Parteien als Karikatur der geistigen Welt

Quelle: GA 197, S. 121-124, 1. Ausgabe 1967, 30.07.1920, Stuttgart

Bedenken Sie einmal, daß wir in der gewöhnlichen Welt, in die wir uns heute hineinleben, im öffentlichen Leben diese oder jene Partei finden. Wir wollen zunächst die gewöhnlichen Parteien ins Auge fassen. Sie wissen, das Trostloseste, das Ödeste, das Platteste ist es, was sich in diesen Parteien darlebt; aber mehr oder weniger steht ja heute fast gezwungen jeder darin, der sich nicht ganz zurückziehen will vom äußeren Leben, oder der durch seine Heimatlosigkeit nicht gleich gezwungen ist, nirgends zu wählen, weil es ihm nirgends gelungen ist, das Recht zu wählen zu erlangen; also jeder, der das Recht zu wählen hat, steht heute unter dem Zwang, nach einer bestimmten Richtung hin seine Stimme abzugeben, das heißt, im Sinne dieser Parteien zu wirken. Parteien sind also da. Diese gehen zurück auf bessere Zeiten des Parteilebens, auf das bekannte englische Schaukelsystem der Konservativen Partei auf der einen und der Liberalen Partei auf der andern Seite. Und wir können sagen: In diesen beiden Schattierungen drücken sich gewissermaßen alle Parteien aus, die heute vorhanden sind. Es färbt sich manchmal das Liberale von links mit dem Konservativismus von rechts und der Konservativismus mit dem Liberalismus von links, wie in der Sozialdemokratie, oder es färbt sich der Konservativismus zum Radikalismus, wie wir das ja heute erlebt haben. Aber im ganzen kann man sagen, dieses Musterschaukelsystem Konservativ und Liberal ist dasjenige, worauf unsere Parteien zurückgehen. Ja, das ist das Bild, das man so äußerlich hat. Man erlebt innerhalb dieser Partelbildungen - wie jeder zugeben muß - das Allerschlimmste. Aber es ist eben da, und die Frage ist nun: Ja, warum ist es da? Was ist denn das eigentlich? Was sind denn eigentlich Parteien?

Alles, was hier in der physischen Welt erscheint, ist ja ein Abbild der übersinnlichen Welt. Wovon sind denn dann die Parteien ein Abbild? Was ist denn in der übersinnlichen Welt dafür da, daß hier in der sinnlichen Welt Parteien sind? Dasjenige, um was es sich da handelt, versteht nur der richtig, der die Voraussetzungen dazu verstanden hat, der versteht, daß man zu etwas ganz anderem, nämlich zu den Realitäten kommt, wenn man die Schwelle der geistigen Welt überschreitet. Hier in der physischen Welt ist man Idealist oder Skeptiker oder Realist oder Spiritualist oder wie die -isten alle heißen.

Man ist etwas, was man in ein Programm, in ein politisches, soziologisches System zusammenfassen kann, kurz, man ist ein -ist. Da richtet man sich nach einer Abstraktion. Denn alles das, was den Parteien zugrunde liegt, sind ja solche Parteiprogramme oder Systeme oder dergleichen, sind irgendwelche Abstraktionen. Sobald man die Schwelle zur geistigen Welt überschreitet, hat man es nicht mit bloßer Logik und Abstraktionen zu tun, sondern mit Realitäten. Das wird nur gewöhnlich nicht sehr ernst genommen. Aber Sie können nicht auf Parteifahnen schwören, sobald Sie am Hüter der Schwelle vorbeigekommen sind, sondern da können Sie sich nur zu Wesen halten, da wird alles wesenhaft. Da können Sie sich nur an irgendein Wesen der höheren Hierarchien halten und sagen: Das ist derjenige, dem ich nachfolge, mit dem ich mich verbinde. Der andere mag seine Sache in seiner Art vertreten, ich bin mit dem verbunden, ich ergreife dessen Partei. Da bekommt das Wort «Ich ergreife Partei von dem oder jenem» eine sehr reale, nicht bloß eine abstrakte Bedeutung. Für uns Menschen liegt es nahe, uns zu sagen: Sobald wir jenseits der Schwelle hinüberblicken, finden wir die dreifache Art von Wesenheiten: das Christus-Wesen, Ahriman und Luzifer. Man kann nun allerdings zunächst, indem man sich sorgfältig vorbereitet hat für das Erfassen der geistigen Welt, sagen: Ich wähle die Partei des Christus oder die des Ahriman oder die des Luzifer. Man kann aber die Sache auch maskieren, man kann schlecht vorbereitet sein und kann Ahriman wählen und ihn Christus nennen. Aber man folgt einem Wesen - es wird alles wesenhaft jenseits der Schwelle! Man hat es immer mit Realitäten zu tun, nicht mit irgendwelchen programmatischen oder systemhaften Dingen!

Das ist ein gewichtiges Wort, das ich damit ausspreche, charakterisierend das menschliche Verhältnis zur übersinnlichen Welt. Und es gibt da einen Punkt, wo es, weil es zu sehr ärgerlich ist, heute noch nicht möglich ist, das allerletzte Wort zu sprechen; aber die wenigsten Menschen hier auf der Erde wissen heute, daß alles Folgen von Parteifahnen, von Parteiabstraktionen im Grunde genommen gar keine Realität ist, sondern eine Illusion ist, und daß, wenn man anfängt etwas Realem zu folgen, man eigentlich etwas folgen muß, was sich jenseits der Schwelle befindet in der übersinnlichen Welt.

Aber eine Partei können Sie gleich so charakterisieren, daß sie sehr wohl dieses Geheimnnis kennt und es auch befolgt. Und daß in dem Karlsruher Zyklus vom Jahre 1911 dieses öffentlich ausgesprochen ist, hat mir den Haß dieser Partei zugezogen. Das sind nämlich die Jesuiten. Die wissen ganz genau: Einem Parteiprogramm folgen - verzeihen Sie, daß ich mich eines in Deutschland gebräuchlichen Ausdrucks bediene -, ist Mumpitz. Man folgt einem Wesen der übersinnlichen Welt! Daher sehen Sie die Jesuitenübungen damit beginnen, daß der Jesuit sich zunächst vorzustellen hat denjenigen, dem er dann als die Kompanie Jesu nachfolgt, für den er eine militärische Korporation bildet. Und wenn ich sage, das letzte Wort kann nicht gesprochen werden, so möchte ich zurückhalten mit demjenigen, was das ist, was da als der «Jesus» getauft wird. Aber es kommt uns darauf an, zu charakterisieren, daß der Jesuitismus eine Partei bildet, indem er einem geistigen Wesen folgt, und daß er also dieses Geheimnis sehr wohl kennt: daß irgendeiner Parteiung zu folgen, die sich erschöpft in einem Programm innerhalb der irdischen Welt, Mumpitz ist. Und die Wirksamkeit des Jesuitenordens beruht darauf, daß er seine Angehörigen zur Gefolgschaft eines geistigen Wesens erzieht. Da heißt es nicht: Irgend etwas ist richtig oder unrichtig -, sondern da heißt es: Es gehört zu der Mission desjenigen geistigen Wesens, dem ich folge; das verteidige ich. Was nicht zu der Mission des geistigen Wesens gehört, dem ich folge, das bekämpfe ich, wenn es auch in logischer Beziehung verteidigt werden kann, denn logisch verteidigt werden können die Inhalte des Ahriman und Luzifer genauso wie die des Christus. Logische Verteidigungen gibt es in ganz gleichwertiger Weise gerade drei.

Daher erleben wir jetzt das merkwürdige Schauspiel, daß der Jesuitismus, indem er den Kampf gegen die Anthroposophie führt, selbstverständlich weiß, daß die Anthroposophie einer geistigen Richtung folgt, in der sich die Dinge verteidigen lassen. Er weiß ganz gut, daß darin die Dinge nicht damit bekämpft sind, daß er sie logisch widerlegt, denn er weiß allzu gut, daß eine logische Widerlegung ein bloßes Spiel mit Logik ist; er weiß, daß er einfach im geistigen Kampf einem Gegner gegenübersteht, und ihm ist jedes Mittel recht. Daher ist es so unsinnig, bloß den Kampf führen zu wollen, indem man das Widerlegen der Jesuiten wieder widerlegt.

Dasjenige, was man einwendet, kennen die Jesuiten sehr gut; aber daß sie es kennen und für richtig halten, das ist für sie kein Grund, es nicht zu bekämpfen, weil sie einer andern Wesenheit folgen, als zum Helle der Menschheit Anthroposophie jetzt folgen muß. Da kommt es, sobald es sich um geistige Angelegenheiten handelt, auf Realitäten an; da kommt es darauf an, daß man die geistigen Wege wirklich durchschaut, da kommt es schon darauf an, daß man zum Durchschauen dieser geistigen Wege - was aber dem gesunden Menschenverstand durchaus möglich ist - den ganzen Menschen anwendet, nicht jenen Menschenzwerg, der heute auf unseren gebräuchlichen Lehranstalten ausgebildet wird.

Was sind denn also Parteien hier im physischen Leben? Sie sind die Karikaturen von demjenigen, was in der übersinnlichen Welt seine gute Berechtigung hat; sie sind die verzerrten Schattenbilder von Dingen, die in der geistigen Welt ihre gute Berechtigung haben. Das ist das Schwierige der Sache, daß dasjenige, was in der sinnlichen Welt auftritt, das Abbild sein kann von etwas, was in der geistigen Welt eine ganz gute Bedeutung hat. In der sinnlichen Welt ist es verderblich, verwerflich, denn die Welten haben alle ihre eigenen Gesetze - und wir steuern heute hinein in die Notwendigkeit, uns zur geistigen Welt wieder hinaufzuarbeiten. Aber die erste Etappe wird damit begonnen, daß hier in dem physischen Leben die Karikaturen des geistigen Lebens auftreten, daß die Menschen zunächst hier Parteifahnen aufrichten und Parteigötzen folgen, während sie geistigen Wesenheiten folgen sollten. Da ist es Wahrheit, wenn es in der übersinnlichen Welt geschieht; Lüge und Illusion ist es, wenn es hier in der physischen Welt geschieht. Sie sehen, es ist keine Phrase, wenn davon gesprochen wird, daß es darauf ankommt, das bloß theoretische Wesen in Wirklichkeit zu verwandeln, sobald man von den Wahrheiten jenseits der Schwelle sprechen will.