Goethe - Richtige Strafe und Belohnung erst über Imagination

Quelle: GA 164, S. 049-050, 1. Ausgabe 1984, 18.09.1915, Dornach

Man kann Goethe schon von Anfang an in seinem Wirken nicht verstehen, wenn man nicht seine, ich möchte sagen, von seiner ganzen Umgebung abweichende Art, über den Menschen in bezug auf Belohnung und Strafe zu denken, ins Auge faßt. Lesen Sie das Gedicht «Prometheus», wo er sich sogar gegen die Götter auflehnt. Prometheus, das ist natürlich ein Auflehnen gegen die Denkweise der Menschen über Belohnen und Strafen. Für Goethe existiert die Möglichkeit, sich ganz besondere Begriffe zu machen über Belohnen und Strafen. Und in seinem «Wilhelm Meister» hat er das ja wirklich, ich möchte sagen, wunderbar schürfend in den Geheimnissen der Welt, darzustellen versucht. Man versteht den «Wilhelm Meister» nicht, wenn man das nicht ins Auge faßt.

Woher kommt denn das? Das kommt daher, weil man auf dem Gebiet des physischen Erkennens überhaupt nicht sich eine Vorstellung machen kann, welche Strafe oder welche Belohnung in bezug auf die Welt für irgend etwas Menschliches anzusetzen ist, denn das [] kann erst aufgehen auf dem Gebiet der Imagination. Die Okkultisten haben daher immer auch gesagt:

Wenn man hinaufkommt in die imaginative Erkenntnis, erlebt man nicht nur die elementarische Welt, sondern auch - wie sie sich ausdrückten - «die Welt des Zornes und der Strafe». Also nicht nur ist es hier eine Rückkehr in die Welt des Entstehens und Vergehens, sondern zu gleicher Zeit ein Hinaufklettern zur Welt des Zornes und der Strafe. [...]

Darum wird die eigentümliche Verkettungsmöglichkeit zwischen dem, was der Mensch wert ist und nicht wert ist mit Bezug auf das Universum erst eine richtige Beleuchtung durch die Geisteswissenschaft erfahren können. Alles andere «Justifizieren» in der Welt ist vorbereitend dazu.