Richter durch Einbeziehung der Vorgeburt

Quelle: GA 189, S. 034-035, 2. Ausgabe 1957, 16.02.1919, Dornach

Aus der äußeren Beobachtung des Lebens gewinnen Sie nicht die Einsicht in das Fundamentale der Dreigliederung, geradesowenig wie Ihnen Beobachtung noch so vieler rechtwinkliger Dreiecke den pythagoräischen Lehrsatz ergibt; aber wenn Sie ihn einmal haben, dann ist er überall anwendbar, wo ein rechtwinkliges Dreieck ist. So ist es auch mit diesen fundamentalen Gesetzen. Sie sind überall anwendbar, wenn man sie einmal in der richtigen Weise wirklichkeitsgemäß erfaßt hat. Und Sie haben ja noch Gelegenheit, die Notwendigkeit dieser Dreigliederung aus den Fundamenten der Geisteswissenschaft heraus zu begreifen. Bedenken Sie also, was als diese Dreigliederung angegeben wird: Das Leben der irdischen Geistigkeit, wenn ich so sagen darf, - Kunst, Wissenschaft, Religion und, wie schon erwähnt, auch Privat- und Strafrecht, das ist das eine Gebiet. Das zweite Gebiet ist das politische Zusammenleben der Menschen, das sich bezieht auf das Verhältnis von Mensch zu Mensch. Das dritte ist das wirtschaftliche Leben, das sich bezieht auf das Verhältnis des Menschen zu dem, was gewissermaßen untermenschlich ist, was der Mensch braucht, damit er sich erheben kann zu seiner eigentlichen Menschlichkeit. Um diese drei Gebiete handelt es sich bei der Dreigliederung. Gemäß diesen drei Gliedern soll der Mensch hineingestellt sein in den sozialen Organismus. Er muß so hineingestellt sein. Denn die drei Glieder haben jedes in bezug auf die menschliche Wesenheit als solche einen ganz anderen Ursprung. Alles irdische Geistesleben ist gewissermaßen der Nachklang dessen - was ich jetzt sage, gilt für unseren Zeitraum -, was der Mensch erlebt hat in dem Leben vor dem Heruntersteigen durch die Geburt ins physische Dasein. Da lebte der Mensch als geistige Individualität in geistigem Zusammenhange mit den höheren Hierarchien mit den entkörperten Seelen, die in der geistigen Welt sind, die augenblicklich nicht auf Erden verkörpert sind.

Was der Mensch hier als Geistesleben entwickelt, sei es, daß er sich religiöser Übung hingibt, in religiöser Gemeinschaft lebt, sei es, daß er künstlerisch tätig ist, sei es, daß er als Richter über einen andern urteilt, der einem Menschen ein Unrecht zugefügt hat, alles das, was in diesem Geistesleben sich auslebt, rührt von den Kräften her, die sich der Mensch in dem Zusammenleben mit den höheren Hierarchien in der geistigen Welt angeeignet hat, bevor er durch die Geburt ins physische Dasein eintrat. Da müssen Sie unterscheiden zwischen dem Zusammenleben mit anderen Menschen gemäß dem Einzelschicksal und dem Zusammenleben mit anderen Menschen gemäß dem, was ich jetzt eben charakterisiert habe. Im irdischen Dasein kommen wir mit dem einen und anderen Menschen in individuelle Verhältnisse hinein. Die sind abhängig von unserem individuellen Karma, führen zurück in frühere oder weisen hin auf spätere Erdenleben. Aber von diesen individuellen Beziehungen zwischen Mensch und Mensch müssen Sie solche unterscheiden, die dadurch entstehen, daß Sie zum Beispiel einer gewissen religiösen Gemeinschaft angehören. Da denken Sie oder fühlen Sie mit einer Anzahl von anderen Menschen innerhalb dieser religiösen Gemeinschaft gleich. Oder nehmen Sie an, ein Buch erscheine. Die Menschen lesen das Buch, nehmen Gedanken durch das Buch auf - das ist eine Gemeinschaft, die man da eingeht. Das irdische Geistesleben, ob es sich nun auf Erziehung und Unterricht oder auf anderes bezieht, besteht darin, daß man zu Menschen in Beziehung tritt, mit Menschen Gemeinschaften entwickelt, um durch diese Gemeinschaft selber im Geiste weiter zu kommen. Das alles aber ist ein Ausleben von Verhältnissen, in denen man in ganz anderer Form drinnensteckte, bevor man in das irdische Geistesleben herunterstieg. Das hat nichts zu tun mit dem individuellen Karma, sondern mit dem, was sich vorbereitete in der in der geistigen Welt verlebten Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. So daß man die Quelle für das, was ich im Speziellen als das geistige Gebiet bezeichnet habe, zu suchen hat in dem Leben, das der Mensch durchgemacht hat, bevor er sich anschickte, durch die Geburt ins irdische Dasein herunterzusteigen.