Konkurrenzkampf und Arbeitslosigkeit
Ihre Überwindung durch eine assoziative Wirtschaftsordnung

01.06.1983

1. Krisen: konjunkturell - prinzipiell?

Mit A. Smith wird (1776) der Wirtschaftswissenschaft die Einsicht vermittelt, daß auf dem freien Markt Erzeugung und Verbrauch sich harmonisch ausgleichen. Allerdings zeigt die Wirklichkeit ein ganz anderes Bild. Zwischen den Jahren 1754 und 1857 traten 15 Krisen in England, dem höchstindustrialisierten Land dieses Zeitraumes auf, und zwar in dieser Folge]:

1754 1763 1772 1778 1783

1793 1796 1810 1815 1819

1825 1836 1839 1847 1857

Zusammengerechnet ergibt das einen arithmetischen Durchschnitt von 7,5 Jahren, also etwa einen Siebenjahresrhythmus der Krisen. Nun heißt Krise, daß die wirtschaftliche Tätigkeit zurückgeht, weil der Markt die erzeugten Waren nicht räumt, so daß die Lager wachsen, Arbeitskräfte entlassen werden, das Einkommen und Sozialprodukt sinkt. Nach einer solchen Krise ging es dann immer allmählich wieder aufwärts, der alte Stand wurde wieder erreicht, ja überschritten, die Wirtschaft wuchs, um dann erneut in eine Krise, eine Art «gesundenden Krankheitsprozeß», zu verfallen.

Was zunächst für England galt, tritt mit der Ausbreitung des Industrialismus einen «Siegeszug» an, d. h. von dem Jahr 1857 als Wendepunkt, bleiben alle nachfolgenden Krisen nicht mehr auf England begrenzt, sondern nunmehr hat an ihnen die ganze Welt Anteil. Ein Wirtschaftsrückgang ist immer eine Globalerscheinung - sicher für alle Industrieländer, aber nicht nur für diese. Verlängern wir die Liste weltweiter Krisen:

1868 1873 1890 1901 1906

1913 1921 1929 1945 1967

1971 1975 1981 ff.

Die Ursachen hierfür haben die Volkswirtschaftslehre mannigfach beschäftigt, und sie hat auch einzelne Wirkensfaktoren aufzuhellen versucht. Im einzelnen sollen uns die hier gewonnenen Theorien nicht weiter interessieren. Aus dem Zusammenhang wird festgehalten: Bis heute ist es nicht gelungen, eine Handlungskonzeption zu entwerfen, die das Wirtschaftsleben der Abfolge wiederkehrender Krisen, an- und abschwellender Beschäftigung, der Wiederholung von Prosperität und Depression entkommen ließe. Das Streben, dieses Ziel zu erreichen, ist unverkennbar, denn jeder Zusammenbruch, ja jede Rezession gefährdet die politische Stabilität der Gesellschaft, aber sie widerspricht auch der wirtschaftlichen Vernunft, läßt sie doch vorhandene Kapazitäten ganz oder teilweise unausgenutzt, gefährdet damit deren Verzinsung und fordert Firmenzusammenbrüche.

Die Erfahrungsauswertung der Jahre 1929 bis 1933 haben zunächst]. M. Keynes veranlaßt, 1936 ein schlüssiges Konzept und Instrumentarium zu entwickeln, die Steuerung über Geldmenge, Zins und Staatsausgaben zu erreichen. In der Nachkriegszeit sicherte diese Konzeption, zusammen mit der Aufrüstung infolge des Ost-West-Gegensatzes, eine bislang unbekannte Dauer der Vollbeschäftigung und des «Wirtschaftswunders». Seit den siebzigerJahren zeigten sich sowohl die monetären Instrumente als auch die Konzeption der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik als wenig wirksam, ja ohnmächtig: Die Arbeitslosigkeit wuchs, trotz nie gekannter Rüstungsausgaben in allen Ländern von nahezu zwei Billionen Mark (1983), die vornehmlich in Industriezonen fließen; es konnte keine «Wende» herbeigeführt werden - obgleich dies ein beliebtes Schlagwort suggeriert.

Daraus kann vermutet werden, daß die Arbeitslosigkeit zu einer Erscheinung sehr grundsätzlicher Art geworden sein dürfte. Wir wollen sie nach zwei Richtungen aufhellen, einmal, indem wir den «Marktmechanismus» kritisch betrachten, und zum anderen, indem wir die Leistung des rationalen Geistes, des schöpferischen Faktors, der auch den Markt «erdacht» hat, genauer untersuchen.

Marktmechanismus

Zunächst zur Theorie: Es gibt zwei unterschiedlich handelnde Wirtschaftsgruppen, deren Interessen sogar gegensätzlich sind, nämlich die Verbraucher und die Erzeuger. Der Verbraucher hat bestimmte Bedürfnisse nach Gütern und Dienstleistungen, die er nachfragt; der Erzeuger bietet diese Güter oder Leistungen an. Das Angebot erfolgt, weil der Verbraucher ihm dafür Geld, als universales Tauschmittel, anzubieten hat; dieses fragt der Anbieter nach, wie umgekehrt der Verbraucher für ein konkretes Bedürfnis Befriedigung sucht und willens ist, dafür das universale Zahlungsmittel Geld hinzugeben. Diese doppelte Beziehung realisiert sich im Preis, der bei freiem Spiel der Kräfte den Markt räumt und einen harmonischen Ausgleich dieser Gegensätze herstellt. Beide Akteure handeln unabhängig voneinander; die Unternehmen planen ihre Produktion autonom, abhängig zwar vom Markt, von Einkommen und Liquiditätsneigung usw. Das Widersprüchliche der Interessen wird rational durch einen abstrakten Mechanismus, den Markt, vereinigt - und eine mechanische Harmonie entsteht.

Die Krisen zeigen nun, daß die Rechnung nicht aufgeht. Lassen wir alle Beschränkungen, die der Markt auch schon bei A. Smith durch Macht usw. erfahren hat, einmal beiseite, so ist doch zu bemerken, daß prinzipiell diese Rechnung auf Dauer nicht aufgehen kann, weil die Vielfalt der Entscheidungen der gegensätzlichen Partner, Erzeuger - Verbraucher, ja in einem inneren und sachlich-realen Zusammenhang steht, der allein durch die abstrakte, mechanische Größe Preis nicht zureichend zum Ausdruck kommt. Darum koppelt sich die Wirklichkeit von dieser Größe allmählich und immer aufs neue zweifach ab, indem Krisen eine Anpassung an den Mechanismus - wirtschaftlich «irrational» - erzwingen, oder indem sich die Erzeugung vom Bedarfsbezug ablöst und entweder Bedarf weckt oder Bedarf befriedigt, den kein Subjekt hat, allenfalls Gemeinschaften, so im Falle der Rüstung.

Assoziationen - vom Verstand zur Vernunft

Worum es also zu tun sein müßte, wäre, den Mechanismus durch eine lebensvolle Regelung zu ersetzen. Wenn menschliches Denken als eine Leistung rationale, scharfe Begriffe bildet, dann ist aus dieser Qualität der Markt entstanden. Es gibt aber auch eine andere Denktätigkeit, es ist diejenige, die das einzelne zusammenfaßt und in ein einheitliches Ganzes einbettet. Diese Denkform ist weniger ausgebildet. «Der Scharfsinn, der bis in die geringsten Kleinigkeiten in seinen Unterscheidungen herabgeht, ist einer bedeutend größeren Zahl von Menschen gegeben als die zusammenfassende Kraft des Denkens, die in die Tiefe der Wesen dringt... Unterscheidung ist die Sache des Verstandes. Er hat nur zu trennen ... Der Verstand selbst ist nicht in der Lage, über diese Trennung hinauszukommen... Dieses Hinauskommen ist Sache der Vernunft. Sie hat die vom Verstand geschaffenen Begriffe ineinander übergehen zu lassen ... Wer die Wirklichkeit bloß verstandesgemäß erfaßt, entfernt sich von ihr.. . Die Vernunft führt zur Wirklichkeit zurück.» 2

Auf unser Problem bezogen heißt das: Den Menschen analytisch in seiner Interessengebundenheit und in seiner Interessengegensätzlichkeit durch den Markt zur Harmonie geführt zu sehen, blendet ihn als Handelnden aus und bringt die wirtschaftlichen Abläufe um ihre Vernunft, d. h., jede Krise ist wirtschaftlich widersinnig und verlangt nach einer vernünftigen Korrektur. Diese kann nicht durch Mechanismen erfolgen, sondern nur durch vernünftige Handlungen. So wie der Verstand eine soziale Einrichtung schuf, nämlich den Marktmechanismus, so benötigt auch die auf das wirtschaftliche Handeln bezogene Vernunft eine Einrichtung, um wirksam werden zu können. Dazu ist zunächst einzusehen, daß sowohl die arbeitsteiligen Produktionsvorgänge als auch die hochdifferenzierten Bedürfnisse (zu denen ja auch die Investitionen - neben den Verbrauchsgütern - gehören) nicht von einem einzelnen oder partiellen Bewußtsein umspannt werden können. Das Bewußtsein der Teilhaber am Wirtschaftsgeschehen ist stets analytisch, vor allem den eigenen Gestaltungs- und Entscheidungsraum überblickend. Soll es zur Vernunft aufsteigen ist, anders als sonst im Erkenntnisprozeß, eine andere Qualität als die Einzelbemühung nötig, nämlich das Zusammensprechen von Einzelpositionen und -interessen, so daß dadurch ein Gesamturteil sich bilden kann. Im Unterschied zum analytischen Vorgang handelt es sich hierum einen solchen des «Assoziierens».

Die soziale Einrichtung, in der das Zusammentragen der Kenntnisse, Erfahrungen und Meinungen geschieht, kann dementsprechend Assoziation heißen. Der Vorgang einer wirtschaftlichen Urteilsbildung erfolgt so, daß der Zusammenschluß gegensätzlicher Interessengruppierungen fachlich und sachlich erst die Voraussetzung bildet, damit in Anschauung der unterschiedlichen Einzelerfahrung sich erst ein Gesamtbild der Zusammenhänge für die Beteiligten ergeben kann, also der Aufstieg vom Verstand zur Vernunft erfolgt. Den tatsächlichen wirtschaftlichen Funktionen entsprechend, sind die Wirtschaftsinteressen, welche an den Assoziationen teilzunehmen haben, um Vernunft zu ermöglichen, bestimmbar. Wir kennen die Produktions- und Konsum-Interessen, aber auch die Mittlerfunktion des Handels, der Verteilung von Waren und des Marketings. Diese Funktionen bedürfen der Repräsentanz in der Branchen-, Gebiets- und VolkswirtschaftsAssoziation. Diese Assoziationen folgen notwendig, wenn die fortdauernden Krisenabläufe der menschlichen Gestaltung zugänglich werden sollen. Es ist die Aufgabe der zu schaffenden Einrichtungen deutlich funktional zu beschreiben, allerdings kann nirgendwo auf die Existenz einer solchen hingewiesen werden, weil jegliche, wie immer geartete Verständigung außerhalb eines Firmenzusammenhangs der marktwirtschaftlichen Lehre von vornherein suspekt, ja verwerflich ist. So haben sich «assoziative Züge» zwar mannigfach, aber einseitig in der Konzernbildung, in verbotenen Absprachen - nicht zwischen verschiedenen, sondern gleichartigen Interessen herausgebildet.

Die Assoziation als Ort der Wahrnehmung wirtschaftlicher Prozesse und entsprechender Vernunftbildung umgreift auch die Preisgestaltung, ohne die Einzelentscheidung eines Unternehmens aufzuheben: Sie gestaltet den Markt, beherrscht ihn aber nicht. Wir zitieren hier R. Steiner, der erstmals auf die Notwendigkeit von Assoziationen hingewiesen hat 3:

«... Niemals kann der einzelne ein bündiges Urteil, auch nicht durch Statistik, gewinnen darüber, wie die Wirtschaft laufen soll, sondern nur durch Verständigung, sagen wir, von Konsumenten

und Produzenten, die sich in Gesellschaften vereinigen, wodurch der eine dem anderen sagt, was für Bedürfnisse vorliegen, der andere dem einen das sagt, was die Produktion als Möglichkeit hat. Nur wenn ein Kollektivurteil aus der Verständigung innerhalb von Gemeinschaften des wirtschaftlichen Lebens entsteht, kann ein gültiges Urteil für das Wirtschaftsleben sich ergeben.»

«... das Leben ist ja ein Einheitliches, und man kann eben die Seelen der Menschen nicht umgehen, wenn man vom praktischen Leben wirklich sprechen will. Um was es sich handelt, ist also, daß ein wirkliches wirtschaftliches Urteil nur folgen kann aus der Verständigung der im Wirtschaftsleben Drinnenstehenden, aus den Erkenntnissen heraus, die sich die einzelnen als Partialerkenntnisse erwerben, und die erst zu adäquaten Urteilen werden dadurch, daß sich die einzelne Erkenntnis des einen an der Erkenntnis des anderen abschleift. Nur die Auseinandersetzung kann im wirtschaftlichen Leben zu gültigen Urteilen führen.»

... Es gibt eben objektive Gesetzmäßigkeiten, die dann entstehen, wenn aus ganz anderen Bedingungen heraus einfach der Mensch das tut, was seinen elementaren Impulsen entspricht. Und so wird auch, wenn die Assoziationen in der richtigen Weise und aus den Erkenntnissen des Lebens heraus wirken, ohne daß man dogmatisch vorausnimmt, so oder so muß der gerechte Preis sein, dieser Preis durch das assoziative Wirken entstehen. Ich nenne es assoziatives Wirken, weil gewahrt werden soll die menschliche Individualität im Assoziieren, das heißt, im Vereinigen der Kräfte des einen mit der Kraft des anderen bleibt die Individualität vorhanden. In den Koalitionen, in den Genossenschaften geht die Individualität unter.» ... «... Assoziationen wirken auf Harmonisierung der Interessen hin, so daß die Produzenten- und die Konsumenteninteressen durch das Zusammenwirken in der Assoziation harmonisiert werden, daß andere Interessen harmonisiert werden, daß vor allen Dingen die Interessen zwischen den Arbeitsleitern und Arbeitsnehmern harmonisiert werden. Wir sehen heute, wie aus einem kranken Wirtschaftskörper heraus das Gegenteil des assoziativen Lebens entsteht, wir sehen, wie entstehen passive Resistenz, Aussperrung und Ausstand, Sabotage bis zu Aufständen. Niemand, der gesund denkt, kann anders denken... »

2. Gesellschaftliche Umwälzung durch angewandten Geist

Produktionsmittel

Wo der Mensch seine Fähigkeiten nicht auf die Gütererzeugung selbst, sondern auf die Arbeit wendet, fragt er sich, wie er sich Arbeit durch Mechanismen abnehmen lassen kann. Darin war er in der Neuzeit außergewöhnlich erfolgreich. Dafür ein symptomatisches Beispiel, welches das Gesagte verdeutlichen kann. Im Jahr 1800 ernährte ein Landarbeiter 2 bis 3 Menschen, also derjenige, der in der Landwirtschaft tätig war, konnte durch seiner Hände Arbeit noch zusätzlich 2 bis 3 Menschen ernähren. Überspringen wir alle Zwischenstufen und landen im Jahr 1980: da ernährt ein in der Landwirtschaft Tätiger 78 Menschen. Läßt man alle Unterschiede in Ernährungsgewohnheiten, der Reichhaltigkeit des Nährmittelangebots außer acht, dann hat sich die Arbeitsleistung (bezogen auf den Ertrag) um das 26- bis 39fache erhöht. Wie ist das möglich? Bleiben wir bei der Landwirtschaft. Da gab es in der Produktion stets auch Arbeitsgeräte, Werkzeuge. Um 1800 wurde das Korn noch mit der Sichel gemäht. 1 Ar wurde in 2 Stunden abgesichelt. Heute fährt ein Mähdrescher in 8 Sekunden über 1 Ar, das heißt, wozu damals 900 Menschen hätten arbeiten müssen, ist heute ein Mann - mit Mähdrescher - nötig, denn 2 Stunden sind 7200 sec., geteilt durch 8 = 900. Die Rechnung stimmt noch nicht, denn der Drusch wird gleichzeitig mitbesorgt. Die Sache wird fast unberechenbar und auch lebensfern, denn einiges von der eingeholten Zeit geht natürlich wieder in den Maschinenbau ein usf. Gleichwohl gilt: Weil Arbeit sich mit Maschinen kombiniert, also mechanisiert wird, vervielfältigt sich die Arbeitsleistung des einzelnen Menschen ganz beträchtlich. Zunächst erfolgt eine gewaltige Umsetzung von Arbeitskräften in Konstruktion, Maschinenbau, vorgelagerte Industrie und auch in das Bildungswesen. So vereinfacht, wie dargestellt, vermittelt das Bild eine Abstraktion, aber anders ist der Zusammenhang selbst schwer durchschaubar. Überall kann in der Gütererzeugung beobachtet werden, wie der Mensch betrachtend von der Arbeit zurücktritt und fragt, wo kann ich durch Maschinen menschliche Arbeit einsparen? Wie kann ich Fertigungsvorgänge verbilligen, indem die Arbeit effizient gesteigert und zugleich eine zunehmende Zahl von Arbeitskräften freigesetzt, also im vorgegebenen Zusammenhang überflüssig wird?

Konkurrenz: Geschöpfe gegen Schöpfer

Bringen wir den Vorgang auf einen Begriff. Was haben wir vor uns in diesen vom Menschen geschaffenen Mechanismen? Konstruierte Geräte, z. T. selbstlaufend, also Automaten, die dasselbe tun, was der tätige Mensch originär tut: arbeiten. Nur: sie sind unselbständig, unbeseelt, Apparate, seine Geschöpfe, die im Hinblick auf Kosten und Leistung mit ihm konkurrieren. Wenn man die Arbeitsleistung der Geräte auf einen Nenner bringt, dann kann man das natürlich nicht mit dem Menschen irgendwie vergleichen. Allerdings kann doch ein Licht auf die vom Menschen geschaffene Apparatewelt fallen, wenn sie in ihrem Energieverbrauch betrachtet wird, das ist physikalische Leistung. Diese läßt sich wieder in bezug zu des Menschen «physikalischer Leistung» setzen. Der Mensch benötigt täglich etwa 2,8 Kilowatt-Stunden (kWh) als Nahrung. Genau dieselbe «Energie» - gemessen in kWh -verbraucht ein Gerät, das mechanische Arbeit leistet, wobei der Arbeitsablauf, wie er beim Menschen durch den beseelten Leib geschieht, technisch imitiert werden kann. Wenn der ProKopfVerbrauch an Energie in der Bundesrepublik zugrunde gelegt wird, kommen wir auf 255 kWh (eingeschlossen ist dabei Industrie und Verkehr), mit anderen Worten heißt das, daß hinter jedem Menschen Mechanismen stehen, d. h. der gesamten Gesellschaft verfügbar sind, die etwa das Hundertfache der Bevölkerung betragen. Jeder Mensch hat neben oder um sich hundert «Menschenäquivalente» gespenstischer Art. Die Bevölkerung der Bundesrepublik kann mit 100 multipliziert werden, um die «wahre» Bevölkerung im Hinblick auf die tatsächliche Arbeitsleistung zu errechnen. Also, wir haben zwei Bevölkerungsgruppen: eine apparativer Art und eine aus Fleisch und Blut. Die apparativen Einheiten sind schon in der Bundesrepublik so groß wie die heutige Weltbevölkerung.

Diese Welt von Geschöpfen, denen der Mensch seinen Geist eingeprägt hat, gehorcht ihm in der Art des ihnen eingeprägten Ablaufs. Nur im Hinblick auf den Kostenvergleich und die Leistungsausbeute verselbständigt sich diese Armee von Gespenstern, von Phantomen, und erzeugt härteste Konkurrenz für die menschliche Tätigkeit - hier konkurrieren die Geschöpfe mit ihrem Schöpfer um die Arbeit. Die angenommene Konkurrenz des Warenmarktes hat eine Parallele gefunden in der wachsenden Konkurrenz zwischen Schöpfer und Geschöpf, zwischen elementarer menschlicher Tätigkeit und den Mechanismen, die ihr Scheinleben dem Menschen verdanken. Wer konkurriert wen auf Dauer nieder? Man kann sagen: die Verdrängung des Menschen durch die Apparate sei auf Tätigkeiten begrenzt, die mit der Würde des Menschen nicht vereinbar waren. Dennoch muß die Qualität scharf geschieden werden, die rein mechanisch oder vom Menschen ausgeht: im einen Fall verläuft sie dem Takt der Maschine entsprechend, im anderen abhängig vom menschlichen Rhythmus. Das Ergebnis der Arbeit ist dementsprechend auch verschieden: von gleichbleibender Artung im einen, variationsreich im anderen. Das vom Roboter gefertigte Produkt soll weniger Qualitätsschwankungen aufweisen als das unter menschlicher Mitarbeit erzeugte: für Mechanismen wie Autos u. a. sicher ein Fortschritt.

In der vom Menschen geschaffenen Geschöpflichkeit, den Apparaten, verkörpert sich eine offenbar überlegene Geistigkeit, die aus der ihr innewohnenden Gesetzmäßigkeit zu Ansprüchen gegenüber der konkurrierenden menschlichen Arbeit führt: sie wird mit dem Menschen verglichen, und zwar vom Aufwand - von der Kostenseite - her. Wer billiger ist und das gleiche oder mehr leistet, geht siegreich aus dem Vergleich hervor. Wie sollte in technischen Gütern der Mechanismus dem Menschen auf die Dauer nicht überlegen sein, läuft doch die Maschine stets in den programmierten Bahnen, da gibt es keinen Irrtum, keine Ermüdung, keinen Streß, keine Aggression oder Niedergeschlagenheit! Diese Entwicklung ist unumkehrbar, da gibt es kein Zurück: der Mensch zieht gegenüber seinen Geschöpfen auf diesem Feld den Kürzeren. Diese Betrachtung ist ganz «wirtschaftlich», d. h. sie reduziert den Vorgang auf den Kostenaspekt bzw. kennt nur die Warenperspektive, über ihre Wirksamkeit kann es keine Täuschung geben.

Wandlungen im Sozialen

Damit ist das Thema aber nicht abgeschlossen, sondern lediglich benannt. Denn dieser Prozeß schuf eine geschichtlich noch kaum absehbare Wandlung, die zu vergegenwärtigen ist. Zunächst rief die Industrialisierung und Mechanisierung strukturell eine tiefgreifende Gesellschaftsumschichtung hervor. Die Folgen sind vielfältig, einige seien aufgeführt: Zunächst der Zug vom Land zur Stadt. Mit Proletarisierung, Verstädterung, zunehmender «Dichte der Mechanisierung» werden dann wieder Menschen freigesetzt aus der Gütererzeugung und aufgenommen von jenen Einrichtungen, die diesen Prozeß erst ermöglichen: Banken, Versicherungen, Verkehrswesen, Verwaltungen, kurz: dem Dienstleistungsbereich. Dazu zählt aber auch wieder das gesamte Bildungswesen, das den Kenntnisstand zu sichern, notwendige technische Intelligenz zu vermitteln oder bereitzustellen und am Wissensgewinn zu arbeiten hat. Mit zunehmender Differenzierung der Gesellschaft wird es unabdingbar, daß immer mehr Menschen eine allgemeine Grundund danach gehobene Spezialbildung erhalten. Dies wird erst möglich, wenn eine Entlastung von den täglichen Arbeitszwängen wie in der Landwirtschaft für Gruppen oder für bestimmte Lebensabschnitte durch den «Mechanisierungsgewinn» in der Industrie erreicht wird.

In diesem Jahrhundert verlagerte sich nicht nur das Eintrittsalter in das Berufsleben vom 13. auf das 16. Jahr bei 50 Prozent der Jugendlichen und auf das 18. bis 28. Lebensjahr beim verbleibenden Rest (Realschüler, Gymnasiasten, Akademiker), sondern auch die Arbeitszeit verkürzte sich von rund 60 Wochenstunden um 1900 auf 48 im Jahr 1919 bis zu 40 Wochenstunden in den sechziger Jahren, wobei gleichzeitig die Urlaubszeit von «nichts» auf mehrere Wochen anstieg. Die Einkommenslage (noch immer sehr ungleich) verbesserte sich durchgängig; das soziale Netz wurde seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts geknüpft und schließlich immer enger. Kurz, der mit der Mechanisierung verbundene Fortschritt spricht eine eindringliche Sprache. Daß sie gleichwohl nicht nur wohlig-besänftigend klingt, hängt mit dem Preis zusammen, der zu entrichten war und ist; er weist freilich über die sozialen Wirkungen, die keineswegs erschöpfend genannt wurden, hinaus - auf die Natur, auf allgemeine Weltzusammenhänge. Eine zerstörte, vergiftete, unwirtliche, zubetonierte, lärmdurchsetzte Natur und Umwelt verschreckt den Menschen; die Ausbeutungs- und Wegwerfgesinnung gegenüber dem Planeten Erde empört eine zunehmend wachsende Anzahl von Menschen; ebenso wird allmählich erkannt, daß mit der Technik viel Komfort und Wohlversorgung erzeugt werden kann, aber mit allen technischen Kenntnissen sich kein menschheitliches Problem lösen läßt: weder das Nord-Süd-Gefälle noch der Ost-West-Gegensatz. Dazu bedarf es ganz anderer Qualitäten, Eigenschaften.

3. Solange Menschen leben, gibt es Arbeit die Fülle

Sehen wir, um uns nicht in einem Problemgewirr zu verfangen, von all dem ab und bleiben wir bei der Frage der Arbeitslosigkeit, die aus den technischen Gegebenheiten unentrinnbar -mit einem gewissen Auf und Ab - weiterwachsen wird, wenn menschliches Handeln der Entwicklung keine andere Richtung gibt. Die Frage ist: welche? Wir gehen von einer etwas merkwürdigen, wenn nicht absonderlich-paradoxen Äußerung Steiners aus, die keine Antwort gibt, aber das Denken anzuregen vermag. Sie lautet: «Arbeitslosigkeit! Menschen können nicht Arbeit finden! Sie muß aber doch da sein. Denn die Menschen sind da. Und es kann im gesunden sozialen Organismus die Arbeit, die nicht getan werden kann, nicht eine überflüssige sein, sondern sie muß irgendwo fehlen. Soviel Arbeitslosigkeit, soviel Mangel» 5.

Steiner beklagt, daß Menschen keine Arbeit finden, und sagt, wo arbeitswillige Menschen sind, muß auch entsprechend Arbeit für sie da sein. Nur sagt er zunächst nicht, wo und wieviel, sondern weist lediglich darauf hin, daß Arbeitslosigkeit nur in der «allgemeinen Gesundung der wirtschaftlichen Institutionen ihr Gegengewicht finden kann». Er meint ausdrücklich nicht, daß Arbeitslosigkeit «durch dieses oder jenes, theoretisch erdachte Rezept» beseitigt werden könne. Zunächst mag also der Hinweis, daß dort, wo Arbeitswillige sind, auch Arbeit vorhanden sein müsse, so verstanden werden, daß genauer zu untersuchen sei, wofür denn letztlich gearbeitet wird. Dann wird nämlich sofort bemerkbar, daß dafür zwei Antworten möglich sind:

daß einmal gearbeitet wird, um durch die Tätigkeit ein bestimmtes Produktionsziel zu erreichen, also um einer Sache willen; darauf, so meinen manche, diets tun müssen, könnten sie gut verzichten. Sie «treibt» letztlich allein ein anderer Grund, nämlich l die Notwendigkeit, ein Einkommen zu erzielen.

Im Alltag wie im Tatsächlichen sind beide Gründe wohl unauflöslich miteinander verwoben; sie systematisch zu trennen, eröffnet aber für unsere Thematik erst weitere Einsichten.

Arbeitsgrund: Produktionsziel

Was ist denn der wirkliche Grund, wenn um der Sache willen gearbeitet wird, auf den die Arbeit zielt? Es ist der Bedarf, es sind die menschlichen Bedürfnisse. In diesem Sinne heißt dann: wo Menschen sind, muß auch Arbeit sein, vielleicht, daß wo Menschen sind, eben Bedürfnisse sind, die nur durch erfüllte Produktionsziele, d. h. also durch Arbeit befriedigt werden können. Doch gerade hier tut sich ein Zwiespalt auf. Wie gezeigt, sind Krisen auch Ausdruck dafür, daß zuviel Waren angeboten werden und insgesamt zuwenig nachgefragt wird. Um zu entscheiden, ob deshalb ein zu geringer Bedarf anzunehmen ist, aus dem dann zu wenig Arbeit folgt, bedarf es einer genaueren Analyse der Einkommensverhältnisse: diese ist hier im einzelnen nicht möglich. Wir nehmen vereinfachend an, daß sich tatsächlich im Krisenfall der Bedarf für die nicht absetzbaren Güter an der Grenze der Sättigung befindet. So finden Haushaltsgeräte, Autos, Fernseher - bezogen auf die Erzeugerkapazität - zu wenig Absatz, weil heute der Bedarf weitgehend gedeckt ist, wenn auch Wünsche nach einem Zweitoder Drittgerät fortbestehen mögen - Bedarf ist das für uns nicht, weil die zugehörige Ausgabe (oder das Einkommen) fehlt. Damit bleibt der Bedarf latent, vielleicht Wunsch. An dieser Stelle drängt sich eine genauere ökonomische Analyse auf. Zur Produktion einer Sache, zur Erbringung einer Leistung müssen stets verschiedene Produktionsfaktoren zusammenwirken, im Einzelfall ist das der Sache entsprechend verschieden. Allgemein sind diese Faktoren aber mit (a) Arbeit, (b) den Produktionsmitteln, den Werkzeugen (Kapital) und (c) unterschiedlichen Rohstoffen, der Energie, kurz: der Natur erfaßt. Wir haben also drei zusammenwirkende Faktoren. Für jeden Arbeitsgang, für jedes Produktionsziel gibt es zwischen den Faktoren optimale und rationale Beziehungen. Ein Arbeiter mit 6 Schaufeln und 5 Schubkarren ist mit Kapital (Werkzeugen) überversorgt, ebenso ein Dichter mit zwei Schreibmaschinen, erst recht, wenn ihm nichts einfällt. Einem Arbeiter, der mit einem Caterpillar Erde aushebt, genügen zum Abtransport aber keine Schubkarren, er benötigt Lastwagen, der Kapitaleinsatz ist in diesem Fall beträchtlich.

Die allgemeine Entwicklung zeigt, daß immer mehr der Faktor «Arbeit» gerade dann freigesetzt wird, wenn die Kapitalgüter zunehmen, die Arbeit also selbstlaufend, mechanisch geschieht. Der Mensch ist dann zwar mit seiner Arbeit an der Erzeugung des Kapitalgutes selbst noch überwiegend beteiligt, wird aber in der Gütererzeugung zunehmend verdrängt durch seine Geschöpfe. Der «geronnene Geist», die realisierte technische Intelligenz im Mechanismus, im Produktionsmittel, erzeugt schließlich immer «automatischer», ohne den Menschen. Es gibt Backstraßen, Transferstraßen für Motorblöcke, für Schweißarbeiten an Karosserien, die Menschen noch zur Überwachung und Reparatur, nicht aber zur «Arbeit am Produkt» benötigen. Die menschliche Hand wird überflüssig. Die mechanische Fertigung wirkte auf den dort Tätigen zwangshaft, entfremdend. Wird er damit jetzt frei?

An dieser Stelle können wir einschieben: Die vom Menschen geschaffenen Geschöpfe sind im mechanischen Ablauf «fähiger», weil mechanischer als der Mensch. Da sich weiterhin durch diese «selbstlaufende Fähigkeit» die Maschine als effizient erweist, erringt sie den höheren Mehrwert, d. h. verzinst sich leichter. Der Vorgang ist epochal: zuerst unterstützte die Maschine den Menschen bei der Arbeit und steigerte seine Produktivität; durch den technischen Fortschritt wuchs der Kenntnisstand der Konstrukteure, so daß jetzt die Maschinenwelt nicht mehr nur die Arbeitskraft steigert, sondern ersetzt, also wegkonkurriert. Die Technologie hat eine neue Qualität erlangt, die sich nunmehr langsam entfalten wird, d. h., in der weiteren Zukunft wird in der reinen Gütererzeugung der Mensch immer weniger als Arbeitender gebraucht, ohne daß darum der Ertrag abnehmen würde. Im Bergbau waren 1955 rund 600 000 Menschen bei der Förderung von 140 Mill. Tonnen Kohle beschäftigt, 1980 noch 140 000 für beinahe dieselbe Menge. Diese Entwicklung gilt -unumkehrbar. Die Intensität wird der Gesellschaft erst an den Arbeitslosen bewußt. Es wird gegenwärtig gelegentlich darauf hingewiesen, daß der Konjunkturforscher D. N. KondratieffKonjunkturzykien langweiliger Art entdeckte, die im Abstand von 50 bis 60 Jahren einander folgen; mit ihnen gehen parallel neue Technologien, die einerseits neue Branchen und neue Beschäftigungen, aber auch ganz neue Bedürfnisse hervorrufen. So etwa die Erfindung der Eisenbahnen, das Verkehrsnetz, das wiederum Reisende und Frachten an sich zog, dann das Automobil, schließlich Elektrizität und Chemie. Vielleicht ist die Elektronik oder etwas anderes dasjenige, was neuen Aufschwung bringt, neue Bedürfnisse weckt, neue Arbeitsplätze ermöglicht. Dies ist aus überlieferten Denkformen gedacht; dabei wird durch eine «Ausweichbewegung» nicht gesehen, worauf es ankommt: daß eine grundlegende Änderung der Einstellung, eine Neuorientierung der Gesinnung fällig wäre. Zweifellos läßt sich noch Jahrzehnte den aufdringlichen Problemen ausweichen, indem auf Kosten anderer Länder und Völker der alte - nun kritisch gewordene - Zustand überspielt wird, wozu auch als Mittel die Rüstungsausgaben zählen.

Arbeitsgrund: Einkommen

Wir sehen nun auf die Bildung des Einkommens. In dem Maße, wie die Arbeit durch Mechanisierung verlorengeht, bezieht eben dieser <(Faktor Arbeit» kein Einkommen, denn er erbringt ja auch keine Leistung. Das Einkommen von «Kapital und Natur» besteht fort, über dieses verfügen dann deren Besitzer. Nun ist mit der Mechanisierung aber ein Doppeltes - im Hinblick auf die Einkommensbildung - verbunden:

- Je mechanisierter die Arbeit ist, desto höher wird die Produktion. Wenn z. B. in einer Raffinerie sechs Menschen pro Schicht arbeiten, wobei Tausende von Tonnen Raffinate anfallen, dann wird der Anteil der Arbeit am Produkt so gering, daß es gleichgültig wird, ob das Einkommen für die Arbeit 100 oder 1000 DM pro Tag beträgt. Die Höhe des Arbeitslohnes wird nahezu «gleichgültig». Was hier am extremen Einzelfall formuliert wurde, gilt der Tendenz nach aber allgemein.

- Da im Wirtschaftsleben aber nicht nur Güter erzeugt, sondern auch andere Leistungen erbracht werden, besteht selbstverständlich ein Tausch von Waren gegen Leistungen und umgekehrt, so daß die Bezahlung industrieller Arbeit auch Auswirkungen auf alle Leistungen hat. So geschieht es, daß zwar in der Gespensterwelt der Apparate die menschliche Arbeit zum minderwertigen Partner wird, zugleich aber dort die Löhne pionierhaft ansteigen. Das zieht dann im Bereich der Dienstleistungen nach sich, daß auch dort die «Löhne» steigen, so daß ein Haarschnitt nicht mehr eine, sondern fünfundzwanzig Mark kostet. Denn Köpfe können nicht vollmaschinell geschoren werden. Ein weiteres kommt noch hinzu: Die durch die Industrialisierung eingeleitete soziale Umschichtung (vom Land zur Stadt u. a.) erfordert, daß in der ihr innewohnenden Dynamik und Unvorhersehbarkeit ein gewisses Maß neu errungener Sicherheit eingebaut wird, also das soziale Netz der Daseinsvorsorge, Versicherung gegen Arbeitslosigkeit und Krankheit, was - wieder umgelegt auf das Einkommen - zu Nebenkosten führt, die heute bereits rund 80 Prozent des Einkommens betragen. Arbeit an Gütern und erst recht Dienstleistungen werden damit teuer, oft zu teuer.

In diesem Bereich, wo sich die Arbeit auf den Menschen richtet, ist sie im Uberfluß, in der Fülle da. Da kann es gar nicht genug menschliche Arbeit geben, denn hier ist der Mensch unerschöpflich beschäftigt. Wenn heute gesagt wird - so Dahrendorf -, der Arbeitsgesellschaft gehe die Arbeit aus, ihr mangele es an Arbeit, so stimmt das ebenso wie das andere: es mangelt ihr zwar an Arbeit, aber keineswegs an Tätigkeiten. Diese Unterscheidung zwischen Arbeit und Tätigkeit stammt von Hannah Arendt, die davon spricht, daß die «Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft» bestehe, «der die Arbeit ausgegangen ist, die einzige Tätigkeit, auf die sie sich versteht». 6

Arbeit in diesem Sinne ist industrielle, von der Maschine her bestimmte Arbeit, jene «zwangshafte» Arbeit, die Marx als «entfremdete» beschrieben hat. Demgegenüber ist dann Tätigkeit «selbstgewollt», zwar auch nicht ohne Anstrengung, auch nicht ohne «Entfremdung», doch durch Selbstverpflichtung freiheitlich vom Tätigen her auf eine äußere Notwendigkeit hin bestimmt. Nicht der schiere Zwang, die Existenzmittel zu beschaffen, ist allein der Beweggrund, zu arbeiten, d. h. tätig zu werden - schon deshalb nicht, weil durch Automatisierung gerade die industrielle Güterproduktion zunehmend weniger Arbeit verlangt -, vielmehr werden Bereiche andersgearteter Tätigkeiten aufgetan, die weitgehend durch den Industrialismus verschüttet waren. Maßgeblich ist weniger die Qualität des zu Tuenden, als die Einstellung zum eigenen Tun. Arbeit wird immer «entfremdet» sein, wenn auf das Tun und das Ergebnis, das anderen zukommt, gesehen wird.

Nun wird erkennbar, wo vielleicht in der Zukunft der «Bedarf» liegt, der durch menschliche «Arbeit oder Beschäftigung» befriedigt werden könnte, nämlich immer weniger in der industriellen Arbeit, dafür um so mehr im Dienstleistungsbereich. Während den Waren die Sichtbarkeit eignet, sind Dienstleistungen eher «unmittelbar», meist auch nicht lagerbar, d. h. Erzeugung und Verbrauch fallen eher zusammen, wie etwa beim Transport und beim Theater oder bei Beherbergung und Mittagstisch. Dieser Bereich, er wird auch tertiär (nach der primären Landwirtschaft und dem sekundären Gewerbe) genannt, wuchs bisher fortdauernd an, von 10 Prozent der Beschäftigten bis über 50 Prozent in der Gegenwart. Dienstleistungen entspringen auch gestaltender menschlicher Tätigkeit. Indem aber die industrielle Arbeit die höchsten Erträge, d. h. auch Einkommen bringt, steigen die durch Dienstleistungen zu erzielenden Einkommen durch die Gegenseitigkeit im Tausch von Waren und Diensten auf dasselbe Niveau, ohne daß etwa eine Leistungssteigerung stattfände. Die Pflege eines Kranken, das Wikkein eines Kindes, die Dauerwelle brauchen jeweils ihre Zeit und lassen sich nicht rationalisieren, und geschieht dies doch, dann leicht zum Schaden des Bedienten, der an der «Unmenschlichkeit» eines solchen Dienstes leidet. Offenbar wird mit dem Begriff Dienstleistung eine Erscheinungsvielfalt bezeichnet, für die gelten dürfte, daß sie, je näher sie mit der Gütererzeugung verbunden ist, desto stärker auch von der Mechanisierung erfaßt wird; je ferner sie dieser steht, d. h. aber, je mehr der Mensch selbst als Mensch direkt Empfänger der Leistungen wird, desto mehr dürfte sie sich der Rationalisierung entziehen, so etwa in der Betreuung von Menschen oder in der Lehre, dem Unterricht. Aber nicht nur hier. Sind nicht zahlreiche Dienste so teuer geworden, daß sie deshalb nicht in Anspruch genommen werden können? Haushalts- und Nachbarschaftshilfe bilden neben dem Naturschutz, der Landschaftspflege u. a. einen An- und Aufruf zur Tätigkeit. Die eingangs zitierte knappe Andeutung Steiners zeigt einer näheren Untersuchung, daß tatsächlich Arbeit da ist, wo Menschen sind, auch wenn sie nicht, wie es einem vorherrschenden Muster entspricht, in der Industrie gesucht werden kann. Allerdings wird auch deutlich, daß diese Tätigkeiten gerade deshalb brachliegen, weil sie keine oder keine zureichenden Einkommen erbringen. Arbeitslosigkeit heißt also nicht, daß es keine Arbeit mehr gebe, sondern nur, daß die Anstellung und damit das Einkommen in einem vorgegebenen und rechtlich gesicherten Zusammenhang für eine wachsende Zahl von Menschen nicht mehr möglich ist. Für sie entfällt die Koppelung der Beschäftigung mit dem Einkommensbezug. Sowohl die Sinngebung, die eine geregelte Arbeit mit sich bringt, als auch der berufliche Status, das Ansehen usw., fallen weg, als auch die Sicherheit und Berechenbarkeit des Einkommenbezugs. Damit wird das zweite Arbeitsmotiv, der Bezug von Einkommen, in den Blick genommen und verlangt eine nähere Analyse.

4. Neue Arbeitsmotive

Zunächst können wir festhalten, daß die hohen Reallöhne in der Bundesrepublik - dies gilt aber mit Variationen für alle Industriestaaten - einerseits als ursächlich dafür zu betrachten sind, daß menschliche Arbeit durch Mechanismen verdrängt wird. In dem Maße, wie Arbeit teurer als die Maschine wird, ersetzt diese den Menschen. Ein hohes Einkommensniveau kann darum als Quelle oder Antrieb angesehen werden, durch den der technische Fortschritt erst realisiert wird. Der Kapitalismus setzt die Produktionskräfte in Produktionsverhältnisse um, heißt das in Marx Sprache.

Da dieser technische Fortschritt die Arbeit teilweise und zunehmend überflüssig macht, bleibt als «Warum» für die Tätigkeit allein das Einkommen. Die Koppelung von Einkommen an die Arbeit war in der Leistungsgesellschaft ein Bekenntnis, Ausdruck ihrer geistigen Einstellung. Aber gegenwärtig wird bemerkbar, daß die motivierende Kraft des Einkommensbezugs allein nicht ausreicht, um anstelle der Arbeit jene gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten zu ergreifen, für die real Bedarf besteht. Dafür müßte sich ein Wandel in der Auffassung, in der Gesinnung ergeben. «Es ist eben in des Wortes ureigenster Bedeutung richtig: nur dem einzelnen kann man helfen, wenn man ihm bloß Brot verschafft; einer Gesamtheit kann man nur dadurch Brot verschaffen, daß man ihr zu einer Weltauffassung verhilft.» 7

Arbeit und Einkommen

Um diese These und damit auch die Einkommensbildung genauer zu verstehen, müssen wir uns vergegenwärtigen, daß dann, wenn die Produktion von Gütern zunehmend mechanisch geschieht, also weniger menschliche Arbeit erfordert, der Verbrauch allerdings weiterhin nur durch den Menschen geschehen kann. Alle Erzeugnisse haben nur Sinn in bezug auf den Bedarf. (Mit einigem Erfolg kann diese Beziehung außer Kraft gesetzt werden, indem ein ScheinBedarf, wie ihn Gemeinschaften als Illusion zu bilden vermögen, als Bedarf ausgegeben wird: in der Rüstung. Trotz ihrer ungeahnten Steigerung in den letzten Jahren konnte sie gleichwohl die Arbeitslosigkeit nicht beseitigen.) Die Freisetzung von Arbeitskräften, die damit auch ihres Einkommens verlustig gehen, verhindert theoretisch, daß auch sie Abnehmer der erzeugten Güter werden.

Ein Wirtschaftsleben mit steigender Arbeitslosigkeit müßte an seinem eigenen Widerspruch zugrunde gehen, wenn das, was an Gütern erzeugt wird, deshalb keine Abnehmer fände, weil diese zwar vorhanden und auch «bedürftig» sind, aber über kein Einkommen verfügen, also das Notwendige und überreichlich Vorhandene nicht kaufen können. Auf diese Paradoxie wies schon Keynes (1936) hin. So gibt es nur einen wirtschaftlich sinnvollen Ausweg: Arbeit und Einkommen zu trennen. Auch Arbeitslose werden mit ihren Fähigkeiten als Tätige gebraucht, also in Beschäftigungen, die nicht identisch sind mit den überlieferten Berufsbildern und Planstellen, also in gesellschaftlich defizitären Aufgabenfeldern. Sie sind nicht nur im Hinblick auf ihre «Leistungsmöglichkeit» unverzichtbar, sondern auch als Abnehmer-Gruppe. Hier ragt außerdem in die Wirtschaftszusammenhänge sowohl die Rechtsanschauung als auch die Wertsetzung des Geisteslebens herein. Galt bislang, daß der Tätige für seine Leistung zu bezahlen sei, weil er nur aus Egoismus arbeite, so hat heute umgekehrt zu gelten, daß derjenige, der an Leistungen verhindert wird, nicht ohne Unterhalt bleiben kann. Wenn die Sozialisten das Recht auf Arbeit formulierten, so zeichnet sich ab, daß in Zukunft ein Recht auf Einkommen entstehen wird, also ein Recht, das in das Wirtschaftsleben hereinragt. Schon gegenwärtig ist der Staat, obgleich dieses Recht noch nicht besteht, gezwungen, die Versorgung, also das Einkommen, durch die Arbeitslosenversicherung und -unterstützung zu regeln. Dieser schon bestehenden Gesetzgebung liegt die Auffassung zugrunde, daß es sich bei Arbeitslosigkeit lediglich um konjunkturelle Schwankungen handle, daß prinzipiell aber Vollbeschäftigung möglich sei. Wenn dies aber tatsächlich nicht so ist, trägt die Gesellschaft als einheitlicher Lebenszusammenhang auch die Verantwortung, daß bei Überversorgung an Gütern eine sozial gerechte Verteilung stattfindet, d. h. unabhängig von einer Anstellung hat sie ihren Angehörigen ein notwendiges Einkommen zu sichern. An dieser Stelle kann das Wirtschaftsleben sich nicht selbst zureichend ordnen, zumal nicht ein liberalistisches, vielmehr bedarf es einer Rechtsvorgabe. Sachgemäß hat Steiner deshalb die Einkommensgestaltung als Aufgabe des Rechtsstaates gesehen, zwar nicht die Einkommensstruktur selbst, wohl aber eine Mmdest-Rahmengestaltung. In alten Zeiten war die «milte» des Patriarchen, das Almosen, ethische Verpflichtung. Karitative Gesinnung mag fortbestehen, aber es wird deutlich, daß im Industrialismus andere Gestaltungsformen gefunden werden müssen. Die Arbeit und das Einkommen trennen sich anfänglich faktisch. Damit unterläuft die soziale Wirklichkeit bereits die herrschende Auffassung, daß nur Leistung bezahlt werden dürfe, weil die Arbeitslosen als Abnehmer-Gruppe unverzichtbar sind.

Nun heißt es aber, die Geschehnisse funktionell noch eine Stufe tiefer zu erfassen. R. Steiner hat früh auf die Tatsache hingewiesen, daß der Erwerb aus der Sorge um den Unterhalt, also um das eigene Wohl herrührt, die Arbeit selbst - bei ihm zur Unterscheidung als Beruf bezeichnet - aber nur aus der Hingabe an die Sache, d. h. der Arbeitsimpuls aus der Einsicht in den Bedarf, die Bedürfnisse der anderen, erfolgen kann. Damit wird eine in der Arbeitsteilung notwendige Orientierung als ein «Geistgesetz» formuliert: «Im sozialen Leben ist nur dasjenige für das Heil der Menschen ersprießlich, was die Menschen nicht für sich, sondern für die Gesamtheit der Menschen tun. Arbeit muß zum Unheil gereichen, die die Menschen für sich tun.» 8

Der Gestus, auf den hier aufmerksam gemacht wird, liegt darin, daß nicht für das mir Notwendige, sondern für das Dir Notwendige gearbeitet wird. Es geht um die Motivik des Handelns, um die Wertsetzung, wie mit den eigenen Fähigkeiten umgegangen wird. Damit aber wird eine Umwandlung - aus Bewußtsein und Einsicht - gerade jener Arbeitseinstellung angezielt, die als Geist der Rechenhaftigkeit den Kapitalismus und Industrialismus hervorgerufen hat. Es ist dies eine Leistung seelischer Bewußtheit gewesen, die dadurch ihre Steigerung findet, daß sie vom Gewordenen und selbständig Ablaufenden zum gestaltenden Sozialhandeln aufsteigt. An der gegenwärtigen Symptomatik der Arbeitslosigkeit kann Wachheit entstehen, was zu tun wäre. Dieses Ziel, die Entkoppelung von Arbeit und Erwerb, gilt (mit verschiedenen Änderungen) für etwa 10 bis 15 Prozent aller Erwerbstätigen, ohne daß allerdings damit schon irgend etwas im Hinblick auf die Einstellung oder Gesinnung bewirkt wäre. Voraussetzung dafür ist denn auch, daß allmählich sich die Erkenntnis ausbreitet, daß die Krankheitssituation («Un-heil») gerade jenem Geist entspringt, der nun zu verwandeln sein wird. Das ist eine epochale Aufgabe.

5. Folgerungen und Handlungsrichtungen

Wir halten bisher genannte Motive fest:

1. Der Industriegesellschaft geht allmählich die Arbeit aus, die Arbeit im industriellen Fertigungsprozeß. Der Mensch wird durch von ihm geschaffene Mechanismen verdrängt.

2. Wo Menschen sind, ist auch Bedarf. Der Bedarf, ja Mangel erstreckt sich weniger auf Güter als auf Dienste.

3. Die in zwanghaften Fertigungsabläufen eingebundene Arbeit wird frei, gewinnt jedenfalls Grade der Freiheit, sie kann Beschäftigung genannt werden, auch wenn sie selbst jeweils in Sachzusammenhänge eingebettet bleibt.

4. Der Bedarf an Diensten ist unerschöpflich. Gleichwohl fand bisher keine Umlagerung von Arbeit zur Beschäftigung im genannten Sinne statt, also zur Befriedigung von Diensten, weil diese «unbezahlbar» (geworden) sind, solange das Einkommensniveau von der Industriearbeit bestimmt wird.

5. Einkommen ist an die Beschäftigung, die Arbeitsstelle, gebunden; wer keine hat, verliert -auf Dauer - den Anspruch auf Einkommen. Allerdings gilt auch, daß Wirtschaftsgüter für den Bedarf erzeugt werden und daß auch Arbeitslose zu jenen zählen, für die erzeugt wird. Fehlt ihnen das Einkommen, können sie nicht kaufen. Daraus läßt sich ein Recht auf Einkommen ableiten.

6. Wenn Arbeit und Einkommen getrennt werden, wie sich dies bei der Hilfe für Arbeitslose abzeichnet, ist damit aber keineswegs gesichert, daß damit auch jene Tätigkeiten erfüllt werden, für die realer Bedarf besteht. Hierzu ist notwendig, daß an die Stelle der Motivation durch das Einkommen eine andere tritt. In einer arbeitsteiligen Gesellschaft liegt der Grund zur Arbeit im anderen Menschen. «Wenn jemand für die Gesamtheit arbeiten soll, dann muß er den Wert dieser Gesamtheit empfinden ... Sie (die Gemeinschaft) muß von einem wirklichen Geiste erfüllt sein, an dem jeder Anteil nimmt. Sie muß... eine geistige Mission haben; und jeder einzelne muß beitragen wollen, daß diese Mission erfüllt werde, . . . bis in den einzelnen herunter muß dieser Geist der Gesamtheit lebendig sein.» 9

7. Die Tatsache, daß mit der grundlegenden Arbeitslosigkeit die Industriegesellschaft auf Probleme stößt, die aus ihrem Geist heraus nicht zu lösen sind, verlangt am Ausgang einer Epoche eine Wandlung in der geistigen Einstellung, in der mitmenschlichen Gesinnung. Damit stellt sich eine geschichtliche Aufgabe von epochalem Umfang, die schnelle Ergebnisse nicht bringen kann. Gerade darum sind - von der fernen Perspektive her, eben weil sie so fern zu sein scheint-, die ersten Schritte in die richtige Richtung zu tun.

Arbeitszeit-Verkürzung um wenigstens 10 Prozent

Auch eine Weltreise beginnt mit dem ersten Schritt. Er sei charakterisiert: Wenn gegenwärtig Einkommen an Arbeitsplätze gebunden ist, dann gebietet es die Solidarität, die vorhandene Arbeit auf die Arbeitswilligen aufzuteilen, um ihnen Einkommen zu ermöglichen. Eine Arbeitszeitverkürzung um 10, ja möglichst 20 Prozent, d. h. von 40 auf 36 oder möglichst 32 Stunden, wäre dringend als erste Maßnahme geboten. Dies ist keine wirtschaftliche, sondern eine rechtlich-politische Entscheidung. Rechnerisch müßten bei einer Reduktion der Arbeitszeit um 10 Prozent die Arbeitslosen nach einiger Zeit verschwunden sein. Dies ist aber aus verschiedenen Gründen ganz unwahrscheinlich, weil ja sowohl der «Produktionsfortschritt» weiter geht, als auch ein übermäßiger Aufschwung infolge des nicht unbeträchtlichen Sättigungsgrades nicht erwartet werden kann. Ferner sind es in der Regel natürlich nicht die Fähigkeiten, über die die Arbeitslosen verfügen, welche gerade benötigt werden. Die «Qualifizierten» gehen vermutlich aber auch jetzt einer Beschäftigung nach. Man mag auch einwenden, daß in Zukunft die Zahl der in das Berufsleben eintretenden Jugendlichen sinken wird (Pillenknick) und dann sich die Verhältnisse umkehren. Gleichwohl kann nur, um das Niveau der Arbeitslosigkeit zu senken, eine deutliche Arbeitszeitverkürzung Erfolg versprechen. Diese aber wird von verschiedenen «Interessenten» entschieden bekämpft:

von den Arbeitgebern mit dem Argument, daß ein entsprechender Lohnausgleich derart kostentreibend wirke, daß letztlich dann die BRD durch ihr einzigartig hohes Lohnniveau aus dem internationalen Wettbewerb ausscheiden müßte; der damit ausgelöste Rationalisierungsdruck erhöhe nur die Arbeitslosigkeit; von den Arbeitnehmern wird dagegengehalten, daß eine Beteiligung am Lohnausgleich undenkbar sei, zumal die Realeinkommen ohnehin kaum das Notwendige decken, vielmehr weiterhin ein «Nachholbedarf» bestehe.

Gleichwohl kann aber an eine 10prozentige Arbeitszeitverkürzung gedacht werden, wenn beide Seiten - Unternehmen und Beschäftigte -je die Hälfte, also 5 Prozent trügen; der Lebensstandard würde auf ein Niveau Mitte der siebziger Jahre «gedrückt» werden. Ist das unzumutbar? Als Solidarbeitrag doch wohl nicht! Dennoch sind die Widerstände unverkennbar, ist doch ein Gemeinschaftsbewußtsein unvergleichlich schwächer ausgebildet als das der Selbstbezogenheit. Gerade hier ermöglichen sich überfällige Wandlungen.

Bei einer - auch nur teilweise wirksamen - Senkung der Arbeitslosenzahl sinken für den einzelnen die Belastungen an Sozialabgaben usw. (2 Millionen Arbeitslose «kosten» 50 Mrd. DM durchlaufende Mittel der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung). Dabei müßte zu einer übergreifenden Einsicht zählen, daß jeder Arbeitslose durch diese Tatsache tief in seinem Selbstwertgefühl und in seiner Würde verletzt wird und daß es zur bedrückenden psychischen Situation der Betroffenen zählt, wenn sie sich als überflüssig und wertlos vorkommen, wobei sich die Stimmung der Hoffnungslosigkeit und Resignation bei ihnen ausbreitet.

Eine verkürzte Arbeitszeit brächte hingegen einen Zuwachs an Freizeit für alle, mehr «disponible» Zeit wird verfügbar. Darin wird Entfremdung abgebaut. Diese Zeit droht leicht von einem «mechanisierten Geistesleben» vereinnahmt zu werden, also von irgendwelcher Zerstreuung oder durch die Bewußtseinsindustrie. Diese Zeit stellt aber auch eine ungeahnte Chance dar: daß nämlich bei einem über Anstellung für jeden Beschäftigungswilligen beziehbaren Grundeinkommen sich neben der Arbeit ein reiches, selbstgestaltetes Beschäftigungsleben entfalten könnte 10.

Damit ist gemeint, daß neben einer Vier-Tage-Woche der «Arbeit» ein fünfter Tag an «Beschäftigung selbstbestimmter Tätigkeit» möglich wird. - Hier werden die als notwendig erkannten Aufgaben und Bedürfnisse anderer, seien es einzelne oder Gemeinschaften, frei ergriffen. Es versteht sich, daß damit die Motivik, warum etwas getan werden soll, das vielleicht kein Einkommen, aber Leistung einbringt, zentral berührt wird. Diese neu zu erringende Einstellung bereitet sich aber in eigentümlicher Weise vor. Dahrendorf macht darauf so aufmerksam, daß sich einer seiner Lehrer darüber verwundert habe, daß er für das, was er ohnehin tun würde, auch noch bezahlt werde. Diese beobachtete «selbständige» Tätigkeit könne sich sinngemäß auf soziale Dienste u. a. erstrecken, die sogar «durch nachbarschaftliche Hilfe, durch kleine soziale Netze» ergänzt werden könnten. «Die Erhaltung der Städte, die Bewahrung einer lebenswerten Umwelt. .., das sind sämtlich Aufgaben von Eigentätigkeit von Menschen und ihren Gruppen. Dazu ist Initiative nötig.» Es gibt nicht «Schöneres als die Selbstausbeutung, nämlich die Verwendung der eigenen Kräfte zu selbstgewählten Zwecken, wenn es sein muß, bis zur Erschöpfung. Das eben ist menschliche Tätigkeit, Freiheit». Entscheidend ist hierfür das Motiv, die Einstellung des Arbeitenden. Wenn Dahrendorf diese in der Schwarzarbeit sieht, ist das zwar überraschend, aber noch vordergründig.

«Die Aussicht der Gegenwart ist bedrückend. Ob sie real ist, dürfte sich an einem Phänomen entscheiden, von dem bisher noch nicht die Rede war, obwohl es der Schlüssel der Zukunft ist, nämlich der Schwarzarbeit. Schwarzarbeit ist in der offiziellen Welt der Arbeitsgesellschaft unbeliebt. Das ist einerseits verständlich. Sie dokumentiert vor allem den unbändigen Wunsch von Menschen, etwas Sinnvolles zu tun, gleichgültig darum, was Gewerkschaften, Handwerkskammern und Finanzbehörden dazu sagen. Schwarzarbeit beginnt zu Hause, alle Hausfrauen arbeiten schwarz. Aber hier ist vor allem von der Schwarztätigkeit die Rede. Wer das Auto seines Nachbarn repariert oder vielmehr an ihm herumbastelt, wer mit Freunden sein Haus anstreicht, aber auch wer nebenher an einer Volkshochschule unterrichtet oder andere in Fragen ihrer Rechte und der Wege, dazu zu kommen, berät, wer also seine oder ihre Freizeit zu Tätigkeit nutzt, der setzt ein Signal für die bessere Zukunft. Die Schattenwirtschaft der Schwarzarbeit ist eine Wachstumsindustrie, in einigen Ländern die einzige. Schwarzarbeit ist aber auch eine Tätigkeit für Entschädigungen... Der Geldlohn für Schwarzarbeit ist, niedrig; oft wird er ergänzt oder ersetzt durch ... einen Zentner Apfel aus den eigenen Gärten oder durch Gegenleistung an Diensten.»"

Worauf Dahrendorf aufmerksam macht, das ist der Wandel in den Arbeitsmotiven, die allenfalls eine Andeutung, kein Ziel sein können. Verbindet man diese Hinwendung zur eigengestalteten Tätigkeit mit einer Ausbildung des Sinns für eine neue Gestik, die Gemeinschaftsmission, als Tätigkeitsaufgabe, dann wird man zunächst überschaubarer Gemeinschaften ansichtig, die sich um Aufgaben - etwa Erziehung, Ernährung, Produktion u. a. - gruppieren, wobei Dienste für sie - neben der Arbeit anderenorts erbracht werden als veränderte Art von Gegenleistung. Die «Mission» kann nicht an Abstraktionen wie Vaterland, deutsche Wirtschaft, sondern nur an unmittelbar erlebten Aufgaben ausgebildet werden: die Probleme von Alten, von Behinderten, der Umweltschutz usw. Daher bedarf es konkreter Aufgaben, die gesehen und aus den Lebenszusammenhängen ergriffen werden. Dies sind Überlegungen, die nicht theoretisch erdachten Konzepten entspringen, sondern erspüren wollen, in welcher Richtung eine heilsame Weiterentwicklung des geschichtlich Entstandenen erfolgen könnte. Daneben kann es ganz andere Möglichkeiten geben, nur: gestaltendes Handeln wird in Zukunft unausweichlich werden.

Im Wirtschaftsleben gilt, daß Leistungen auf Gegenseitigkeit beruhen. Geldeinkommen sind Gegenwerte für erbrachte Leistungen. Wenn hier ein Bereich von Tätigkeiten angesprochen wird, wo Leistungen eventuell Gegenleistungen nicht monetärer Art nach sich ziehen, könnte ein Rückfall in tauschwirtschaftliche Verhältnisse gemutmaßt werden. Das mag sein, bezieht sich aber nur auf einen Lebensbereich, der der Wirtschaft schon lange entfallen oder nie von ihr ergriffen war, denn die Tätigkeit von Hausfrauen ging bis heute nicht in die Wertschöpfung des Sozialprodukts ein. Diese neuen, noch zu erringenden Gesten formuliert Rudolf Steiner so: «Das Heil einer zusammenarbeitenden Gruppe von Menschen ist um so größer, je weniger der einzelne die Erträgnisse seiner Leistungen für sich beansprucht, d. h., je mehr er von diesen Erträgnissen an seine Mitarbeiter abgibt, und je mehr seine eigenen Bedürfnisse nicht aus seinen Leistungen, sondern aus den Leistungen der anderen befriedigt werden.»` Doch bedarf es sozialer Einrichtungen, die experimentell aus den Anlässen, wie sie uns vorliegen, umgestaltet werden müssen. Versuche, zu überschaubaren Wirtschaftsgemeinschaften zu kommen, bringen konkret in Erfahrung, was es heißt, durch persönliche Initiativen, selbstgestaltend und selbstverwaltend, das Wirtschaftsleben zu verwandeln.

Eine weitere Maßnahme, die Arbeitslosigkeit zu dämpfen, kann die Verlängerung der Schulzeit sein - ein Weg, der wegen der leeren Staatskassen nicht im Gespräch ist und deshalb wenig Echo findet, der sich aber gut anthropologisch begründen läßt. Es dürfte verständlich sein, daß eine veränderte Arbeitswelt Kräfte benötigt, aus denen der einzelne nicht nur arbeiten, sondern sich auch selbstbestimmt beschäftigen kann. Diese müssen erlernt werden, wohl auch durch die Schule.

Welche soziale Konzeption?

Wie kann nun unser Problem der Arbeitslosigkeit auch aus einer sozialen Konzeption strukturell makrosozial angegangen werden, d. h. wie können die wirtschaftlichen Institutionen gesunden? «Das chaotische Zusammenwirken von Politik, Geistesleben und Wirtschaft untergräbt diese Gesundung.» 13 «Wir haben zunächst die Leistung als eine Funktion des Wirtschaftslebens zu verstehen, dagegen die Quelle in den Fähigkeiten, d. h. im geistigen Leben des Menschen, zu sehen. Also besteht eine polare Ausgangslage, die dadurch widersprüchlich wird, daß zwar Fähigkeiten nicht bezahlt werden können, daß Arbeitskraft nicht Ware sein darf, sehr wohl aber Leistungen dann Warencharakter annehmen, wenn sie in das Kraftfeld des Wirtschaftslebens gelangen. So wird dort das, was ein Lehrer an seinen Schülern leistet, für den Wirtschaftskreislauf Ware. Dem Lehrer werden seine individuellen Fähigkeiten ebensowenig bezahlt wie dem Arbeiter seine Arbeitskraft. Bezahlt kann beiden nur werden, was im Wirtschaftskreislauf Ware sein kann.» 14

Dieser aufgezeigte Gegensatz kann durch das Rechtsleben ausgeglichen werden, indem durch ein «vertragsmäßiges Teilungsverhältnis» das «gemeinsam Geleistete in Verbindung mit der gesamten Einrichtung des sozialen Organismus» gebracht wird. Verallgemeinert man diesen Gesichtspunkt, heißt dies, daß nicht mehr wie gegenwärtig die einzelne Unternehmung für sich entsprechend der Auftragslage, dem Geschäftsgang oder den Kapitalinteressen entscheidet, d. h. Arbeitskräfte entläßt. Die Folgen dieser Entlassungen tragen dann einerseits der Betroffene, andererseits die Gemeinschaft aller, die aus der Rechtsordnung Regelungen zu treffen haben, wie die Not gemildert oder abgewendet wird. Dazu sind Regierungen nicht in der Lage, wie die Schuldzuweisungen bei jedem Regierungswechsel zeigen; aber nicht allein Regierungen, sondern der ganze Staatsapparat ist überfordert. Dies zeigt, daß ein Zusammenwirken verschiedener gesellschaftlicher Funktionen erforderlich ist, aber auch Einrichtungen nötig sind. Nur in der «allgemeinen Gesundung der wirtschaftlichen Institutionen» kann die Arbeitslosigkeit ein Gegengewicht finden. Sie ist in der Bildung von Assoziationen, wie ausgeführt, zu suchen, die im Unterschied zu den zahlreichen wirtschaftlichen Interessenverbänden ein gesamtwirtschaftliches Wahrnehmungsorgan darstellen. An der Arbeitslosigkeit kann die Notwendigkeit der Einrichtung von das Wirtschaftsleben gesundenden Institutionen offenkundig werden. Bruderschaften nannte Steiner diese Institutionen auch, die sich der jeweiligen Folge der zahlreichen Einzelentscheidungen bewußt werden können. Aufgabe des Rechtssystems kann es dann sein, Regelungen der Arbeitszeit, der Vertragsgestaltung usw. zu treffen, wie es die Aufgabe des Geisteslebens ist, an der Bewußtseinsbildung und der Fähigkeitsbildung im Hinblick auf die Arbeitsmotive mitzuwirken.

Anmerkungen

1 Nach: Günther Schmölders: «Konjunkturen und Krisen», Hamburg 1956, S. 12.

2 Rudolf Steiner: «Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung», Kap. 12.

3 Rudolf Steiner: «Die Kardinalfrage des Wirtschaftslebens», in: «Die Wirklichkeit der höheren Welten», 1921, GA 79.

4 F. Wayne/F. Rasmussen: «Landwirtschaft», in: Spektrum der Wissenschaft 11/1982, S. 40 if.

5 Rudolf Steiner: «Arbeitslosigkeit» (1921); in «Der Goetheanumgedanke inmitten der Kulturkrisis der Gegenwart», GA 36, S. 33.

6 Zitiert nach Ralf Dahrendorf «Die Arbeitsgesellschaft ist am Ende»; in: Die Zeit, 26. 11. 1982, S.44.

7 Steiner: «Geisteswissenschaft und soziale Frage» (1905/06); in GA 34, S.217.

8 R. Steiner: «Erwerb und Beruf», Vortrag v. 12. 3. 1908; in «Die Erkenntnis der Seele und des Geistes», GA 56.

9 R. Steiner, s. Anm. 7, 5. 214 f.

10 R. Jungk nannte dies «Andersarbeit»; in Bild der Wissenschaft 1, 1983, S.60.

11 In: Die Zeit, 3. 12. 1982, S. 44.

12 Rudolf Steiner: «Geisteswissenschaft und soziale Frage», in: «Luzifer Gnosis». Grundlegende Aufsätze zur Anthroposophie», GA 34 (S. 213).

13 Rudolf Steiner: «Arbeitslosigkeit», in: «Der Goetheanumgedanke ... GA 36 (S. 33).

14 Rudolf Steiner, «Kernpunkte der sozialen Frage» (1920), S. 90. Ebd., S. 94.