Inkarnation nach Landschaft statt nach Blut

Quelle: GA 190, S. 192-197, 2. Ausgabe 1971, 13.04.1919, Dornach

Wie waren in ältester Zeit die Völker auf der Erdkugel angeordnet? Bis zu einem gewissen Zeitpunkte, der eigentlich nicht weit vor dem Mysterium von Golgatha zurückliegt, da war alles, was an Völkerkonfiguration auf der Erde bewirkt worden, ist, von oben herunter bedingt, dadurch bedingt, daß die Seelen sich einfach senkten aus dem Kosmos, aus der geistigen Welt in die Körper, welche an einem bestimmten Territorium lebendig waren in der physischen Menschheitsentwickelung. So waren in Griechenland in den älteren Zeiten aus den physiologischen, geographischen, klimatischen Verhältnissen heraus gewisse Menschenleiber da, auf der italischen Halbinsel gewisse Menschenleiber da. Die Eltern brachten zwar die Kinder zur Welt, doch kamen die Seelen von oben, waren nur ganz von oben bestimmt und griffen sehr tief in die ganze Konfiguration des Menschen, in seine äußere körperliche Physiognomie ein.

Dann kamen die großen Völkerwanderungen. Menschen wanderten in verschiedenen Strömungen über die Erde. Die Rassenmischungen traten ein, Völkermischungen traten ein. Dadurch kam in ausgiebigem Maße das Vererbungselement im irdischen Leben zur Geltung. Da lebte an einem bestimmten Orte der Erde eine Bevölkerung, die wanderte an einen anderen Ort; so lebten in gewissen Gegenden des Kontinents die Angeln und die Sachsen, die wanderten nach den englischen Inseln aus. Das ist solch eine Völkerwanderung. Nun sind doch die Nachkommen der Angeln und der Sachsen in physischer Vererbung abhängig von dem, was sich vorher auf dem Kontinente entwickelte; sie sehen so aus in bezug auf ihre Physiognomie, mit Bezug auf ihre Hantierungen und so weiter. Dadurch kommt etwas hinein in die Entwickelung der Menschheit, was horizontal abhängig ist. Während früher die Verteilungen der Menschen über die Erde nur abhängig waren von der Art und Weise, wie sich die Seelen inkarnierten, heruntersenkten, wurde jetzt mitbestimmend dasjenige, was an Wanderungen, an Strömungen auftrat. Aber mit Bezug darauf ist gerade um die Wende des 14. zum 15.Jahrhundert ein neues kosmisch-geschichtliches Element aufgetreten, ein neuer kosmisch-geschichtlicher Impuls. Es war eine Zeit hindurch so, daß eine gewisse Sympathie bestand zwischen den Seelen, die herunterkamen aus der geistigen Welt, und den Körpern, die unten waren. Also konkret gesprochen: Auf den englischen Inseln, über den englischen Inseln senkten sich Seelen, die sympathisch berührt waren von der Gestaltung der Leiber, die als Nachkommen der Angeln und der Sachsen auf der britischen Insel lebten. Diese Sympathie hörte mit dem 15. Jahrhundert immer mehr und mehr auf, und die Seelen richten sich seit diesem 15. Jahrhundert nicht mehr nach den Rasseneigentümlichkeiten, sondern wiederum nach den geographischen Verhältnissen, nach dem Klima, nach dem, ob da unten Ebene, ob da Gebirge ist. Die Seelen kümmern sich seit dem 15. Jahrhundert immer weniger darum, wie die Menschen rassengemäß aussehen; sie richten sich mehr nach den geographischen Verhältnissen. So daß es heute in der über die Erde hin ausgebreiteten Menschheit etwas gibt, wie einen Zwiespalt zwischen dem angeerbten Rassenmäßigen und dem Seelischen, das aus der geistigen Welt kommt. Und würden die heutigen Menschen mehr ihr Unterbewußtes wirklich ins Bewußtsein bringen können, dann würden sich heute die wenigsten Menschen - wenn ich mich trivial ausdrücken darf - in ihrer Haut wohlfühlen. Die meisten Menschen würden heute sagen: Ich bin doch heruntergestiegen auf die Erde, um in der Ebene zu leben, unter Grünem oder über Grünem, um dieses oder jenes Klima zu haben, und im Grunde genommen ist es mir gar nicht so besonders wichtig, daß ich ein romanisch oder ein germanisch aussehendes Gesicht trage.

Ja, es sieht schon einmal paradox aus, wenn man diese Dinge, die von eminentester Wichtigkeit sind für das Menschenleben heute, im Konkreten schildert. Pantheistisch von Geist, Geist, Geist reden auch die Menschen, die gute Lehren geben, die sagen, man solle sich vom Materialismus abwenden und wiederum dem Geiste zuwenden; das schockiert die Leute heute nicht. Aber wenn man in dieser Konkretheit spricht über den Geist, dann lassen sich das die Leute heute noch nicht recht gefallen. Aber so ist es schon. Und Harmonie muß wiederum gesucht werden zwischen, ich möchte sagen, einer geographischen Prädestination und einem Rassenelemente, das sich über die Erde hin breitet. Daher kommen die internationalen Neigungen in unserer Zeit, daß die Seelen sich nicht kümmern mehr um das Rassenmäßige.

Ich habe dasjenige, was jetzt geschieht, einmal verglichen mit einer vertikalen Völkerwanderung, während früher eine horizontale Völkerwanderung war. Der Vergleich ist nicht bloß eine Analogie, der Vergleich ist auf Grund der Tatsachen des geistigen Lebens ausgesprochen.

Zu alldem muß hinzugenommen werden, daß der Mensch einfach durch die geistige Entwickelung der neueren Zeit im Unterbewußten immer geistiger wird, und daß eigentlich jene materialistische Gesinnung, die im Oberbewußtsein auftritt, immer mehr widerspricht dem, was der Mensch in seinem Unterbewußtsein hat. Um das einzusehen, dazu ist allerdings notwendig, auf die dreifache Gliederung des Menschen selbst noch einmal einzugehen.