Demokratie soll Warencharakter der Arbeit überwinden

Quelle: GA 330, S. 028-029, 2. Ausgabe 1983, 22.04.1919, Stuttgart

Zum Tiefsten der Proletarierseele sprach es daher, als Karl Marx die Worte anklingen ließ von der «Ware Arbeitskraft». Im Grunde genommen stand der Proletarier rückschauend in der geschichtlichen Entwickelung der Menschheit drinnen, indem er diese Worte von der Ware Arbeitskraft in seinem Sinne verstand. Im Altertum brauchte die Wirtschaftskultur Sklaven. Der ganze Mensch wurde verkauft wie eine Ware oder wie ein Tier. Nachher kam in einer anderen Wirtschaftsordnung die Leibeigenschaft. Weniger schon wurde verkauft vom Menschen aber immerhin noch viel. Nun kam die neuere Zeit herauf, welche damit sie sich kapitalistisch ausgestalten konnte, die breite Masse des Proletariats zu einer gewissen Schulbildung herbeirufen mußte, welche kultivieren mußte in einer gewissen Weise die Demokratie. Und nicht zur rechten Zeit wurde verstanden, dasjenige zu sehen, was als Keim für die Zukunft im Schoße der Gegenwart ruht. Nicht zur rechten Zeit wurde beobachtet, wie es notwendig ist, den Kauf und Verkauf der menschlichen Arbeitskraft herauszureißen aus dem Wirtschaftskreislauf. Als eine Fortsetzung des alten Sklaventums empfand der moderne Proletarier die Tatsache, daß er seine Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkte verkaufen mußte nach Angebot und Nachfrage, wie man Ware kauft und verkauft. So fühlte er sich in den Wirtschaftsprozeß eingesponnen, fühlte sich nicht aus diesem herausragend, wie die anderen Schichten der Bevölkerung. Er fühlte sich ganz in ihn hineingestellt. Denn muß man seine Arbeitskraft verkaufen, so verkauft man doch den ganzen Menschen, denn man muß ja den ganzen Menschen dahin tragen, wo man die Arbeitskraft verkauft. Die Zeit war gekommen, wo man hätte einsehen sollen, daß die menschliche Arbeitskraft so eingegliedert werden mußte in den sozialen Organismus, daß sie nicht Ware ist, wo das alte Lohnverhältnis nicht weiter bestehen durfte. Das hat man übersehen. Das ist die Tragik der bürgerlichen Lebensanschauung daß überall der richtige Zeitpunkt verpaßt worden ist, daß verpaßt worden ist, was notwendig war im Laufe der modernen kapitalistischen und demokratischen Entwickelung.