Produktion als geistige Frage, Konsum als wirtschaftliche Frage

Quelle: GA 338, S. 028-029, 4. Ausgabe 1986, 12.02.1921, Stuttgart

Für die Produktivität des geistigen Lebens haben die Leute gar keinen Sinn. Von dieser Produktivität des geistigen Lebens, von dem schaffenden Geist, von der Kraft des Geistes müssen wir vor allen Dingen den Menschen der Gegenwart einen Begriff geben. Das ist dasjenige, was in allererster Linie notwendig ist. Das ist das eine, bezüglich dessen wir uns keinen Illusionen hingeben dürfen, denn wir würden sonst nicht wissen, wie wir in die Menschheit der Gegenwart hinein reden können.

Das zweite, um was es sich handelt, ist, daß im Grunde genommen durch die besondere Art des sozialen Lebens, wie es heraufgekommen ist in den letzten Jahrhunderten, der Sinn für den Bedarf des anderen Menschen verlorengegangen ist. Ohne diesen Sinn für den Bedarf des anderen Menschen gibt es aber überhaupt keine Gestaltung des Wirtschaftslebens. Das Wirtschaftsleben kann sich nur gestalten durch Menschen, die zunächst in ihren Gedanken über das Wirtschaftsleben ganz absehen können von ihren eigenen Bedürfnissen und die ein Gefühl haben für die Bedürfnisse irgendwelcher anderer Menschen und dadurch lernen, sich in der Menschheit zu fühlen. Einsichtsvolles Verständnis für dasjenige, was man die Konsumtion der Menschheit nennen kann, das ist es, was im Wirtschaftsleben notwendig ist.

Das Wirtschaftsleben besteht ja aus Produktion, Warenzirkulation, Konsumtion. Aber die Produktion zu beherrschen, der Produktion ihre richtige Kraft zuzuführen, das ist in erster Linie gar nicht Sache des Wirtschaftslebens. Sie sehen das aus den «Kernpunkten»: Das Kapital wird zunächst in Zirkulation gebracht von dem geistigen Glied des sozialen Organismus. Die Art und Weise, wie man produziert, das ist eine durchaus geistige Frage. Eine wirtschaftliche Frage ist im wesentlichen die Konsumtionsfrage. Natürlich müssen diejenigen, die in den wirtschaftlichen Assoziationen drinnenstehen, aus dem Geistesleben her die Möglichkeit haben, das Produzieren zu beherrschen, das Produzieren zu organisieren; aber die Intensität der Produktion, die Art der Produktion lernt man nur kennen, wenn man einen Sinn hat für die Bedürfnisse der anderen Menschen und nicht allein, auch nicht als Gruppe, für seine eigenen.