Keine Demokratisierung, sondern eine Sozialisierung der Betriebe anstreben

Quelle: GA 331, S. 054-055, 1. Ausgabe 1989, 22.05.1919, Stuttgart

Sie werden vielleicht jenen Gesetzesentwurf gelesen haben, der ja in die Wege leiten soll - so sagt man ja wohl in der bürokratischen Sprache - die Institution der sogenannten Betriebsräte. Natürlich denkt man zunächst an den Stellen, an denen man solche Dinge heute in die Wege leiten will, daran, Gesetze zu machen darüber, was Betriebsräte tun sollen, was ihre Rechte sein werden und so weiter. Aber nehmen Sie das Ganze, was da als Entwurf jetzt in die Welt gegangen ist, so werden Sie sich sagen müssen: Ja, das trägt auch nicht im geringsten den Stempel einer wahren Sozialisierung. Man nennt es sogar «Sozialisierung der Betriebe», als ob man die einzelnen Betriebe in Wirklichkeit sozialisieren könnte! Was in diesem Entwurf für die Konstituierung der Betriebsräte enthalten ist, das ist ja nichts anderes als, ich möchte sagen, das Hineinfließenlassen eines gewissen demokratischen Prinzips des uns sattsam bekannten Parlamentarismus in die einzelnen Betriebe. Man nennt die Sache ja heute schon vielfach «Demokratisierung der Betriebe». Das parlamentarische Prinzip soll gewisse Ausläufer, solche Meerbusen ausstrecken, die in die Betriebe hineingeleitet werden, in denen dann weiter parlamentarisiert werden soll.

Ja, so wenig der bisherige Parlamentarismus, indem er in der Abgeschlossenheit in allerlei «Häusern» praktiziert wurde, irgend etwas zur Sozialisierung hat beitragen können, ebensowenig wird dieses Ausstrecken der parlamentarischen Meerbusen den Betrieben etwas bringen können von dem, was Sozialisierung ist. Sie sehen es ja am besten daran, daß in diesem Entwurf überall in der ganz alten Weise geredet wird vom «Arbeitgeber» und «Arbeitnehmer». Wenn es auch nicht offen ausgesprochen wird, so ist es doch so, daß hinter all dem der alte Kapitalismus auch weiterhin lauert. Es ist alles in der alten kapitalistischen Form gedacht. Es soll im Grunde genommen alles beim alten bleiben, und die Arbeitnehmer sollen dadurch beruhigt werden, daß nun irgendwie Betriebsräte gewählt werden können, die allerlei theoretische Verhandlungen zu pflegen haben mit den Unternehmern. Aber mit Bezug auf die eigentliche soziale Gestaltung soll doch letztlich alles beim alten bleiben. Das kann derjenige aus einem solchen Entwurf deutlich herauslesen, der einen Sinn dafür hat, so etwas überhaupt zu lesen. Es ist auch nicht der allergeringste Anlauf genommen worden, um den Kapitalismus wirklich abzubauen. Und so sehen wir, daß schon die allererste Forderung der Sozialisierung, der Abbau des Kapitalismus, nicht in Angriff genommen wird durch das, was jetzt so vielfach Sozialisierung genannt wird.