Assoziative Wirtschaft durch Bedarfsorientierung anstelle von Gruppenegoismus

Quelle: GA 190, S. 210-218, 2. Ausgabe 1971, 14.04.1919, Dornach

Ich bin gefragt worden, ob denn nicht innerhalb unserer Gesellschaft die Dreigliederung verwirklicht werden könnte: Wirtschaftsleben, Rechtsleben, geistiges Leben.

Man kann gewiß so etwas mit Worten aussprechen, wenn man sehr gut drinnensteht in unserer Bewegung, wenn man es ganz ehrlich und tief meint mit unserer Bewegung. Aber es ist doch so, als ob man den Grundnerv unserer Bewegung gar nicht erfaßt hätte, wenn man dieses sagt. Man hat gar nichts verstanden von dem, was ich über die soziale Frage gesprochen habe, wenn man denkt, unsere Gesellschaft hier könne man wie eine Sekte dreigliedern! Welches sind denn die drei Zweige des gesunden sozialen Organismus? Zunächst das Wirtschaftsleben. Ja, meine lieben Freunde, wollen Sie denn das Allerschlimmste machen, wirtschaftliche Sektiererei treiben, indem Sie in dieser Gesellschaft eine gemeinschaftliche Wirtschaft innerhalb der anderen Wirtschaft draußen? Wollen Siedenn gar nicht verstehen, daß man sich heute nicht in egoistischer, wenn auch gruppenegoistischer Weise abschließen kann und das andere alles unberücksichtigt lassen! Sie wirtschaften doch mit der anderen Wirtschaft des hiesigen Territoriums. Sie beziehen doch Ihre Milch, Käse, Gemüse, dasjenige, was Sie brauchen, von einem Wirtschaftskörper, von dem Sie sich doch nicht isolieren können! Sie können doch wahrhaftig die Zeit nicht reformieren dadurch, daß Sie sich aus dieser Zeit herauslösen. Mir kommt es vor, wenn jemand eine solche Gesellschaft wie diese, zu einem Wirtschaftskörper machen will, geradeso wie wenn einer eine große Familie hat und sagt: Ich beginne jetzt in meiner Familie die Dreigliederung.

Diese Ideen sind zu ernst, zu umfassend, sie dürfen nich in das Kleinlich-Bourgeoise der verschiedenen Sektierereien, die es immer gegeben hat, hineingezerrt werden. [...] Sie würden sich ja ganz abschließen vom wirklichen praktischen Denken mit Bezug auf den Wirtschaftskreislauf der Welt, wenn Sie eine gruppenegoistische Wirtschaft für eine Sekte einrichten wollen.

[...] Wenn heute einer davon spricht, es solle das Wirtschaftsleben in der Anthroposophischen Gesellschaft eingeführt werden, so würde ich mir höchstens unter diesem Satze etwas Reales vorstellen können, wenn einer eine Kuh kaufte, und sie pflegte und sie melken würde, und dadurch etwas produzieren würde; dann wäre das keine Sektiererei innerhalb unserer Gesellschaft, denn im Wirtschaftsleben handelt es sich vor allen Dingen um diejenigen Maßnahmen, die die Produktivität erhöhen, die den notwendigen Bedürfnissen Rechnung tragen. Da ist ja auch einmal ein Anfang gemacht worden, der nur zum Teil durch die Persönlichkeit, mit der er gemacht wurde, mißglückt ist. Erinnern Sie sich doch, wir haben mit unserem Brote durch Herrn von R. einen Anfang gemacht, indem wir Brot produziert haben nicht nach dem Grundsatze des Produzierens, sondern nach dem Grundsatze des Konsumierens, was der einzige wirkliche gesunde Grundsatz sein kann. Wir haben zuerst Konsumenten schaffen wollen, was möglich gewesen wäre durch eine Gesellschaft. Dann wäre danach die Produktion einzurichten gewesen. Das war ein wirklicher praktischer Anfang. Er ist nur deshalb nicht geglückt, weil Herr von R. ein ganz unpraktischer Mann war, oder ist. Aber die Idee hätte sich realisieren lassen, wenn Herr von R. ein praktischer Mann gewesen wäre. Das wäre so eine praktische Idee, die aber mit der Anthroposophischen Gesellschaft nur das zu tun hat, daß die Anthroposophische Gesellschaft zunächst eine Summe von Konsumenten gebildet hat. Es handelt sich darum, den Blick auf die Sache zu lenken, nicht auf die Anthroposophische Gesellschaft, ja nicht diese zu einer abgeschlossenen Sekte zu machen.

Mit Bezug auf diese äußeren Dinge, die dem Produzieren zugrunde liegen, und mit Bezug auf manches andere, werden Sie nicht weit kommen, wenn Sie die Ideen, die in meinem Buche über die soziale Frage stehen, nicht im großen Stile auffassen. Denn schließlich, zur Reform des wirtschaftlichen Lebens gehört wirtschaftliche Praxis; sogar Kühe melken muß man verstehen, und es ist wichtiger, Kühe melken zu können als in einer kleinen Sekte irgendeine Wirtschaft einzurichten und die Milch natürlich doch von außen zu beziehen. Worauf es aber ankommen würde bei uns, das ist, daß eingesehen würde, worin der Impuls der Gegenwart gerade liegen muß, was das Wichtigste in der Gegenwart ist. Sie können heute Einrichtungen treffen, welche Sie wollen: Gehen Sie, wenn Sie können, nach Rußland, machen Sie dort, was Sie wollen, richten Sie die besten, idealsten Dinge ein, oder gehen Sie nach Deutschland, nach Österreich, nach Ungarn und so weiter, nach zehn Jahren sind alle diese Dinge verkracht, wenn sie sich nur zehn Jahre halten! So liegen die Dinge heute. Sie können mit den Gedanken, die die Menschen heute haben, die idealsten Einrichtungen machen, sie sind nach zehn Jahren verkracht, da können Sie ganz sicher sein. Es wird nicht immer so schnell gehen wie jetzt in München, wo die eine Räteregierung durch eine andere abgesetzt werden soll und die dann wieder durch eine noch radikalere und so weiter; aber all das, was Sie heute an solchen Einrichtungen treffen, die Ihnen sehr gesund und gut erscheinen, das wird wieder über den Haufen geworfen, wenn dieselben Ideen in den Menschenköpfen bleiben, die durch Jahrhunderte darin waren und die heute noch in ihnen spuken. Mit diesen Ideen ist nichts mehr anzufangen. Daher muß man sich schon dazu bequemen, umzudenken und umzulernen, muß schon wirklich als einen Bestandteil seines Seeleninneren die neuen Ideen aufnehmen. Das können Sie nicht von heute auf morgen. Sie können nicht von heute auf morgen gleich Einrichtungen treffen mit den neuen Ideen, Sie können aber diese Ideen, die in meinem Buche stehen, weil sie praktisch sind, bis zu den extremsten Spezialitäten herunter differenzieren. Sie können meinetwillen eine Meierei einrichten in dem Sinne, wie es in diesem Buche gemeint ist, aber wenn Sie nicht eine einzige Meierei bloß einrichten, wo Sie selbst Ihre Kühe melken drinnen, was ja nicht viel soziale Wirkung haben wird, die eine, einzige Meierei, wenn die anderen alle in dem alten Stile sind, wenn Sie nicht eine einzige einrichten, sondern wenn Sie verschiedene einrichten, so brauchen Sie ja die doch Leute dazu. In deren Köpfen sind aber die alten Ideen. Diese Einrichtungen werden bald entweder verkrachen oder die alten Formen annehmen, und alles ist beim alten. Daraus sehen Sie, was heute das Wichtigste ist. Heute ist nicht das Wichtigste, dies oder jenes einzurichten. Sie können natürlich gute Einrichtungen treffen, ich will Sie gar nicht dazu verführen, schlechte Sachen einzurichten, aber ich mache Sie nur aufmerksam: Wenn Sie auch die beste Sache einrichten, so ändern Sie die Zeit nicht damit. Auf einzelnen Gebieten kann man das tun, wie ich es in bezug auf das Brot erwähnte, oder wie wir es mit unserer Literatur gemacht haben.

Wie haben wir angefangen? Ich habe zunächst vor einem sehr kleinen Kreise in Berlin gesprochen. Dann sind die Kreise immer größer und größer geworden. Indem die Kreise größer und größer wurden, entstand das Bedürfnis, dasjenige, was gesprochen wurde, in Büchern zu lesen. Leser waren für die Bücher da, bevor die Bücher gedruckt wurden. Verfolgen Sie heute bei kundigeren Menschen die Theorien der sozialen Ideen: eines der Grundübel in unserer sozialen Ordnung sind die fortwährenden Krisen, die durch die sporadische Überproduktion entstehen, wenn so darauflos produziert wird. Das ist im Buchhandel am allerschlimmsten. Bedenken Sie, was alles im Buchhandel produziert wird an Büchern mit Auflagen von fünfhundert, manchmal noch mehr Exemplaren, von denen keine fünfzig Exemplare verkauft werden, und was für ein Unterschied ist zwischen einem Buch, von dem die ganze Auflage verkauft wird, und einem Buch, von dem vielleicht keine fünfzig Exemplare verkauft werden: Sie haben Setzer angestellt, Drucker angestellt, Papier verbraucht, alles für nichts! Das ist alles in den Wind gehangen, das ist alles Mißbrauch getrieben mit menschlicher Arbeitskraft. In dem Augenblicke, wo Sie drauflos produzieren, müssen Sie sich dessen bewußt sein, daß Sie menschliche Arbeitskraft verbrauchen, ist nicht der Konsum da, der den Verbrauch von menschlicher Arbeitskraft rechtfertigt, denn der Verbrauch von menschlicher Arbeitskraft ist nur durch das Bedürfnis gerechtfertigt, durch das vorhandene Bedürfnis gerechtfertigt, nicht der Inhalt, sondern das Bedürfnis muß da sein; die Aufwendung von menschlicher Arbeitskraft ist nur gerechtfertigt, wenn man voraussehen kann, daß dasjenige, was die Menschen arbeiten, Menschen zugute kommt. Also auf dem einzigen Gebiete, wo wir in einer gewissen Weise reformierend auftreten konnten, haben wir es getan. Wir haben sogar unsere Zuflucht nehmen müssen nicht zur Überproduktion, sondern sogar zur Unterproduktion. Die Welt konnte gar nich anders denken, als daß die Zeitschrift «Lucifer-Gnosis» eingegangen sei wie andere Zeitschriften: aus Mangel an Lesern. Gerade als sie eingehen mußte, weil andere Anforderungen an mich herantraten, war aber der Moment gekommen, wo sie zunächst anderhalbmal, dann zweimal, dann dreimal so viel Leser bekommen hätte, als sie vorher hatte. Wir haben uns sogar zur Unterproduktion entschließen müssen, nicht zur Überproduktion.

So werden in gesunder Weise Krisen vermieden. Der Buchhandel lebt in einer fortwährenden Krisis. Macht man Statistiken von Büchern, die nicht gekauft werden, so sieht man, daß Bücher produziert werden, die gar nicht gekauft werden können, weil gar nicht Sorge getragen werden kann dafür, daß Sie gekauft werden. Manchmal haben die Leute eine gewisse Einsicht in die Dinge. Ich sprach einmal mit Eduard von Hartmann in den achtziger Jahren über erkenntnistheoretische Literatur. Es war in der Zeit, als ich mein Büchelchen «Wahrheit und Wissenschaft» geschrieben habe, das jetzt vergriffen ist, von dem kein Exemplar vergeblich gedruckt, kein Exemplar vermakuliert wurde und durch welches daher keine menschliche Arbeitskraft vergeudet wurde. Eduard von Hartmann sagte: Da lassen die Leute alle ihre erkenntnistheoretischen Werke drucken in fünfhundert Exemplaren; wir haben doch nachweislich in Deutschland höchstens sechzig Leser; da sollte man höchstens hektographieren lassen und die Werke an die paar Leser, die sich wirklich interessieren, versenden. Nachweislich haben ja erkenntnistheoretische Werke nicht mehr Leser in der damaligen Zeit gehabt.

Tadeln Sie nicht, daß ich diese rein wirtschaftliche Frage der anthroposophischen Literatur hier einmal besprochen habe. Diese Dinge haben ja nichts zu tun mit dem Inhalte, nichts zu tun mit dem geistigen Wert. Aber sie können immerhin illustrieren, was eigentlich gemeint ist, und worauf es notwendig in der Gegenwart ankommt: daß zuerst eine gesunde Konsum-Assoziation geschaffen und nicht ins Blinde und Blaue hinein produziert werde. Aus bloßer menschlicher Vorliebe heraus sollte nicht einmal Wahrheit produziert werden!

[...] Dem widerspricht aber noch die alte bürgerliche Bildung, die ganz in sich verschlossen ist. Sie bildet sich ein: so ist etwas richtig, so muß es sein, so muß es gemacht werden. Aber so muß es gar nicht für das Leben gemacht werden! Für das Leben kommt alles darauf an, daß man beobachtet: Das ist da und das ist da, und daß man fordern läßt das, was man zu tun hat, durch das, was da ist. Die sind nur scheinbar Trivialitäten, denn das Leben sündigt heute fortwährend gegen diese Trivialitäten.