Geistesleben durch Unterstützung wirtschaftlicher Korporationen geschwächt

Quelle: GA 330, S. 063-064, 2. Ausgabe 1983, 23.04.1919, Stuttgart

Sie müssen also zunächst fragen: Wie sehen die aus, die uns geistig führen sollen?

Die kommen von den Bildungsanstalten, an denen wir selbst nicht teilnehmen dürfen. Das wird anders sein, wenn das Geistesleben emanzipiert sein wird, wenn derjenige, der Geistiges pflegt, nicht mehr die Unterstützung einer wirtschaftlichen Korporation oder einer kapitalistischen Ordnung haben wird, nicht die Unterstützung des Staates, sondern wenn er jeden Tag wissen muß, daß das, was er leistet, Wert hat für die Menschen, weil die Menschen Vertrauen dazu haben. Auf das Vertrauen zwischen der Menschheit und den geistigen Leitern muß das geistige Leben gestellt werden. Es kann niemand erwidern: Heute werden ja schon die Leute nicht immer anerkannt, wenn sie begabt sind, es gibt verkannte Talente, sogar verkannte Genies -, wie soll es da erst in der Zukunft werden, wenn die Anerkennung auf dem Vertrauen beruhen muß? - denn womit sich einer privat beschäftigt, das ist seine Sache, wir reden von dem, wie sich das Geistesleben in den sozialen Organismus hineinstellt. Da muß es sich so hineinstellen, wie ich es geschildert habe. Es muß sich frei hineinstellen. Nur dadurch, daß das Geistesleben allmählich in den letzten Jahrhunderten hineingetrieben worden ist in die Abhängigkeit von Staats- und Wirtschaftsleben, dadurch ist es geworden, was es ist.