszeiten darf sicherlich nicht schematisch erfolgen; sie ist durchaus abhängig vom Arbeitsinhalt. Während sich unser Rechtsempfinden dagegen sträubt, die Arbeitszeit eines freischaffenden Künstlers oder auch eines Unternehmers von außen zu begrenzen, haben wir bei monotoner Arbeit das Gefühl, man könne diese einem Menschen nicht länger als für eine begrenzte Stundenzahl zumuten. 10

Die allgemeine rechtliche Festlegung von Maß und Zeit der Arbeit darf nur die allgemeinen Bedingungen eines menschenwürdigen Arbeitslebens festlegen. Sie muß Gestaltungsspielräume freilassen und darf daher nur Minimum und Maximum des Arbeitstages fixieren. "Wenn die Art, das Maß und die Zeit der Arbeit im Rechtsorganismus festgesetzt werden, so kann es sich nur um die minimale und maximale Arbeitszeit handeln, die noch genügend Spielraum für den freien Willen des einzelnen last." 11 Das heißt aber, daß allgemeine gesetzliche Regelungen nur den Rahmen bilden können, der vertragsrechtlich ausgestaltet und gefüllt werden muß. Da hierbei sichergestellt sein muß, daß die Gleichheit und Freiheit der Vertragspartner nicht nur formal besteht, ergeben sich hier auch vielfältige Fragen in bezug auf die allgemeine Rechtsstellung der Mitarbeiter und ihre Emanzipation vom Status der "unselbständig Erwerbenden".

Man könnte meinen, unsere heutigen Tarifverträge würden dem Desiderat einer vertragsrechtlichen Regelung Genüge tun. Das ist aber nur in sehr eingeschränktem Sinne der Fall. Ganz abgesehen davon, daß unsere Tarifverträge von dem Gegensatz zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern als Gegebenheit ausgehen: Während auf der einen Seite jeder Versuch, Arbeitsverhältnisse durch den Gesetzgeber zu regeln, als Eingriff in die Tarifautonomie betrachtet wird und auf entsprechenden Widerstand stößt, wirken unsere Tarifverträge selber weitgehend wie gesetzliche Regelungen, die Individuallösungen behindern. Die gegenwärtige Debatte über Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen ist eine Reaktion auf dieses Problem.

Integraler Bestandteil der Arbeitszeitregelung ist die Gewährleistung des Rechtes auf Muße: Sie bildet eine Voraussetzung für Empfänglichkeit gegenüber der Kultur, die sich am ehesten bei Menschen entwickeln kann, "welche durch den aus sich wirkenden politischen Staat davor behütet werden, nur dem Zwang zur Arbeit zu unterliegen, sondern denen das Recht auch die Muße gibt, welche das Verständnis für geistige Güter weckt." 12

"Flexibilisierung der Arbeitszeit"

Wesentlicher Punkt der Auseinandersetzung um Arbeitszeiten ist heute die Forderung nach Flexibilisierung. Diese Forderung ist aber sehr unterschiedlich, ja gegensätzlich motiviert. Für viele Unternehmen stehen betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte im Vordergrund. Für eine absatzorientierte Produktion sind Arbeitskräfte erforderlich, die bei flexiblem Arbeitseinsatz jederzeit verfügbar sind. So wird KAPOVAZ (kapazitätsorientierte, variable Arbeitszeit) zum Zauberwort einer Produktion, die sich "just in time" vollziehen soll. Da "Normalarbeitskräfte" teuer sind, sucht man als Puffer Teilzeitarbeitskräfte, vornehmlich auch solche in nicht sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Vor allem Frauen werden als jederzeit abrufbare Teilzeitarbeitskräfte gesucht bzw. eingesetzt und bilden eine industrielle Reservearmee neuen Typs. 13 Vom Einsatz solcher Arbeitskräfte erhofft man sich den Abbau der teuren Kernbelegschaften, das Abfangen von Produktionsspitzen ohne Neueinstellungen und andere Vorteile. Auch die Forderung nach einem 2. Arbeitsmarkt, innerhalb dessen die Bezahlung oberhalb der Arbeitslosenunterstützung, aber unter den Tariflöhnen liegen soll, ist in diesem Zusammenhang zu sehen.

So besteht die Gefahr, daß Teilzeitarbeit nicht etwa als Beitrag zur Linderung der Arbeitslosigkeit, sondern als reine Billiglohnmethode benutzt wird. Dabei ist es auch kein Wunder, daß sie häufig geradezu als Alternative zu Arbeitszeitverkürzungen bei den Kernbelegschaften angesehen wird. Für die "teuren" tarifvertraglich abgesicherten Arbeitsverhältnisse des 1. Arbeitsmarkts wird vielfach sogar eine Verlängerung der Arbeitszeit gefordert, mit dem Argument, die Bundesrepublik drohe zum "Freizeitpark" zu werden. Statt die Arbeitsverhältnisse insgesamt fair und gerecht zu gestalten, entsteht die Tendenz zur Herausbildung einer "Klassenspaltung" zwischen "normalen" und rechtlich unterprivilegierten Arbeitsverhältnissen, was zum einem guten Teil nur die Kehrseite der gekennzeichneten Schwächen unseres Tarifvertragssystems ist. Die gewerkschaftliche Forderung nach Beseitigung der Benachteiligungen von Teilzeitbeschäftigten durch Wegfallen der Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung macht deshalb nur Sinn, wenn zugleich diese Schwächen überwunden werden, ganz abgesehen davon, daß hier generelle Fragen der Weiterentwicklung unseres Sozialversicherungssystem mit zur Debatte stehen.

Ein zweites Motiv, das bei der Forderung nach Flexibilisierung eine Rolle spielt, ist ganz anders gelagert. Es ist das Motiv der "Zeitsouveränität". Freiheit und Mündigkeit sind ohne selbstverantwortlichen Umgang mit der eigenen Lebens- und Arbeitszeit nicht real. Zugleich wird Freiheit oftmals nur als die Lösung aus allen Bindungen, nicht als Möglichkeit zum verantwortlichen selbstbestimmten Handeln gelebt. Einseitig verstandene Selbstverwirklichung und Lustgewinn stehen dann im Mittelpunkt dessen, was die Soziologie als "Erlebnis- und Ego-Gesellschaft" beschreibt: So grassiert Anspruchsdenken. An die Stelle von Leistungsbereitschaft für die Mitmenschen tritt das Motiv, für möglichst viel Geld möglichst wenig arbeiten zu wollen. Eine Steigerung dieser Haltung bedeutet die Forderung, nur dann zu arbeiten, wenn es in die private Lebensgestaltung hineinpaßt (nach dem Motto: "Freitags nie, da spiele ich Tennis). Die gewerkschaftliche Arbeitszeitpolitik entgeht nicht immer der Tendenz zur Oberbetonung solcher Anspruchsaspekte. 14

Ein weiteres Motiv der Forderung nach Flexibilisierung ist sozialpolitischer Art: Neben dem Wunsch, Frauen generell den Spagat zwischen Berufsarbeit und Familienpflichten zu erleichtern 15, geht es besonders auch um Hilfen für die immer größer werdende Gruppe der alleinerziehenden Frauen. Die Lebensbedürfnisse, auf die mit solchen Forderungen reagiert wird, sind keineswegs egoistisch-privater Natur.

Hierzu ist zu sagen, daß das verstärkte Angebot an Teilzeitarbeit zur Verbesserung der Lage alleinerziehender Mütter nicht ausreicht. Deshalb ist ganz generell die Frage zu stellen, was sozial notwendig ist, um dieser Gruppe die Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgabe finanziell zu ermöglichen. Immerhin kann ein verstärktes Angebot an sinnvoller Teilzeitarbeit eine Hilfe unter anderen darstellen.

Wesentlich ist die Einsicht, daß die Frage der individuellen Arbeitszeit in einer arbeitsteiligen Gesellschaft mehr als eine individuelle Frage ist. "Was einer wirklich braucht, kann nur er wissen und empfinden; was er leisten soll, will er aus seiner Einsicht in die Lebensverhältnisse des Ganzen beurteilen . 16 "Zeitsouveränität" bedeutet daher nicht individuelle Willkür, sondern verantwortlicher Umgang sowohl mit der individuell zur Verfügung stehenden Freizeit als auch mit der Zeit, die der Leistung für die anderen gewidmet ist. Wo "kapazitätsorientierte, variable Arbeitszeit" so gedacht und praktiziert wird, daß der Einzelne sich in größerer Eigenverantwortung auf den Bedarf des Kunden einstellen kann, gewinnt "Zeitsouveränität" erst ihre eigentliche Bedeutung. In einzelnen Unternehmen gibt es heute bereits Tendenzen, die in diese Richtung gehen .17

Bei dem Waagenhersteller Mettler-Toledo in Albstadt-Ehingen beispielsweise hat seit einiger Zeit jeder Mitarbeiter sein Zeitkonto, dessen Stand über Chipkarten abgefragt werden kann. Vier Stunden Arbeit pro Tag sind obligatorisch, 36 Wochenstunden müssen als Durchschnitt am Monatsende herauskommen, das Zeitkonto darf nicht über 72 Stunden nach unten oder nach oben "überzogen" werden. In diesem Rahmen gestaltet jeder seine Arbeitszeit selbst, was zu eigenverantwortlichen individuellen Anpassung der Arbeitszeit an die jeweilige Auftragslage (Liefertermine) führt. Dieses Modell hat sich für Mitarbeiter als attraktiv und motivierend herausgestellt. 18

Die Tendenz zur Flexibilisierung markiert eine Wende im Verhältnis des Menschen zur Zeit. Die Flexibilisierung führt zu großen Veränderungen im Leben, weil sie die letzten noch verbliebenen vorgegebenen Rhythmen (der freie Samstag/Sonntag usw.) zerstört. Die Rhythmisierung des Lebens wird damit immer mehr zur Gestaltungsaufgabe der Menschen selbst. Gerade deswegen darf aber diese Flexibilisierung nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet werden.

Was die "beschäftigungspolitischen" Effekte der Flexibilisierung angeht, so müssen diese realistisch eingeschätzt werden. Gegenwärtig wird davon ausgegangen, daß ca. 300.000 Arbeitslose eine Teilzeitarbeit suchen. Von einer "Teilzeitoffensive" ist daher allenfalls eine Linderung, jedoch keine Lösung des Problems der Arbeitslosigkeit zu erwarten. Daher muß ganz generell das Verhältnis von Arbeitszeit und Freizeit neu bedacht werden, um zu wirklichen Lösungen kommen zu können.

Arbeitszeit und Freizeit

In seinen berühmt gewordenen "Pariser Manuskripten" von 1844 thematisierte Karl Marx die "Entfremdung der Arbeit" unter den Bedingungen des industriellen Kapitalismus: Wo Arbeit fremdbestimmt geleistet wird, wo ausschließlich die Kapitaleigner über das Instrument der Produktionsmittel verfügen, da wird Arbeit nicht als Wesensäußerung und Wesensbetätigung erlebt. Die fehlende Identifikation mit der Arbeit führt dazu, daß die Zeit außerhalb dieser Arbeit als "Freizeit" zur eigentlichen Lebenszeit wird. In den Worten von Marx: Der Arbeit fühlt sich in der Arbeit außer sich und außer der Arbeit bei sich.

Das Verhältnis von Arbeitszeit und Freizeit wurde auf diese Weise zum Dualismus. Zur Zeit von Marx war Freizeit angesichts extensiver Arbeitszeiten nur ein kleiner Winkel, ein Refugium. Heute ist die berufliche Arbeit schon rein zeitlich nicht mehr alleiniger Lebensschwerpunkt und damit auch nicht mehr der alleinige Mittelpunkt des Lebensinns. Um so mehr stellt die Tatsache, daß die Freizeit nach wie vor nicht als Zeit für freischöpferische Tätigkeit gesehen wird, sondern als von Arbeit in der Bedeutung von sinnvoller Tätigkeit freie Zeit, ein Hindernis für den Umgang mit den gewachsenen Freiräumen der Produktivität dar. In unserer "Freizeit-Unkultur" wird die arbeitsfreie Zeit paradoxerweise zu einer Kategorie der Unfreiheit: Herrscht - in der Begrifflichkeit von Schillers Ästhetischen Briefen geredet - in der Produktionssphäre der Vernunftzwang (Werte wie Disziplin, Rationalität usw.), so ist die Freizeit der Ort des Triebzwangs - wo man auch einmal "die Sau rausläßt" - oder auf der Bärenhaut liegt.

Solche Bedürfnisse werden wiederum von einer ganzen Industrie systematisch bedient und durch Werbung verstärkt. Wenn ich nach Hause komme, den Arbeitsalltag hinter mir lasse, sind nur noch zwei Dinge wichtig: "Ich und mein Magnum". Mit der zweifelhaften "Erlebnis"-"Kultur", die die Freizeitindustrie zu einer boomenden Branche macht, kehrt sich auch die Funktion der freien Zeit als einer Zeit des Kräftesammelns um: Wer aus dem Urlaub nicht kaputt zurückkommt, hat das Gefühl, nicht genug erlebt zu haben.

Die Ökonomisierung der Freizeit geschieht jedoch nicht nur durch die Freizeitindustrie: Freizeit wird immer mehr auch das Feld der Schwarzarbeit (mit allen steuerlichen und sonstigen Folgen, die hier nicht weiter diskutiert werden können). Nachdem "Volkswagen" die Wochenarbeitszeit zur Sicherung von Arbeitsplätzen drastisch reduziert hatte, klagte das Handwerk in der Region über die Konkurrenz von schwarzarbeitenden VW-Mitarbeitern, die Hand anlegten, um ihr geschmälertes Einkommen aufzubessern.

Solche Phänomene zeigen, daß wir mit den alten dualen Denkmustern in bezug auf Arbeitszeit und Freizeit immer weniger zurechtkommen. Wir brauchen eine Neubewertung der Freizeit! Freie Zeit darf heute nicht mehr nur als private, sondern muß auch als gesellschaftliche Kategorie gesehen werden. Sie ist mehr als private Mußezeit, einfach deshalb weil sie "zur gesellschaftlich überwiegenden Zeit geworden [ist]. Sie ist gesellschaftlich produktiv, sinnschöpfend, obwohl dies aufgrund der Kolonisierung durch die Freizeitindustrien zum Teil verdeckt wird." (André Gorz)

Für die Menschheit entsteht die Frage nach dem sinnvollen Umgang mit den gewachsenen Freiräumen der Produktivität. Das, was wir heute Arbeitslosigkeit nennen, kann auch als Chance zum Ergreifen neuer Aufgaben gesehen werden kann, die heute nicht bezahlt werden können - Aufgaben der individuellen Entwicklung und Bildung, Aufgaben auf dem ökologischen, kulturellen und sozialen Feld. Hierfür sind insbesondere Veränderungen im Hinblick auf den Umgang mit der Bereitstellung der Einkommen für die sogenannten Arbeitslosen erforderlich. Man wird beim bestehenden Zustand ansetzen und versuchen müssen, zunächst einmal die Situation derjenigen zu verändern, die aus dem Prozeß der Erwerbsarbeit herausfallen.19 Man muss aber zugleich auch nach noch weitergehenden Lösungen fragen.

Als Vordenker in dieser Richtung wird von vielen André Gorz betrachtet. Dieser 1924 in Wien geborene, heute in Frankreich lebende, kritische Marxist vertritt die Auffassung, daß sich die "gesellschaftlich notwendige" Arbeitszeit in der heutigen Industriegesellschaft zugunsten eines Bereichs frei gestaltbarer Arbeit und individueller Freizeit reduziere, ein Prozeß, den man emanzipatorisch in Zeitsouveränität umgesetzen müsse, statt immer weiter den Fetisch des Wachstums anzubeten ("Mehr muß nicht besser sein"). Gorz will die vorhandene Erwerbsarbeit in der Großproduktion auf alle Menschen verteilen, daneben erhält jeder einen "zweiten Scheck", ein "Sozialeinkommen", das durch eine Maschinensteuer bzw. über ökosoziale Produktsteuern und Energiesteuern, Vermögenssteuern u.ä. finanziert werden soll.

Eine der großen politischen Aufgaben sei es, den gesellschaftlichen Wert der vom Lohnarbeitsverhältnis freigesetzten Zeit öffentlich - das heißt auch rechtlich anzuerkennen und die in ihr stattfindende Entwicklung von nicht monetären, nicht warenförmigen Selbstbetätigungen durch öffentliche Einrichtungen und Dienste zu unterstützen (Pflege der Umwelt, der Künste, des Zusammenlebens). Dies alles entwickele sich am besten "als Selbstbetätigung, als selbstorganisierte Netze gegenseitiger Unterstützung, als Austausch von Dienstleistungen und als Selbstversorgung ." 20

Gorz sieht die Notwendigkeit eines neuen Denkens in bezug auf die Kategorie der Freizeit. Problematisch und künstlich erscheint allerdings die Beschreibung der Tätigkeitsfelder, die durch die Produktivitätssteigerung entstehen, mit Kategorien der Selbstversorgung und der Aufhebung der Arbeitsteilung. Statt generell die Überwindung der Lohnarbeit zu thematisieren, wird diese Frage damit als erledigt hingestellt, daß Lohnarbeit nur noch im Sektor der Großproduktion Platz hat, in dem die Menschen immer weniger Stunden arbeiten.

Arbeitszeitverkürzung - Möglichkeiten und Grenzen

Gorz ist zuzustimmen, wenn er konstatiert, daß das Problem der Arbeitszeitverkürzung letztlich nur gesamtgesellschaftlich gelöst werden kann und daß es sich hierbei nicht um ein bloß ökonomisches, sondern ein politisches und kulturelles Projekt handelt. 21

Zunächst einmal erscheint es plausibel, das Problem der Arbeitslosigkeit dadurch lösen zu wollen, daß die vorhandene Arbeit einfach intelligenter und gleichmäßiger verteilt wird. Rein rechnerisch bringt so jede Stunde Arbeitszeitverkürzung eine meßbare Entlastung auf dem "Arbeitsmarkt. In der Praxis ist die Sache aber sehr viel komplizierter. Bei der Verteilung von Arbeit auf mehr Köpfe gibt es eben auch Verwaltungsaufwand, Komplikationen in der Arbeitsorganisation, Probleme mit der Qualifikation und ähnliches. Und Komplikationen und Kosten sind ein Motiv, noch mehr Arbeit einzusparen. Geringe Reduktionen der Arbeitszeit werden in der Regel durch Leistungsverdichtung und Rationalisierung kompensiert werden.

So wird keineswegs die Zahl der Arbeitskräfte eingestellt, die sich rein rechnerisch ergibt. Eine 2,5%ige Reduktion der Arbeitszeit jedes Jahr muß daher durchaus nicht den gleichen Effekt haben wie eine 10%ige alle 4 Jahre. Wer glaubt, eine um 15 Minuten verlängerte Mittagspause bei Beamten bringe irgend einen Beschäftigungseffekt, hat offenbar noch nie 15 Minuten vor Beginn der Mittagspause mit einer Behörde telefoniert.

Arbeitszeit und Freizeit: die Überwindung des Dualismus

Es gibt einen besseren Weg, den potentiellen Zeitgewinn, den der Produktivitätsfortschritt bietet, zu realisieren, einen Weg, der aus der Alternative "Verlängerung der Arbeitszeit" oder "Verlängerung der individuellen Freizeit" herausführt. Das ist der Weg, der über Bildungs- und "Sozialzeiten" führt. 22 Das moderne Berufsleben führt zu einem permanenten Umschulungsbedarf. Wer mit 15 oder 16 Jahren in den Beruf kommt und mit 65 in Rente geht, wird zwischendurch immer wieder umlernen, Neues lernen müssen. Warum also nicht Bildungszeiten von vornherein in die Regelungen der Arbeitsverhältisse einbeziehen? Darunter braucht die Arbeit nicht zu leiden. Das Schweizer Militärmilizsystem zeigt, daß keineswegs alles zusammenbricht, wenn Mitarbeiter bis in die höchsten Etagen der Unternehmen in gewissen Abständen abwesend sind. Warum sollte, was bei Militärübungen funktioniert, nicht bei von vornherein eingeplanten Bildungszeiten ebenso gut, ja besser funktionieren? Wir müssen die Freistellung von Mitarbeitern in einem bestimmten Turnus nur wollen! Geld für Qualifizierungsmaßnahmen aufzuwenden, wäre im übrigen sehr viel sinnvoller, als Schlechtwettergeld u.ä. zu bezahlen, um Auftragslücken zu überbrücken.

Bildung darf aber nicht nur auf berufliche Weiterbildung reduziert werden: In der heutigen Zeit ist lebenslanges Lernen eine Bedingung der Persönlichkeitsentfaltung, der individuellen Entwicklung. Das "Freijahr" (Sabbath-Jahr) hat sich längst als sinnvolle Einrichtung erwiesen. Allerdings beschränken wir diese Möglichkeit auf bestimmte Kategorien von Menschen wie z.B. Professoren. Warum nicht "Sabbath-Zeiten" als Möglichkeit für jedermann etablieren?

Eine andere Möglichkeit besteht darin, von vornherein - z.B. in den Tarifverträgen - Zeit für die Verbesserung der Zusammenarbeit, für Besprechungen und gemeinsame geistige Arbeit im Unternehmen vorzusehen. Diese Zusammenarbeitszeit ist nicht aus moralischen Gründen erforderlich, sondern weil die Arbeit heute eine "Teamhülle" braucht, ohne die sie nicht gedeiht. Die Sicherstellung der Bedingungen für eine fruchtbare Teamarbeit ist heute eine Lebensfrage für das Unternehmen und für die Kooperation zwischen Unternehmen. Die heute so beliebte Kategorie des "Lean management" erfordert die Erweiterung der Möglichkeiten der Kommunikation der Mitarbeiter untereinander. 23 Wenn erst einmal die Arbeitszeit vertraglich festgeschrieben ist, lassen sich die notwendigen Zeitfonds für Zusammenarbeitsfragen aus der Freizeit aller Erfahrung zufolge nicht mehr gewinnen, da die meisten Mitarbeiter hierin einen Eingriff in ihre Zeitsouveränität sehen würden. Warum also nicht von vornherein solche Zeiten (z.B. 4-5 Wochenstunden) als "Sozialzeit" institutionalisieren und damit die Zusammenarbeit effektiv verbessern?

Dieser Vorschlag greift im übrigen ein Motiv auf, das für den Gedanken der Selbstverwaltung als der Form mündiger Sozialverantwortung konstitutiv ist: So betont R. Steiner 1919, daß beispielsweise der Lehrer nur soviel Zeit unterrichten dürfe, daß er auch noch ein Verwaltender auf seinem Gebiete sein kann.

Neben den bereits genannten Formen gibt es viele weitere Möglichkeiten, Sozialzeiten zu gestalten, die teilweise auch schon punktuell praktiziert werden, wie z.B. ein "freiwilliges ökologisches Jahr. Neben Arbeitszeit und Freizeit muß so die "Sozialzeit" als dritte Kategorie treten. 24

Der Beschäftigungseffekt solcher "Sozialzeiten" dürfte unvergleichlich höher sein als derjenige konventioneller Arbeitszeitverkürungen. Wo von zwanzig Mitarbeitern alle fünf Jahre einer für ein halbes Jahr fehlt (Bildungszeit!), sind eben permanent zwei Stellen vakant! Und diese werden dann auch besetzt werden!

Diese Form der Realisierung zeitlicher Dispositionsmöglichkeiten "verteilt" nicht einfach mechanisch die Arbeit auf mehr Köpfe, sondern sorgt dafür, daß die Kräfte dieser Köpfe entwickelt werden können. Sie fördert so das wirtschaftliche Leben.

Man sage nicht, wir könnten uns solche Sozialund Bildungszeiten nicht leisten. Die "ersparte" Arbeit - unter der Bedingung, daß das äußere Wachstum an seine Grenzen stößt kostet auch heute schon: Nur daß diese Milliarden und Abermilliarden, die wir momentan in die Finanzierung der Arbeitslosigkeit stecken, sicherlich - zur Finanzierung von Bildungsund Sozialzeit eingesetzt - besser angewandt wären!

"Zeitsouveränität" und Mündigkeit gehören zusammen. Zeitsouveränität bedeutet aber, mit der eigenen Zeit und mit der gemeinsamen Arbeitszeit bewußt umgehen zu lernen. So wie in der individuellen Entwicklung die Wachstumskräfte sich aus naturhaft wirkenden zu individuell verfügbaren Kräften metamorphosieren, so muß heute auch in der Menschheitsentwicklung das Potential an Zeit, das durch die Produktivität entsteht, bewußt eingesetzt werden. Wir müssen lernen, gestaltend mit der Zeit umzugehen. Ein solcher Umgang mit dem Problem der Arbeitszeit kann helfen, die heutige Situation nicht nur als Krise zu beklagen, sondern als Chance zum Ergreifen neuer Aufgaben, zur Eröffnung neuer Perspektiven einer menschenwürdigen Sozialentwicklung zu nutzen.

Anmerkungen

1 Goeudevert, Daniel: Welche Zukunft hat die Arbeit. Intelligente Produktionsteilung verringert Erwerbslosigkeit. In "Die Welt", 22. April 1993, S. 5.

2 Die Arbeitsgesellschaft ist faktisch tot. André Gorz, der bereits vor 14 Jahren Abschied vom Proletariat nahm, über seine Vision einer Gesellschaft, die sich unter postindustriellen Bedingungen neu organisiert Flexible Arbeitszeit und einen zweiten Scheck vom Staat. Ein Interview in "die tageszeitung", 10. März 1994, 5. 12f.

3 Goeudevert, a.a.O.

4 A.a.O.

5 Vgl.: Strawe, Christoph: Arbeitslosigkeit - Krise und Chance. Die Drei, Stuttgart, Heft 5/1994.

6 Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. 1867. Berlin 1968

7 Vontobel, W.: Ältere Arbeitnehmer sollen jungen Stellen freimachen. Zürcher Tagesanzeiger vom 14.9.1993 (nach: Rist, Michael: Geistgemäße Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftspraxis. In: Novalis aktuell. Informationen zum Zeitgeschehen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur. Nr. 7/8 1994.)

8 Steiner, Rudolf: Die Kernpunkte der sozialen Frage in den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und Zukunft. GA 23. Taschenbuchausgabe Dornach 1973, 5. 63f.

9 Kernpunkte, a.a.O., 5. 64.

10 "Wenn Handarbeit und Geistesarbeit richtig zusammenwirken, dann würde auf der ganzen Erde, wenn jeder - nun, jeder wird es nicht sein können, aber eine gewisse Annäherung an das Ideal kann stattfinden - seinen Teil Handarbeit verrichten würde, kein Mensch mehr als höchstens drei bis vier Stunden am Tage handzuarbeiten brauchen. Eine wenigstens approximative Rechnung ergibt dieses. Was über drei bis vier Stunden hinaus handgearbeitet wird, das bewirken nicht die in der Menschheitsentwicklung liegenden Notwendigkeiten, das bewirken - das kann man ohne Emotion, ohne alle Aufregung heute sagen als vollständig objektive Tatsache -, das bewirken die unzählig unter uns wandelnden Faulenzer und Rentengenießer." R. Steiner, Geisteswissenschaftliche Behandlung sozialer und pädagogischer Fragen" (GA 192), Vortrag vom 1.6.1919 (Ausgabe Dornach 1964, 5. 140f.).

11 R. Steiner in einer Diskussion mit Betriebsräten Im Sommer 1919 zum Thema "Wie regeln sich Arbeitszeit, Akkordarbeit, Entlöhnung und Minimallohn?" Nach Hans Kühn, Dreigliederungszeit. Rudolf Steiners Kampf für die Gesellschaftsordnung der Zukunft. Dornach 1978, 5. 304f.

12 Kernpunkte, a.a.O., 5. 68.

13 1991 nach Einführung der Meldepflicht wurde laut einer DGB-Mitteilung festgestellt, daß 6,34 Mio Arbeitnehmerinnen in den alten Bundesländern in sog. prekären, nicht sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen beschäftigt waren, das sind 3mal soviel wie zuvor in seriösen Studien angenommen worden war. Aus dem "Leitfaden "Teilzeitarbeit" des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom September 1992 geht hervor, daß 93 % aller Teilzeitbeschäftigten Frauen sind. Nach: Flexibel und flexibilisiert. Christine Weber-Herforth über das graue Heer auf dem bundesdeutschen Arbeitsmarkt." Freitag, Berlin, 2.7.93 (Nr. 27). Die Arbeitslosenquote bei Frauen lag in den neuen Bundesländern bei 23,2%. Unter 1,3 Mio Arbeitslosen in den neuen Ländern waren Ende Februar 94 810.000 Frauen. Angesichts dieser Lage erhoben der Chef der Bundesanstalt für Arbeit und Familienministerin Angela Merkel gemeinsam die Forderung nach mehr qualifizierter und sozialversicherungspflichtiger Teilzeitarbeit. Zur Risikominderung soll dabei gesetzlich verankert werden, daß der höchste Arbeitsiosengeldanspruch aus der Vollzeittätigkeit über eine Dauer von 3 Jahren fortbesteht (Gemeinsamer Appell für Teilzeit, die tageszeitung, 10.3. 94).

14 So fordert die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Käfer einen Anspruch auf Teilzeitarbeit als flexibel ausgestattetes Recht, jederzeit zur Vollzeitarbeit zurückzukehren.

15 So wird etwa von gewerkschaftlicher Seite ein Elternurlaubsgesetz gefordert, das es ermöglicht, Zeitkonten für Freistellungen einzurichten, die nach den Bedürfnissen der Familie beansprucht werden können. (DGB fordert Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit. Regierung soll ihre Initiative ergänzen - Familienbedürfnisse sollen stärker berücksichtigt werden. Stuttgarter Zeitung, 3.8.94.)

16 Kernpunkte, a.a.O., 5. 13.

17 "Schon seit 1987 experimentierten wir bei Volkswagen mit Teamwork und kleineren Produktionseinheiten... Diese Anderungen haben weiterreichende Implikationen. Zunächst sollte eine flexible Arbeitszeitregelung eine weniger strenge Trennung der Arbeitskräfte gestatten und schließlich die Arbeitsteilung ermöglichen. So "lernen die Leute verschiedene Nutzungsarten ihrer Fähigkeiten und ihrer Zeit, die sich auf ihre Arbeit wie auch auf ihre Freizeit anwenden lassen. (Goeudevert, a.a.O.)

18 1984, vor Einführung dieser Arbeitszeitregelung, hatte der Betrieb 300 Mitarbeiter und machte 40 Mio DM Umsatz pro Jahr, 1994 gab es 200 Mitarbeiter, der Umsatz betrug 100 Mio DM. Ermöglicht wird die Flexibilisierung u.a. dadurch, daß jeder Monteur die Herstellung von 4500 Wagenvarianten beherrscht. (Wo die Zeit auf ein Konto kommt. Flexibler Arbeiten bei Mettler-Toledo. Sonntag aktuell, Nr. 40, 2. Oktober 94.)

19 Vgl. C. Strawe, Arbeitslosigkeit - Krise und Chance, a.a.O., und den DreigliederungsRundbrief Nr. 3/4-1993.

20 In Zukunft werde es einerseits makrosoziale heteronomer Tätigkeit geben (gesamtgesellschaftlich organisierte Arbeit, Großproduktion, Grundbedürfnisse), andererseits mikrosozialer, gemeinschaftliche oder Vereinstätigkeit (lokal, regional - im wesentlichen freiwillig, fakultativ) sowie autonome Tätigkeiten (Familie, Kleingruppe. Selbstverwirklichung, Lustgewinn). Vgl. insbesondere das bereits zitierte Interview mit der taz, außerdem: Gorz, André: Kritik der ökonomischen Vernunft. Sinnfragen am Ende der Arbeitsgesellschaft. Aus dem Frz. von Otto Kallscheuer, Berlin 1990. Ders.: Und jetzt wohin? Zur Zukunft der Linken. Mit Fragen von Otto Kallscheuer. Berlin 1991. Ders.: Wege ins Paradies. Thesen zur Krise, Automation und Zukunft der Arbeit. aus dem Frz. von Eva Modenhauer. Berlin 1983. Hädecke, Wolfgang: Versagen vor der Krise. André Gorz: Kapitalismus und Sozialismus - halbtot. Stuttgarter Zeitung, 11. Oktober 1983. Raddatz, Fritz J.: Im Nebel eines neuen Monte Verità. André Gorz über das Ende der Arbeitsgesellschaft und die Zukunft der Linken. "Die Zeit", Nr. 48, 22. November 1991.

21 TAZ, a.a.O.

22 Der Begriff der "Sozialzeit" wurde von Udo Herrmannstorfer geprägt.

23 "Unsere Modelle sind nicht identisch mit den japanischen; aber der Grundgedanke, daß wir die Verantwortlichkeit des einzelnen Menschen in der Fabrik viel breiter anlegen und auf ein bestimmtes Ziel hin organisieren, ist maßgeblich für die jüngsten Produktivitätssteigerungen in Deutschland [...] Insbesondere in der Automobilindustrie hatten wir bis zum Ende der 80er Jahre alle auf der Basis der reinen Funktionalorganisation gearbeitet: lauter Spezialisten, die nebeneinander arbeiteten und erst zum Schluß mit großer Mühe das Produkt zusammenbrachten und vermarkteten. Heute arbeiten wir in ganz anderer Art: Bei der Produktentwicklung steht schon am Anfang ein kleines, überschaubares Team, in dem von der Entwicklung über die Produktion bis zum Marketing und zur Finanzierung alle an Bord sind - mit der Vorgabe von Herstellungszeitraum, Kosten und Nutzwert des neuen Produkts. Dasselbe geschieht in den Verwaltungen, wo wir schlanker und durchlässiger werden und damit erreichen, was vorher unmöglich war, nämlich Kommunikation von der Spitze bis nach unten und umgekehrt. (,Jetzt arbeiten wir ganz anders" - Interview mit Daimler-Benz-Chef Ezard Reuther bei seinem JapanBesuch. Stuttgarter Zeitung 15.9. 1994, 5. 13.)

24 Weißenbach, Ilona: Das freiwillige ökologische Jahr: Willkommene Verschnaufpause zwischen Schule und Universität. Geld für neue Stellen ist knapp. Stuttgarter Zeitung Nr. 99/1993.


Zuerst veröffentlicht in: Rundbrief Dreigliederung des sozialen Organismus, Nr. 4 / Dezember 1994. Es handelt sich um die überarbeitete und gekürzte Fassung eines Vortrags, den der Autor auf einer Tagung über Arbeitslosigkeit in Berlin gehalten hat, die vom 17.-20.11.94 stattfand.