Arbeitszeit und Geistesarbeit

Quelle: GA 337a, S. 144-145, 1. Ausgabe 1999, 03.03.1920, Stuttgart

Wenn man zurückblickt auf die Zeit vom 17. bis 18. Jahrhundert, so findet man durchaus, daß die Art und Weise, wie produziert wurde, noch in einem gewissen Zusammenhang steht mit dem Menschen und seiner Organisation selbst. Man sieht, daß damals bei der Preisbestimmung dieser Preis abhängig war nicht von denjenigen Faktoren, von denen er heute einzig und allein abhängig ist, sondern zum Beispiel von den Fähigkeiten der Menschen, namentlich zum Beispiel davon, inwiefern ein Mensch befähigt ist, soundsoviele Stunden des Tages an dieser oder jener Produktion mit einer gewissen Hingebung und Freude zu arbeiten. Der Preis wurde also bestimmt durch das Zusammengewachsensein des Menschen mit seiner Produktion. Heute ist das allerdings höchstens noch in gewissen Zweigen des Geisteslebens der Fall. Wenn jemand ein Buch schreibt, kann man ihm nicht vorschreiben, wieviele Stunden des Tages er arbeiten soll und einen Lohn aussetzen für soundsoviele Stunden des Tages. Wenn zum Beispiel der achtstündige Arbeitstag eingeführt würde fürs Bücherschreiben, würde etwas Schönes dabei herauskommen, denn es könnte sehr leicht sein, daß Sie acht Stunden arbeiten und dafür einen Lohn bekommen sollen, daß Ihnen aber während vier Stunden durch drei Wochentage gar nichts einfällt. So wie hier ein inniges Band ist zwischen den menschlichen Befähigungen, zwischen der geistigen menschlichen Organisation und den hervorgebrachten Produkten, so war das auch so für viel materiellere Zweige - ja, je weiter wir zurückgehen in der menschlichen Entwickelung, überhaupt für alle materiellen Zweige. Erst in der neueren Zeit hat sich das Band gelöst zwischen dem Produkt und dem Produzierenden. Umfassend betrachtet ist es im Grunde genommen ein völliger Unsinn, daß man aufrechterhalten will diese Loslösung des Produktes von dem Produzierenden. In einzelnen Produktionszweigen kann sich das augenfällig zeigen. Nehmen Sie, jetzt bloß ökonomisch betrachtet, zum Beispiel das Buchfabrizieren. Bücher müssen geschrieben werden; das kann nicht unter die Gesetze der Entlohnung gestellt werden, wie sie zum Beispiel die heutige Sozialdemokratie für das Produzieren vertritt. Dabei würde nichts herauskommen. Aber Bücher müssen gedruckt werden, und derjenige, der sie setzt, der kann schon auf die Prinzipien der heutigen Sozialdemokratie sich stützen, auf das gewerkschaftliche Prinzip. Denn zum Setzen braucht einem nichts weiter einzufallen; da braucht man kein intimer geartetes Band zwischen Produzenten und Produktion. Aber wenn man auf die Quellen zurückgeht, wird man überall finden, daß gerade diejenige Arbeit, für die man ein solches Band nicht braucht, gar nicht da wäre, wenn nicht zuerst diejenigen Arbeiten da wären, von denen all diese äußere Arbeit abhängt. Wäre der Baumeister nicht da, so könnten alle Lohnarbeiter, die die Häuser bauen, nicht arbeiten. Wäre der Bücherschreiber nicht da, so könnte der Setzer keine Bücher setzen. Das sind doch Gedankengänge, die heute nicht angestellt werden, aber im eminentesten Sinne bei volkswirtschaftlichen Betrachtungen durchaus zugrundegelegt werden müssen.