Carnegie - Tüchtigkeit wird nicht vererbt, also Produktionsmittel auch nicht

Quelle: GA 057, S. 231-238, 2. Ausgabe 1984, 28.01.1909, Berlin

Ein Webermeister, der zunächst sein gutes Auskommen hatte, war Carnegies Vater, ein Schotte. Er arbeitete zunächst für eine Fabrik. Das ging alles gut bis zu dem Zeitpunkt, wo die Großindustrie alles überflutete. Nun sehen wir, wie der letzte Tag herankommt, an dem Carnegies Vater das Fabrizierte noch an den Händler abliefern kann, wie er die letzte Bestellung abliefert. Armut und Elend zieht nun ein bei diesem Webermeister. Er sieht keine Möglichkeit mehr, sich in Schottland fortzubringen. Man beschließt, damit die beiden Jungen nicht in Not leben und umkommen, nach Amerika auszuwandern.

Der Vater findet Arbeit in einer Baumwollfabrik, und der Junge, von dem wir zu sprechen haben, wird im zwölften Jahre als Spuljunge angestellt. Er hat harte Arbeit zu leisten. Aber es gibt nach einer Woche harter, schwerer Arbeit einen freudigen Tag für den zwölfjährigen Knaben. Es wird ihm zum ersten Male der erste Lohn ausgezahlt: 1 Dollar 20 Cents. Niemals wieder - so sagt Carnegie hat er irgendeine Einnahme mit solch entzückter Seele aufgenommen wie diesen Dollar und zwanzig Cents. Nichts hat ihm später mehr eine solche Freude gemacht, obgleich viele Millionen durch seine Finger gegangen sind. Wir sehen den Repräsentanten des praktischen Strebens in unserer Gegenwart, der herauswächst aus Not und Elend, der so angelegt ist, sich in die Gegenwart, wie sie ist, hineinzuleben und darin der selbstgemachte Mann zu werden. Er plagt sich ab. Er erringt jede Woche seinen Dollar.

Da findet sich jemand, der ihn in einer anderen Fabrik mit einem besseren Lohn anstellt. Hier hat er noch mehr zu arbeiten, er muß im Keller stehen und hat eine kleine Dampfmaschine zu heizen und in Gang zu halten bei großer Hitze! Er fühlt das als verantwortungsvollen Posten. Die Angst, den Hahn an der Maschine falsch zu drehen, was für die ganze Fabrik ein Unglück bedeuten konnte, ist für ihn furchtbar. Gar oft ertappt er sich dabei, wie er in der Nacht im Bette saß und die ganze Nacht träumte von dem Hahn, an dem er drehte, um ja recht achtzugeben, daß er es in der richtigen Weise mache.

Dann sehen wir, wie er nach einiger Zeit in Pittsburg angestellt wird als Telegraphenbote. Da ist er schon hochbeglückt mit dem geringen Lohn des Telegraphenboten. Er hat zu arbeiten an einem Orte, wo es auch Bücher gibt, die er vorher kaum gesehen hat. Manchmal hat er auch Zeitungen zum Lesen. Er bat jetzt nur eine Sorge: Telegraphenborten sind in der Stadt nicht zu brauchen, wenn sie nicht sämtliche Adressen der Firmen, die Telegramme erhalten, auswendig können. Er bringt es wirklich dahin, die Namen und Adressen der Pittsburger Firmen genau zu kennen. Er entwickelt auch schon eine gewisse Selbständigkeit. Sein Bewußtsein ist außerordentlich mit Klugheit gepaart. Er geht jetzt etwas früher nach dem Telegraphenamt, und da lernt er durch eigenes Üben selber telegraphieren. So kann er das Ideal ins Auge fassen, das in einem noch jungen, aufstrebenden Gemeinwesen jeder Telegraphenbote haben darf: selber einmal Telegraphist zu werden. Es gelingt ihm sogar ein besonderes Kunststück. Als eines Morgens der Telegraphist nicht da war, kommt eine Todesnachricht. Er nimmt die Depesche auf und befördert sie an die Zeitung, für die sie bestimmt war. Es gibt ja Zusammenhänge, wo solch ein Vorgehen, selbst wenn es glückt, nicht günstig angesehen wird. Aber Carnegie stieg dadurch zum Telegraphisten auf.

Jetzt bot sich ihm noch etwas anderes. Ein Mann, der viel mit dem Eisenbahnwesen zu tun hatte, erkennt das Talentvolle an dem jungen Mann und macht ihm eines Tages folgenden Vorschlag. Er sagte ihm, er solle für fünfhundert Dollar Eisenbahnaktien übernehmen, die gerade freigeworden seien. Er könne da viel gewinnen, wenn er diese Dinge betreibe. Und nun erzählt Carnegie - es ist entzückend, wie er dies erzählt -, wie er tatsächlich durch die Sorgfalt und Liebe seiner Mutter fünfhundert Dollar aufbrachte, und wie er sich seine Aktien kaufte. Als das erste Erträgnis kam, die erste Anweisung über fünf Dollar, da ging er mit seinen Gefährten hinaus in den Wald. Sie betrachteten die Anweisung und machten sich Gedanken und lernten erkennen, daß es noch etwas anderes gibt als für Arbeit entlohnt zu werden, etwas, das aus Geld Geld macht. Das erweckte große Gesichtspunkte in Carnegies Leben. Er wuchs damit in den Grundzug unserer Zeit hinein.

So sehen wir, wie er gleich Verständnis hatte, als ein anderer Vorschlag kommt. Es ist bezeichnend, wie er mit völliger Geistesgegenwart erfaßt, was zum ersten Male vor seiner Seele auftritt. Ein erfinderischer Kopf zeigt ihm das Modell des ersten Schlafwagens. Sogleich erkennt er, daß da etwas ungeheuer Fruchtbringendes darinnen ist, so daß er sich daran beteiligt. Nun hebt er wieder hervor, wodurch dieses sein Bewußtsein eigentlich wuchs. Er hatte nicht genug Geld, um in entsprechender Weise sich an dem Unternehmen der ersten Schlafwagengesellschaft der Welt zu beteiligen. Aber sein genialer Kopf bewirkte es, daß er tatsächlich jetzt schon bei einer Bank Geld bekam: er stellte da seinen ersten Wechsel aus. Das ist nichts Besonderes, sagt er, aber das ist etwas Besonderes, daß er einen Bankier findet, der diesen Wechsel für «gut» nimmt. Und das war der Fall.

Jetzt brauchte er das nur auszubauen, um ganz der Mann der Gegenwart zu werden. Daher brauchen wir uns nicht zu wundern, daß er, als ihm der Gedanke kam, die vielen Holzbrücken durch Eisen- und Stahlbrücken zu ersetzen, von diesem Augenblick an der große Stahlmann wurde, der Mann, der bis heute in gewisser Beziehung den Ton angab für die Stahlindustrie und der ungezählte Reichtümer erworben hat. So sehen wir in ihm geradezu den Typ des Menschen, der in die Gegenwart hineinwächst, die Gegenwart, die das äußerlichste Leben entfaltet. In das Alleräußerlichste der Außerlichkeit wächst er hinein. Aber er wächst hinein durch seine eigene Kraft, durch seine Fähigkeiten. Er wird zum unermeßlich reichen Menschen aus der Not und dem Elend heraus, indem er sich wirklich vom ersten Dollar an alles selber erworben hat. Und er ist ein nachdenklicher Mensch, der diesen ganzen Impuls seines eigenen Lebens auch seinerseits mit dem Fortschritt und dem Leben der ganzen Menschheit in Zusammenhang bringt.

So sehen wir, wie aus einer Denkweise herauswächst ein anderes merkwürdiges Evangelium, ein Evangelium, das sich im Grunde genommen - das ist sehr interessant - auch an Christus anlehnt. Nur sagt Carnegie gleich am Eingange seines Evangeliums, es sei ein Evangelium des Reichtums. So ist das Buch in die Welt gekommen als eine Darstellung, in welcher Weise der Reichtum am besten zum Heile und zum Fortschritt in der Menschheit angewendet wird. Er wendet sich darin gleich gegen Tolstoj, von dem er sagt: Der ist ein Mensch, der den Christus so nimmt, wie er gar nicht für unsere Zeit annehmbar ist, der ihn nimmt als ein fremdes Wesen aus alter Vergangenheit. Man muß den Christus so verstehen, daß man ihn dem Leben der Gegenwart einimpft. - Carnegie ist ein Mensch, der das ganze Leben der Gegenwart voll bejaht. Er sagt: Blicken wir zurück auf die Zeiten, wo die Menschen einander noch mehr gleich waren als heute, wo sie noch weniger geteilt waren in solche, welche Arbeit zu vergeben haben, und solche, die Arbeit zu nehmen haben, und vergleichen wir die Zeiten, so sehen wir, wie primitiv die einzelnen Kulturen dazumal waren. Der König war in jener alten Zeit nicht imstande, seine Bedürfnisse in einer solchen Weise zu befriedigen - weil sie nicht so befriedigt werden konnten - wie heute der ärmste Mensch sie befriedigen kann. Was geschehen ist, mußte geschehen. Es ist also richtig, daß die Güter so verteilt sind.

Nun prägt Carnegie eine merkwürdige Lehre von der Verteilung oder Anwendung des Reichtums. Vor allen Dingen werden wir bei ihm finden, daß ihm Gedanken in der Seele aufgehen über die rein persönliche Tüchtigkeit, über das Wesen der Tüchtigkeit des Menschen, der sich heraufgearbeitet hat im Leben zu dem, was er zuletzt wird. Zunächst sieht Carnegie nur äußerliche Güter, dann aber auch, daß der Mensch tüchtig sein muß, äußerlich tüchtig. Und seine Tüchtigkeit muß man dazu anwenden, nicht bloß Reichtum zu erwerben, sondern auch ihn zu verwalten im Dienste der Menschheit.

Carnegie macht intensiv darauf aufmerksam, daß ganz neue Grundsätze sozusagen eintreten müßten im sozialen Bau der Menschheit, wenn Heil und Fortschritt ersprießen sollen aus dem neuen Fortschritt und der Verteilung der Güter. Er sagt: Wir haben Einrichtungen aus früherer Zeit, die es möglich machen, daß durch die Vererbung vom Vater auf den Sohn und die Enkel Güter, Rang, Titel und Würden übergehen. Bei dem Leben in der alten Zeit war das möglich. - Er findet es richtig, daß man durch Routine ersetzen kann, was die persönliche Tüchtigkeit nicht gibt: Rang, Titel, Würden. Aber von dem Leben, in das er hineingewachsen ist, da ist er überzeugt, daß es persönliche, individuelle Tüchtigkeit verlangt. Er weist darauf hin, daß bei sieben falliten Häusern festzustellen war, daß fünf davon dadurch fallit geworden, sind, daß sie übergegangen sind auf die Söhne. Rang, Titel und Würden waren übergegangen von den Vätern auf die Söhne, niemals aber die Geschäftstüchtigkeit. In denjenigen Teilen des modernen Lebens, wo Geschäftsprinzipien herrschen, sollten sie sich nicht einfach vom Vererber auf die Nachkommen vererben. Viel wichtiger ist es, daß man einen persönlich Tüchtigen heranzieht, als daß man seinen Reichtum durch Vererbung seinen Kindern vermacht. Daraus zieht Carnegie den Schluß, den er mit dem grotesken Satze ausdrückt: Es muß der, welcher Reichtum erworben hat, dafür sorgen, daß er während dieses Lebens auch den Reichtum anwendet, anwendet zu solchen Einrichtungen und Begründungen, durch welche im weitesten Umfange die Menschen gefördert werden. - Und der Satz, mit dem er das formuliert, der grotesk erscheinen kann, der aber doch aus der ganzen Denkweise Carnegies hervorgeht, ist dieser: «Wer reich stirbt, stirbt entehrt.» Man könnte in gewissem Sinne sagen, noch revolutionärer klinge der Satz des Stahlkönigs als mancher Satz Tolstojs. «Wer reich stirbt, stirbt entehrt», das heißt doch: Wer nicht anwendet diejenigen Güter, die er zusammengebracht hat, zu Stiftungen, wodurch die Menschen etwas lernen können, wodurch sie die Möglichkeit bekommen, sich fortzubilden, wenn ein Mensch also den Reichtum nicht dazu anwendet, daß er möglichst viele Menschen tüchtig macht, sondern ihn übrig läßt, so daß ihn die Nachkommen in ihrer Art und Talentlosigkeit anwenden können und er nur ihrem persönlichen Wohlleben dient, wer nicht so stirbt, daß er zeit seinesLebens seinen Reichtum zum Heile der Menschheit verwaltet, der stirbt entehrt.

So sehen wir bei Carnegie ein sehr merkwürdiges Prinzip auftauchen. Wir sehen, daß er bejaht das gegenwärtige soziale Leben und Treiben, daß er aber aus ihm einen neuen Grundsatz herausprägt: daß der Mensch einzutreten hat nicht nur für die Verwendung des Reichtums, sondern auch für seine Verwaltung, als Verwalter der Güter im Dienste der Menschheit. Kein Glaube ist in diesem Mann daran, daß irgend etwas in der Vererbungslinie von den Voreltern auf die Nachkommen übergehen könne. Wenn er auch nur das äußere Leben kennt, so ist es ihm doch klar, daß im Inneren des Menschen die Kräfte sprossen müssen, die den Menschen tüchtig machen für sein Wirken im Leben.

So sehen wir diese zwei Repräsentanten unserer Gegenwart: denjenigen, der eine herbe Kritik übt an allem, das sich nach und nach entwickelt hat, und der aus dem Geiste heraus die Seele zu Höherem führen will, und wir sehen den anderen, der das materielle Leben nimmt, wie das materielle Leben eben ist, und der aus der Betrachtung des materiellen Lebens hingewiesen wird darauf, daß im Inneren des Menschen der Quell des Arbeitens und der Lebensgesundheit ist. So sonderbar es klingt, man könnte gerade in dieser Lehre Carnegies etwas finden, was zu folgendem Ausspruch berechtigt: Wenn man nicht gedankenlos und sinnlos auf dieses Seelenleben hinblickt, sondern so hinblickt, daß man nach und nach auf die aus den Seelen herausströmenden Kräfte hinsieht, hinsieht auf das Individuelle, und sich durchaus klar darüber ist, daß es sich nicht in der Vererbungslinie fortpflanzt, auf was muß man dann schauen? Man muß auf den wirklichen Ursprung schauen, auf dasjenige, was aus anderen Quellen kommt. Und man wird finden, wenn man durch Geisteswissenschaft zu den Quellen der jetzigen Talente und Fähigkeiten kommt, daß diese in früheren Leben liegen. Durch das Gesetz derWiederverkörperung und der geistigen Verursachung, das Karma, wird man die Möglichkeit finden, gedankenvoll zu verarbeiten ein solches Prinzip, wie es das praktische Leben einem praktischen Menschen aufgedrängt hat.