Westbrüderlicher Leib, freiseelische Mitte, ostgleicher Geist

Quelle: GA 185, S. 217-228, 3. Ausgabe 1982, 03.11.1918, Dornach

Dann aber haben wir eine dritte Strömung. Das ist diejenige, welche der ganzen Menschheit eigen ist, vermöge welcher die ganze Menschheit in ihrem Entwickelungsalter ist, indem sie immer jünger und jünger wird, und jetzt in dem Zeitalter der Empfindungsseele ist, vom 28. bis zum 21. Jahre. Das geht durch die ganze Menschheit. Wenn wir die erste Strömung, die ethnische, schildern, wo Volksreligionen entstehen: Christus-Religion, Kirchenreligion, Logenreligion, darin stehen wir auf dem Standpunkt der volkstümlichen Entwickelung, die ich gewöhnlich so einteile: italienische Völker = Empfindungsseele, französische = Verstandes- oder Gemütsseele und so weiter. Wenn wir dasjenige schildern, was als Bewußtseinsseele in jedem einzelnen Menschen seit dem fünften nachatlantischen Zeitraum sich entwickelt, so haben wir da vorzugsweise dasjenige, was in dieser Weise ins Religiöse einströmt.

Aber von da aus geht dann auch das Zusammenwirken mit dem anderen, mit dem, was Evolution in allen Menschen ist: Empfindungsseelen-Evolution, die ja parallel läuft und viel unbewußter ist als die Bewußtseinsseelen-Evolution.

Studieren Sie, wie solch ein Mensch wie Goethe, wenn auch vielfach durch Impulse im Unterbewußten, aber doch sehr bewußt sich seine religiöse Richtung gibt, so kommen Sie auf das Walten der Bewußtseinsseele. Doch daneben waltet in der modernen Menschheit ein anderes Element, welches sehr stark in Instinkten, in unterbewußten Impulsen durch diese moderne Menschheit wirkt, aber innig verknüpft ist mit der Empfindungsseelen-Entwickelung, und das ist dasjenige, was man nennen muß die Entwickelung zum Sozialismus hin, die jetzt im Beginne ihres Verlaufes ist, und die in einer gewissen Weise ihren Abschluß finden wird von der Seite, wie ich es erzählt habe. Gewiß, die Anstöße werden immer gegeben, wie ich schon gesagt habe, von der Bewußtseinsseele aus; aber daß der Sozialismus die Mission des fünften nachatlantischen Zeitraums ist und bis zum vierten Jahrtausend hin zu einem Abschlusse kommen wird, das rührt für die ganze Menschheit gewissermaßen davon her, daß sie im Empfindungsseelen-Zeitalter lebt vom 28. bis 21. Jahre. Das liegt da drinnen. Der Sozialismus ist nicht etwas, was eine Parteirichtung ist, obwohl es innerhalb der sozialen Körperschaften viele Parteien gibt, aber das sind Parteien innerhalb der sozialen Strömung. Der Sozialismus ist nicht eine Parteisache als solche, sondern der Sozialismus ist etwas, was sich ganz notwendig nach und nach im fünften nachatlantischen Zeitraum in der Menschheit ausbildet. So daß, wenn dieser fünfte nachatlantische Zeitraum abgeschlossen sein wird, im wesentlichen, soweit sie für die zivilisierte Welt in Betracht kommen, in den Menschen die Instinkte für den Sozialismus vorhanden sein werden.

Nun können Sie sich denken: Das alles, was ich Ihnen gesagt habe, wirkt zusammen in diesem fünften nachatlantischen Zeitraum. Da wirken alle die Dinge zusammen, die ich geschildert habe. Da wirkt aber auch noch das, was im wesentlichen in unterbewußten Tiefen ist: die Tendenz, bis ins vierte Jahrtausend hinein die richtige sozialistische Gestaltung der ganzen Erdenwelt zu finden. Man braucht sich von einem tieferen Gesichtspunkte aus wahrhaftig nicht zu wundern, daß der Sozialismus alle möglichen Blasen aufwirft, die auch sehr schlimm sein können, wenn man bedenkt, wie er aus unterbewußten Tiefen herauf seine Impulse hat; wenn man bedenkt, wie das alles brodelt und kraftet und der Zeitpunkt noch weit, weit entfernt ist von derjenigen Epoche, wo es in sein richtiges Fahrwasser kommen wird. Aber es rumort, und zwar jetzt nicht einmal in den menschlichen Seelen, sondern es rumort in den menschlichen Naturen, in den menschlichen Temperamenten vor allen Dingen. Und für dasjenige, was in menschlichen Temperamenten rumort, für das findet man Theorien. Diese Theorien - wenn sie nicht Ausdrücke sind, so wie wir es in der Geisteswissenschaft haben, für dasjenige, was in den Tiefen der Wirklichkeit vorhanden ist -, diese Theorien, ob es Bakuninismus, Marxismus, Lassallismus ist, was weiß ich, das ist ganz einerlei, das sind alles Masken, Verbrämungen, alles Dinge, die sich der Mensch oberflächlich über die Wirklichkeit zieht. Die Wirklichkeiten sieht man doch erst, wenn man so tief hineinschaut in die Menschheitsentwickelung, wie wir es durch diese Betrachtungen zu tun versuchen.

Und auch dasjenige, was jetzt äußerlich geschieht, das sind ja nur tumultuarische Vorbereitungen zu dem, was schließlich in allen - und zwar jetzt wirklich, man kann sagen, eben nicht Seelen, sondern in den Temperamenten lauert. Sie alle sind sozialistisch. Sie wissen es oftmals nicht, wie stark Sie sozialistisch sind, weil es im Temperamente, ganz im Unterbewußten lauert. Aber nur dadurch, daß man so etwas weiß, kommt man hinaus über jenes nebulose, lächerliche Suchen nach Selbsterkenntnis, die hineinschaut in das menschliche Innere und da, ich will es nicht schildern, was man da für ein wesenloses Caput mortuum, für ein Abstraktum findet. Der Mensch ist ein kompliziertes Wesen. Man lernt ihn nur kennen, wenn man die ganze Welt kennenlernt. Das ist es, was dabei berücksichtigt werden muß.

Betrachten Sie einmal von diesem Gesichtspunkte aus die Welt, die Menschheit, wie sie sich im fünften nachatlantischen Zeitraum heranentwickelt hat. Sagen Sie sich nun selbst: Da haben wir im Osten das Christus-Volk mit dem wesentlichsten Impuls: Christus ist Geist. - Es lebt in der Natur dieses Volkes, daß dasjenige, was nur als Vorläufer hat geschehen können durch die andere europäische Bildung, wie mit instinktiver, mit elementarer Gewalt, mit historischer Notwendigkeit durch den Russizismus in die Welt kommt. Es ist dem russischen Volke als Volk diese Mission übertragen, das Gralswesen als religiöses System bis zum sechsten nachatlantischen Zeitraum so auszubilden, daß es dann ein Kulturferment der ganzen Erde werden kann. Kein Wunder, wenn sich dieser Impuls kreuzt mit den anderen Impulsen, die vorhanden sind, daß die anderen Impulse sonderbare Formen annehmen.

Welches sind die anderen Impulse? Nun: Der Christus ist König, Christus ist Lehrer. Ja, bis zu dem «der Christus ist Lehrer» kann man kaum gehen, denn das versteht eigentlich das russische Gemüt, wie ich schon sagte, doch eigentlich nicht, was das heißen soll, daß man das Christentum lehren kann, daß man das nicht erlebt als etwas, was in der eigenen Seele ist. Aber «Christus ist König» - so ist doch das Russentum mit dem «Christus ist König» zusammengewachsen. Und da sehen wir das Zusammenstoßen desjenigen, was am allerwenigsten jemals in der Welt zusammengehört hat: das Zusammenstoßen mit dem Zarismus, die östliche Karikatur des Prinzips, irdische Herrschaft einzuführen auf dem Gebiete des Religionswesens. «Christus ist König» - und der Zar ist sein Stellvertreter: diese Zusammenkoppelung dieses Westlichen, das im Zarismus sich ausspricht, mit dem, was gar nichts damit zu tun hat, mit dem, was durch die russische Volksseele im russischen Gemüte lebt!

In der äußeren physischen Wirklichkeit ist eben gerade das Charakteristische, daß diejenigen Dinge, die oftmals innerlich am wenigsten miteinander zu tun haben, sich äußerlich aneinander abreiben müssen. Fremdest waren von jeher Zarismus und Russentum, gehörten nicht zusammen. Wer das russische Wesen versteht, namentlich religiös, der wird daher die Einstellung auf die Ausscheidung des Zarismus immer als etwas Selbstverständliches für den wirklichen nötigen Zeitpunkt haben finden müssen. Aber bedenken Sie, daß dieses «Christus ist der Geist» Innerlichstes ist, daß es zusammenhängt mit der edelsten Kultur der Bewußtseinsseele, und nun zusammenstößt, während der Sozialismus rumort, mit dem, was in der Empfindungsseele lebt, so wie ich es dargestellt habe. Kein Wunder, daß die Ausbreitung des Sozialismus in diesem östlichen Teile von Europa Formen annimmt, die überhaupt unbegreiflich sind, ein unorganisches Ineinanderspielen der Bewußtseinsseelenkultur und der Empfindungsseelenkultur.

Vieles, was in der äußeren Wirklichkeit geschieht, es wird Ihnen klar und verständlich sein, wenn Sie diese innerlichen Zusammenhänge ins Auge fassen. Und notwendig ist es schon einmal für die gegenwärtige Menschheit und für ihre Entwickelung in die Zukunft hinein, daß die Menschheit nicht aus Bequemlichkeit und Faulheit vorbeigeht an dem, was ja zu ihrem Wesen gehört: Verständnis zu haben dafür, in welchen Zusammenhängen wir jetzt drinnen stehen. Man hat es nicht verstanden, hat es nicht verstehen wollen. Dadurch ist das europäische, jetzt mit dem amerikanischen verknüpfte Chaos gekommen, die furchtbare Katastrophe. Nicht eher wird man aus der Katastrophe herauskommen, bis die Menschen sich geneigt zeigen werden, so sich zu verstehen wie sie sind, aber eben wie sie sind innerhalb der gegenwärtigen Zeitenentwickelung, innerhalb der gegenwärtigen Zeitepoche. Das ist es, was man einsehen muß.

Daher ist es mir so wichtig, daß man einsieht, wie das, was ich mir denke als anthroposophische Bewegung, wirklich angeknüpft werden soll an die Erkenntnis der großen Evolutionsimpulse der Menschheit, angeknüpft werden soll an dasjenige, was die Zeit unmittelbar jetzt von den Menschen fordert. Natürlich ist es dann ein großer Schmerz, wenn man sieht, wie wenig eigentlich die Gegenwart geneigt ist, anthroposophische Weltanschauung gerade von dieser Seite her zu begreifen und ins Auge zu fassen.

Sie werden aus dem, was ich gesagt habe, einsehen, wie das, was als Sozialismus heraufsteigt - durch allgemeine Gesichtspunkte möchte ich nun ergänzen, was ich in der vorigen Woche in Anknüpfung an die «Philosophie der Freiheit» gesagt habe -, eine in der Menschennatur ganz allgemein begründete, immer weiter und weiter greifende Erscheinung in der Menschheit ist. Die heutigen Reaktionen, die dagegen stattfinden, sind für den, der die Dinge durchschaut, einfach furchtbar.

Für den, der die Dinge durchschaut, ist es klar, daß, wenn es auch noch so tumultuarisch, noch so im Rumoren darinnen sich geltend macht, was Sozialismus ist über die ganze Erde hin, dieses internationale Element, daß das dasjenige ist, was zukunftsträchtig ist, und daß das, was jetzt auftritt, die Konstituierung von allen möglichen National-, Natiönchen-Staaten, dasjenige ist, was der Menschheitsevolution entgegenarbeitet. Es ist ein furchtbares Entgegenstemmen gegen den Sinn der Entwickelung des fünften nachatlantischen Zeitraums, was in den Worten liegt: Jeder einzelnen Nation einen Staat. - Wo das enden soll, weiß man ja ohnedies natürlich gar nicht, aber es wird halt gesagt; nun, es wird halt gesagt! Das ist zu gleicher Zeit ganz durchtränkt von dem, was in den Artus-Impuls zurückführt: ganz durchtränkt von Organisationsprinzipien. Der Gegensatz dazu ist die Grals-Bestrebung, die so innig verwandt ist mit den Goetheschen Prinzipien, wie ich sie Ihnen dargestellt habe, diese Grals-Bestrebung, die überall auf das Individuelle, im Ethischen, im Wissenschaftlichen überall auf das Individuelle hintendiert, die vor allen Dingen das Individuum in seiner Entwickelung ins Auge fassen will, nicht Gruppen, die heute keine Bedeutung mehr haben und die durch das internationale sozialistische Element aus der Welt geschafft werden müssen, weil da die Richtung der Entwickelung liegt.

Auch aus diesem Grunde ist es, daß man sagen muß: Im Goetheanismus, im Goetheanismus mit all seinem Individualismus - wie ich den Individualismus hervorgeholt habe aus der Goetheschen Weltanschauung, sehen Sie in meinen ersten Goethe-Schriften, Sie können es auch bemerken in meinem Buche «Goethes Weltanschauung», diesen Individualismus, der schon einmal eine naturgemäße Folge des Goetheanismus ist -, in diesem Individualismus, der nur in einer Philosophie der Freiheit gipfeln kann, da liegt dasjenige, was notwendigerweise hinzielen muß zu dem, was als Sozialismus sich bildet, so daß man in einem gewissen Sinne zwei Pole anerkennen kann, auf der einen Seite den Individualismus, auf der andern Seite den Sozialismus, nach denen die Menschheit hintendiert im fünften nachatlantischen Zeitraum. Aber diese Dinge müssen richtig verstanden werden. Und das richtige Verstehen, das ist notwendig damit verbunden, daß man sich einen Einblick verschafft, was zum Sozialismus hinzukommen muß, wenn er wirklich in der Richtung der Menschheitsevolution laufen soll.

Die heutigen Sozialisten haben ja noch keine Ahnung, was notwendigerweise mit dem wahren, erst im vierten Jahrtausende einen gewissen Abschluß bekommenden Sozialismus zusammenhängt, zusammenhängen muß, wenn er in seiner Entwickelung richtig geht. Da handelt es sich vor allen Dingen darum, daß dieser Sozialismus sich zusammenentwickeln muß mit einer richtigen Empfindung über das Wesen des ganzen Menschen, des leiblichen, des seelischen, des geistigen Menschen. Die Nuancen, die werden schon die einzelnen ethnischen Religionsimpulse dazubringen, die werden schon ihre Beiträge liefern, daß verstanden wird der Mensch nach dieser dreifachen Gliederung, nach Leib, Seele und Geist. Der Orient mit dem Russischen wird dafür sorgen, daß der Geist begriffen wird. Der Westen wird dafür sorgen, daß der Leib begriffen wird. Die Mitte wird dafür sorgen, daß die Seele begriffen wird. Aber das alles geht natürlich durcheinander. Das darf nicht schematisiert und nicht kategorisiert werden, aber in all das hinein muß sich eben erst entwickeln das wirkliche Prinzip, der wirkliche Impuls des Sozialismus.

Was ist dieser Sozialismus? Der wirkliche Impuls des Sozialismus besteht nämlich darinnen, daß die Menschen es, so wie ich es neulich einmal geschildert habe, wirklich dazu bringen, in der äußeren sozialen Struktur die Brüderlichkeit zu verwirklichen im weitesten Sinne des Wortes. Die wirkliche Brüderlichkeit hat nichts zu tun mit Gleichheit, selbstverständlich. Denn nehmen Sie schon in der Familie Brüderlichkeit an: wenn der eine Bruder sieben Jahre alt ist, der andere erst geboren ist, so kann man natürlich nicht von Gleichheit sprechen. Brüderlichkeit wird erst verstanden werden müssen. Aber das ist auch alles, was auf dem physischen Plan zu verwirklichen ist: an Stelle der heutigen Staatssysteme Organisationen über die ganze Erde hin, die durchtränkt sind von Brüderlichkeit. Dagegen muß aus der äußerlichen Organisation, aus der Staatsorganisation und aus allen staatsähnlichen Organisationen heraus alles Kirchliche und alles Religiöse. Das muß seelische Angelegenheit werden. Das muß in völlig freiem Nebeneinanderleben der Seelen sich entwickeln. Parallel mit der Entwickelung des Sozialismus muß absoluteste Gedankenfreiheit in bezug auf alle religiösen Dinge gehen.

Das hat ja der bisherige Sozialismus in Form der Sozialdemokratie, nun, nur so hervorgeschmissen, daß man schon sagen kann: «Religion ist Privatsache.» - Aber das hält er ungefähr so ein, wie der wütende Stier die Brüderlichkeit einhält, wenn er auf irgend jemand losgeht. Da ist natürlich nicht das geringste Verständnis dafür, denn der Sozialismus in seiner heutigen Gestalt ist selber Religion; er wird in ganz sektenmäßiger Weise betrieben und tritt mit ungeheurer Intoleranz auf. Also parallel diesem Sozialismus muß gehen eine wirkliche Blüte des religiösen Lebens, das darauf gebaut ist, daß das religiöse Leben der Menschheit eine freie Angelegenheit der miteinander auf der Erde wirksamen Seelen ist.

Nun denken Sie einmal, wie unendlich viel dadurch entgegengearbeitet worden ist der Evolution. Es muß immer zuerst entgegengearbeitet werden, damit dann wieder eine Zeitlang im Sinne der Evolution gearbeitet werden kann; dann kommt wiederum der Gegenschlag, und so weiter. Das habe ich Ihnen ja bei den allgemeinen Geschichtsprinzipien erörtert, daß alles da ist, damit es wiederum stirbt. Denken Sie nur, wie gegengearbeitet worden ist diesem Parallelgehen der Gedankenfreiheit auf dem Gebiete der Religion und des äußerlichen brüderlichen sozialen Lebens, das sich, wenn man schon vom Staate spricht, nur innerhalb der Staatsgemeinschaft ausbilden kann! Innerhalb der Staatsorganisation darf das religiöse Leben überhaupt gar keine Rolle spielen, sondern nur innerhalb der als Seelen zusammenlebenden Menschen in völligster Unabhängigkeit von irgendeiner Organisation, wenn Sozialismus herrschen soll. Was ist dagegen gesündigt worden! «Christus ist der Geist» - daneben diese furchtbare Kirchenorganisation des Zarismus! «Christus ist der König» - absolute Zusammenkoppelung von Zarismus mit religiösen Überzeugungen! Und nicht nur, daß die Kirche, die römisch-katholische Kirche selber sich konstituiert hat als politisches Reich, sie hat auch den Weg gefunden, namentlich in den letzten Jahrhunderten mit dem Umwege über den Jesuitismus, in die anderen Reiche sich einzuschleichen und die mitzuorganisieren, die mitzudurchtränken.

Oder denken Sie, wie hat sich schließlich das Luthertum entwickelt? Gewiß, Luther ging hervor aus jenem Impulse - so habe ich ihn auch einmal dargestellt -, und er ist so recht ein Geist, der mit dem einen Gesicht nach dem vierten, mit dem anderen Gesicht nach dem fünften Zeitraum weist und insofern einen zeitgemäßen Impuls hat. Er tritt auf, aber was geschieht dann? Dann koppelt sich dasjenige, was Luther auf religiösem Gebiete gewollt hat, mit den Fürsteninteressen der einzelnen deutschen Höfe zusammen. Ein Fürst wird Synodale, Episkop, und so weiter; also auch da zusammengekoppelt dasjenige, was niemals zusammengekoppelt werden darf. Oder Durchtränkung des die äußere Staatsorganisation durchsetzenden Staatsprinzips mit dem katholischen religiösen Prinzip, wie es in Österreich war, in dem jetzt zugrunde gehenden Österreich, worauf das ganze Unglück Österreichs im Grunde genommen doch zurückgeht. Unter anderen Ägiden, namentlich unter der Ägide des Goetheanismus, würde es möglich gewesen sein, in Österreich sehr gut Ordnung zu schaffen.

Das ist auf der einen Seite. Auf der anderen Seite im Westen in der englischsprechenden Bevölkerung überall Durchdringung von Logentum mit Fürstentum. Das ist gerade das Charakteristische, daß die staatliche Organisation im Westen überhaupt nicht zu verstehen ist - und Frankreich und Italien sind ja ganz infiziert davon -, ohne daß man da die Durchsetzung mit dem Logentum ebenso ins Auge faßt, wie man in Mitteleuropa die Durchsetzung mit dem Jesuitismus oder mit anderem ins Auge fassen muß. Also gegen dasjenige, was notwendig parallelgehen muß dem Sozialismus, ist furchtbar gesündigt worden, und das muß ins Auge gefaßt werden.

Ein Weiteres, was mit der Entwickelung nach dem Sozialismus parallel gehen muß, ist auf dem Gebiete des geistigen Lebens die Emanzipation alles Strebens nach dem Geiste unabhängig von der Staatsorganisation. Die absolute Aufhebung aller Kasernierung der Wissenschaft und dessen, was mit Wissenschaft zusammenhängt. Das ist das Notwendige. Jene über die Welt zerstreuten Kasernen der Wissenschaft, die man Universitäten nennt, das sind Dinge, welche am allermeisten entgegenstreben dem, was sich im fünften nachatlantischen Zeitraum entwickeln will.

Denn so wie Freiheit herein muß auf religiösem Gebiete, so muß auf dem Gebiete der Erkenntnis die Möglichkeit entstehen, daß ein vollständig gleiches Zusammengehen entsteht, daß jeder seinen Anteil haben kann an der Fortentwickelung der Menschheit. Nicht im geringsten dürfen, wenn die sozialistische Bewegung gesund sich entwickeln will, Privilegien, Patente, Monopole auf irgendeinem Zweig der Erkenntnis liegen. Da wir heute noch sehr weit entfernt sind von dem, was ich eigentlich meine, so ist es wohl nicht nötig, daß ich nach irgendeiner Seite Ihnen zeige, wie es möglich ist, die Kasernierung der Wissenschaft aufzuheben, und wie es möglich ist, jeden Menschen zu seinem Anteil an der Evolution nach dieser Richtung zu bringen. Denn das wird zusammenhängen mit tiefgreifenden Impulsen, die im Erziehungswesen, ja in dem ganzen Verhältnis von Mensch zu Mensch sich entwickeln werden. Aber so wird es sein, daß alle Monopole, Privilegien, Patente, die sich auf den Besitz geistiger Erkenntnisse beziehen, schwinden werden, und nur die Möglichkeit vorhanden sein wird, daß der Mensch den Inhalt des geistigen Lebens nach allen Richtungen hin, auf allen Gebieten so geltend machen kann, wie er in ihm liegt, wie stark er in ihm liegt, wie stark er in ihm zum Ausdrucke kommt. In einer Zeit, in der man immer mehr und mehr dahin strebt, solche Dinge wie die Medizin zum Beispiel zu monopolisieren durch die Universitätsleute, in der man auch auf den verschiedensten anderen Gebieten alles, alles durchorganisieren will, in einer solchen Zeit hat man es ja nicht nötig, über Einzelheiten der geistigen Gleichheit zu sprechen, - denn wir sind ja natürlich noch sehr weit davon entfernt, und die meisten von uns haben genügend Zeit, zu warten bis zu ihrer nächsten Inkarnation, wenn sie ein vollständiges Verständnis anstreben dessen, was mit Bezug auf diesen dritten Punkt zu sagen ist. Aber natürlich, Anfänge könnten überall gebildet werden.

So ist es nur möglich, wenn man, Anteil nehmend an der modernen Menschheit und an unserer Zeit, im Kopfe hat, welche Impulse walten, wenn man namentlich diesen Sozialismus, der da waltet, ins Auge fassen und ihn zusammenhalten kann mit dem, was parallel gehen muß: Freiheit des religiösen Denkens, Gleichheit auf dem Gebiete der Erkenntnis. Die Erkenntnis muß für die Menschen so gleich werden, wie nach dem Sprichworte der Tod alle gleich macht, denn sie führt in der Zukunft eben in die übersinnliche Welt hinein, in die der Tod auch hineinführt.

So wenig man nämlich den Tod monopolisieren und patentieren kann, so wenig kann man in der Wirklichkeit die Erkenntnis monopolisieren und patentieren. Und wenn man es doch tut, erzeugt man eben nicht Träger der Erkenntnis, sondern diejenigen, die eben das geworden sind, was heutige sogenannte Träger der Erkenntnis sind. Es betrifft ja natürlich nirgendwo wiederum den einzelnen, geradesowenig wie das andere den einzelnen betrifft, sondern es betrifft dasjenige, was ja für die Zeit bedeutsam ist: die Gestaltung, die soziale Gestaltung der Zeit. Unsere Zeit insbesondere, die das allmählich in die Dekadenz kommende Bourgeoistum darlebte, die hat ja gezeigt, wie heute immer unwirksamer und unwirksamer ein Aufbäumen wird gegen dasjenige, was eigentlich gegen die Evolution geht. Das Papsttum geht ganz entschieden gegen die Evolution. Als der Altkatholizismus sich in den siebziger Jahren dagegen aufgebäumt hat, nach der Aufstellung des Infallibilitätsdogmas, dieser Krönung des päpstlichen Monarchismus, da wurde es ihm ja schwer und wird ihm bis heute schwer gemacht, während er gute Dienste leisten könnte gerade in bezug auf dieses Aufbäumen gegen den päpstlichen Monarchismus.

Wenn Sie rückblicken auf dasjenige, was ich gesagt habe, dann werden Sie doch finden, daß gegenwärtig hier außen auf dem physischen Plane etwas ist, was eigentlich in die Seelen hineingehört und in den Geistesmenschen hineingehört, während auf dem äußeren physischen Plane eigentlich die Brüderlichkeit heraus will. Es hat sich auf dem physischen Plane dasjenige geltend gemacht, hat ihn organisiert, diesen physischen Plan, was auf den physischen Plan unmittelbar nicht gehört. Natürlich gehört es auf den physischen Plan, insofern die Menschen auf dem physischen Plane stehen und es in den Seelen lebt, aber es gehört nicht hinein dadurch, daß man auf dem physischen Plane die Leute organisiert. Auf dem physischen Plane müssen zum Beispiel die Religionen absolut nur Seelengemeinschaften sein können, nicht äußerlich organisiert sein, müssen die Schulen als solche ganz anders organisiert sein; vor allen Dingen dürfen nicht Staatsschulen sein und so weiter. Das alles muß aus der Freiheit des Gedankens, aus der Individualität des menschlichen Wesens herausgehen können.

Dadurch, daß sich in der Wirklichkeit die Dinge ineinanderschieben, dadurch kann so etwas kommen, wie zum Beispiel, daß heute der Sozialismus vielfach das Gegenteil dessen ist, was ich Ihnen heute als sein Prinzip dargestellt habe. Er ist tyrannisch, er ist machtlüstern, er ist dasjenige, was am liebsten alles andere auch in die Hand nehmen möchte. Innerlich ist er in Wirklichkeit die Bekämpfung des widerrechtlichen Fürsten dieser Welt, denn der widerrechtliche Fürst dieser Welt tritt dann auf, wenn man den Christus-Impuls oder das Geistige äußerlich nach Staatsprinzipien organisiert, wenn man die äußere Organisation nicht bei der bloßen sozialen Brüderlichkeit läßt.

Sie sehen, man tippt gar sehr an Dinge, die heute der Menschheit noch unbequem sind, wenn man an wichtigste, wesentlichste Fragen der Gegenwart tippt. Es ist aber notwendig, daß solche Dinge eingesehen werden, daß solche Dinge erkenntnismäßig durchdrungen werden. Denn nur dadurch, daß man solche Dinge seiner Einsicht einverleibt, nur dadurch kann man herauskommen aus der gegenwärtigen Katastrophe. Das muß ich immer wieder und wiederum wiederholen. Nur dadurch wird es möglich sein, mitzuarbeiten an der wirklichen Evolution der Menschheit, daß man sich bekannt macht mit den Impulsen, die auf die Weise, wie wir es ja betrachtet haben, gefunden werden können.