Imperialismus und Krieg durch Exportdruck der Kartelle

Quelle: GA 337a, S. 144-152, 1. Ausgabe 1999, 03.03.1920, Stuttgart

Was kann erreicht werden durch ein solches auf dem Assoziationsprinzip beruhendes Wirtschaftsleben? - Das kann erreicht werden, daß die Schäden, die sich allmählich ergeben haben durch die Produktionsweise der letzten Jahrhunderte, besonders des 19. Jahrhunderts, aus dem Wirtschaftsleben und damit aus dem menschlichen Leben überhaupt beseitigt werden. Diese Schäden - der Mensch erlebt sie ja heute zunächst an seinem eigenen Leibe, möchte ich sagen -, sie haben sich ergeben, weil im Laufe der neueren Jahrhunderte aus den früheren Bedingungen heraus sich andere Bedingungen ergeben haben in bezug auf die Produktion im Wirtschaftsleben.

Wenn man zurückblickt auf die Zeit vom 17. bis 18. Jahrhundert, so findet man durchaus, daß die Art und Weise, wie produziert wurde, noch in einem gewissen Zusammenhang steht mit dem Menschen und seiner Organisation selbst. Man sieht, daß damals bei der Preisbestimmung dieser Preis abhängig war nicht von denjenigen Faktoren, von denen er heute einzig und allein abhängig ist, sondern zum Beispiel von den Fähigkeiten der Menschen, namentlich zum Beispiel davon, inwiefern ein Mensch befähigt ist, soundsoviele Stunden des Tages an dieser oder jener Produktion mit einer gewissen Hingebung und Freude zu arbeiten. Der Preis wurde also bestimmt durch das Zusammengewachsensein des Menschen mit seiner Produktion. [...]

Während früher, bis vor drei Jahrhunderten ungefähr, noch viel anderes vom Menschen herrschend war, ist [seitdem] im sozialen Leben der ökonomische Mensch derjenige geworden, der [heute] maßgebend erscheint - der ökonomische Mensch und der ökonomische Prozeß. Solche Menschen wie Renner zum Beispiel, der es sogar dahin gebracht hat, österreichischer Staatskanzler zu werden, haben es ja ausgesprochen, daß ferner nicht mehr geredet werden solle von dem «homo sapiens», der in den letzten Jahrhunderten spukte in den Köpfen der Menschen, sondern daß nur noch geredet werden könne von dem «homo oeconomicus» - das sei die einzige Wirklichkeit. Nun, seit dem 19. Jahrhundert aber, weil die Dinge in der Wirklichkeit Verwandlungen eingehen durch ihre eigenen Gesetze, ist nicht einmal mehr maßgebend geblieben der homo oeconomicus, der ökonomische Mensch, der ökonomische Prozeß, sondern wir können sagen: ungefähr vom Jahre 1810 ab - um einen Zeitpunkt anzusetzen - ist der herrschende Mensch geworden der Bankier. Und mehr als man glaubt, ist in diesem 19. Jahrhundert im wirtschaftlichen Leben der zivilisierten Welt der Bankier herrschend geworden, der Geldwechsler, derjenige, der eigentlich bloß das Geld verwaltet. Alle Ereignisse, welche seit jener Zeit eingetreten sind, stehen mehr oder weniger unter dem Einfluß dieses geschichtlichen Umschwunges: daß im volkswirtschaftlichen Zusammenhang aus dem ökonomischen Menschen und ökonomischen Prozeß allmählich geworden ist der Bankier, der Geldwechsler, der Verleiher vor allen Dingen, und aus dem öffentlichen sozialen Prozeß die Finanzverwaltung, die Geldverwaltung.

Nun hat aber das Geld ganz gewisse Eigenschaften. Das Geld ist ein Repräsentant für Verschiedenes, aber das Geld als solches ist gleich. Ich kann eine Summe Geldes erwerben dadurch, daß ich ein Tonstück verkaufe - eine geistige Produktion. Oder ich kann eine Summe Geldes erwerben dadurch, daß ich Stiefel verkaufe. Die Summe Geldes kann immer gleich sein, dasjenige aber, was ich verkaufe, das kann sehr verschieden sein. Das Geld nimmt dadurch gegenüber dem wirklichen Lebensprozeß einen gewissen abstrakten Charakter an. Und so mußte entstehen unter dem Einfluß der Welt-Bankierwirtschaft die Auslöschung der konkreten Wechselwirkungen im menschlichen sozialen Verkehr, die Auslöschung der konkreten Wechselwirkungen [zwischen Produkt und Produzierendem, und es entstand] der Verkehr des bloßen Repräsentanten, des Geldes.

Das aber hat ganz bestimmte Folgen. Das hat die Folge, daß die drei wesentlichsten Bestandteile unseres wirtschaftlichen Prozesses - Grund und Boden, Produktionsmittel und Konsumtionsmittel -, die ihrer Natur nach im volkswirtschaftlichen Prozeß in ganz verschiedener Weise drinnenstehen, nicht etwa bloß gedanklich, sondern real unter dieselbe Macht gestellt werden, in derselben Weise behandelt werden. Denn demjenigen, dem es nur darauf ankommt, eine gewisse Summe Geldes zu erwerben oder zu verwalten, dem kann es gleichgültig sein, ob diese Summe Geldes repräsentiert Grund und Boden oder Produktionsmittel, das heißt Maschinen oder dergleichen, die für andere Produktionen dienen, aber von Menschen hergestellt worden sind, oder ob sie repräsentiert Konsumtionsartikel, unmittelbare Gebrauchsartikel. Dem kommt es nur darauf an, daß er eine bestimmte Summe Geldes für etwas erhält respektive daß, wenn er sie hat, sie sich verzinst, gleichgültig durch was. Es mußte so der Gesichtspunkt immer mehr und mehr heraufkommen, auszulöschen die Interessen, die man an den einzelnen Produkten und Produktionszweigen hat, und zu ersetzen diese Interessen durch das abstrakte Interesse am alle diese Differenzierungen auslöschenden Kapital, das heißt am Geldkapital. [...]

Vollständig in den wirtschaftlichen Egoismus hineingetrieben kann man nur werden durch diese Art von Geldwirtschaft. Aber diese Art von Geldwirtschaft sollte man, was heute vielfach geschieht, nicht verwechseln mit dem bloßen Kapitalismus. Der bloße Kapitalismus - Sie finden das näher ausgeführt in meinen «Kernpunkten» - der soll ermöglichen, daß nur derjenige große Kapitalmassen in den Händen haben kann, sei es an Produktionsmitteln, sei es an Geld, dem Repräsentanten von Produktionsmitteln, der befähigt ist und gerade deshalb mit der Produktion zusammenwächst. Und er soll auch nur solange mit ihr verbunden bleiben, als er seine Fähigkeiten im Dienste der Produktion verwenden kann. Dieser bloße Kapitalismus ist durchaus für die moderne Volkswirtschaft notwendig, und gegen ihn zu wettern ist Unsinn. Ihn abschaffen würde bedeuten: die gesamte moderne Volkswirtschaft untergraben. Darauf kommt es gerade an, daß man in die Wirklichkeit hineinsieht, daß man zum Beispiel den Unterschied einsieht, daß die Verwaltung eines großen Komplexes von Grund und Boden, bei der durchaus das Zusammengehören von Wald und Grund notwendig sein kann, in der Hand eines befähigten Menschen etwas anderes bedeuten wird, als wenn einer den Wald abtrennt und Grund und Boden absondert, dann den Grund und Boden parzelliert, in Kleinbesitz auflöst und dergleichen. Das kann für gewisse Gegenden gut sein, in anderen müßte es die Volkswirtschaft ruinieren. Überall kommt es auf die konkreten Verhältnisse an. Und wir müssen endlich den Weg zurückfinden zu den konkreten Verhältnissen.

Aber das [Fehlen des Konkreten] äußert sich nicht nur in der nationalen Wirtschaft, in der einzelnen Volkswirtschaft, sondern das äußert sich immer mehr und mehr im internationalen wirtschaftlichen Wesen. Es zeigt sich - das ist für den, der die Dinge studiert, ganz klar -, daß die Menschen, auch wenn sie Kapitalisten sind, wenn sie auf sich gestellt und nach ihren Fähigkeiten irgendwelche Produktionszweige versorgen, daß sie einander nicht stören, sondern im Gegenteil einander in die Hände arbeiten. Das Schlimme beginnt erst, wenn die Menschen auf irgendeine Weise herauswachsen aus ihrem Zusammengebundensein mit den Produktionszweigen. Ich will nur ein Beispiel anführen, wo das unter dem Einfluß der Geldwirtschaft des 19. und 20. Jahrhunderts besonders hervorgetreten ist: bei Trustbildungen, bei Kartellbildungen. Nehmen wir an, eine Reihe von Produktionszweigen schließt sich zusammen zu einem Trust, zu einem Kartell. Was ist die Folge?

Ein Trust, ein Kartell muß doch irgendeinen Zweck haben, und der ist selbstverständlich, daß die Menschen mehr gewinnen durch den Trust als ohne Trust. Das können sie aber nur, wenn sie Monopolpreise schaffen, das heißt über den gewöhnlichen Konkurrenzpreisen, die sich bilden würden, verkaufen. Man muß also die Möglichkeit schaffen, die Preise zu erhöhen, das heißt, Preise zu vereinbaren, die über den gewöhnlichen Konkurrenzpreisen liegen. Ja, solche Preise kann man schaffen, man hat sie auch vielfach geschaffen. Aber man kam nicht zum [gesunden] Produzieren. Man kann nämlich nicht unter dem Einfluß dieser Art des Profites auf eine gesunde Weise produzieren. Nicht wahr, wenn man nicht ein Mißverhältnis hervorrufen will zu den Kosten der Einrichtungen, die viel zu teuer kommen würden, wenn man nur dasjenige produziert, was man über dem Konkurrenzpreis produziert, dann muß man soviel [mehr] produzieren, daß die Kosten für die Maschinen und die ganze Einrichtung gedeckt werden, und zwar soviel, als man produzieren würde, wenn man nur den Konkurrenzpreis bekommen würde. Man kann aber nur soviel verkaufen, als verkauft wird zu Monopolpreisen. Denn man würde ja, wenn man zu Konkurrenzpreisen produzieren würde, viel mehr absetzen und dadurch auch viel mehr produzieren müssen, als man zu Monopolpreisen absetzt. Das ist eine Erfahrung der Volkswirtschaft: Man setzt weniger ab, wenn man zu Monopolpreisen verkauft, aber man kann nicht weniger produzieren, weil sonst die Produktion sich nicht trägt. Was ist die Folge? Man muß nach dem Nachbarland gehen und dort sich seinen Absatz verschaffen; da verkauft man unter dem Produktionspreis. Jetzt kommt man aber in internationale Konkurrenz hinein. Diese internationale Konkurrenz hat eine ungeheure Rolle gespielt. Wenn man bloß Rücksicht nimmt auf die durch die Geldwirtschaft bedingte Festsetzung des Preises, schafft man sich eine Konkurrenz, die sonst nicht da wäre, indem man verschieden verkauft: im unmittelbaren Absatzgebiet [über dem Produktionspreis] und im Nachbarland unter dem Produktionspreis. Das kann man; wenn man nur entsprechend kalkuliert, verdient man sogar noch immer mehr, aber man schädigt die entsprechenden Produzentenkreise im Nachbarland. Wenn man einmal aufsuchen wird die Ursachen jener Stimmungen, die zu den Kriegsursachen im Westen geführt haben, wird man in diesen Dingen die Ursachen finden. Dann wird man finden, welcher gewaltige Schritt in die [soziale] Schädigung hinein liegt auf dem Wege vom Kapitalismus zur Trustbildung, zur Kartellbildung, zu der Monopolisierung durch Kartelle. Der Kapitalist als solcher, der produziert zu Konkurrenzpreisen, der hat an Schutzzöllen nie ein Interesse. Der Schutzzoll ist auch wieder etwas, was in die Kriegsursachen hineingespielt hat. Da haben Sie die Schädigungen der Geldwirtschaft im internationalen Leben. Das alles ist so sonnenklar für den, der das moderne Wirtschaftsleben studiert, daß dagegen eigentlich nichts eingewendet werden kann. Die Frage muß daher notwendigerweise entstehen: Wie kommen wir über diese Schädigungen hinaus? - Über die Schädigungen kommen wir auf keine andere Weise hinaus, als daß wir wiederum verbinden den Menschen mit dem Produkt, daß wir wiederum unmittelbar das Band herstellen zwischen Mensch und Produktion.