Liebgewordene schweizerische Demokratie berücksichtigen

Quelle: GA 260, S. 227-234, 5. Ausgabe 1994, 31.12.1923, Dornach

Nun glaube ich, daß gar nichts dagegen ist in sachlicher Beziehung, wenn die schweizerische Anthroposophische Gesellschaft so konstituiert ist, daß sie gewissermaßen ihre Hauptvertretung in der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft hat, so wie wir es ja jetzt eben beschlossen haben. Ich möchte nur, rein aus dem Gefühl heraus, vermeiden, daß später einmal in irgend jemandem die Empfindung entstehen könnte, die schweizerische Anthroposophische Gesellschaft werde in irgendeiner Weise bevormundet oder werde wie ein Kind zweiter Ordnung behandelt. Eigentlich kann man das ja nicht: wenn man es zunächst an seine Brust drückt, so ist es ja im Grunde genommen das Kind erster Ordnung. Und das würde ja auch in der Tat so gelten müssen.

Aber ich meine, daß trotzdem irgendwo ein Soupçon aufkommen könnte, die schweizerische Gesellschaft sei nur ein Anhängsel der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft. Es würde natürlich das auch eine Taktfrage sein, und ich glaube, es wird sich in der Praxis dies nicht ergeben. Aber wenn dennoch hier in irgend einem Herzen dieser Soupçon sein könnte, so bitte ich, es ruhig auszusprechen, damit wir über die Frage nun wirklich schlüssig werden können. Sonst würde es ja wahrscheinlich das allerbeste sein, wir machten es in der Schweiz so, daß wir Altliebgewordenes berücksichtigen und die allgemeine Verwaltung eben besorgen von uns aus. So daß tatsächlich der Vorschlag des Herrn Thut das Richtige wäre: einfach die schweizerische Gesellschaft von der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft mitverwalten zu lassen; und für alle Angelegenheiten, die konstituierend sind, die eine innere substantielle Bedeutung für die Gesellschaft haben, berufen wir immer diejenigen ein, die dann als Vertreter der einzelnen Zweige von den Zweigen aus entsendet werden. Wenn wir das von Zeit zu Zeit tun, so haben wir das Altliebgewordene in der Schweiz, nämlich das Demokratische, zum Ausdruck gebracht.

[...] Herr Thut, Bern, fragt, ob eine Vertretung durch den Generalsekretär nicht günstiger wäre als durch Zweigvertreter.

Dr. Steiner: «Ich denke, das Beste würde sein, wenn die einzelnen Zweige uns ihre Delegierten vorschlagen. Es kann ja das Delegierten-Kollegium so groß sein wie die Zahl der Zweige. Denn das Unvorteilhafte war bis jetzt nur, daß diese Vertretung der Zweige zugleich als Vorstand galt. Mit einem solchen Vorstande kann man nichts machen. Dagegen, wenn hier - vielleicht renommiere ich, aber es ist unsere Absicht - von Seiten der Leitung der Anthroposophischen Gesellschaft stramm in die Hand genommen wird die Verwaltung, dann wird es ja an dieser Leitung liegen, die Initiative zu ergreifen, die Delegierten der einzelnen Zweige zusammenzurufen. Dann wird auch ein größeres Delegierten-Kollegium wahrscheinlich nicht irgendwie eine Schwierigkeit bieten. Daher, meine ich, könnten wir ganz gut die Sache so machen, daß jeder einzelne Zweig seinen Vertreter für dieses Kollegium nominiert.

So, scheint mir, wird es das beste sein. Wenn die Tendenz etwa bestehen sollte, daß einzelne Zweige sich zusammenschließen zu solch einer Delegation, so könnte das ja auch sein. Aber es ist nicht notwendig, daß das heute geschieht, sondern es würde vielleicht sich empfehlen, über diese Sache in den einzelnen Zweigen gründlich zu verhandeln und uns im Laufe der nächsten zwei bis drei Wochen die Vertretung der Zweige bekanntzugeben. Dann haben wir eine vollständig demokratische Verwaltung, wie sie beliebt ist in der Schweiz.

Nun werde ich nur bitten, ob Sie noch Angelegenheiten auf dem Herzen haben. Ich kann mir doch nicht denken, daß nicht noch mehr Wünsche, Begierden, Lüste auf dem Herzen liegen sollten.

Herr Aeppli möchte wissen, ob die Frage der Geschäftsführung nun so gelöst sei.

Dr. Steiner: «Es würde nun so sein, daß über das rein Administrative - die Zusammenkünfte würden trotzdem stattfinden - dann diesem Kollegium Rechenschaft abgelegt würde, so daß sich die Verwaltung entlastet fühlen würde, wenn von seiten des Kollegiums die Entlastung gegeben wird. - Wünscht sonst jemand das Wort?

Dr. Usteri: Eine formale Abstimmung über die zwei Punkte wird wohl, nachdem man den Applaus gegeben hat, nicht mehr nötig sein?

Dr. Steiner: «Doch würde ich bitten, wenn niemand mehr das Wort wünscht, abzustimmen. - Wünscht also nun jemand das Wort zu diesem Kollegium beziehungsweise zu dem, was ich dazu gesagt habe, der Entlastung durch das Kollegium?

Herr Storrer: Ich möchte den Antrag stellen, daß die kleinen Zweige einen, die großen zwei Delegierte oder Vertreter entsenden.

Dr. Steiner: «Es ist also der Antrag gestellt, daß die kleinen Zweige einen, die größeren Zweige zwei Delegierte entsenden. Aber dann müßten wir eigentlich natürlich Definitionen haben, was «groß» oder «klein» ist.

Herr Trinler glaubt nicht, daß es auf ein oder zwei ankommt, sondern daß es die richtigen sind!

Dr. Steiner: «Wünscht noch jemand das Wort dazu? Werden Sie einen Antrag stellen? - Es ist der Antrag gestellt, daß also die kleinen Zweige einen, die großen einen oder zwei Delegierte stellen.

Herr Trinler wendet etwas ein (unverständlich).

Dr. Steiner: «Wir würden aber doch nötig haben - diese beiden Anträge sind ja zusammenstimmend, sind sich ja nicht gegensätzlich -, die Definition «größerer» und «kleinerer» Zweig zu geben. Was ist also ein großer und was ist ein kleiner Zweig?

Herr Storrer: Wenn man die schweizerischen Zweige anschaut: große Zweige sind zum Beispiel am Goetheanum, in Bern, in Basel, Zürich, St. Gallen.

Dr. Steiner: «Aber man kann sich doch vorstellen, daß ein heute kleiner Zweig nach einiger Zeit ein großer wird. Also eine Zahl müßten wir schon dafür haben, wenn ein Zweig anfängt, ein großer zu werden.

Herr Storrer: Ein kleiner Zweig ist der, welcher nicht mehr als zehn Mitglieder hat.

Dr. Steiner: «Also, wer zehn und darunter hat, ist ein kleiner Zweig; wer elf Mitglieder und darüber hat, ist ein großer Zweig.

Herr Trinler meint: Ein Zweig kann hundert Mitglieder haben, und er leistet doch nicht mehr als ein kleiner.

Herr Thut: Es kommt nicht auf die Leistung des Zweiges an. Vierzig oder fünfzig Mitglieder könnten als Zahl für einen großen Zweig gelten.

Herr Schweigler, St. Gallen, frägt, wie das aufzufassen ist mit den Delegierten: Abstimmung oder impulsive Zustimmung? Was ist besser?

Dr. Steiner: «Die Verhältnisse sind ja verschieden über die einzelnen Länder hin. Sie werden gehört haben, daß ich in England den Vorschlag gemacht habe, daß man diese Vertretungen nicht nach Zweigen macht, sondern nach einer Anzahl von Mitgliedern, welche herauskommt, wenn man die gesamte Landesgruppe durch sieben dividiert. Nun, nicht wahr, ich glaube, daß dies für England sehr gut ist, daß es aber für die Schweiz nicht gut wäre, nach der Denkweise hier. Ich glaube, daß es schon zu einem Ziel führen würde, wenn diese Delegation so wäre, daß vielleicht diejenigen Zweige, die mehr als fünzig Mitglieder haben, zwei Delegierte entsenden, diejenigen, die unter fünfzig Mitglieder haben, einen Delegierten entsenden; sonst ist nämlich der Unterschied doch nicht ein so wesentlicher. Also ich meine, das würde vielleicht dasjenige sein, was am ehesten in Betracht kommt. Man kann natürlich ganz gut sagen: Ein Zweig von zehn Mitgliedern kann vielleicht besser arbeiten als ein Zweig von zweihundert Mitgliedern, ganz gewiß. Aber das bezieht sich ja auf alle Arten demokratischer Vertretung, und ich glaube nicht, daß man dadurch irgendeine Maßregel begründen kann. Sonst müßte man sagen: Diejenigen Zweige, die gut arbeiten, haben zwei Vertreter, die schlecht arbeiten, haben einen Vertreter. - Das würde eben dann doch recht schwer zu bestimmen sein! jedenfalls würden es einem die Zweige, die schlecht arbeiten, nicht glauben, daß sie schlecht arbeiten. (Heiterkeit)

Dr. Hugentobler: Ich glaube, Herr Schweigler macht sich nicht recht klar, daß es Dinge gibt, über die nicht abgestimmt werden kann.

Herr Schweigler widerspricht dem. Dr. Hugentobler erwidert etwas (unverständlich).