Geistesleben durch Unterstützung staatlicher Korporationen geschwächt

Quelle: GA 330, S. 210-211, 2. Ausgabe 1983, 16.05.1919, Stuttgart

Das wird sich insbesondere in der freien Verwaltung des Unterrichtswesens zeigen. Auf anderen Gebieten hat es sich ja in wenig erfreulicher Weise schon gezeigt, indem die Beförderungsverhältnisse im alten Staat es dahin gebracht haben, daß auf den höchsten Ratsstellen in der Regel die alten Herren gesessen haben, die dann möglichst wenig mehr mit der Sache wollten zu tun haben. Aus der Selbstverwaltung des Geistes wird sich in der Zukunft gerade die Notwendigkeit ergeben, daß diese alten Herren die verschiedensten führenden Aufgaben haben werden. Dazu müssen sie aber jugendfrisch sein. Unsere Staatsschule untergräbt die Jugendfrische. Diese Jugendfrische hat man allerdings im Reichsgreisenbahnamt, pardon Reichseisenbahnamt - man hat Reichsgreisenbahnamt gesagt, weil die Stellen meistens mit Greisen besetzt sind -, nicht angetroffen. Notwendig wird es sein, daß wir die allererste Stufe des Schulunterrichts, der sich nur im freien Geistesleben entfalten kann, aus einer gründlichen Anthropologie heraus gestalten können, damit nicht, wie es jetzt geschieht, die menschlichen Denk- und Fühl- und Willenskräfte so entwickelt werden, daß das spätere Leben nicht imstande ist, sie aufrecht zu erhalten, sondern sie abschwächt. Wir müssen in den Jahren, in denen der Mensch Denken, Fühlen und Wollen auszubilden hat, das alles so gestalten, daß wir dem Leben eine Unterlage schaffen. Nimmermehr kann nachgeholt werden vom Menschen dasjenige, was in den Jugendjahren zu erreichen ist. Aber nur dann, wenn das Schulleben verwaltet wird aus den eigensten Gesetzen des Menschenlebens heraus, nicht aus der staatlichen Korporation, dann kann es möglich sein, daß durch das ganze Leben hindurch die Stärke seiner Kraft nicht abgeschwächt werde.

Und für das soziale Leben wird es notwendig sein, daß wir künftig nicht bloß ein Wissen uns aneignen durch die Schulanstalten, sondern daß wir lernen zu lernen, vom Leben immer zu lernen lernen. Es sieht heute noch sonderbar aus, wenn man sagt, daß ein wirklich sachgemäß eingerichteter Schulunterricht uns ganz andere Greise liefern wird in der Zukunft, als wir sie heute haben.