Demokratie allein hilft bei Arbeitszeit nicht

Quelle: GA 188, S. 226-243, 2. Ausgabe 1967, 02.02.1919, Dornach

Da haben wir vier Punkte, in denen wir zusammenfassen können alles dasjenige, was gewissermaßen sozialistisches Ideal mit Bezug auf die Struktur des menschlichen Gesellschaftsorganismus ist. Erstens strebt dieses sozialistische Ideal danach, daß alle Produktionsbetriebe Eigentum der Gemeinschaft werden, sei diese Gemeinschaft der Staat oder die Kommune oder Genossenschaften; daß, mit andern Worten, abgeschafft werde aller Privatbesitz an Produktionsmitteln, daß die Produktionsmittel alle Gemeineigentum werden, so daß alle Betriebe durch die Gemeinschaft auch geführt werden müssen.

Das zweite ist innerhalb des sozialistischen Ideals, daß die Produktion geregelt werde nach dem Bedarf, das heißt, daß die Produktion sich nicht regle frei nach Angebot und Nachfrage, daß nicht, wenn da oder dort ein Artikel verlangt wird, ein Produktionszweig für diesen Artikel eröffnet wird, sondern daß gewissermaßen staatlich oder kommunal oder genossenschaftlich festgestellt werde: Das benötigen die Leute, also errichtet die Gemeinschaft einen Produktionsbetrieb für diesen Artikel, der da benötigt wird. Ein drittes ist die demokratische Regelung der Arbeits- und Lohnverhältnisse, und ein viertes ist, daß jeder Mehrwert der Gemeinschaft zufällt. Damit haben wir ungefähr die vier Glieder des sozialistischen Ideals vor unsere Seele hingestellt. Ich wiederhole: Alle Produktionsbetriebe sollen Eigentum der Gemeinschaft werden, die Produktion soll geregelt werden nach dem Bedarf; die Arbeits- und Lohnverhältnisse sollen demokratisch geregelt werden; jeglicher Mehrwert, das heißt, jeglicher Profit soll an die Gemeinschaft abgeliefert werden.

In diesen vier Punkten liegt in der Tat für Millionen und Millionen von Menschen heute das, was sie anstreben. Und dem gegenüber besteht schon die absolute Notwendigkeit, zu fragen: Wie ist es möglich, den Menschen klarzumachen, daß diese vier sogenannten Ideale absolut unmöglich sind innerhalb der wirklichen menschlichen Gemeinschaft?

[...] Arbeits- und Lohnverhältnisse sollen demokratisch geregelt werden. Ja, da handelt es sich darum, daß eine Demokratie gar nichts hilft, wenn nicht die richtige Menschenschätzung zugrunde liegt, jene Menschenschätzung, die wirklich nur gründlich in die menschliche Seele geschrieben werden kann aus der Geisteswissenschaft heraus. Demokratie enthält immer das Ferment zu ihrem eigenen Untergang, wenn sie nicht zu gleicher Zeit den Keim zu wirklicher Menschenschätzung enthält.