Rom ist am Goldabfluß zugrunde gegangen

Quelle: GA 180, S. 288-289, 2. Ausgabe 1980, 14.01.1918, Dornach

Was kann man unter vielem andern als charakteristisch für diese arabische Denkungsweise, die sich in Europa ausbreitete, aufstellen? Als besonders charakteristisch kann man aufstellen, daß diese arabische Denkungsweise zuerst einmal spitzfindig ist, abstrakt ist, das Konkrete nicht gern hat, daher am liebsten alle Welt- und Naturverhältnisse in Abstraktionen betrachtet. Daneben ist eine, man kann nicht bloß sagen blühende, sondern wollüstige Phantasieentwickelung. Denken Sie nur einmal, was neben der nüchternen, abstrakten Denkweise, die sich sogar im Künstlerischen zeigt im Arabertum, was sich da an Phantasie entwickelt über eine Art Paradies, über eine Art Jenseits mit all den aus dem Sinnlichen in dieses Jenseits hineinversetzten Freuden. Diese zwei nebeneinanderlaufenden Dinge: nüchternes, materialistisches Betrachten von Natur- und Weltverhältnissen, auf der andern Seite üppiges Phantasieleben, selbstverständlich in Abstumpfung dann und im Gescheitwerden, ist etwas, was sich bis in die Gegenwart herein fortgepflanzt hat. Denn, will man heute irgend etwas von der geistigen Welt vorbringen, ja, wenn man es in Form von Phantasie gibt, dann gehen die Leute noch darauf ein. Dann brauchen sie nicht daran zu glauben, sondern können es als Phantasiegebilde hinnehmen. Das lassen sie sich gefallen, denn daneben wollen sie das haben, was sie echt, wirklich nennen. Das muß aber nüchtern, das muß trocken, das muß abstrakt sein.

Diese zwei Dinge, die als zweite Strömung im Seelenleben Europas leben, die sind im wesentlichen mit dem Arabertum gekommen. Das Arabertum ist zwar kriegerisch in vieler Beziehung zurückgedrängt worden, aber diese Vorstellungsart, die ist tief eingedrungen in das europäische Leben, namentlich in das südliche, westliche und mitteleuropäische Leben, weniger in das osteuropäische Leben; aber auch da, wenigstens in das, was man «Bildung» nennt, ist es teilweise eingedrungen. So daß das Christentum, das in bezug auf diese Dinge ganz anders geartet ist, mit diesen entgegengesetzten Vorstellungen zu kämpfen hatte. Will man also Europas Entwickelung bis ins 9. Jahrhundert hinein verstehen, so darf man nicht außer acht lassen, daß solche arabische Gedanken in Europa eingedrungen sind. Man glaubt gar nicht, wieviel eigentlich in Europa dem Türkentum nahesteht, der mohammedanischen Kultur nahesteht in den Gedanken, die der Europäer über Leben, Schicksal und so weiter hat.

Wie ist es aber gekommen, daß da an der Peripherie des Römischen Reiches so etwas entstehen konnte, besser gesagt, so etwas sich einwurzeln konnte, was Europa so viel zu schaffen machte? Das hängt zusammen gerade mit dem immer Größer- und Größerwerden des Römischen Reiches. Dieses Römische Reich, indem es sich immer mehr und mehr ausbreitete, war genötigt, zum Unterhalt der Bedürfnisse, die sich herausbildeten in diesem weiten Reiche, viele, viele Produkte aus dem Oriente zu beziehen, und die mußten alle bezahlt werden. Und wir sehen mit der Entwickelung des Römischen Reiches gerade vom Beginne unserer Zeitrechnung an, daß eine bedeutsame Erscheinung in der Entwickelung des Römischen Reiches diese ist, daß die Römer so viel bezahlen müssen für das, was sie aus dem Oriente beziehen. Wir sehen, mit andern Worten, daß in dieser Zeit im Römischen Reiche ein ungeheuer starker Goldabfluß nach der Peripherie hin stattfindet. Das Gold fließt ab. Und kurioserweise eröffnen sich keine neuen Goldquellen. Und die Folge davon ist, daß die Reichtumsverhältnisse des Römischen Reiches sich vollständig ändern, daß das Römische Reich mit der Entwickelung des Christentums geld-, das heißt gold- und silberarm wird. Das ist eine grundbedeutsame Erscheinung. So daß sich das Christentum ausbreitet im Römischen Reiche in einer Gegend, die immer mehr und mehr in bezug auf seine Wirtschaft nach primitiven Zuständen zu tendiert. Denn wo Verarmung an Geld stattfindet, wo Verarmung an Gold stattfindet - auf dem physischen Plane ist das einmal so -, da tritt sehr bald die Notwendigkeit auf, zu den primitiven Formen der Naturalwirtschaft zurückzukehren, zu den primitiven Formen einer Art von Tauschhandel durch das bloße Austauschen der Güter. Aber das wäre noch nicht einmal das Bedeutsame. Das Bedeutsame ist, daß es unmöglich wird, wenn solche Goldarmut eintritt, daß weithin reichende und vielbedeutende Menschenverbindungen geschaffen werden. Die Menschen werden dadurch auf die Ausnützung viel näherer Verhältnisse angewiesen; sie werden in dem Austausch und in dem Zusammenleben in ihren Bedürfnissen in viel engere Grenzen eingeschlossen.

Und so kam es, daß die römische Wirtschaft allmählich immer mehr hineinwuchs in eine Art und Weise, die es als Imperium nicht gewöhnt war. Die Einrichtungen waren im Römischen Reiche alle so getroffen, alle Arten der Verwaltungseinrichtungen, der Administration und so weiter, alles das, was man als Zusammenhang der Gegenden mit ihren Behörden und so weiter bezeichnet, das war darauf eingerichtet, daß man Geld hatte. Und nun wurde das Geld immer weniger. Sie können es an einem besonderen Gebiete deutlich beobachten. Natürlich, da das Reich immer größer geworden war, brauchten die Römer immer mehr und mehr, namentlich in den äußeren Partien des Reiches, Legionen; sie brauchten Soldaten. Die wollten bezahlt sein. Man konnte nicht immer unendliche Massen von etwa in Italien selbst produzierten Dingen an die Peripherie hinausführen. Die Soldaten wollten in Gold bezahlt werden, damit sie dann von den andern einhandeln konnten. Aber das Gold war allmählich nicht mehr da. Man konnte die Soldaten nicht mehr bezahlen. So war es auf vielen Gebieten. Das Römische Reich erstarb also gewissermaßen an seiner eigenen Größe.

Und in seinem Umfange, an seiner Peripherie entwickelte sich ein ganz besonderer Reichtum, der dann selbstverständlich auch zur Folge hat, daß eine gewisse Basis, eine gewisse Grundlage da ist für ein geistiges Leben.