Lohn-Preis-Spirale nur durch den Warencharakter des Geldes zu vermeiden

Quelle: GA 328, S. 161-163, 1. Ausgabe 1977, 08.03.1919, Zürich

Das, was ich auseinandergesetzt habe, bezieht sich nicht auf irgendein Wolkenkuckucksheim. Oh, die Zeiten sind da, wo mancher, der sich, weil er nur das Einfache überschauen konnte und danach sich seine Denkgewohnheiten bildete, der sich dadurch für einen Lebenspraktiker hielt, wird zugeben müssen, daß die verpönten, so sehr verpönten Idealisten, die aus Entwickelungsnotwendigkeiten der Menschheit heraus denken, die wahren Lebenspraktiker sind. Dasjenige, was ich Ihnen angegeben habe, ist nicht ein Wolkenkuckucksheim; es ist entnommen gerade aus dem, was die unmittelbarsten, alltäglichsten Lebensbedürfnisse der Menschheit sind.

Ich kann natürlich nicht auf alle einzelnen Gebiete mich einlassen; ich will zum Schlusse ein einziges Gebiet berühren, ein Gebiet, an dem sich, wenn ich es auch nur flüchtig berühren kann, zeigen wird, wie dasjenige, was ich scheinbar von dem Urgedanken des sozialen Lebens hergeleitet habe, in das Allerärgste eingreift. Was ist im Leben das Allerärgste? Das Allerallerärgste ist, daß wir etwas, was wir Geld nennen, in unserer Tasche haben müssen. Aber Sie wissen auch, was an diesem Gelde hängt. Sie wissen, wie dieses Geld eingreift in alles Leben. Wenn man die Entwickelung des gesunden sozialen Organismus ins Auge faßt: welchem Gliede kommt denn die Verwaltung des Geldes zu? Diese Verwaltung des Geldes hat bisher aus gewissen Entwickelungskräften, die sehr alt sind, der Staat besorgt. Das Geld aber ist ebensowahr in einem gesunden Organismus Ware, wie die Arbeitskraft nicht Ware ist. Und alles Ungesunde, das von der Seite des Geldes aus eingreift in den sozialen Organismus, besteht darinnen, daß das Geld des Warencharakters dadurch entkleidet wird, daß es heute mehr beruht auf der Abstempelung von irgendeiner Marke durch den politischen Staat, als auf dem, worauf es ja noch, weil es da nicht anders geht im internationalen Verkehr, beruhen muß: auf seinem Warenwert.

Die Nationalökonomen haben heute einen komischen Streit, einen Streit, der auf den Einsichtigen wirklich komisch wirkt. Sie fragen, ob das Geld eine Ware ist, nur eine beliebte Ware, für die man immer andere Waren eintauschen kann, während man sonst, wenn man zum Beispiel gerade das Unglück hat, nur Tische und Stühle zu fabrizieren, umherziehen müßte mit Tischen und Stühlen und warten, ob einer einem dafür Gemüse gibt, kann man, indem man zuerst Tische und Stühle für Geld eintauscht, für die Ware Geld Dinge bekommen, die einem gerade recht sind, nach denen man gerade Bedarf hat. Während die einen sagen: Dieses Geld ist eine Ware oder wenigstens der Repräsentant der Ware, für das da sein muß, auch wenn es Papiergeld ist, der entsprechende Gegenwert in Waren, sagen die anderen: Das Geld ist überhaupt nur dasjenige, was entsteht, indem der Staat durch ein Gesetz eine gewisse Marke abstempelt. Und nun forschen sie nach, diese nationalökonomischen Gelehrten, sie forschen nach: Was ist das Richtige? Ist das Geld Ware, oder etwas, was durch eine bloße Abstempelung entsteht? Ist es eine bloße Anweisung auf die Ware?

Die Antwort auf diese Fragen ist einfach diese: daß das Geld weder das eine noch das andere ist, sondern heute beides ist. Das eine ist es dadurch, daß der Staat eben gewisse Marken abstempelt; das andere ist, daß im internationalen Verkehre oder in gewisser Beziehung auch im nationalen Verkehre das Geld nur als Ware in der Warenzirkulation mitzirkulieren kann.

Der gesunde soziale Organismus wird das Geld jedes Rechtscharakters entkleiden; er wird es derjenigen Verwaltung und Gesetzgebung zuweisen, durch seinen eigenen, natürlichen Prozeß, auch die Hineinstellung des Geldes, Prägung des Geldes, Wertbestimmung des Geldes innerhalb des Wirtschaftskreislaufes, diesem selben Parlament, dieser selben Verwaltung, die den übrigen Wirtschaftsorganismus verwaltet.

Erst dann kann, wenn so etwas eintritt, dasjenige, was vom modernen Proletariat erstrebt werden muß, auf eine gesunde Basis gestellt werden. Jenes merkwürdige Verhältnis, das da besteht zwischen dem Arbeitslohn und der Warennatur, dieses Verhältnis, es beruht ebenfalls eigentlich auf einer Lebenslüge.

Während auf der einen Seite der Arbeiter glaubt, durch seine Forderung nach höherem Lohn, wenn er diese befriedigt erhält, dann gesündere Lebensverhältnisse zu erlangen, steigt immer auf der anderen Seite der Preis der Waren, solange nicht emanzipiert wird der Wirtschaftskreislauf von dem Rechtskreislauf des politischen Staates. Diese Dinge werden alle erst auf eine gesunde Basis gestellt werden können, wenn diese Dreigliederung eintreten wird.