Zur Angelegenheit der Betriebsräte

21.06.1919

In jüngster Zeit macht sich die Tendenz geltend, daß die von dem Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus beabsichtigte und zum Teil schon durchgeführte Aufstellung von Betriebsräten, unter Zusammenfassung derselben zu einer Betriebsräteschaft, von den Parteien übernommen und durchgeführt werden soll. Dadurch würde aber gerade dasjenige eintreten, was der Bund, wenn die Idee der Dreigliederung sich als heilbringend erweisen soll, unter allen Umständen zu verhindern wünscht, eine bloß teilweise Durchführung der Dreigliederung. Was mit der Dreigliederung als Ganzes gewollt wird, müßte, wenn ein Teil davon von einer Partei zu Sonderzwecken abgeschnürt würde, nur neues Unheil und Zerstörung schaffen. Der Bund sieht sich veranlaßt, vor einer solchen Abschnürung durch die Parteien zu warnen. Er wendet sich mit der untenstehenden Erklärung erneut an die Öffentlichkeit und protestiert gegen den Mißbrauch der Idee der Dreigliederung zu zerstörungschaffenden Parteiexperimenten.

Erklärung

Der Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus nahm seinen Ausgang von Dr. Steiners Aufruf «An das deutsche Volk und an die Kulturwelt» und vertritt die Anschauungen, die in dem Buche Dr. Steiners «Die Kernpunkte der sozialen Frage» niedergelegt sind. - Er erblickt als einzige Rettung aus der gegenwärtigen durch den Friedensschluß gekennzeichneten außerordentlichen Lage die sofortige Inangriffnahme seiner Forderungen, die er nochmals wie folgt zusammenfaßt:

  1. Völlige Verselbständigung des Geisteslebens, einschließlich Erziehungs- und Schulwesen.
  2. Einschränkung des Staatslebens auf alle diejenigen Lebensverhältnisse, für welche alle Menschen vor einander gleich sind.
  3. Regulierung der umgebildeten Lohn- und Besitzverhältnisse durch den Rechtsstaat, mit völliger Herauslösung derselben aus dem Wirtschaftsleben, so daß dieses mit nichts anderem zu tun hat, als mit Gütererzeugung, Güterverteilung und Güterverbrauch.

Der Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus sieht die Erreichung seines Zieles darin, daß der Staat aus seinem Machtbereicht entläßt auf der einen Seite das Geistesleben, auf der andern Seite das Wirtschaftsleben. - Der Bund hat sich auf dem Gebiet des Wirtschaftslebens für die Betriebsräte eingesetzt, damit diese zu einer Betriebsräteschaft zusammengeschlossen die ersten praktischen Schritte für eine vernünftige Sozialisierung unternehmen können. Parallel damit soll die Erneuerung des Geisteslebens durch Gründung eines Kulturrats sofort in Angriff genommen werden.

Der Bund muß daher unbedingt daran festhalten, daß nicht eine einseitige Loslösung des Wirtschaftslebens vom Staat erstrebt werden darf, sondern gleichzeitig mit dieser Loslösung die Stellung des Geisteslebens auf sich selbst erfolgen muß.

Der Bund zählt zu seinen Mitgliedern Menschen aus allen Berufen, Lebenskreisen und Parteien, und betrachtet die durch seinen Namen ausgedrückten Ideen als einen Weg zur wirklichen Einigung aller Menschen, welche mit gutem Willen unser Volk aus seiner tiefsten Not zu einer lebensmöglichen Zukunft führen wollen. Wo alle Parteiprogramme versagt haben in dieser tragischen Zeit, werden es unsere Forderungen sein, welche in Innen- und Außenpolitik die neuen Wege vorzeichnen. Die Träger der Idee vom dreigliedrigen sozialen Organismus lehnen es entschieden ab, mit dieser Idee auf irgend einen Parteiboden gestellt zu werden. Sie werden sich nie mit einem der bisherigen Parteiprogramme identifizieren. Ihr Ziel ist, zu Menschen und niemals zu Parteimitgliedern als solchen zu sprechen.

Für jede Bewegung, von welcher Seite sie auch kommen mag, welche sich mit ihren Mitteln oder Zielen außerhalb dieser Dreigliederung stellt, kann der Bund keine Verantwortung tragen; insbesondere erblickt er in einer einseitigen Aktion auf dem Gebiet der Wirtschaft oder der Politik ohne das Ziel der Dreigliederung nur die Quelle zu unbegrenzter Vermehrung des Unheils.

In letzter Stunde erwarten wir von den berufenen Kreisen die Auseinandersetzung mit unseren Bestrebungen, ehe es zu spät ist.

Stuttgart, 21. Juni 1919.

Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus, Stuttgart, Champignystr. 17