Erfolgreiche Betriebsräte ohne Kulturrat doch Mißerfolg

Quelle: GA 330, S. 268-271, 2. Ausgabe 1983, 16.06.1919, Stuttgart

Ich will vielleicht nur darauf hinweisen, daß ja trotz mancher Widerstände, die sich gerade aus Parteikreisen heraus ergeben haben, es immerhin - wenn diese Widerstände nicht allzu geneigtes Ohr finden in den weiteren Kreisen der am wirtschaftlichen Leben Teilnehmenden -, daß es immerhin als ein Erfolg zu verzeichnen ist, daß schon einige Antriebe auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens durch den Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus gekommen sind, und nach der Richtung des In-die-Hand-Nehmens des Wirtschaftslebens, der Wirtschaftseinrichtungen von seiten der an diesem Wirtschaftsleben beteiligten Personen immerhin schon einiges geschehen ist. Welcher Art das sein soll und sein muß, davon soll übermorgen des weiteren gesprochen werden. Aber es darf die Sache nicht so genommen werden, als ob, wenn von den drei Gliedern des sozialen Organismus eines ein wenig zeigt, daß es in Wirklichkeit übergeht, als ob dann die anderen schlafen könnten. Wenn etwas im Ernste so real, so praktisch gedacht ist wie diese Dreigliederung, dann ist der einseitige Erfolg des einen Teiles der größte Mißerfolg des Ganzen. Denn durch nichts läßt sich so sehr die Dreigliederung gefährden, als wenn besonders nur gelingt die Förderung des einen Gebietes, etwa des wirtschaftlichen. Deshalb ist es des Bundes für Dreigliederung des sozialen Organismus gegenwärtige allerernsteste Sorge, daß sich hinzugeselle zu der wirtschaftlichen Bewegung, innerhalb welcher wir als Bund für Dreigliederung stehen, eine Strömung des geistigen Lebens ob man das nun « Kulturrat » oder « geistigen Rat » oder wie immer nenne, das ist gleichgültig-, daß sich hinzugeselle eine möglichst große Zahl von Menschen - wir haben einmal einen Aufruf hier verteilt « An alle Menschen », weil eigentlich die Kultur eine Angelegenheit aller Menschen ist -, eine Zusammenschließung von Menschen also, denen die Neubildung vor allem unseres Schul- und unseres Erziehungswesens auf der Seele liegt, so auf der Seele liegt, daß sie einsehen, wie die freie Entwickelung der menschlichen physischen und geistigen Fähigkeiten gehemmt wird in dem Schulwesen, das durch die Staatsklammern eingeklemmt ist. Daher ficht der Bund für Dreigliederung für die Befreiung des Schulwesens, für die Selbstverwaltung des Schulwesens von unten bis oben. Daß dieses in der richtigen Weise geschehe, dazu ist notwendige daß eine möglichst große Anzahl von Menschen vor der Öffentlichkeit diese Selbstverwaltung des gesamten Unterrichtswesens, ja, des gesamten Geisteswesens fordere. Damit die einseitige Verfolgung der Wirtschaftskräfte nicht ein Mißerfolg werde, liegt es dem Bunde auf der Seele, nunmehr Menschen zusammenzubringen, welche mitarbeiten an dieser Befreiung des Schulwesens und Geisteswesens, des Erziehungswesens. Dabei soll nicht im geringsten dogmatisiert werden. Je mehr Meinungen dabei zum Ausdruck kommen, je mehr Gescheites zum Vorschein kommt, desto besser ist es. Auch da werden wir uns nicht in irgendeinem selbstgemachten Dogma versteifen, sondern zugänglich sein für alles, was aus sachverständigem Sinne herauskommen kann. Wer aber überhaupt glaubt, daß unter den Neubildungen heute auf die des geistigen Lebens ist, der müßte eigentlich die Neigung fühlen, die Notwendigkeit fühlen, sich mit anderen in einem solchen Zusammenschluß von Menschen zu einer Art geistigem oder Kulturrat, oder wie man es dann nennen will, zusammenzufinden.

Wir haben keineswegs versäumt, so viel es uns möglich ist, mit unseren Kräften da auch gleich an das Positive heranzugehen. Es besteht hier in Stuttgart das Projekt, das wahrscheinlich schon im Herbst zur Ausführung kommen wird: mit Hilfe einer Lehrerschaft, die Verständnis hat für einen wirklichen, im Sinne einer vergeistigten Anthropologie gedachten Menschheitsentwickelungsgedanken, mit Hilfe einer solchen Lehrerschaft eine wirkliche, aber nicht auf Staatsomnipotenz, sondern auf die Entwickelung des freien Menschen gestellte Einheitsschule herbeizuführen. Wir hoffen, daß wir eine solche Schule gerade hier in Stuttgart für einen engeren Kreis - es soll aber keine « Standesschule » sein, es wird gerade eine Proletarierschule werden - ins Leben werden rufen können, eine Schule, die, soweit es unter den heutigen Verhältnissen schon möglich ist, streng die Anschauungen des Bundes für Dreigliederung auch pädagogisch-didaktisch zum Vorschein bringen wird. Da wird versucht werden, den Menschen so zu entwickeln, daß er zu einem wirklich freien Geisteswesen heranwächst. Da wird versucht werden, diejenigen Kräfte, die man zwischen dem siebenten und dem fünfzehnten Jahre in einem Menschen zu entwickeln hat, so zu entwickeln, daß Denken, Fühlen und Wollen heranerzogen werden in der Stärke, in der sie nur herangezogen werden können in diesen Lebensjahren, so daß das spätere Leben und sein Schicksal diese Kräfte nicht wieder knicken können. Denn das bemerkt, wer Psychologie genug dazu hat, wie vieles in unserer Gegenwart, vieles von den Schäden unserer Gegenwart davon abhängt, daß nicht in genügender Stärke Denken, Fühlen und Wollen in den entsprechenden ganz jungen Lebensjahren so entwickelt werden, daß sie nicht später von den Schicksalsschlägen des Lebens geknickt werden können. Mehr als man glaubt, werden durch unsere heutigen Kulturverhältnisse die nicht genügend entwickelten Seelenkrähe geknickt; und mehr als man glaubt, hängt in unseren Verhältnissen, hängt mit Bezug auf unseren Niedergang von diesen Dingen ab.

Ich will auf dieses eine Beispiel nur hinweisen, damit Sie sehen, daß wir nicht Schwärmer, nicht Ideologen sind, sondern daß wir, soweit es uns mit unseren schwachen Kräften möglich ist, überall auch praktisch wirken wollen. Aber damit solche Dinge nicht vereinzelt bleiben, damit nach und nach unser ganzes Geistesleben zu einem freien gemacht werde, dazu ist es notwendig, daß sich viele Menschen mit vielen Meinungen, vielen Erkenntnissen und Kenntnissen und Praktiken zu uns hinzugesellen in den Kulturrat oder dergleichen. Das ist es, was ich zwar im heutigen Vortrag nicht deutlich ausgesprochen habe, was aber zugrunde lag als die Sehnsucht, daß auch in diesem geistigen Glied des dreigliedrigen sozialen Organismus sich genügend Menschen finden mögen, die in Zusammenarbeit auf diesem Gebiete etwas von dem wirken mögen, was notwendig ist in unserer Zeit nicht der kleinen, sondern der großen Abrechnungen. Denn wir brauchen ja eben eine Umgestaltung der Verhältnisse in wirtschaftlicher, in politischer und in geistiger Beziehung. Können wir uns nicht aufraffen, bevor es zu spät ist, zu einem tätigen Mitarbeiten nach dieser Richtung, dann müßte es eben zu spät werden! Und das wäre das Schrecklichste, was aus dieser Weltkriegskatastrophe hervorgehen könnte. Geht aus ihr aber hervor für viele Menschen die Lehre: Wir müssen den starken Willen zur Neugestaltung in allen drei Lebensgebieten entwickeln, dann wird, wenn auch vielleicht nicht für die unmittelbare Gegenwart schon im vollen Sinne, so doch für die Menschheitszukunft, aus diesem Willen heraus ein Großes, und damit sogar aus dem Unglück der Weltkriegskatastrophe ein Großes hervorgehen. Und wir haben als Deutsche, eingeklemmt zwischen dem Orient und dem Okzident, diese große Aufgabe, zu begreifen, was dort und da am meisten droht einzuschlafen und es aus der Mitte heraus zu erwecken. Und ich glaube, daß dies heute der beste Patriotismus ist, der zuletzt auch standhalten wird gegenüber alle dem, was aus den trüben Sümpfen von Versailles uns droht, indem das, was standhalten kann in der Mitte zwischen dem Osten und dem Westen, das sein wird: daß wir aufgehen lassen aus Deutschlands großer Zeit - aus unsern Lessing, Herder, Schiller, Goethe, aus der großen Zeit unserer das deutsche Wesen in ihrer Art zusammenfassenden deutschen Philosophie, der Philosophie Schellings, Fichtes, Hegels, aus der Zeit der deutschen Romantiker -, daß wir hervorgehen lassen, aufleuchten lassen, was unsere Aufgabe nach den furchtbaren Erfahrungen der letzten Jahre ist. Diese Aufgabe ist, zu erwecken gegenüber dem einschlafenden Geistesleben des Ostens, gegenüber dem einschläfernden materiellen Leben des Westens ein Geistesleben, das fähig ist, die materielle Welt vernünftig, menschenwürdig zu gestalten und ein Wirtschaftsleben, ein materielles Leben, das fähig ist, dem Menschen die Freiheit zu geben zu einem freien Geistesleben !