Geistige Arbeit trotz wirtschaftlichem Scheitern weiter möglich

Quelle: GA 260a, S. 534-536, 2. Ausgabe 1987, 15.07.1924, Stuttgart

Es ist von mir jetzt schon an verschiedenen Orten betont worden, wie das in allerenergischster Weise Sich-Stellen auf rein anthroposophischen Boden seit der Weihnachtstagung überall gezeigt hat, daß das Vertrauen zur eigentlichen anthroposophischen Sache in den letzten Monaten nicht geringer, sondern wesentlich größer geworden ist. So daß wir innerhalb des Anthroposophischen überall mit tiefster Befriedigung auf dasjenige hinsehen können, was nach dieser Richtung hin unter uns lebt.

Ich muß sagen, ich bin heute mit außerordentlich betrübtem, schwer besorgtem Herzen daran gegangen, den Vorschlag zu machen, den ich einmal nach der Kenntnisnahme von der Lage des « Kommenden Tages » Ihnen, meine lieben Freunde, unterbreiten mußte. Und ich hätte es durchaus verstehen können, wenn dieser Vorschlag im weitgehendsten Sinne eine Ablehnung erfahren hätte. Ich muß schon sagen, es ist tief rührend und zu Herzen gehend, daß dies nicht stattgefunden hat, sondern daß wir hinschauen können darauf, daß schon jetzt in der ersten Stunde sich die Freunde bereit erklärt haben, 20 700 Stück Aktien auf diesem Schenkungswege an den Goetheanum-Fonds gelangen zu lassen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich dankbar bin über dieses sehr schöne Resultat, daß wir hinblicken können auf dieses Ergebnis, daß die angezeigte Zahl von 20 700 Stück Aktien zur Verfügung gestellt worden ist, so daß wir nach dieser Richtung hin in der allernächsten Zeit zur vollen Sanierung der geistigen Betriebe, soweit das möglich ist, kommen werden, und damit auch mittelbar zur Sanierung des « Kommenden Tages » werden beitragen können.

Das ist ein im Grunde genommen außerordentlich erschütterndes Resultat und wir dürfen auf den Verlauf dieser Versammlung nur mit im Grunde tiefster Rührung zurückblicken. Ich danke allen denjenigen, die haben schenken können und es getan haben, wirklich aus tief bewegtem Herzen heraus für dasjenige, was von Ihnen ausgeht, was nicht allein für den « Kommenden Tag », sondern gerade für unsere anthroposophische Bewegung eine außerordentlich bedeutsame Tat bedeutet. Denn, wenn diese Opferwilligkeit sich nun einmal trotz der Mißerfolge der letzten Jahre innerhalb der Anthroposophenkreise in einer solchen Art zeigt, so werden wir dennoch auf unserem Hauptwege in der nächsten Zeit das leisten können, was geleistet werden muß. Und geleistet werden muß dasjenige, was durch Anthroposophie in geistiger Beziehung für die Menschheit und für die moderne Zivilisation getan werden kann. Wenn wir mit unseren materiellen Unternehmungen nicht den gewünschten Erfolg hatten, wenn sozusagen alles das, was aus der Dreigliederungsbewegung hervorgegangen ist, im Grunde genommen heute ins Wasser gefallen ist, so haben wir doch - und dieses allein durch das unbegrenzte Vertrauen, das unsere Anthroposophen zur Anthroposophie haben - die Möglichkeit, auf dem eigentlich geistigen Felde weiterzuschreiten.

Das allerdings legt die Verpflichtung auch mir auf, in der Art, wie ich versuchte die Weihnachtstagung bisher fruchtbar zu machen, in dem immer Esoterischer- und Esoterischermachen der anthroposophischen Sache, in tatkräftiger Weise fortzufahren. Gerade aus demjenigen, was die Freunde heute getan haben, fühle ich, wie stark die Verpflichtung ist, in dieser Richtung in allerenergischster Weise fortzufahren. Wenn wir in dieser Art zusammenhalten, daß jeder das tue, was er tun kann, werden wir auf dem entsprechenden Wege weiterkommen.

Sehen Sie, meine lieben Freunde, es liegt auch das noch vor: Die Dreigliederungsbewegung ist vor Jahren hier begründet worden. Einzelne Unternehmungen sind aus ihr hervorgegangen. Derjenige Teil der Dreigliederungsbewegung, der rein praktisch hätte durchgeführt werden sollen, zu dem praktisches Zusammenwirken notwendig gewesen wäre, hat sich zunächst nicht bewährt. Dagegen zeigt sich weit über die Grenzen von Europa hinaus, namentlich auch in Amerika, ein reges Interesse für diese Impulse. Lassen Sie mich dieses Wort, über das so viel geschimpft worden ist, gebrauchen: es sind eben Realitäten in der Dreigliederung. Es zeigt sich, daß diese Impulse immer mehr und mehr doch mit einem gewissen Verständnis ergriffen werden. Und vielleicht wird gerade für diese Impulse das gut sein, wenn man nicht in voreiliger Weise sie in eine ungeschickte Praxis überzuführen versucht, sondern wenn man dasjenige befolgt, was ich am Anfange unserer Begründung unserer Zeitschrift « Anthroposophie » ja oft gesagt habe: Dreigliederung kann erst dann wirken, wenn sie in möglichst viele Köpfe hineingegangen ist. Wir haben den Mißerfolg gesehen in der Anwendung der Dreigliederung auf die äußere Lebenspraxis der Menschen, aber sie wird als etwas, was immerhin auf anthroposophischem Boden doch steht, ihren Weg in der Welt machen. Alle Anzeichen zeigen, daß unsere Kraft auf dem anthroposophisch-geistigen Felde da angewendet werden muß. Und in diesem Sinne möchte ich Ihnen sagen, daß ich es als eine Verpflichtung der Dankbarkeit empfinde, alles das aufzuwenden, was geeignet ist, den esoterisch-geistigen Charakter unserer anthroposophischen Bewegung immer weiter und weiterzubringen. Wenn das gelingt, und es muß gelingen, weil das Geistige nicht in der gleichen Weise Hemmnisse findet wie das äußere Materielle, dann werden die Freunde, die diese Opferwilligkeit gezeigt haben, in erneuerter Weise sich mit unserem Leben in der anthroposophischen Bewegung weit inniger noch verbunden fühlen.