Bildung als Bedingung der Demokratie

Quelle: GA 330, S. 024, 2. Ausgabe 1983, 22.04.1919, Stuttgart

Das ist dasjenige, was nicht anders gekennzeichnet werden kann als daß man sagt, die bürgerliche Gesellschaftsordnung der neueren Zeit hat an das Proletariat einen Seeleninhalt, einen Geistesinhalt überliefert, der Seele und Geist des Menschen nicht adeln kann, und jetzt schlägt dieser bürgerlichen Gesellschaftsordnung das entgegen, was aus den verödeten Seelen, aus den leergelassenen Seelen geworden ist Man hat sie herbeirufen müssen, diese Seelen, mit der notwendig zu verbreitenden Demokratie zur Teilnahme an der Bildung. Man durfte und konnte sie nicht ausschließen und wollte es auch selbstverständlich nicht Aber man hat sie gerufen zu einer Empfindung von dem modernen Geistesleben, deren Konsequenz man nicht selber gezogen hat, weil man sie nicht selber zu ziehen brauchte. Man lebte, wenn man Angehöriger der bürgerlichen Gesellschaftsklasse war, noch in den Impulsen, die von alten religiösen Vorstellungen, von alten sittlichen oder ästhetischen Anschauungen heraufkamen aus alten Zeiten. Der Proletarier wurde hingestellt an die Maschine, wurde eingepfercht in die Fabrik in den Kapitalismus. Daraus erwuchs ihm nichts, was ihm die große Frage beantworten konnte: Was bin ich eigentlich wert als Mensch in der Welt? Er konnte sich nur allein an das wenden, was die wissenschaftliche Orientierung in der neueren Zeit war. Das Geistesleben wurde ihm zur Ideologie, zu etwas Seelenverödendem. Daraus entsprangen seine bis heute allerdings noch immer unbestimmten Forderungen.