Staatenbund hilft abgeschlossenen Völkern nicht

Quelle: GA 192, S. 321-322, 1. Ausgabe 1964, 20.07.1919, Stuttgart

Drei Forderungen gehen durch das soziale Leben der Gegenwart.

1. Die Eroberung der Weltmacht durch die anglo-amerikanischen Mächte.
2. Die Bestrebungen, die heute noch ganz abstrakt sind, die nach einem Völkerbund hingehen.
3. Die Bestrebungen, die wir die sozialen nennen.

Diese drei Strömungen sind einmal in der heutigen Kulturwelt die drei maßgebenden Strömungen: Die Weltherrschaft der anglo-amerikanischen Mächte; das Bündnis der Völker; das Streben nach sozialer Gestaltung der Weltangelegenheiten. Für diese drei Bestrebungen bestehen drei gewaltige Hindernisse: Gegen dasjenige, was die angloamerikanische Welt, von England ausstrahlend, als Weltmacht anstrebt, gegen das steht die Spiritualität der alten Inder, die indische Spiritualität. Das wird den großen Gegensatz geben: Das Suchen nach Weltprinzipien auf medialem Wege - das Suchen nach Weltprinzipien auf dem Yoga-Weg in Indien. Dieser Kampf wird der größte Kampf werden, der auf geistigem Gebiet ausgekämpft werden muß in der Weltgeschichte. Klar zu sehen über das, was als zwei Pole vorhanden ist in der Zeitbewegung, das ist die erste Aufgabe desjenigen, der ein wirklicher Geisteswissenschafter sein will.

Auf dem Gebiete des Strebens nach dem Völkerbund muß klar eingesehen werden, daß zwei Unmöglichkeiten heute an diesem Streben beteiligt sind. Dasjenige, was dem neuzeitlichen Streben nach der Menschheitseinigung, nach jener Humanität, von der Herder, Lessing, Goethe gesprochen hatten, was diesem Streben der neueren Menschheit nach der Menschheitseinheit entgegentritt, das ist gerade der Völkeregoismus, der nationale Chauvinismus, auf allen Gebieten. Und nun soll der Völkerbund eine Einheit der in sich abgeschlossenen Völker werden. Der Turmbau zu Babel, der zeigt ja im Bilde, daß gerade dadurch einem Völkerbund entgegengearbeitet wurde, daß die Völker getrennt worden sind in ihre Volkstümer. Und das soll das Mittel abgeben, um die Völker zu einen. Die Vierzehn Punkte, die Utopie Woodrow Wilsons, will die Aufgabe lösen, durch Konservierung desjenigen, was im Turmbau von Babel angedeutet ist, die Völker zu einigen. Sie wird nur das fördern, was die Völker weiter auseinander bringt. Sie wird die Verwirrung des Turmbaus von Babel nur noch größer machen. So steckt in der zweiten Bewegung ein Widerspruchvolles; es stecken zwei Unmöglichkeiten drinnen in der Völkerbundspolitik.

Und im dritten, in der sozialen Bewegung, steckt die Ablehnung des Geistigen. Es wird nur gerechnet mit dem Wirtschaftlichen, mit dem Materiellen, und man glaubt, daß aus dem Materiellen selber aufsprießen werde ein Geistiges. Man will ein Paradies auf Erden begründen mit Ausschluß alles dessen, was im Paradiese Ordnung machen kann, mit Ausschluß des Geistes. Da haben Sie wiederum den vollen Widerspruch auch im dritten Streben.