Assoziatives Wirtschaftsleben kann Fruchtbarkeit des freien Geisteslebens einschätzen

Quelle: GA 340, S. 083-085, 5. Ausgabe 1979, 29.07.1922, Dornach

Nun aber, das Wichtige ist nämlich dieses, daß wir vor der Tatsache stehen, daß ja das freie Geistesleben mit einer gewissen Notwendigkeit herausentsteht aus dem Eintritt des Geistes überhaupt in das Wirtschaftsleben. Und dieses freie Geistesleben - ich habe es vorhin gesagt -, es führt dazu, daß reine Konsumenten da sind für die Vergangenheit. Aber wie steht es denn mit diesem freien Geistesleben mit Bezug auf die Zukunft? Da ist es nämlich in einem gewissen Sinn mittelbar produktiv, aber außerordentlich produktiv. Wenn Sie sich nämlich dieses freie Geistesleben auch wirklich befreit denken im sozialen Organismus, so daß tatsächlich immer die Fähigkeiten sich voll entwickeln können, dann wird gerade dieses freie Geistesleben in der Lage sein, einen außerordentlich befruchtenden Einfluß auszuüben auf das halbfreie Geistesleben, auf dasjenige Geistesleben, das in das materielle Schaffen hineingeht. Und da, wenn wir das betrachten, beginnt die Sache eine durchaus volkswirtschaftliche Seite zu bekommen.

Wer das Leben unbefangen betrachten kann, der wird sich sagen: Es ist durchaus nicht gleichgültig, ob irgendwo auf einem Gebiet alle diejenigen, die sich im freien Geistesleben betätigen, nun ausgerottet sind - vielleicht dadurch, daß sie nichts mehr zum Konsumieren erhalten können und man das Recht, da zu sein, nur denjenigen zuspricht, die in den materiellen Prozeß eingreifen -, oder ob innerhalb des sozialen Organismus wirklich freie Geistesmenschen existieren können. Diese freien Geistesmenschen haben nämlich die Eigenschaft, daß sie den «Gritzi», die Geistigkeit, bei den anderen loslösen, daß sie ihr Denken beweglicher machen, und daß dadurch die anderen besser in die materiellen Prozesse einzugreifen vermögen. Nur handelt es sich darum, daß es Menschen sind. Sie dürfen daher nicht etwa dasjenige, was ich jetzt sagen möchte, widerlegen wollen dadurch, daß Sie auf Italien hinweisen und sagen: In Italien ist ja wirklich sehr viel von freiem Geistesleben, aber die volkswirtschaftlichen Prozesse, die aus dem Geist herausgehen, wurden dadurch doch nicht in besonderer Weise angeregt. - Ja, es ist freies Geistesleben, aber freies Geistesleben, das aus der Vergangenheit stammt. Es sind Denkmäler, Museen und so weiter. Die machen es aber nicht aus. Ausgemacht wird es durch das, was lebendig ist. Und das ist dasjenige, was vom freien Geistesmenschen ausgeht auf die anderen geistig Produzierenden. Das ist dasjenige, was in die Zukunft hinein als ein auch volkswirtschaftlich Produzierendes wirkt. Man kann also sagen: Es ist völlig die Möglichkeit gegeben, auf den volkswirtschaftlichen Prozeß gesundend einzuwirken, indem den freien Geistesarbeitern ihr Feld gegeben wird, das Feld freigegeben wird.

Nun denken Sie sich, Sie haben ein gesundes assoziatives Leben in einer sozialen Gemeinschaft. Es kommt ja bei diesem gesunden assoziativen Leben darauf an, daß man den Produktionsprozeß so ordnet, daß, wenn irgendwo auf einem Gebiet zu viele arbeiten, daß man sie auf etwas anderes hinüberleitet. Auf dieses lebendige Verhandeln mit den Menschen kommt es an, auf dieses Hervorgehenlassen der ganzen sozialen Ordnung aus den Einsichten der Assoziationen. Und wenn diese Assoziationen eines Tages anfangen, etwas zu verstehen von dem Einfluß des freien Geisteslebens auf den volkswirtschaftlichen Prozeß, dann kann man ihnen ein gutes Mittel übergeben - und darauf ist auch schon gedeutet in meinen «Kernpunkten der sozialen Frage» -, ein gutes Mittel, den Wirtschaftskreislauf zu regulieren. Sie werden nämlich finden, diese Assoziationen, daß wenn die freie Geistesarbeit zurückgeht, daß dann zuwenig geschenkt wird, und sie werden daraus, daß zuwenig geschenkt wird, den Zusammenhang erkennen. Sie werden den Zusammenhang zwischen dem Zuwenig-Schenken und dem Mangel an freier Geistesarbeit erkennen. Wenn zuwenig freie Geistesarbeit da ist, werden sie merken, daß zuwenig geschenkt wird. Sie werden merken, daß die freie Geistesarbeit zurückgeht, wenn zuwenig geschenkt wird.

Es gibt nun die größte Möglichkeit, den Zinsfuß für den Naturbesitz geradezu auf hundert Prozent hinaufzutreiben dadurch, daß man möglichst viel von dem Naturbesitz in freier Schenkung vermittelt den geistig Produzierenden. Da haben Sie die Möglichkeit, die Bodenfrage in unmittelbaren Zusammenhang zu bringen mit demjenigen, was nun am meisten in die Zukunft hineinwirkt, das heißt mit anderen Worten: Dem Kapital, das angelegt werden will, das also die Tendenz hat, in die Hypotheken hineinzumarschieren, dem muß man den Ablauf schaffen in freie geistige Institutionen hinein. So nimmt sich das praktisch aus. Lassen Sie die Assoziationen dafür sorgen, daß das Geld, das die Tendenz hat, in die Hypotheken hineinzugehen, den Weg in freie geistige Institutionen hinein findet! Da haben Sie den Zusammenhang des assoziativen Lebens mit dem allgemeinen Leben. Sie sehen daraus, daß einem, wenn man nur versucht, in die Realitäten des wirtschaftlichen Lebens hineinzudringen, erst in Wirklichkeit aufgeht, was da zu tun ist, was mit dem einen oder anderen zu machen ist. Ich will gar nicht agitatorisch sagen, das oder jenes soll geschehen, sondern ich will nur darauf hinweisen, was ist. Und es ist der Fall, daß wir dasjenige, was wir durch einfache Gesetzesmaßregeln nie erreichen können, nämlich das überschüssige Kapital abzuhalten von der Natur, erreichen durch das assoziative Wesen, indem wir das Kapital ableiten in freie geistige Institute. Ich sage nur: Wenn das eine der Fall ist, so ist das andere der Fall. - Die Wissenschaft gibt ja die Bedingungen an, unter denen die Dinge zusammenhängen.