Waldorfschule kämpft implizit gegen Grundschulgesetz

Quelle: GA 300b, S. 250-252, 4. Ausgabe 1975, 31.01.1923, Stuttgart

Rudolf Steiner: « Jetzt können wir übergehen zur Behandlung der Propagandafrage und der Frage der Stellung zum Waldorfschulverein. - Nun, was die Propagandafrage anbelangt, die haben Sie in Verbindung gebracht mit dem Bund für ein freies Geistesleben: Kampf gegenüber dem Grundschulgesetz. So wie die Sache liegt, meine ich, ist es nicht eigentlich gut, wenn die Waldorfschule als solche an den gewöhnlichen Fragen, so wie sie in der Öffentlichkeit meist in der Trivialität formuliert werden, pro oder kontra teilnimmt. Wir werden viel günstiger vorwärtskommen, wenn wir aus unserer eigenen Sache heraus energisch arbeiten und positiv dasjenige vertreten, was wir aus der Waldorfpädagogik und -didaktik zu vertreten haben, und uns nicht einlassen auf Formulierungen, die von außen kommen. Es hatte oft für mich einen bitteren Beigeschmack, wenn jemand von uns einen Vortrag gehalten hat über das Grundschulgesetz. Denn so liegt die Sache gar nicht, daß wir uns an diesen Dingen beteiligen sollen. Wir sollen das, was wir zu vertreten haben, aus unserer eigenen Sache heraus vertreten. So kommen wir viel weiter. So daß die Leute, die sich darüber unterrichten wollen, sich die Frage vorlegen sollen, sind die für das Grundschulgesetz ? Wir sind natürlich dagegen. Wir sollten nicht in die Verhandlung der Philister-Tagesfragen eingreifen.

Wie stellen Sie sich den Kampf gegen das Grundschulgesetz vor ? Nicht wahr, diese Dinge müssen lebensgemäß - ich sage sonst wirklichkeitsgemäß -, diese Dinge müssen lebensgemäß behandelt werden. Die Welt sollte den Eindruck haben, die Leute von der Waldorfschule im Zusammenhang mit den übrigen Menschengruppen, innerhalb welcher sie stehen, die Leute von der Waldorfschule behandeln diese Dinge lebensgemäß.

Nicht wahr, wenn Sie heute die Aufsätze nehmen, die in der "Anthroposophie" stehen als Wochenberichte, so werden diese Aufsätze so angesehen, als ob sie geschrieben wären ohne Kenntnis der Zusammenhänge, die heute bestehen zwischen Parlament und Regierung und Verwaltungskörper und so weiter. Sie werden so von Leuten, die ein Urteil haben, die darinstehen im Leben, als unpraktisch empfunden, als ob man sich einfach ein feuilletonistisches Urteil bildet, und dann hängt man noch die Sache vom freien Geistesleben oder von der Dreigliederung daran an. Dadurch bringen wir uns immer wieder von neuem in das Odium, eine unpraktische Gruppe von Menschen zu sein. Das muß gegenüber diesen Dingen aufhören. Von Leuten, die Gegner sind, rede ich nicht, von einsichtsvollen Leuten rede ich, die auf dem Boden der Dreigliederung stehen.

Es handelt sich darum, wenn wir den Bund für freies Geistesleben einbeziehen in unsere Waldorfschulsache, daß wir nicht in dieselben Fehler verfallen, in die der Bund selbst verfällt, in eine Art von Theoretisieren. Da meine ich, wird es sich darum handeln, die Agitation und Propaganda wieder auf gesunde Basis zu stellen. Also gewiß, es kann ein Zusammengehen mit dem Bund für freies Geistesleben sein, aber wenn wir so etwas aufstellen, müssen wir uns dessen bewußt sein, es ist von vorneherein lebensungemäß, wenn wir die Waldorfschul-Pädagogik in Gegensatz bringen gegen das Grundschulgesetz. Je weiter die Waldorfschul-Pädagogik sich ausbreitet, desto unmöglicher sind solche philiströsen Gesetze. Wir haben nicht nötig, uns auf den Boden der Bierpolitik zu stellen. Das ist eine Taktfrage. Wir sollen eigentlich nicht eingreifen. Das hätten wir nie sollen ! Das ist der Unfug gewesen bei der Dreigliederungsbewegung. Wir hätten nie in die Philister-Tagesfragen eingreifen sollen.

Ich habe deshalb dieses Gebiet abgesondert behandelt, weil ich darauf besonderen Wert lege, daß wir da wirklich auf eine höhere Warte steigen. Ich habe das versucht schon seit Jahren, daß ich die Begründung eines Weltschulvereins herbeiführen wollte. Der würde eben das Ziel verfolgt haben, die pädagogischen Fragen nicht philiströs, sondern von einer höheren Warte aus publik zu machen. Das würde die schwierige Aufgabe eines solchen Weltschulvereins sein. »

Eine Lehrerin: Könnten wir nicht pädagogische Besprechungsabende machen, zu denen man einzelne Leute und auch die Behörden einladet?

X.: Es hat sich herausgestellt, daß es unter den leitenden Schulmännern Leute gibt, die gern etwas wissen möchten, aber sich scheuen, den ersten Schritt zu tun.

Y.: So etwas in der Schule einzurichten, wozu man durch persönliche Beziehungen einen der Herren mitbringt.

Rudolf Steiner: « Sinn hat so etwas nur, wenn eine solche Zusammenkunft mit Außenstehenden in Form der öffentlichen Anzeige erfolgt, in der man auffordert dazu, daß andere kommen; wenn dann von seiten der Waldorfschule die Sache eingeleitet wird und sich dann die Anfragen daran knüpfen. Sonst kommt eine gewöhnliche Quatscherei heraus.