Das Geld nicht zur Freigeldutopie, sondern zur Realität führen

Quelle: GA 337a, S. 191-192, 1. Ausgabe 1999, 09.06.1920, Stuttgart

Der Kommende Tag ist gegründet worden, weil eingesehen worden ist, daß das heutige, gewöhnliche Bankwesen im Laufe des 19. Jahrhunderts allmählich ein schädigendes Element geworden ist in unserem Wirtschaftsleben. Darauf habe ich bei meiner letzten Anwesenheit auch an einem Studienabend hingewiesen. Ich habe gezeigt, daß etwa seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts das Geld im Wirtschaftsleben der modernen Zivilisation eine ähnliche Rolle spielt wie die abstrakten Begriffe in unserem Denken, daß es allmählich ausgelöscht hat alles konkrete Streben, daß es wie ein verdeckender Schleier sich hinüberlegt über das, was sich in wirtschaftlichen Kräften ausleben muß. Und daher entsteht heute die Notwendigkeit, etwas zu begründen, was nicht bloß eine Bank ist, sondern was die wirtschaftlichen Kräfte so konzentriert, daß sie zu gleicher Zeit Bank sind und zu gleicher Zeit im Konkreten wirtschaften. Also es besteht die Notwendigkeit, etwas zu begründen, was zusammenfaßt wirklich konkretes Wirtschaften und die Organisation dieser Wirtschaftszweige, so wie sonst in einer Bank das Wirtschaftsleben zusammengefaßt wird, aber ohne auf wirtschaftliche Verhältnisse Rücksicht zu nehmen, nur in abstrakter Weise. Das heißt, es wird hier im Kommenden Tag praktisch versucht, zu überwinden die Schäden des Geldwesens.

Wir erleben es heute, daß allerlei Leute, Gesell und andere - es gibt ja sonderbare «Gesellen» des Lebens - heute herumtanzen und vom freien Gelde reden. Das sind Utopisten. Das sind Abstraktlinge. Um was es sich handelt, ist, daß man durch eine Erkenntnis des praktischen Lebens darauf kommt, wo eigentlich die Schäden liegen. Und ein Schaden liegt darin, daß sich das Bankwesen wirtschaftlich so gestaltet hat, wie es heute ist. Im wirtschaftlichen Leben steht heute das Bankwesen so drinnen, wie die Gedanken im Seelenleben eines Menschen drinnenstehen, der alles gleich in Abstraktionen umsetzt und der sich nicht um einzelne konkrete Dinge kümmert, mit denen man es zu tun hat, sondern alles in hohe Abstraktionen umsetzt. Der Mensch, der alles in hohe Abstraktionen umsetzt - und das sind die meisten heutigen Menschen -, ein solcher Mensch kommt niemals zu einer wirklichen Erfassung der Wirklichkeit. Sehen Sie, solche Abstraktionen können Sie heute an jedem Sonntag auf jeder Kanzel hören. Solche Abstraktionen, bei denen sich die Leute, weil sie sich herausträumen können aus dem Leben für einen Sonntagnachmittag, so ungeheuer wohl fühlen, haben nichts mehr zu tun mit dem Leben. Und dasselbe, was für das einzelne Seelenleben die wesenlose Abstraktion ist, die sich hinauf in ein Wolkenkuckucksheim flüchtet, das ist für das wirtschaftliche Leben das bloß im Geld sich auslebende Bankwesen.

Deshalb konnte man, indem man einen Versuch im Kleinen machte - der hoffentlich ins ganz Große sich auswächst -, die Dinge so gestalten, daß man gewissermaßen zurückführt das Geld zur Wirtschaft und die Wirtschaft hinaufführt zum Geld, so daß das Geld wiederum etwas ist, was zur Erleichterung und zum In-Bewegung-Bringen des Wirtschaftens dient. Wie unsere Gedanken nicht dazu dienen sollen, uns in abstrakte Höhen zu erheben und uns wohl dabei zu fühlen, sondern dazu, daß wir die konkreten Tatsachen des Lebens in Bewegung bringen, so handelt es sich darum, daß wir das Geld hineinstellen ins wirkliche Wirtschaftsleben. Wir wollen Wirtschaftszweige betreiben und nicht uns hineinsetzen in eine Bank und nur Geldgeschäfte machen, denn Geldgeschäfte an sich sind der größte Schaden unseres Wirtschaftslebens seit dem 19. Jahrhundert und dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Also, mit dem Kommenden Tag ist einfach eine praktische Idee aufgegriffen. Und ehe man nicht einsehen wird, daß es sich hier darum handelt, Ideen ganz praktisch zu denken bis ins Einzelnste, wird man auch nicht den Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus verstehen.