Panslawismus vom Westen nur Parolen

Quelle: GA 171, S. 251-252, 1. Ausgabe 1964, 14.10.1916, Dornach

Das sind die beiden Einseitigkeiten: auf der einen Seite das bloße Leben in dem Phänomen, in den Erscheinungen, auf der anderen das bloße Leben in den Imaginationen, die nicht anknüpfen wollen an das äußere Leben. Und was droht, weil in der Welt alles aufeinanderstoßen muß, das ist, daß diese beiden einseitigen Impulse miteinander in Kampf treten, immer mehr und mehr in den Kampf treten. Dieser Kampf wird überhaupt eine der Signaturen des fünften nachatlantischen Zeitraums sein.

Von der einen Seite immer mehr und mehr das Bestreben, Zwangsorganisationen zu schaffen, von der anderen Seite das Bestreben, die Zwangsorganisationen aufzulösen. Die Sache tritt nur jetzt noch nicht so hervor, weil man immer die Vorstellung hat, das sei eine Wirklichkeit, was zum Beispiel im russischen Osten heute sich als ein scheinbar großes Reich entfaltet. Aber bei solchen Dingen stößt man ja viel mehr auf Schlagworte und auf falsche Vorstellungen als auf das, was wirklich ist. Es gibt keine größeren Gegensätze in Wirklichkeit als zwischen demjenigen, was sich im Imperialismus des europäischen und amerikanischen Westens vorbereitet, und demjenigen, was sich vorbereitet im Osten, sogar bis in den Osten Asiens hinein. Das sind volle Gegensätze. Und auch was den Westen in vieler Beziehung belebt, was man da das nationale Prinzip nennt, das betrachtet man heute als etwas gleiches oder ähnliches mit dem, was man im Osten den Panslawismus nennt. Es gibt keinen größeren Unsinn als dieses; denn der Panslawismus ist alles eher als etwas Nationales. Er ist nur scheinbar durch die Schlagworte des Westens zu etwas Nationalem auch für die Panslawisten selber gestempelt; er ist in Wirklichkeit dasjenige, was gerade auflösen wird das Nationale. So paradox diese Dinge heute noch erscheinen, weil man dasjenige, was total voneinander verschieden ist, heute oftmals als etwas gleiches bezeichnet, so paradox das erscheint, was ich zu sagen habe, so tief innerlich in den wirklich bewegenden Kräften ist es begründet.