Warum eigentlich freies Geistesleben? Eine Frage an die Idee der sozialen Dreigliederung

Autor/in:
Erscheinungsjahr: 2019
Quellenangaben: Zeitschrift Anthroposophie, Vierteljahresschrift zur anthroposophischen Arbeit in Deutschland, Michaeli 2019, Nr. 289, S. 216-226

Inhalt

  • Die Geltung der Wissenschaft
  • Die Freiheit von Forschung und Lehre
  • Die Freiheit des Einzelnen
  • Unfreiheit durch Selbstverwaltung
  • Und die Schule?
  • Individuelle Pädagogik dank Selbstverwaltung?
  • Fazit

Einzelne Zitate

„Auch nach hundert Jahren ist die Idee der sozialen Dreigliederung nicht verwirklicht. Warum? Könnte es sein, dass es nicht so sehr an gesellschaftlicher Ignoranz oder Bequemlichkeit liegt, sondern - zumindest auch - an Mängeln der Idee selbst? Dieser Vermutung gehe ich hier nach, und zwar im Hinblick auf eine der zentralen Säulen der Dreigliederung: das freie Geistesleben - die Idee also, dass sämtliche kulturelle Einrichtungen, genauer gesagt alle Bereiche, in denen es um die Entwicklung menschlicher Fähigkeiten geht, von Staat und Wirtschaft unabhängig sein und sich selbst verwalten sollen.“
„[...] das Spezifische der Idee des freien Geisteslebens ist ja nicht der leitende Wert der Freiheit, sondern die Überzeugung, dass die Realisierung dieses Wertes ganz eng mit einer organisatorischen Selbständigkeit zusammenhängt.“
„Dasjenige, worum es der Idee des freien Geisteslebens geht, ist in der Bundesrepublik heute weitaus stärker verwirklicht - nicht nur stärker, als viele Dreigliederer glauben, sondern auch als ein vollständig selbstverwaltetes Wissenschaftssystem gewähren könnte.“
„Wir haben Freiheit, wir brauchen kein vollständig selbstverwaltetes Geistesleben.“
„Das, was Kinder und Jugendliche in der Schule lernen, prägt die Gesellschaft. Was die heranwachsende Generation lernt, geht daher keineswegs nur die einzelne Lehrerpersönlichkeit und die Schule etwas an, sondern die gesamte Gesellschaft. Was aber alle angeht, sollten auch alle entscheiden. Gemeinsame Entscheidungen über das zu treffen, was alle angeht, ist der Sinn des demokratischen Staates. Folglich ist es richtig, wenn zumindest über die zentralen Bildungsziele und -inhalte politisch entschieden wird.“
„Doch haben Lehrer in pädagogischen Angelegenheiten nicht die größere Kompetenz? Gewiss, die haben sie. Und was die Art und Weise des Unterrichts angeht, steht ihnen eine weitreichende Freiheit zu. Sie verfügen jedoch nicht über die größere Kompetenz in Bezug darauf, welche Inhalte wichtig sind.“
„Man kann heute nicht mehr ein freies Geistesleben verlangen, als hätte der Kaiser soeben abgedankt. [...] Die Forderung nach einem freien Geistesleben ist deshalb heute nicht nur unnötig, sie ist geradezu aus der Zeit gefallen.“
„Ein freies Geistesleben macht das Geistesleben unfrei.“
„Kein Argument für eine Selbsverwaltung des Geisteslebens kann überzeugen. [...] Die Idee des freien Geisteslebens [...] ist unterkomplex.“