Östliche Tendenz zur Gruppenverkleinerung

Quelle: GA 191, S. 202-282, 2. Ausgabe 1983, 15.11.1919, Dornach

Eine andere Strömung in unserem jetzigen Leben, die Ahriman benötigt, um seine eigene Inkarnation zu befördern, das ist diejenige, die heute so deutlich hervortritt in dem sogenannten nationalen Prinzip. Alles dasjenige, was die Menschen spalten kann in Menschengruppen, was sie entfernt von dem gegenseitigen Verständnis über die Erde hin, was sie auseinanderbringt, das fördert zu gleicher Zeit Ahrimans Impulse. Und man sollte eigentlich Ahrimans Stimme entnehmen aus dem, was heute so vielfach als ein neues Ideal über die Erde hin gesprochen wird: Befreiung der Völker, selbst der kleinsten, und so weiter. - Die Zeiten sind vorüber, in denen das Blut entscheidet. Und konserviert man ein solches Altes, dann fördert man dasjenige, was Ahriman gefördert haben will. [...]

Die luziferischen Wesenheiten impfen dem Menschen ihre Weisheit ein, aber sie wollen, daß er dadurch von der Erde abzweigt und nicht die Erdenentwickelung durchmacht. Die Erde will Luzifer ihrem Schicksal überlassen, von den Menschen unbevölkert sein lassen; er will die Menschheit für ein besonderes, dem Christus-Reiche fremdes Reich gewinnen.

Die Weisen der alten Zeiten, die die Urweisheit aus Luzifers Händen empfangen haben, die mußten also die Verpflichtung übernehmen, nicht dem Luzifer nachzugeben, sondern seine Weisheit zu empfangen, aber sie im Dienste der Erdenentwickelung zu gebrauchen. Das ist es, was im wesentlichen durch die Mysterien der vorchristlichen Zeiten ja auch geleistet worden ist. Und wenn man frägt, was eigentlich die Menschheit bekommen hat durch diese Mysterien der vorchristlichen Zeiten, durch den Einfluß der luziferischen Wesenheiten, die zuerst, also noch in der nachatlantischen Zeit, inspirierten gewisse Persönlichkeiten, die Rishis der Inder, und dann selbst ihren Sendboten auf die Erde schickten, wie ich Ihnen angedeutet habe, so ist es alles dasjenige, was die Menschen aufgebracht haben seit ihrer Entwickelung an, Fähigkeit des Sprechens und an Fähigkeit des Denkens. Denn Sprechen und Denken sind ursprünglich durchaus luziferischer Natur, nur daß diese Künste gewissermaßen dem Luzifer entlistet worden sind von den Weisen der Urzeit. Wenn Sie Luzifer fliehen wollen, dann müssen Sie sich entschließen, in der Zukunft stumm zu sein und nicht zu denken!

Diese Dinge gehören eben zu jener Initiationswissenschaft, die nach und nach die Menschheit erfahren muß, trotzdem die jahrhundertealte Philistererziehung der zivilisierten Welt die Menschen zurückbeben läßt vor diesen Wahrheiten. Man hat ja so lange dieses karikierte Abbild von Luzifer und Ahriman, das der mittelalterliche Teufel zugleich ist, den Menschen vorgehalten. Man hat die Menschen so lange in einer philisterhaften Atmosphäre aufwachsen lassen, daß sie diese Weistümer, die aber mit der Entwickelung der Menschheit innig zusammenhängen, heute immer noch eigentlich nur mit Schaudern aufnehmen, denn es ist ja den Menschen so furchtbar angenehm, wenn sie sagen können: Vor dem Teufel hüte ich mich, dem Christus gebe ich mich gefangen in kindlicher Einfalt, dann werde ich selig, dann bin ich mit meiner Seele unter allen Umständen gerettet. - So leicht in seinen Untergründen ist das Menschenleben eben nicht. Es handelt sich durchaus darum, daß für die Zukunft der Menschheitsentwickelung diese Dinge, von denen wir jetzt reden, der Menschheit nicht vorenthalten werden dürfen. Denn es muß gewußt werden, daß gerade die Kunst des Sprechens und die Kunst des Denkens etwas ist, was in diese Erdenentwickelung nur hat hereinkommen können dadurch, daß der Mensch es auf dem Umwege durch die luziferische Vermittlung erhalten hat.

Ich möchte sagen: Sie können heute noch Ihrem Denken das luziferische Element anmerken. Über die Sprachen, die ja seit langem differenziert der Erde angepaßt sind, ist Ahriman bereits hergefallen, der die Differenzierung bewirkt hat, der die einheitliche Sprache in die differenzierte Erdensprache heruntergebildet hat. Während Luzifer immer die Tendenz der Vereinheitlichung hat, ist das ahrimanische Prinzip von der Tendenz durchdrungen, zu differenzieren. Wie wäre denn das Denken, wenn es nicht luziferisch wäre?

Ja, sehen Sie, wenn das Denken nicht luziferisch wäre, dann würden die meisten Menschen der Erde, alle diejenigen, die nicht luziferisch denken, so denken, wie einer derjenigen Menschen, der am wenigsten luziferisch dachte; das ist Goethe. Goethe gehört zu denjenigen Menschen, die am wenigsten luziferisch dachten, die in einer gewissen Beziehung darauf ausgingen, den luziferischen Mächten kühn ins Angesicht zu schauen. Das aber macht notwendig, sich möglichst ans konkrete Einzelne zu halten. In dem Augenblick, wo man generalisiert, wo man vereinheitlicht, naht man sich schon dem luziferischen Denken. Wenn Sie jeden einzelnen Menschen, jedes einzelne Tier, jede einzelne Pflanze, jeden einzelnen Stein für sich betrachten würden, mit Ihrem Denken nur das einzelne Objekt ins Auge fassen würden, nicht Gattungen und Arten bilden würden, nicht generalisieren würden, nicht vereinheitlichen würden im Denken, dann würden Sie allerdings wenig von luziferischem Denken aufnehmen. Aber wer das schon als Kind machen würde, würde ja heute in allen Schulen gleich in der ersten Klasse durchfallen! Darum kann es sich also gar nicht handeln. Es geht heute darum, einzusehen, daß das allgemeine Denken, dasjenige Denken, das insbesondere im heidnischen Wesen heimisch war, nach und nach überhaupt versiegt. Die Menschen sind nicht mehr so veranlagt, daß dieses luziferische Element der Vereinheitlichung ihnen viel Nutzen stiften kann auf der Erde. Dafür sorgt eben der Umstand, daß die gottgeschaffene menschliche Natur allmählich nachgekommen ist in der Entwickelung, mit der Erde, mit dem Irdischen verwandt geworden ist. Dadurch, daß der Mensch mit dem Irdischen verwandt geworden ist, dadurch ist er heute weniger verwandt - schon durch sein Naturell selber - mit dem luziferischen Element, das ihn eigentlich von der Erde abbringen will.

Aber es wäre schlimm, wenn der Mensch nur von dem luziferischen Elemente abkommen würde und nichts anderes an die Stelle treten würde. Es wäre sehr, sehr schlimm. Denn dann würde der Mensch ganz mit der Erde, das heißt mit dem einzelnen Erdenterritorium, auf dem er geboren wird, zusammenwachsen. Er würde sich in seiner Kultur vollständig spezifizieren, vollständig differenzieren. Wir sehen ja heute diese Tendenz sich herausentwickeln. Besonders veranlagt war die Sache schon seit dem Beginne des 19. Jahrhunderts; aber wir sehen heute, wie aus der Weltkriegskatastrophe die Tendenz sich herausentwickelt, sich in immer kleinere und kleinere Gruppen zu spalten. Der Volkschauvinismus nimmt immer mehr und mehr überhand, bis er dazu führen wird, daß sich die Menschen in immer kleinere und kleinere Gruppen spalten, so daß schließlich die Gruppe zuletzt nur einen einzelnen Menschen umfassen könnte. Dann könnte es dahin kommen, daß die einzelnen Menschen auch in einen linken und rechten sich spalten würden, und in einen Krieg mit sich selbst kommen könnten, wo sich der rechte Mensch mit dem linken in den Haaren liegt. Viele Anlagen dazu zeigen sich ja auch heute schon in der Entwickelung der Menschheit. Dem muß eben das Gegengewicht geschaffen werden. Und dieses Gegengewicht kann nur geschaffen werden dadurch, daß ebenso wie eine Urweisheit die heidnische Kultur durchdrang und durchsetzte, auch eine neue Weisheit, doch nun aus freiem Menschenwillen heraus, errungen wird, eine neue Weisheit der Erdenkultur überliefert werden wird. Diese neue Weisheit muß wiederum eine Initiationsweisheit sein. Diese neue Weisheit muß wiederum über das hinausgehen, was nur im einzelnen gewonnen werden kann.

Und hier kommen wir zu jenem Kapitel, das auch dem heutigen Menschen nicht vorenthalten werden darf. Wenn der Mensch gegen die Zukunft hin nichts tun würde, um eine neue Weisheit selbst zu erringen, dann würden in unterbewußten Tiefen der Menschennatur die Dinge vorgehen, die ich Ihnen ja zum Teil schon geschildert habe, nämlich die Ahrimanisierung der ganzen Menschheitskultur.

Die Menschheitskultur würde ahrimanisiert werden, und es würde dann jener Inkarnation des Ahriman, von der ich Ihnen gesprochen habe, ein leichtes sein, mit ihrem eigenen Wesen die Erdenkultur zu durchdringen. Deshalb muß eben vorgebaut werden in bezug auf alle die Strömungen, die die ahrimanische Kultur fördern.