Heutige denkfaule Menschen verlangen Illustration der Dreigliederung

Quelle: GA 338, S. 140-141, 4. Ausgabe 1986, 15.02.1921, Stuttgart

Nun werden wir aber genötigt sein, die Denkgewohnheiten der heutigen Menschen zu respektieren. Sie müssen sich aber nur klar sein darüber, daß, wenn Sie jetzt hinausziehen und den Leuten eine Stunde lang, fünfviertel Stunden lang von solchen Dingen reden, wie ich sie Ihnen jetzt vorbringe, sie anfangen zu gähnen, und sie gehen zuletzt aus dem Saal und sind froh, daß es aufgehört hat, denn sie sehnen sich nach einem gesunden Schläfchen. Sie finden, daß das schwer ist, viel zu schwer ist! Denn die Menschen haben sich vollständig abgewöhnt, Gedanken zu folgen, die von Wirklichkeit getragen sind. Dadurch, daß die Leute immer nur Abstraktionen gefolgt sind, daß sie schon als Schulkinder daran gewöhnt worden sind, Abstraktionen zu folgen, dadurch ist die Menschheit denkfaul geworden. Die Menschheit ist ja furchtbar denkfaul in der Gegenwart. Und darauf müssen wir Rücksicht nehmen, aber in nützlicher Weise.

Deshalb lassen wir ja Erzählungen einfließen in unsere Vorträge von demjenigen, was aus anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft sich schon herausentwickelt hat. Erzählen wir den Leuten vielleicht weniger Anekdoten! Das ist ja sonst sehr nützlich gegenüber der heutigen denkfaulen Menschheit, wenn man ab und zu einen schwierigen Vortrag durch Anekdoten unterbricht, aber wir können unsere Zeit auf Besseres verwenden. Erzählen wir in der Zwischenzeit, indem wir das in der nötigen Weise einfügen in den Verlauf unserer Gedankenfolge, von unserer Waldorfschule, von der Eurythmie, von unseren Hochschulkursen, von dem Kommenden Tag.

Das ist etwas, was dann den Gedankenverlauf durchbricht, was für die Leute zunächst eine angenehme Abwechslung ist - sie brauchen dann weniger zu denken. Denn, nicht wahr, das Wesen der Sache kann dann nachkommen. Wir können eine Weile schildern, wie die Waldorfschule zustande gekommen ist, wie sie eingerichtet ist; wir können schildern, wie dreißig Dozenten in Dornach in den Hochschulkursen die Wissenschaften zu befruchten versucht haben von der Geisteswissenschaft aus. Da brauchen die Leute, wenn man ihnen sagt, die Wissenschaft soll befruchtet werden, in diesem Moment nicht darüber nachzudenken, wie das in der Chemie, in der Botanik und so weiter geschieht, sondern sie können bei allgemein verschwommenen Vorstellungen bleiben, während man davon spricht. Und da haben sie dann Zeit, sich ein wenig zwischen den vorgebrachten Gedanken ins Gedankenbett zu legen. Wir haben wiederum die Möglichkeit gewonnen, in den nächsten fünf Minuten von etwas schwierigeren Dingen zu sprechen. Die anderen Dinge sind aber trotzdem außerordentlich nützlich. Wenn wir zum Beispiel den Leuten erzählen, wie wir Zeugnisse gemacht haben in der Waldorfschule, wie wir versucht haben, da nicht hineinzuschreiben « fast befriedigend », « kaum genügend » - was man ja überhaupt gar nicht unterscheiden kann, ob einer « kaum » oder « fast genügend » hat -, wo wir aber so etwas wie eine kleine Biographie gegeben haben jedem Kinde, und einen Lebensspruch. Die Leute brauchen ja nicht viel darüber nachzudenken, wie schwierig das ist, das heißt, das können sie schon nachdenken, wie schwierig es ist, einen Lebensspruch für jedes Kind zu finden; aber wenn man bloß das Resultat sagt, geht es schmerzlos vor sich, das entgegenzunehmen. So können wir erzählen, was praktisch da ausgestaltet worden ist. Und auf diese Weise können wir den Leuten auch etwas erzählen über die Einrichtungen der Waldorfschule, wie dann nach und nach das Haus zu klein geworden sei, wie wir Baracken bauen mußten, weil wir nicht das Geld hatten, um Vollgebäude zu bauen. Es ist schon nützlich, daß die Leute auch manchmal hören, daß wir nicht genug Geld haben; das kann ganz angenehme Folgen haben. Wenn wir solche Dinge einfügen in unsere Betrachtungen, so wird das durchaus erstens sehr sachlich sein - denn sachlich ist es -, wird sehr gerechtfertigt sein; aber außerdem können wir eine angenehme Abwechslung für die Zuhörer schaffen.

Dann können wir erzählen von den Hochschulkursen in Dornach, in Stuttgart. Wir können einflechten, daß das alles heute noch zum großen Teil die armen Waldorflehrer leisten müssen, daß also sich wenig Leute noch zusammengefunden haben, die nun wirklich im Sinne anthroposophisch orientierter Geisteswissenschaft etwas leisten. Denn daß die Waldorflehrer dreimal überlastet sind, das ist auch etwas, was die Leute ganz gern entgegennehmen, nicht wahr. Jeder bildet sich dann ein, er selber sei auch überlastet. Na, und auf diese Weise können wir, indem wir tatsächlich von demjenigen, was äußerlich schon dasteht, sprechen, den Leuten zu gleicher Zeit etwas zeigen, was sie vielleicht zwischendurch immer wieder gerne hören, aber was sie auch wissen sollen, was sie auch wissen müssen.

Und dann reden wir ihnen namentlich auch von dem Kommenden Tag. Wir versuchen, ein Bild zu geben davon, wie dieser Kommende Tag eingerichtet ist. Wie er eingerichtet ist, das sehen Sie ja aus den Prospekten, die ausgegeben worden sind. Wir bringen den Leuten einen Begriff vom Kommenden Tag anhand der ausgegebenen Prospekte bei und sagen ihnen: Selbstverständlich werden Sie finden, daß dieser Kommende Tag noch nicht den Assoziationen - über Assoziationen werden wir morgen noch sprechen - vollständig entspricht, daß er noch sehr stark herausgebaut ist aus der gegenwärtigen Volkswirtschaft. Aber wir sagen den Leuten zu gleicher Zeit: Das wissen wir ja ohnedies, aber es zeigt eben, wie notwendig es ist, daß diese Volkswirtschaft anders wird, wie man mit dem besten Willen nicht ein Ideal einer Assoziation herausgestalten kann aus dem gegenwärtigen volkswirtschaftlichen Leben.

Aber notwendig ist es, daß Sie in Ihren Vorträgen unsere Bewegung als ein Ganzes fassen. Sie sollen sich nicht genieren, auf der einen Seite, der geistigen Seite, die anthroposophische Orientierung vor die Leute hinzustellen, auf der anderen Seite aber auch bis in die praktischen Dinge des Kommenden Tages hineinzugehen und das alles vor die Leute hinzustellen. Sie brauchen im Vortrage, den Sie halten, ja nicht gerade zur Geldzeichnung aufzufordern, das - ich sage es in Parenthese - kann dann der andere tun, der mitfährt und der erst nach dem Vortrag an die Leute herantritt, es nimmt sich so besser aus. Aber obwohl ich es in Parenthese sage, so soll es doch geschehen. Wie gesagt, Sie brauchen das im Vortrag nicht direkt zu tun, für die Sache zu werben. Aber Sie können eben durchaus durchblicken lassen, daß man, ohne daß irgendwie selbstsüchtige Zwecke dahinterstecken, zur Förderung desjenigen, was eigentlich mit der Dreigliederung gewollt ist, erstens Geld, zweitens Geld, drittens Geld braucht. Und je nachdem der eine oder andere von Ihnen nun nach der Situation das für richtig findet, kann er mit dem dreifachen Geldbetonen das erste Wort Geld stärker tönen lassen und mit dem Ton fallen oder auch mit dem zweiten Ton ansteigen. Das ist etwas, was zur inneren Formung der Sache irgendwie etwas beitragen kann.

Ich sage Ihnen das nicht, um damit mehr andeuten zu wollen als das, daß man schon Rücksicht nehmen muß auf die Art und Weise, wie etwas gesagt wird. In einer gewissen Beziehung sollte man, wenn man in einen Saal hineingeht, sich einmal selber durchfühlen, ob man so oder so reden muß. Das kann man nämlich ungefähr durchfühlen, namentlich wenn man unter ganz fremde Leute tritt. Also, solche Dinge werden Sie doch schon berücksichtigen müssen. Sie werden nicht, wenn Sie das erreichen wollen, was jetzt erreicht werden soll, mit einem fertigen Konzept vor die Leute hintreten können, sondern Sie werden sich ganz nach den Verhältnissen richten müssen. Das werden Sie nur können, wenn Sie in bezug auf die Gestaltung und Durchlebung Ihrer Vorträge sich so verhalten, wie ich das gestern charakterisiert habe. Aber wir dürfen durchaus nicht außer acht lassen, auf dasjenige, was uns immerhin doch schon gelungen ist in der Begründung des Schulwesens, auch praktischer Einrichtungen, immer wieder und wiederum hinzuweisen. Denn es ist schon einmal so in der Gegenwart, daß die Menschen dieses brauchen. Und Sie tun gut, gerade wenn Sie den dreigegliederten sozialen Organismus schildern, die Einrichtung der Waldorfschule zur Illustration zu benützen, und ebenso, wenn Sie das sonstige Wirtschaftsleben schildern, immer wiederum zu exemplifizieren dasjenige, was durch den Kommenden Tag gewollt wird. Ich möchte durchaus, daß Sie nicht vergessen, daß auf unsere verschiedenen Einrichtungen gerade durch Ihre Vorträge die Welt ganz scharf hingewiesen werden muß.

Und hinter all dem muß das Bewußtsein davon stehen, daß aus allen Ecken und Enden heraus - ich habe es schon mehrmals in diesen Vorträgen gesagt - die Gegnerschaft da ist und noch mehr kommen wird, und daß wir nicht mehr sehr lange Zeit haben, um das zur Geltung zu bringen, was wir zur Geltung bringen wollen und was zur Geltung gebracht werden muß, sondern daß wir in der nächsten Zeit die Dinge scharf anfassen müssen.

Wir dürfen uns kein Beispiel nehmen - das sage ich für diejenigen, die längere Zeit in der anthroposophischen Bewegung drinnenstehen - an dem, wie die anthroposophische Bewegung als solche verlaufen ist, denn die verläuft zum Teil ja so, daß ihre Mitglieder sich allzu wenig für das interessieren, was eigentlich in der Welt vorgeht. Jetzt sind wir in einer Zeit, wo ein scharfes Interesse entwickelt werden muß für das, was in der Welt vorgeht. Und wir müssen schon einmal durchaus exemplifizieren und auch uns kritisierend verhalten mit Bezug auf das, was heute an aktuellen Ereignissen in der Welt vor sich geht. Daher müssen wir uns interessieren für diese Ereignisse. Wir müssen aus diesen Ereignissen heraus suchen, die Notwendigkeit unserer Bewegung darzulegen. Wir müssen immer wieder und wiederum betonen, wie diese Ereignisse geeignet sind, die moderne Zivilisation in ihren Niedergang hineinzuführen. Denn die Menschen müssen begreifen lernen, daß, wenn so fortgefahren wird, wie es heute üblich ist, ganz gewiß der Niedergang der modernen Zivilisation herauskommt, und daß die europäischen Länder wenigstens durch furchtbare Zeiten hindurchgehen müßten, wenn nicht aus einem wirklich aktiven Geistesleben und aus einem aktiv erfaßten Staats- und Wirtschaftsleben heraus eine Grundlage gelegt würde für einen Neuaufbau.