Die Währung läßt sich nur durch das Kollektivurteil einschätzen

Quelle: GA 083, S. 292-293, 3. Ausgabe 1981, 11.06.1922, Wien

Diese wirtschaftlichen Verhältnisse sind durchaus so, daß sie wiederum aus anderen Bedingungen hervorgehen als die beiden anderen Gebiete des sozialen Organismus, als das Geistesleben - da muß alles, was fruchtbar werden kann in der sozialen Ordnung, aus der einzelnen menschlichen Individualität hervorgehen, nur das Schaffen des Einzelnen kann da den rechten Beitrag geben zur gesamten sozialen Ordnung - und als das Rechtsleben, auf dessen Gebiet es sich nur darum handeln kann, daß das Recht und damit auch das staatliche Wesen hervorgeht aus der Verständigung der Menschen. Beide Bedingungen, die eine, wie sie für das Geistesleben, die andere, wie sie für das staatlich-rechtliche Leben gilt, sind nicht da im wirtschaftlichen Leben.

Im wirtschaftlichen Leben ist es nicht so, daß das Urteil über das, was geschehen könne, aus einem einzelnen hervorspringen kann. Wir haben gerade im Laufe des 19. Jahrhunderts, wo unter der Menschheit der Intellektualismus so zur Blüte gekommen ist, sehen können, wie einzelne sehr bedeutende Menschen - ich sage das nicht aus Ironie heraus, sondern um die Dinge wahrheitsgemäß zu charakterisieren -, die auf den verschiedenen Gebieten stehen, über das eine und andere ihre Meinungen geäußert haben, Leute, die gut darinnenstanden im wirtschaftlichen Leben, denen man auch zutrauen konnte, daß sie ein Urteil hatten. Wenn sie sich dann über irgend etwas, was über ihr Gebiet hinausging, was auf die Gesetzgebung Einfluß gewann, äußern sollten, dann konnte man oftmals sagen: ja, das, was dieser oder jener gesagt hat, zum Beispiel über den praktischen Einfluß der Goldwährung, ist bedeutend und gescheit -, man staunt sogar, wenn man verfolgt, was sich abgespielt hat in den verschiedenen wirtschaftlichen Verbänden in der Zeit, als in verschiedenen Staaten der Übergang zu dieser Goldwährung gemacht worden ist, über die Summe von Gescheitheit, die da in die Welt gebracht worden ist; wenn man aber weiterstudiert, wie sich dann die Dinge entwickelt haben, die vorausgesagt worden sind, dann sieht man: da hat dieser oder jener sehr bedeutende Mensch zum Beispiel gesagt, unter dem Einfluß der Goldwährung würden die Zollschranken verschwinden. Das Gegenteil davon ist eingetreten!

Und man muß sagen: Auf dem Gebiete des wirtschaftlichen Lebens ist es so, daß einem Gescheitheit, die einem sehr viel helfen kann auf dem Gebiete des Geisteslebens, eigentlich nicht immer ein sicherer Führer sein kann. Man kommt allmählich darauf, sich zu sagen: In bezug auf das Wirtschaftsleben kann überhaupt die einzelne Individualität keine maßgebenden Urteile fällen. Da können Urteile nur zustande kommen gewissermaßen als Kollektivurteile, indem sie sich ergeben durch das Zusammenwirken vieler, die in den verschiedensten Gebieten des Lebens drinnenstehen. Das darf wiederum nicht bloße theoretische Weisheit sein, sondern muß lebenspraktische Lebensweisheit werden, daß wirklich Geltung habende Urteile nur aus dem Zusammenklang von vielen hervorgehen können.